Zum Teufel mit dem Ruhrpott
„Dat macht dann 504 Euro und 23 Cent.“
Die Augen der Kassiererin schienen müde, sie waren fast geschlossen. Sie saß hier wohl schon länger. Ich schaute auf meine Einkäufe, drei Joghurts und eine Männerzeitschrift.
„Entschuldigung, aber Sie müssen sich vertippt haben, ich habe doch nur diese-“
„Also, jetzt hörn Se ma. Hinter Ihnen steht `ne Schlange, so lang wie Godzilla’ s Köttel, jetzt stänkern se nich so rum hier und bezahlen Se Ihre Sachen.“
Dieser Ruhrpott Slang. Von allen Orten dieser Welt bin ich ausgerechnet hier gelandet, im deutschen Äquivalent zu den Ghettos Amerikas. Nur hier war der Bandenchef anscheinend diese Kassiererin. Die Menschen, die vor mir dran waren, warteten auf sie, hörten auf sie, gaben ihr, was sie wollte. Sie musste der Chef dieses Viertels sein, vielleicht sogar eine Art Herrscherin. Ich fragte mich, ob das Gerät, mit dem sie die Waren abtastete, im Notfall auch als Waffe fungieren würde. Ich wurde nervös.
„Aber, die Joghurts kosten jeweils nur 49 Cent und die Zeitschrift 1 Euro und 99 Cent, das macht doch nie im Leben mehr als 500 Euro!“
Die Menschen hinter mir tippelten von links nach rechts. Einige räusperten sich, atmeten aus, so laut, dass ich es hören musste. Die Kassiererin schien eingeschlafen zu sein. Ihre rechte Hand schwebte vor meiner Brust um unseren Tausch zu vollziehen, die Linke tippte noch immer auf den elektrischen Kopf der Maschine, der mir diese höllisch hohe Zahl anzeigte. Ich hasste diesen Kopf, genauso wie den Körper der Maschine, der immer das Geld verschluckte.
Bevor meine Mission anfing, habe ich gelernt, wie man etwas kauft. Man suchte sich das aus, was man haben wollte und ging damit zu den Frauen mit den eingenähten Namensschildern. Identifikationsschablone, so nannte es mein Lehrer. Dann wartete man, bis die Frau eine Zahl sagte und man bezahlte. Aber wie man reagieren sollte, wenn ein Mensch einen Fehler beging, wurde mir nie beigebracht.
Jemand tippte mir von hinten an die Schulter.
„Wat hasse eigentlich für `n Problem, du langer Lulatsch?“
Ich drehte mich um und sah in das Gesicht, das mich angesprochen hat. Es war mit langen Haaren bedeckt, eine Frau also. Auf Ihrem Rücken schien eine Miniaturausgabe von ihr zu kleben. Etwas bewegte sich, zappelte wild umher, schrie. Ich entscheid mich dafür, in meiner Geldbörse nach den geforderten Zahlen zu suchen.
„Wenn Se nich gleich hier weg sin`, dann helf Ich Ihnen, Sie Riesenbaby!“
Dieser ganze Ort schien gegen mich zu sein, niemand verstand mich, es war schlimmer als die Hölle, diese Ruhrgebiet. Ich kramte alles aus meiner Tasche, was als Geld durchkommen würde, doch nach meiner Rechnung kam ich nur auf knapp zehn Euro. Das würde als Tauschwert nicht reichen.
Die Kassiererin wachte wieder auf.
„Sie sin’ ja immer noch hier, haben Se den Schuss net gehört, oder wie?“
„Welchen Schuss?“ Sprach sie etwa von ihrer Waffe? War es denn wirklich eine? Ist meine Tarnung aufgeflogen?
„Wollen Se mich veräppeln oder wie? Ich hol gleich mein’ Vorgesetzten!“
Ihren Vorgesetzten? Wer konnte denn noch über ihr stehen? Meinte sie Gott? Zum Teufel, sie musste Gott meinen!
Rückzug. Ich war enttarnt. Ich habe es probiert, aber es ging schief. Es war wohl noch zu früh.
„He, wo wolln Se denn hin? Sie müssn dat hier noch bezahlen, Sie Halunke!“
Ich rannte aus dem Laden.
„Ach, schern Se sich doch zum Teufel, Sie Gauner!“
Sie wusste es! Sie hatte mich tatsächlich durchschaut! War ich überhaupt noch irgendwo sicher vor ihr, oder ihrem Vorgesetzten? Hatte sie gar nicht geschlafen, sondern meine Gedanken gelesen? Ja! So musste es sein, deswegen wusste sie wer ich bin!
Weg. Ich musste so weit weg von der Herrscherin, wie nur möglich.
Als ich weit genug gelaufen bin, um sicher zu sein, dass der Funkkontakt zu der Frau mit der Identifikationsschablone abgebrochen sein musste, dematerialisierte ich mich und begab mich auf den Weg nach Hause.
Ich weinte, als ich meinen Vater wieder sah.
„Komm her, mein Sohn“, sagte er, „deine Zeit wird noch kommen, es war noch zu früh.“
„Bitte, ich will nie wieder dahin Papa, nie wieder“, schluchzte ich.
„Nie wieder in den Ruhrpott, ok?“
„Einverstanden, Damien. Einverstanden.“