Zugedröhnt
Mit zitternden Händen stach sie die Nadel in ihren Arm und sah zu, wie das Heroin langsam hinein floss. Sie war süchtig nach diesem Adrenalinkick. Langsam schloss sie die Augen und tauchte in eine andere Welt. Sie stand mit ihrer Band auf einer Bühne und brüllte den Songtext ins Mikrofon. Sie war der Star und wurde von allen bewundert! Das Publikum jubelte, kreischte und flippte fast aus. Sie sah fantastisch aus mit ihrem kurzen, schwarzen Minirock, welcher ihre schönen langen Beine sehr gut zur Geltung brachte und dem kurzen schwarzen Trägershirt, wo man ihre schlanke Taille bewundern konnte. Ihre Haare hatte sie rot gefärbt und zu Rastas geflochten. Sie sang den Refrain und das Publikum sang lautstark mit. In ihr kam ein unglaubliches Glücksgefühl hoch! Sie war frei und hatte zudem alles erreicht, was sie sich nur wünschte! Sie liess sich ins Publikum fallen und wurde mit den Händen durch die ganze Halle tragen.
Plötzlich wachte sie wieder auf. Das Glücksgefühl war weg und sie befand sich wieder in ihrem realen Leben. Sie lag auf dem Boden in diesem muffigen Keller, der seit einigen Monaten ihr Zuhause war. Ihre Hose war dreckig und zerrissen, die fettigen Haare hingen in das eingefallene Gesicht und der ganze Körper war mager und kraftlos.
Sie erinnerte sich noch genau an ihre Schulzeit. Ihre Eltern liessen sich damals gerade scheiden und in der Schule lief es auch nicht besonders. Der Nachbarsjunge hatte ihr damals das Gras besorgt und ihr gezeigt, wie ein Joint gebaut wird. Sie hatte sofort grossen Gefallen daran gefunden, da sie das Gefühl hatte, als könne sie abschalten und der Realität entfliehen. Sie konnte für einige Stunden ihren ganzen Kummer vergessen. Meistens lag sie dann zugedröhnt auf ihrem Bett und dachte über den Sinn oder Unsinn des Lebens nach. Ihre Mutter hatte schon lange bemerkt, das ihre Tochter dauern zugedröhnt war, doch hatte diese im Moment andere Sorgen und so kümmerte sie sich nicht weiter darum. So kam eines auf das andere. Zuerst rauchte sie nur ab und zu nach der Schule. Man gehörte zu den Coolen, war immer dabei und konnte sich über das Unsinnigste tot lachen. Dann wurden ihre Noten in der Schule immer schlechter und sie verlor jegliches Interesse daran. Sie traf sich morgens und in den Pausen mit einer Clique, um noch schnell eine Tüte zu rauchen. Doch nach einigen Jahren hatte sie den Kick verloren und die Wirkung wurde ihr zu schwach. Sie probierte härtere Drogen aus. Und auch da wurde der gelegentliche Konsum immer häufiger.
Als sie dann von ihren Eltern immer Geld nahm und dies nie zurückzahlte, weigerten sich die Eltern ihr Geld zu borgen. So fing sie an das Geld zu klauen. Manchmal bei den Eltern und ab und zu in kleinen Tankstellen. Als ihre Mutter die Klauerei herausfand, schmiss sie ihre Tochter aus der Wohnung. Seit dem lebte sie in diesem muffigen Keller und versuchte mit Gefälligkeiten für Männer etwas Geld für Heroin aufzutreiben.
Neben ihr suchte eine Ratte vergeblich nach Futter. Sie raffte sich auf und schlug auf das kleine Tierchen ein. All ihren Frust über ihr Leben und was sie daraus gemacht hat, liess sie an diesem Lebewesen aus, doch es entwischte ihr immer wieder. Durch den jahrelangen Drogenkonsum hatte es ihr Gehirn und ihre Reaktion stark beeinträchtigt. Erschöpft sackte sie auf den Boden zurück.
Sie mochte ihr Leben so nicht! Sie hatte zwar schon einen Entzug versucht, aber einen Tag darauf gleich wieder verzweifelt nach ihrem Befriedigungsmittel auf der Strasse gesucht. Sie war auch schon einmal fast soweit, sich über das Brückengeländer zu lehnen und sich fallen zu lassen. Doch irgendetwas hielt sie davon ab. Es war zwar die einfachste Lösung um aus ihrem Dilemma herauszukommen, doch sie hatte einen starken Lebenswillen und wollte es nicht einfach so wegschmeissen.
Sie hatte jetzt keine Lust, sich über ihr Dilemma Gedanken zu machen. Stattdessen stand sie auf, um sich Geld für einen neuen Kick zu beschaffen.