Was ist neu

Zu wenig Temperament

Mitglied
Beitritt
11.07.2021
Beiträge
200

Zu wenig Temperament

Eine Freundin schickt mir eine Mail. „Kanntest du ...?* Du bist doch aus dem Osten?“

Ich kannte. Als ich vierzehn war, gaben sie in der DDR mal eine Zeitschrift für junge Literatur heraus. „Temperamente“. Das Heft war groß angekündigt worden, junge, unbekannte Autoren sollten ein Chance kriegen. Man war schon ganz gespannt.
Von dort her kannte ich ihn. Kein Wunder. Ist sein Familienname doch sehr ausgefallen. Von ihm waren in jeder Ausgabe Beiträge.
Wenn ich, die in einem Dorf in Mecklenburg aufgewachsen ist – aus der Ecke kommt auch er, aus Stavenhagen, nebenan in Malchin ist meine Mutter aufgewachsen, daher kommen keine Dichter, hatte ich bisher immer gedacht, man kann sich irren - in die Kreisstadt fahren musste, ging ich jedes mal zuerst zum Zeitungskiosk und kaufte mir die neueste Ausgabe des Heftes.
Damals, mit vierzehn, fünfzehn, fand ich seine avantgardistischen Gedichte langweilig und hätte gern mehr Prosa in der Zeitung gelesen. Nicht, dass man jetzt die Vorstellung hat, dort wären irgendwelche aufmüpfigen Sachen abgedruckt gewesen. Alles war superbrav und langweilig. Es wurde wohl streng zensiert.

Unser sozialistischer Alltag, der ein bisschen grau und kahl war – ist das jetzt im Westen besser - durfte nicht so abgebildet werden, wie er war. Das hätte dem Klassenfeind in die Hände gespielt. In den Büchern bei uns heirateten immer der Brigadier und die Parteisekretärin, und jeder machte Neuerervorschläge, wie man die Effizienz seiner Maschine noch verbessern konnte. Wenn man erwachsen geworden war und halbwegs das Leben kennengelernt hatte, las man den Quatsch nicht mehr, den man vom Realitätsgehalt den Romanen der Hedwig Courths Mahler gleichsetzen kann, bloß das alles auf sozialistisch eingefärbt war.

Aber vielleicht tue ich den Machern des Heftes Unrecht. Es standen vielleicht gar keine besseren Geschichten zur Verfügung. Ein paar sind mir trotz der vielen Jahre, die vergangen sind seitdem, noch im Gedächtnis hängen geblieben.

Ich weiß auch nicht, warum gerade die eine davon so einen starken Eindruck bei mir hinterließ. Vielleicht ahnte ich in ihr eine Blaupause für mein späteres Leben. Jedes Jahr an Weihnachten denke ich an die Story von den beiden Kumpels, die auf Montage sind und zusammen in ihrer Arbeiterunterkunft Weihnachten feiern wollen. Dazu kaufen sie sich je einen Broiler und einen Kasten Bier. Wie wenig braucht man, um glücklich zu sein?
Ich fand schon immer, dass die ungewöhnlichsten Weihnachtsfeste die genialsten waren.

Mein bestes war, als ich mit nichts als aufgetauten Sauerkirschen und einem frischen Brot, das ich in der Bäckerei, wo ich arbeitete, vom Band genommen hatte, im Arbeiterwohnheim in der Wilhelm-Pieck- Straße, heute Tor-Straße, saß, weil ich nicht wusste, das in Ostberlin, damals noch Hauptstadt der DDR, am 24., 25., und 26. alles zu hatte, einschließlich der Imbisse und Restaurants. Und damals gab es noch keine Türken, die kein Weihnachten feiern und deshalb immer auf haben.
Natürlich fiel mir dabei auch wieder die Geschichte mit den beiden Freunden und ihrem Broiler ein. Trotz widriger Umstände war ich genauso wunschlos glücklich wie sie, die sich an ihrer Freundschaft wärmten. Mich hingegen wärmte, dass ich meine Heimat in weiter Ferne wusste. Da zog es mich genauso wenig hin wie die beiden frohgemuten Herren.

Die nächste Story, die ich nicht vergessen habe, handelt davon, dass jemand von seiner Nachbarin gebeten wird, auf einen älteren Herrn, der unter ihr wohnt, zu achten. Er hatte einen Herzanfall, und sie muss zur Telefonzelle laufen. Keiner hatte seinen eigenen Apparat bei uns.
Natürlich kann er ihr die Bitte nicht abschlagen, auch wenn er in Eile ist. Er sitzt auf seinem gepackten Rucksack und will unbedingt den Zug, der ihn nach Rumänien bringen soll, erreichen. In seiner Gegenwart geht es mit dem Mann zu Ende.
Die Nachbarin kommt wieder und sagt, dass bald Hilfe eintrifft, und er kann endlich zum Bahnhof eilen. Erst als er im Zug sitzt, wird ihm klar, dass gerade in seiner Gegenwart ein Mensch gestorben ist, und dass ihm das völlig egal war. Das fand ich stark.

Oder das mit der Schwiegermutter, der die völlig unfähige Freundin, die ihr Sohn mit nach Hause gebracht hat - sie kann eigentlich gar nichts im Haushalt, nicht mal im Bett klappt es bei den Beiden - leid tut, und die ihr helfen will, weil sie sich Sorgen macht, dass ihr Sohn sich bald was anderes sucht. Dann würde ihre Schwiegertochter, die niemanden weiter hat, allein dastehen in der Welt.

Das letzte, woran ich mich noch erinnern kann, ist ein Bericht über eine Tournee der Engerling-Blues-Band. Sie schleppten damals doch tatsächlich ihr Equipment zur Autobahn und trampten zu den Konzerten, die meist in Dörfern von privaten Kneipenwirten veranstaltet wurden. Einen PKW konnten sie sich nicht leisten.
Bei ihrem Fernsehauftritt weigerten sie sich zu playbacken und drohten zu gehen.
Mit einem Mal ging es doch mit dem Livespielen. Fand ich cool von Engerling, dass sie so fest geblieben waren. Daran muss ich immer denken, wenn ich sehe wie bei Shows im Fernsehen die Sänger den Mund auf- und zumachen, was alles steril wirken lässt.

Trotz der Harmlosigkeit des Abgedruckten bekamen die Verantwortlichen bald Angst vor ihrer eigenen Courage und stellten das Heft ein.

Der Dichter, von dem oben die Rede ist, gehörte der intellektuellen Prenzlauer Berg Szene an. Bei uns in der DDR herrschte immer eine gewisse Feindseligkeit zwischen den Bluesern, zu denen ich mich zählte und den Intellektuellen. Wir nannten sie Intis.
Die hielten sich meist Anderen überlegen. Wir waren in ihren Augen die Prolls. Dabei hungerten sie sich genauso durch wie wir in zugigen Kämmerchen im Prenzlauer Berg.

Wenn man spürt, dass einem Vorurteile entgegengebracht werden, entwickelt man seinerseits auch Ressentiments, so dass ich mir schon Vorwürfe machte, dass bei mir immer gleich die Klappe fiel, wenn ich mitbekam, dass jemand auf „intellektuell“ machte. Ich kann das einfach nicht ab, wenn jemand sich für was besseres hält.
Ich hingegen bemühte mich, meine anerzogenen Vorurteile zu überwinden. Für mich waren alle Menschen gleich. Für diese Leute, trotz ihrer Intelligenz oder gerade deswegen, scheinbar nicht.

Viele meiner Kumpels aus der Blues-und Hippieszene hatten mal ´ne Phase, wo sie völlig über sich hinauswuchsen. Viele haben sich aber später sehr geändert, wandelten sich sogar ins Gegenteil. Vielleicht hält man das nicht lange durch, sonst zertreten sie dich. Ihr altes Ich holen sie nur noch raus, um sich bei einer Frau interessant zu machen.
Über solche Jugendbewegungen werden dicke Wälzer geschrieben, dabei ist es im Leben von jemandem, der ein schönes Alter erreicht, doch nur eine kurze Phase zwischen 16 und 21 oder sogar nur bis neunzehn.

In der Schönhauser Allee gab es zu DDR-Zeiten ein Lokal, das sich „Wiener Café“ nannte. Dort sahen die, die sich als Intellektuelle fühlten - darunter auch er, denn aus unserer gemeinsamen Heimat hatte es ihn schon bald nach der Schule nach Berlin gezogen, heute steuern die von der Küste, die bei uns nicht so ganz reinpassen eher die Hansestadt Hamburg an, wahrscheinlich passen sie da mit ihrem nordischen Dialekt und ebendieser Mentalität, auch besser rein als nach Berlin - durch die großen Schaufensterscheiben auf die Vorübergehenden herab und rümpften angeekelt die Nase. Es war auch ein Stammcafé von Sascha Anderson, einem bekannten Stasispitzel aus der sogenannten Prenzlauer Berg Szene. Er hat sie alle vorgeführt.

Ein bisschen schadenfroh war ich ja schon, denn dort saßen die von sich eingenommensten Leute von der Welt rum, dachte ich zumindest, bis ich in den Hausbesetzercafés die Autonomen, die aus Westberlin zu uns rüberkamen und in Friedrichshain Häuser besetzten, kennenlernte und damit mit einer anderen Dimension der Hochnäsigkeit konfrontiert wurde.
Sie merkten instinktiv, wem ein anderer Stallgeruch anhaftete und lehnten ihn ab. „Wie wollen sie denn die Welt ändern, wenn sie niemanden gelten lassen?“, fragte ich mich. Ostberliner, die dort Anschluss suchten, und die sie kräftig vor den Kopf stießen, schickten sie ja auf geradem Wege zu der entgegengesetzten Fraktion, zu den Rechten.

Mit denen, denen sie angeblich helfen wollten, wollten sie ja gar nichts zu schaffen haben. Allein, ohne die Unterstützung der Mehrheit, können sie doch gar nichts verändern. Dort, in der Hausbesetzerszene, galten die Punks als die Prolls, so wie früher im Osten wir Blueser.

Da war mir die Klientel, die in der Brückenstraße in Schöneweide im „Zum Henker“ saß und Cocktails trank, die „Goebbels“ hießen, ja fast noch lieber. Da wusste man wenigstens, woran man mit ihnen war.
In dieser Kneipe bin ich aber nie drin gewesen, nur außen dran vorbeigelaufen.

Dieser Dichter, von dem oben die Rede war, hat Anderson verziehen und ist weiterhin sein Freund geblieben. Sowas kenne ich nicht aus eigenem Erleben, muss aber die merkwürdigste Sache von der Welt sein, wenn du liest, was dein bester Freund über dich berichtet hat. Aber viele haben den Stasispitzeln vergeben und tun so, als wenn nichts gewesen wär.
Dabei ist doch jedem klar, dass einer, der einmal zum Verräter seiner Freunde geworden ist, das jederzeit wieder machen würde. Und wenn die Wende nicht gekommen wäre, wäre er immer noch bei der „Firma“ und würde sich in konspirativen Wohnungen mit seinem Führungsoffi treffen.

Es gibt wohl so einen Menschentyp der zur Denunziation neigt. Dazu gehören auch Kollegen, die andere beim Chef anscheißen. Leute, die so tickten wie die IM s bei uns im Osten, haben in den schwarzen Jahren von 33 bis 45 die Rote Kapelle an die Gestapo verraten.
Solche Konsequenzen wie die Einlieferung in ein KZ hat die Spitzeltätigkeit bei uns nicht gehabt. Aber genug Leute verloren ihren Studienplatz, oder sie legten ihnen anderweitig Steine in den Weg. Besonders an einer Kunstschule in Sachsen muss so was gang und gebe gewesen sein.
Ich hatte mal einen Freund dort, übrigens auch er zwangsexmatrikuliert. Nach der Wende stellte sich heraus, dass fast alle seine Kumpels bei der Stasi gewesen waren. Immer wenn ich Leute aus dieser Hochschule in Netz finde, die heute irgendwo in Gallerien ihre Werke ausstellen, lese ich den Zusatz: zwangsexmatrikuliert aus politischen Gründen. Ein Studienplatz dort, der übrigens schwer zu bekommen war, muss ja wie ein Schleudersitz gewesen sein. Ich habe sowas aber alles nie erlebt und neige zur Verharmlosung. Betroffene, besonders die in Haft waren, erzählen anderes.

Mir ist unbegreiflich, dass von unseren schriftstellerischen Talenten aus dem Osten, die vor dem Mauerfall natürlich kaum eine Möglichkeit hatten, etwas zu veröffentlichen, was nicht hundertprozentig auf der Linie der Parteiführung lag - Druckgenehmigungsbehörde hieß das Hindernis -, komischerweise wenig kam, als ihnen alles offenstand.
So mancher hatte in der Prenzlauer Berg Szene den Ruf, der zukünftige Salinger der DDR zu sein, wenn man ihn denn lassen würde, wobei ich aber ehrlicherweise eingestehen muss, dass ich davon niemand kenne und in diese Kreise nie reingehört habe.

Viele wurden wohl überschätzt, oder überschätzten sich selbst. Ich kann viel davon reden, wieviel Bücher ich schreibe, wenn man mich lässt, aber dann lässt man mich, und nichts kommt.

Auch die Bands, die sich „Die Anderen Bands“ nannten, lösten sich nach dem Fall der Mauer rasch auf. Ihr schöpferisches Potential war verpufft. Ausgerechnet jetzt, wo sie die Möglichkeit hatten aufzutreten, und Platten zu machen. Schade. Von ihnen hätte ich noch einiges erwartet. In einem Dokumentarfilm, unter anderem auch über diese Szene, der noch zu Ostzeiten in die Kinos kam, sah man interessante schwarzhaarige Männer mit schwarzen Sakkos, die geheimnisvolle Töne erzeugten. Alles offen nach oben. Pustekuchen. Ihre Musik war wohl nur ein Ventil, um Dampf abzulassen, eine Funktion, die sich mit dem Systemwechsel erledigt hatte.
Außerdem war die Hälfte sowieso IM.

Ein Musiker, dessen Band zu Wendezeiten sehr bekannt war, und die sich später auflöste, schreibt heute auch. Natürlich bevorzugt über die Wilde Zeit. Und gar nicht schlecht. Er machte einen Haufen Jobs und schrieb über seine verschiedenen Tätigkeiten: „In keinem Job, den ich hatte, war ich besonders gut.“ Das kann ich unterschreiben. Man hört bei ihm Enttäuschung raus. Vielleicht zu früh aufgesteckt.

Es gab aber ein Band, die sehr gut wurde, auf die wir alle stolz waren, und die vor einiger Zeit in die Schlagzeilen geriet, weil man ihnen den Gebrauch von KO-Tropfen vorwarf. Mutige Frauen waren damit in die Öffentlichkeit gegangen. Anwälte bezichtigten sie zu lügen. Und die Jungs haben mal als Punks angefangen.

Vielleicht ist es schade, dass ich ihn nicht gekannt habe. Er hätte mir, seiner Mecklenburger Landsmännin, die ehrliche Meinung über mein schriftstellerisches Talent sagen können. Eher aber vermute ich, dass er mich gar nicht für voll genommen hätte. In meinen Augen wäre er ein eingebildeter Intellektueller gewesen und ich in seinen Augen ein Proll.
*Bert Papenfuß Gorek

 

Hi @Frieda Kreuz

Für mich sind deine Beiträge ja, wie du weisst, leider keine unterhaltsamen Geschichten, sondern meist unzusammenhängende, aneinandergereihte Erinnerungsfetzen aus DDR Zeiten. Die langen Schachtelsätze sind anstrengend zu lesen und am Ende weiss ich oft nicht, was du mir als Leser mit der Geschichte mitgeben wolltest, sind es doch eher persönliche Erinnerungen deiner Protagonistin.

Trotzdem sind mir zwei Sachen aufgefallen, die ich gerne loswerden möchte:

Eine Freundin schickt mir eine Mail. „Kanntest du ...?* Du bist doch aus dem Osten?“
Warum so geheimnisvoll mit dem Namen, da verstehe ich den Sinn des Auslassens statt Hinschreiben, und mit *-Verweis erst am Ende, nicht ganz.

Oder das mit der Schwiegermutter, der die völlig unfähige Freundin, die ihr Sohn mit nach Hause gebracht hat - sie kann eigentlich gar nichts im Haushalt, nicht mal im Bett klappt es bei den Beiden - leid tut, und [die] ihr helfen will, weil sie sich Sorgen macht, dass ihr Sohn sich bald was anderes sucht. Dann würde ihre Schwiegertochter, die niemanden weiter hat, allein dastehen in der Welt.

Die Freundin des Sohnes macht die Mutter höchstens zur Schwiegermutter in spe. Und warum tut ihr die Freundin ihres Sohnes leid, wenn sie so abschätzig über sie denkt?
Ausserdem stimmt mMn der Bezug nicht. 'die' kann weg.

Nix für ungut, dotslash

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom