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Zugeschaut
Auf einer Bank sitzend, schaute ich auf den See. Eine Möwe flog kreischend darüber hinweg. Die Sonne schien sehr warm. Fast war Badewetter. Majestätisch umrahmten alte Buchen das Ufer. Leise bewegte der Wind die Äste. Zahlreiche Spaziergänger gingen vorüber, sich unterhaltend und teilweise lachend. Jogger und Inline-Begeisterte liefen und fuhren, nutzten das schöne Wetter, um sich sportlich zu betätigen oder aber auch, um ihre neueste Sportkleidung auszuführen. Sehen und gesehen werden, war die Devise.
Die Oberfläche des Sees bewegte sich nicht. Ein Bootssteg mit angrenzender Hütte befand sich in der Nähe. Festgebundene Schiffe, teils Tret-, teils Ruderboote standen zum Verleih. Auf einmal sah ich zarte Wellenbewegungen aufkommen, die sich noch verstärkten. Ein Tretboot kam angefahren, steuerte auf den hölzernen Steg zu. Eine junge Frau mit brünetten Haaren strampelte eifrig. Ihr Gesicht stark errötet, die Lippen zusammengekniffen, hielt sie krampfhaft das Ruder mit beiden Händen umklammert. Entkräftet wirkte sie. Die Spaziergänger und Sportbegeisterterten, die den Weg vor mir kreuzten, interessierten sich nicht für die Frau, gingen und fuhren hin und her. Auf dem Steg, auch an der Hütte, war niemand zu sehen.
Mit geballter Kraft versuchte die Frau das Tretboot an den Steg zu bugsieren. Aber auch die größte Anstrengung misslang ihr. Das rettende Ufer schien meilenweit entfernt, obwohl es nur ein paar Meter waren. Sie trat und trat, sodass hinter ihrem Kahn ein Wasserfall entstand durch den Ausstoß. Einige Menschen bevölkerten nun den Steg, zuerst wenige, dann wurden es mehr. So viele zum Schluss, dass sie dicht gedrängt aneinandergepresst dastanden und zuschauten, wie die junge Frau sich abstrampelte, mit hochrot angelaufenem Gesicht. Der Bootsbetreiber kam aus seiner Hütte, stemmte die Hände in die Hüften, kratzte sich zwar am Kopf, tat aber nichts, um der jungen Frau zu helfen; ihr zumindest Hilfe anzubieten.
Die Menschen schauten sprachlos, einige grinsten, niemand machte Anstalten ihr zu helfen. Sie trat noch immer in die Pedale, einen Wasserfall an Ausstoß hinter sich lassend. Auf einmal fing ihr Schiff an tiefer und tiefer zu sinken. Alle schauten noch immer, niemand unternahm etwas, um zu helfen. Auch Zurufe unterließ man. Die junge Frau stand nun schon bis zum Bauch im nassen Element. Ihr Fahrzeug drohte zu sinken, denn es war angefüllt mit dem schmutzig-braunen Wasser des Sees. Sie rief um Hilfe, doch niemand unternahm etwas. Sie sank weiter, bis der Kahn nicht mehr zu sehen war. Nun stand ihr das Wasser bis zum Hals. Eifrig mit den Armen rudernd, versuchte sie das Ufer zu erreichen. Sie konnte nicht schwimmen. Der Wasserstand war sehr tief - auch an dieser Stelle, an der die Schiffe zum Verleih standen.
Noch immer schauten die Menschen zu. Eine Haarsträhne schwamm auf der Oberfläche. Das letzte Zeichen, dass dort jemand auf dem See mit einem Boot versucht hatte, das rettende Ufer zu erreichen. Der Schiffsbetreiber wunderte sich nicht. Die gaffende Menge interessierte sich nun auch nicht mehr dafür. Sie drehten sich alle um und gingen wieder hinaus auf den Gehweg, setzten ihren Spaziergang fort oder aber ihren Sport, den sie begannen.
Ich saß auf der Bank und schaute auf das Wasser. Es war ruhig. Nicht die kleinste Wellenbewegung war zu sehen. Die Sonne schien. Es war sehr warm. Die Menschen gingen spazieren oder frönten ihrer Sportbegeisterung. Ein leiser Wind bewegte einige der zahlreichen Blätter in den Buchen, die am Ufer standen. Bald werde ich aufbrechen und nach Hause gehen.