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Zurück in die Freiheit

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18.08.2002
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Zurück in die Freiheit

Erpressungen und Nötigungen, das war nur Alltag. Richtig spannend wurde es erst, wenn sie einen guten Tag hatten. Dann nahmen sie sich viel Zeit, um über den nächsten Coup nachzudenken. Gerne servierten sie ihm ein Menü mit dem einfallsreichen Namen "Wärters Stuhl". Seine Zunge spannten sie über die Flamme des Feuerzeugs, bis sie Blasen trieb und unten sich die Haut abrollte. Ihn, an den Ohren aufgehängt, nagelten sie manchmal von hinten ordentlich durch. Schossen ihm einmal flüssigen Rohrreiniger durch den Penis, bescherten ihm so einen künstlichen Harnausgang durch den Bauchnabel.
Die Liste wäre lang. Doch sie wurde nie geführt.
Und wenn nicht er, dann halt ein anderer. Und er half gerne mit, es blieb ihm auch nichts anderes übrig.
Zuweilen konnte man Wärter und Gefangene nur anhand der Uniform auseinanderhalten, eine Fassade, um die fließenden Übergänge zu kaschieren. Wenngleich: Es war selten, dass ein Wärter gepiesackt wurde. Dann war die Retourkutsche jedenfalls eine Überraschung. Dann war der Spaß wirklich vorbei.

Kurz, es gab zwei Arten von Gesetzen: Die ungeschriebenen, und die missachteten.

An jenem Tag ließ man sich in Frieden. In die Zellen wehte ein Hauch von Freiheit. Dass man aber so anders zu ihnen darüber sprach, das konnten sie nicht einordnen. So waren sie misstrauisch und sprachen kein einziges Wort.

"Die Q317!", rief ein Wärter, dessen Kopf in der Tür zum Warteraum erschien.

Schlürfen über den urintriefenden Boden. Stehenbleiben, sich weigern, warum, das wusste er nicht. Der Griff zum Schlagstock löste solche Konflikte jedoch auf bequeme Art, und man sah sich auf der Operationsbahre wieder.

"Berühre es."
...
"Berühre es, sonst E-Schock!"
...

Das abstrus verquälte Schreien zerriss die Luft, die Zeit und die Wirklichkeit. Es kam bis in den Warteraum und verlor sich in den Köpfen von steinernen Ignoranten. Es handelte sich um nichts Größeres als ein kleines Emblem auf der Stirn, das grün glitzerte und V-förmig, wie die Silhouette einer fliegenden Schwalbe gebogen war. Einmal aufgebracht, vertäute es sich mit den Schmerzrezeptoren der Haut. Mechanische Reize leitete es millionenfach verstärkt weiter, und verhinderte nebenbei jegliche Gewöhnung.
Das genaue nanotechnische Funktionsprinzip war absolutes Staatsgeheimnis. Nicht einmal die Wärter wussten darum, wenn sie es mittig auf die Stirne der Gefangenen brachten.
Die Aktion hatte ein europaweites Ausmaß und dauerte etwa zwei Wochen. Die Medien verfuhren derweil geschickt, das Volk gegen derlei gekennzeichnete Nichtmehrmenschen aufzuheizen, indem sie unisono verkündeten:

"Bannt das Böse aus dieser Welt!"

Als Q317 in den Pick-Up bugsiert wurde, fiel ihm wieder einmal ein, was er einmal verbrochen hatte.
Drei Frauen hatte er auf dem Gewissen. Oder, nein: Eigentlich waren sie ihm egal. Das Urteil hatte lebenslanger Freiheitsentzug wegen Vergewaltigung geheißen. Richtig schön, mit Holzstöcken, Fesseln aus Stacheldraht und anderem Kram. Es war zusammen mit seinem Bruder geschehen, der entflohen war, und an dessen Gesicht er sich kaum noch erinnern konnte.
Es musste eine Lust gewesen sein, dachte er sich. Obwohl ihm die Tat bereits sehr fern erschien. Manchmal fragte er sich gar, ob er sie überhaupt begangen hatte. Letztendlich aber war es nicht von der Hand zu weisen.

Hinten war das Verdeck offen. Die Gefangenen konnten so ganz gut verfolgen, welchen Weg der Wagen nahm. Immer mehr Leute liefen ihnen hinterher, aber eher nicht, um sie zu feiern. Höchstens nach dem Kampf feierte man mit dem Schlagstock in der Faust. Hin und wieder klatschten Eier und Tomaten, einmal sogar eine nackte Orange in das Auto. Die Beamten fühlten sich genötigt, das Megafon zu nehmen und die Menge zu verwarnen. Sie wollten nichts abbekommen.
Einen nach dem anderen warf man irgendwo aus dem Wagen. Um ihn den Willkommen-in-der-Freiheit-Prügeln zu übergeben. Man dürfe auf keinen Fall zusammen Schindluder treiben, meinten sie. Habe jeder sein ganz persönliches Schicksal!
Q317 war der letzte. Rausgeworfen wurde er auf einem Feldweg, der anscheinend nur die Horizonte miteinander verband. Weit und breit nichts zu sehen von rechtschaffenen, heißherzigen Bürgern.

Seine Beine schritten müde in die eine, seine Gedanken aber in die andere Richtung. Wurde die Unsicherheit zu stark, machte er kehrt. Denn mit dem Knast war auch die Gleichgültigkeit gegangen. Die Gitter hatten ihm ein rechtwinkliges Stück Hölle beschert. Er sehnte sich schon dahin zurück, wo es auch keine Millionen Maiskolben gab, die nach Qual und Rache lüsterten, im Wind ihre Köpfe wiegten und kreischten: "Du entkommst uns nicht! Du entkommst uns nicht! Du entkommst uns...-" Das Kraftwerk von Q317 wummerte bis in die Kniekehlen.
Ja, das war Freiheit.
Irgendwann machte er einen ernsthaften Versuch, das Emblem abzuziehen. Doch schon als er es nur am Rand berührte, brannte lichterloh die Stirn, und es sprengte seinen Kopf, als er sich instinktiv die Wunde hielt. "Wirf dich in den Sand, wirf dich in den Sand!", kreischten die Stimmen panisch, was er dann auch tat. Er warf sich mit der Stirn voran in den Sand, und das war der Rest - Ohnmacht deckte sich über ihn.
Irgendwann zerrte Q317 ein grausiges, schmerzvolles Erwachen in die Wirklichkeit zurück. Er wusste jetzt nichts mehr besser, als dass er das Emblem sein lassen musste bis ans Ende seiner Tage. Er war also gekennzeichnet, seine Freiheit sabotiert. Auf die hatte er gleichwohl keine Lust mehr.
Mit immer noch schwelendem Kopf befahl er sich, aufzustehen, was am Ende auch gelang.

Das Spiel mit dem Hin und Her hätte sich gewiss ewig wiederholt, wenn ihm nicht ein Heulaster entgegen gekommen wäre.

"Wo wollen Sie hin?"

Q317 stieg ein, ohne eine Antwort zu geben. Das ließ den Fahrer aufsehen, und so erblickte er das Zeichen auf der Stirn von Q317. 'Er wird mich kaltblütig erdrosseln', dachte sich Q317. Wahrhaftig, er bat den Fahrer gar darum, mit seinen Augen.

Der Fahrer aber dachte nur: 'Was trägt der nur dieses komische V auf der Stirn, und warum ist er so ängstlich?'

So legten sie einige Meilen zurück.
Irgendwann regte sich etwas auf der Rückbank. Im Rückspiegel sah Q317 eine junge Frau sich erheben, die bisher da hinten geschlafen hatte und nun erwacht war. Q317 gefiel diese Frau auf Anhieb. Sie war nicht sehr groß, vielmehr zierlich und mit wohlgeformter Silhouette. Schwarze Locken, schwarze Augen, einfach in allem eine Pracht. Und doch wurde ihm schlecht.
Sie rieb sich die Augen, und dann durchfuhr es sie so heftig, dass von ihrem Aufschrei sogar Q317 einen Schreck bekam.

"Halt a...", rief sie mit aufgerissenen Augen und einer Stimme, die sich überschlug, "Halt an, sofort, Wahnsinniger, stop!"

"Was hast Du, Schätzchen, warum?"
Schulterzucken.

"Mensch, das ist ein Vogelfreier, ein Schwerverbrecher, verdammt, hältst Du nicht an?! ... Wirf ihn raus, sofort!", schrie sie wie am Spieß. "Die buchten dich noch ein, wirf ihn doch raus..."

So langsam dämmerte es ihm. Er ließ den Wagen im Leerlauf in eine Pfütze rollen, während er die Gestalt auf dem Beifahrersitz anglotzte, als würde sie das Ende aller Zeit verkünden.
Es bedurfte keiner weiteren Worte. Q317 sprang aus dem Führerhaus in den Schlamm hinein. Keine Sekunde später hatte der Bauer in das Pedal getreten und war raus aus der Situation.

Jetzt war Q317 entschiedener. Er lief einfach geradeaus, ohne wissen zu wollen, wohin. Doch er hielt sich die Hände vor die Stirn, damit niemand sehen konnte, wer er war.

Irgendwann wurde ihm bewusst, dass die Farbe des Weges ins Rötliche spielte. Der Tag ging dem Abend entgegen. Stimmengewirr. Ein schneller Blick und er erkannte vor sich einen gut besuchten Spielplatz hinter einer Hecke. Er beschleunigte seinen Schritt. Vorbei, nur vorbei.

Q317 war einmal Optimist. Er sollte es nicht schaffen. Es geschah, dass er in die Hecke gezerrt wurde, die an dieser Stelle sehr breit war.

Ihm fiel das Gesicht seines Bruders wieder ein, wie ein Stein.

"Aber, aber, Brüderchen, was für ein Zufall." Seine Stimme hatte er gesünder in Erinnerung. Sie war heiser geworden und verraucht.

Q317 schwieg.

"Entwischt? Nein, sehe schon. Verdammtes Pech, arme Sau. Aber auch sowas von verdammt. ...Scheiße, Mann!"

Q317 schwieg immer noch. Die Worte fielen ihm hinten runter und krochen als Magensäure wieder herauf.

"Und jetzt willste wohl Obdach, wa? Sollste kriegen, hehe."

An der Hecke bewegte sich etwas. Das Blattwerk wurde beiseite geschoben, und das Gesicht einer älteren Frau erschien.
"Verschwindet von hier, aber hopp-hopp! Schweine ihr, ich hol die -!" Das Wort blieb ihr wohl im Halse stecken, als sie des Emblems ansichtig wurde. Ihr strenges Gesicht verlor das letzte bisschen Farbe.

Q317 und sein größerer Bruder verließen das Gestrüpp. Die Frau hatte sich die Herren viel kleiner vorgestellt. Jetzt überkam sie die Angst.

Der Bruder musste grinsen angesichts ihrer ohnmächtigen Visage. "Ihr Tanten solltet alle mal ...", sprach's, nahm die Hand wieder heraus und schritt vondannen, den entsetzten Q317 hinter sich herziehend.

Erst als der Motor aufgeheult und sie das Weite gesucht hatten, löste sich die Lähmung und sie jagte ins Haus. Zum Telefon hin, Hörer in die Hand, Nummer gewählt. Sie kannte nicht das Autokennzeichen, aber für Phantombilder sollte es reichen.

Auf dem Weg nach Hause kaufte der Bruder Brötchen und Marmelade. Als er die Wohnung aufschloss, kam Q317 stickige Luft entgegen und öffnete ihm weite Teile seines Gedächtnisses.

Der Bruder stand verträumt grinsend in der Küche und schmierte. Q317 saß bei ihm auf der Kochplatte und heulte Rotz und Wasser. Aber sei es noch soviel, drei Jahre abartigster Qualen wollten sich nicht darin lösen. Drei Jahre, die sein Gewissen krampfend an sich haftete, auf dass es Schutz habe vor etwaiger Entblößung.

"Willste nicht erzählen, wie schön es da war?"
...
"Olle Heulsuse, so schlimm kann's ja nicht gewesen sein. Komm mit inne Bude, grad neuer Porn da."

Sein Bruder flezte sich mit einem Pfirsichmarmeladenbrötchen auf das fleckige Sofa und stopfte sich ein Pfeifchen. Es kostete Q317 einiges an Überwindung, ebenfalls etwas zu essen. In der letzten Zeit vor seiner Inhaftierung hatte er ihm nur noch abgrundtiefen, doch gelähmten Hass entgegengebracht, genauso all seinem Machwerk, und sei es ein karges Zwischenmahl nach einer durchzechten Nacht. Der Hunger war diesmal stärker als sein Wille. Er überwand sich, warf - denn er war Optimist! - alle negativen Gedanken über Bord und stürzte sich über den Teller wie einer, der über drei Jahre lang abartigste Qualen erleben musste und -

Q317 sah auf den Schirm, aber er sah nicht, was er zeigte. Die Musik im Hintergrund war eine perverse Mischung aus Heavy Metal, Alternative Rock und Spielzeugxylophon, dazu das aufopferungsvolle Gestöhne aus den Lautsprechern des Fernsehers. Er war in einer traurigen Trance.
Ganz fern von ihm hörte er sich flüstern...

"Nur noch ficken.
Nur noch rammeln.
Rammel das Böse aus der Welt,
Mäste sie mit deinem Samen.
Nur noch - rammeln,
Nur - noch - ...ficken.
..."

Er schrak auf. Das waren nicht nur seine Worte. Sondern auch die der Musik. Sondern auch die seines Bruders, der sie volle Kehle mitgegröhlt hatte. Q317 biss von seinem Pfirsichbrötchen ab und betrachtete die DVD-Sammlung in der Schrankwand.

"FFII: Linux Expo San Diego Congress", "ARD Sabine Christiansen - Bill Gates", "RTL Notruf 110", "Streifflüge über die karibischen Inseln", und so weiter.
Er sah auf, sein Bruder hatte schon gemerkt, was ihn irritierte. Er hatte einen Damenslip um seinen Schaft gewickelt und war schon eifrig am Pumpen.

"Hehe, 'staunste, wa? Alles randvoll mit KP. Bild-in-Bild-Verschlüsselung, da kann mich die Razzia kreuzweise. That's hardcore, man!"

Da kam's Q317 erst recht hoch. "Scheische Mann, wo isch'nn 'Chlo...", sagte er mit dem Rachen schon voll Soße und hastete ins Bad.

"Weeßte, 'plan ja schon wieder 'n adventure", lallte der Bruder, als Q317 etwas oliv im Gesicht zurückkehrte, und ihn hart ansah, wie ein letztes Aufbäumen vor der großen Kapitulation. Was wusste er schon, wie tief er in der Kacke steckte. Das haltende Seil Moral war bei ihm schon lange gerissen. Bei Q317 natürlich auch, aber man sieht sich selbst ja nur in Spiegeln...

"Schauste nur nich so. Wer war'nn schon im Knast, he? - Du kommst nämlich mit, hast ja Erfahrung, hihi." Da verwandelte sich die Härte schnell in Bleiche. "Sieh mal", sein Bruder sprach fast zärtlich und versöhnlich zu ihm, "allet janz einfach, wenn de dein Opfer erstma' kennst..." Er steckte die Hand flach zwischen Sitzspalte der Couch und brachte ein Foto zum Vorschein.

Er hielt es ihm vor die Augen, damit er sie sich gut einpräge. Sie war nicht sehr groß, vielmehr zierlich und mit wohlgeformter Silhouette. Schwarze Locken, schwarze Augen, einfach in allem eine Pracht...

Sein Bruder war ja schon voll breit gewesen. Trotzdem wunderte sich Q317 über das leichte Spiel, das er mit ihm gehabt hatte. Er kämpfte gegen den Schwindel an. Sah das erste Blut aus dem Ohr des Bruders tropfen, und sah es doch nicht.

Q317 rannte los. Aus der Wohnung raus. Das Treppenhaus und die Straße hinunter. Immer weiter, wie lange, das wusste er nicht, es war ihm auch egal. Er rannte ungeachtet des scharfen Brennens auf der Stirn, des millionenfach verstärkten Windes. Bei nächster Gelegenheit bog er querfeldein und war kaum mehr zu sehen. Obwohl völlig aus der Puste und aller Kraft entledigt, rannte er weiter, hatte er doch rund um sich die lüsternen Maiskolben. Blinde Flucht nach vorne.

Warum noch?

Q317 erwachte mit dröhnendem Kopf und auf kaltem Blech. Ein dünner Lichtstreif kam durch den Spalt zwischen den Türen vor ihm, und brummen hörte er den Motor des LKW. Im letzten Fach seines Gedächtnisses lag Geratter von Rotoren und dann ein stechender Schmerz in seiner Flanke.

Irgendwann hielt der LKW an, sein Motorgeräusch erstarb. Draußen erhob sich eine Megafonstimme. Das Blech verhinderte, dass er auch nur das lauteste der wallenden und wütenden, mit Hass gemästeten Worte verstand. Eines war sicher: Man heizte seinen Ofen an. Er konnte sogar mehrere Male das Aufglühen hören. Bald entflammte sich der Volkszorn vollends. Er entfaltete sich zu einem nervenzerreißenden Kreischen und Brüllen, ein blechernes Trommelgewitter derart, dass ihn der Wahnsinn packte. Panik, die ihn raustrieb, raus in die freie Welt, raus in die große Arena.

Das Spiel brach los wie eine Lawine. Alles stürzte sich aufs Nichts. Jagte es von allen Seiten. Hetzte es, bis zum Schluss.

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 
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Hallo floh,

irgendwie hätte deine Geschichté zwar auch zu SciFi gepasst, aber in Gesellschaft finde ich sie schon sehr richtig.
Vor allem hätte ich sie als Science Fiction Geschichte sicherlich nicht gelesen.

Mir wäre was entgangen.

Du hast eine eindrucksvolle über den Lynchjustizmob geschrieben, der am liebsten alle einmal entlarvten Straftäter für immer gebrandmarkt sehen würde.

Die Realität ist nicht mehr so weit davon entfernt, wenn man bedenkt, dass entlassene Straftäter in den USA teilweise schon per Anschlag als solche bekannt gemacht werden, wenn sie sich in einem Ort niederlassen wollen. Auch die Veröffentlichung im Internet mit Konterfei hat längst in der Realität Einzug gehalten. Das ist zwar noch kein Mal auf der Stirn, aber der Durst nach umfassender Sicherheit könnte die gesunde Volksseele irgendwann getreu dem Motto, wer sauber ist, hat auch nichts zu verbergen, danach rufen lassen.
Rehabilitation, Wiedereingliederung, alles könnte der Vergangenheit angehören. Wer einmal strauchelte darf vogelfrei dem Pöbel des gesunden Volksempfindes überlassen bleiben.

Dein Einstieg ist "grässlich, eklig qualvoll", fast ein bisschen übertrieben in der Beschreibung dessen was in deiner Zukunft Gefängnisalltag ausmacht. Da wäre selbst die Freiheit als Vogelfreier ja schon fast wieder wünschenswert.

Eine düstere Zukunftsbetrachtung, eigentlich ein Abgesang auf die Volksherrschaft, die wenig bis gar nichts verzeiht.

Und der Rückfall in die Kriminalität wird so fast schon künstlich wieder hergestellt, wenn man den Menschen keine andere Chance lässt.
In deiner Geschichte geschieht er aber aus Notwehr, paradoxerweise genau um das Verbrechen nicht wieder zu begehen, welches deinen Prot einst in den Knast gebracht hat, Schutz vor dem Bruder, der ihn aufnimmt, nicht uneigennützig, sondern um ihn zu einem neuen Coup zu verführen.

Ich kann nicht sagen, das ich deine Geschichte gern gelesen habe, aber ich habe sie beeindruckt und fasziniert gelesen.

Ein Fehler ist mir aufgefallen:

"Werf dich in den Sand, werf dich in den Sand!",
Wirf dich in den Sand

Lieben Gruß, sim

 
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Hallo Sim,

außerordentlich vielen lieben Dank für deinen Kommentar und deine Gedanken, insbesondere weil dass für mich so ein brisantes Thema ist, dass ich in der Geschichte aufgreifen wollte. Ich bin froh, dass der Aspekt der wie Du treffend formuliert hast "Lynchjustiz" rüber kommt.

Dein Einstieg ist "grässlich, eklig qualvoll", fast ein bisschen übertrieben in der Beschreibung dessen was in deiner Zukunft Gefängnisalltag ausmacht. Da wäre selbst die Freiheit als Vogelfreier ja schon fast wieder wünschenswert.
Das ist wahr und auch so beabsichtigt. Ich suchte nach einer Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen: 1., eine sinnvolle Vorgeschichte hinzukriegen, die dass ganze nachvollziehbar macht und 2., dem Leser gleich die ganze Wahrheit zur Natur dieser Geschichte aufzutischen, sodass er sagen kann, "nein, jetzt nicht, vielleicht einandermal."

Ich kann nicht sagen, das ich deine Geschichte gern gelesen habe, aber ich habe sie beeindruckt und fasziniert gelesen.
Genauso würde ich meine Gefühle während des Schreibens erklären. Ich habe sie nicht "gern" geschrieben, im Sinne von darin "wohlfühlen", und meine masochistische Ader mag wohl auch einen Anteil daran haben, aber das Schreiben hat mich ebenso beeindruckt/fasziniert, denn schreibt man etwas jenseits der Moral, ist das irgendwie eine ganz spezielle (wenn auch nicht "tolle") Erfahrung.

Fehler wird ausgebessert, danke. Ich stehe mit den Befehlsformen der Unregelmäßigen ein bisschen auf dem Kriegsfuß :D.


Vielen Dank nochmal,

FLoH.

 

Hi FloH,

nachdem ich auch in diese Rubrik geprügelt worden bin ;) bin ich hier gerade am Schmökern... eigentlich wollte ich dir keine Kritik schreiben, aber irgendwas Intelligentes war mir eingefallen, das ich hier noch schnell hinschreiben wollte. Ist weg - Mist!

Die Geschichte fand ich bedrückend realitätsnah. Heutzutage gibt es ja schon ein Erkennungsmerkmal bei Leuten, die gesessen haben... es sind drei Punkte, zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, die ein gleichschenkliges Dreieck bilden. Was sie zu bedeuten haben und warum einige Ex-Häftlinge sie haben, andere wieder nicht...

Würde mich mal interessieren
Vita

 

Hallo vita,

:D Du weißt aber, dass das Kommentieren auf kg.de absolut freiwillig ist, ja? Trotzdem danke ;).

Die Geschichte fand ich bedrückend realitätsnah.
Ui, war zwar nicht darauf aus, die Geschichte an die Realität zu lehnen, sondern wollte nur eine Tendenz in der Gesellschaft problematisieren, aber reale Analogien unterfüttern die Geschichte freilich enorm. Danke deshalb. Von den drei Punkten erfahre ich auch erst jetzt, von Dir, also frrrraaag mie nie :shy:. Mag sein, dass nur eine Kategorie von Ex-Häftlingen so gekennzeichnet wird, z.B. solche, die ein oder mehrere Menschenleben auf dem Gewissen haben.

Ich würde vielleicht nicht gegen die Brandmarkung selbst wettern, überleg ich mir. Aber dass man sie zur Verfolgung des Einzelnen missbraucht und nicht zur Reintegration mit Vorsicht, das ist auf jeden Fall schlecht und verdammenswert. Andererseits frage ich mich ob der Reaktion des Personalangestellten einer Firma, sieht er in der rechten Hand des Bewerbers...


W.d.a.s., FLoH.

 

Lieber FloH!

Auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen, und als »eine Tendenz in der Gesellschaft problematisieren« ist sie auf jeden Fall gut gelungen. :)
Parallelen zur Gegenwart gibt es auf jeden Fall, auch wenn es nicht gerade die drei Punkte sind – die machen sich die Gefangenen nämlich selbst und bedeuten soviel wie „nix sehn, nix hörn, nix redn“ – eine Art Schweigegelübde und Erkennungszeichen untereinander. ;)

Ein paar Anmerkungen kommen morgen noch, heute bin ich zu müde. War mir aber wichtig, das mit den drei Punkten gleich aufzuklären. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Lieber FloH!

So, jetzt hab ich mich mal aufgerafft, um Dir meine Anmerkungen zusammenschreiben. :)

Daß die Liste so lang ist, relativiert sich natürlich, wenn man die Länge der Geschichte betrachtet. Gefallen hat sie mir aber auf jeden Fall sehr gut. ;)

»Die da unten, ungeschriebenen. Und die da oben - unbekannten.«
– klingt irgendwie falsch, vielleicht „Da unten, die ungeschriebenen. Da oben, die unbekannten.“
Wobei ich das „Da“ jeweils weglassen würde, ebenso den Beistrich (das Komma).

»der entflohen war, und an dessem Gesicht er sich kaum noch erinnern konnte.«
– an dessen Gesicht

»Die Gefangenen konnten so ganz gut verfolgen, woher der Wagen fuhr.«
– Du meinst sicher „wohin der Wagen fuhr“

»Mit einem immer noch schwehlenden Kopf befahl er sich aufzustehen«
– schwelenden (ohne h)
– sich, aufzustehen

»sah Q317 eine junge Frau sich erheben, die bisher dahinten geschlafen hatte«
– da hinten (auseinander)

»Sie war nicht sehr groß, sehr zierlich aber und mit wohlgeformter Silhouette.«
– „nicht sehr groß“ und „zierlich“ sind kein Widerspruch, das „aber“ paßt hier nicht – ich würde nur schreiben „Sie war sehr zierlich und mit …“ (am Schluß kommt der gleiche Satz noch einmal)

»Schwarze Locken, schwarze Augen, einfach in Allem eine Pracht.«
– in allem

»Er lief einfach geradeaus, ohne wissen zu wollen wohin.«
– wollen, wohin

»Seine Stimme hatte er gesunder in Erinnerung.«
– gesünder

»"Ausgewischt? Nein, sehe schon. Verdammtes Pech, arme Sau.«
– die Bedeutung von „Ausgewischt“ ist mir hier nicht klar, denke Du meintest sowas wie entwischt, oder?

»und das faltenversehrte Gesicht einer Frau erschien.«
– versehrt ist man noch nicht wegen ein paar Falten…;) Hier meintest Du sicher „faltenversehene“

»sprach's, nahm die Hand wieder raus und schritt vondannen«
– wo nahm er denn die Hand wieder raus…? :eek:
– von dannen (auseinander)

»Der Bruder stand träumend grinsend in der Küche und schmierte.«
– vielleicht eher „verträumt grinsend“?

»ein karges Zwischenmal nach einer durchzechten Nacht«
– Zwischenmahl

»abartigste Qualen erleben musste und...-«
– drei Punkte und Gedankenstrich sind ein bisschen viel des Guten, vielleicht besser nur die drei Punkte, dafür mit Leertaste ;-)

»dazu dass aufopferungsvolle Gestöhne«
– das

»Er war in einem traurigen Trance.«
– in einer traurigen Trance

»Er schrak auf.«
– Er schreckte auf

»Sondern auch die der Musik. Sondern auch die seines Bruders,«
– zweimal hintereinander „Sondern auch die“

»"FFII: Linux Expo San Diego Congress", "ARD Sabine Christiansen - Bill Gates", "RTL Notruf 110", "Streifflüge über die karibischen Inseln", usw.«
– manchmal nennst Du das Programm, manchmal nicht – abgesehen davon würde ich überhaupt Phantasienamen (vor allem der Sendungen) nehmen, da es ja nicht in der Jetztzeit spielt – Du bist da doch sicher sehr begabt, für diese Gesellschaft passende Titel zu finden. :) Ach ja, das „usw.“ würd ich weg lassen, eventuell stattdessen drei Punkte …

»lallte der Bruder, als Q317, etwas oliv im Gesicht zurückkehrte,«
– entweder den Beistrich nach „Q317“ weg, oder auch einen nach „Gesicht“

»Das haltende Seil Moral war bei ihm schon lange gerissen. Bei Q317 natürlich auch, aber man sieht sich selbst ja nur in Spiegeln...«
– hier hätt ich einen Vorschlag, nämlich daß Du statt „nur in Spiegeln“ „höchstens in Spiegeln“ schreibst, dann könntest Du noch anfügen, daß er aber schon lange keinen mehr gesehen hat oder so – nur ein Vorschlag. ;)

»Sah das erste Blut aus dem Ohr des Bruders tropfen, und sah es doch nicht.«
– Das ist einer der Sätze, die mir am besten gefallen. :)

»Die Wohnung raus. Das Treppenhaus, und die Straße hinunter.«
– Du hast ja einige Halbsätze, aber „Die Wohnung raus“ ist schon extrem, wenn schon dann „Aus der Wohnung raus.“ Den Beistrich nach „Treppenhaus“ kannst Du killen.

»Obwohl völlig aus der Puste und aller Kraft entledigt, hatte er rund um sich die lüsternen Maiskolben.«
– Wo ist der Widerspruch, der das „Obwohl“ rechtfertigt?

»Ein dünner Lichtstreif kam durch den Spalt der Türen vor ihm«
– entweder Einzahl oder Mehrzahl: „durch den Spalt der Türe“ oder „die Spalten der Türen“ (dann wären es aber auch mehrere Lichtstreifen, könnte man aber auf „Ein wenig Licht“ oder so ändern)

»Im letzten Fach seines Gedächnisses«
– Gedächtnisses


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,


Ganz lieben Dank für deine lange Korrekturliste. Du hast vieles angesprochen, was ich nie selbst gefunden hätte, aber mir jetzt doch plausibel erscheint. Doch bei einigen Punkten zögere ich, sie zu übernehmen, weil ich wirklich nichts daran falsches finde...

Die da unten, ungeschriebenen. Und die da oben - unbekannten.
Zum Beispiel hieran. Aber ich lass mich gerne eines besseren überzeugen.

»der entflohen war, und an dessem Gesicht er sich kaum noch erinnern konnte.«
– an dessen Gesicht
"dessem" als Dativ zu "dessen" glaube ich mal gelesen zu haben, aber unsere Sprache macht sowieso einen Formenschwund durch, deswegen habe ich es geändert. Hört sich auch für mich ungewohnt an, wollte damit nur alte Deklinationen am Leben erhalten ;).

»Die Gefangenen konnten so ganz gut verfolgen, woher der Wagen fuhr.«
– Du meinst sicher „wohin der Wagen fuhr“
Nein, dass sähen sie ja nur aus der Frontscheibe und von der sind sie ja abgeschieden. Sie blicken nach hinten, also den Weg, den der Wagen schon genommen hat.

»Sie war nicht sehr groß, sehr zierlich aber und mit wohlgeformter Silhouette.«
– „nicht sehr groß“ und „zierlich“ sind kein Widerspruch, das „aber“ paßt hier nicht – ich würde nur schreiben „Sie war sehr zierlich und mit …“ (am Schluß kommt der gleiche Satz noch einmal)
Umgeändert in: "Sie war nicht sehr groß, vielmehr zierlich und mit wohlgeformter Silhouette."

»und das faltenversehrte Gesicht einer Frau erschien.«
– versehrt ist man noch nicht wegen ein paar Falten… Hier meintest Du sicher „faltenversehene“
"faltengeziert" finde ich besser, bin damit aber nicht sehr zufrieden. "faltenübersäht" dagegen wäre wieder zu stark. "faltenversehe" klingt in meinen Augen so, als ob man ihr die Falten hinzugefügt hätte :lol:.

»sprach's, nahm die Hand wieder raus und schritt vondannen«
– wo nahm er denn die Hand wieder raus…?
– von dannen (auseinander)
Zu ersterem: Naja, aus ihrem Schritt :rolleyes:, hab eigentlich gehofft, das ist so deutlich genug. Das explizit hinzuschreiben fände ich nicht so prickelnd :shy:. Überlege ich mir noch.
Zu zweiterem: Ui, das habe ich glatt übersehen, hoffentlich denke ich noch dran...

»abartigste Qualen erleben musste und...-«
– drei Punkte und Gedankenstrich sind ein bisschen viel des Guten, vielleicht besser nur die drei Punkte, dafür mit Leertaste ;-)
Da bin ich doch keck und nehme den Strich ;).

»Das haltende Seil Moral war bei ihm schon lange gerissen. Bei Q317 natürlich auch, aber man sieht sich selbst ja nur in Spiegeln...«
– hier hätt ich einen Vorschlag, nämlich daß Du statt „nur in Spiegeln“ „höchstens in Spiegeln“ schreibst, dann könntest Du noch anfügen, daß er aber schon lange keinen mehr gesehen hat oder so – nur ein Vorschlag.
Danke für den Vorschlag, aber... nein, irgendwie wäre das zu viel an dieser Stelle.

»Obwohl völlig aus der Puste und aller Kraft entledigt, hatte er rund um sich die lüsternen Maiskolben.«
– Wo ist der Widerspruch, der das „Obwohl“ rechtfertigt?
Jetzt klarer? - "Obwohl völlig aus der Puste und aller Kraft entledigt, rannte er weiter, hatte er doch rund um sich die lüsternen Maiskolben."

»Ein dünner Lichtstreif kam durch den Spalt der Türen vor ihm«
– entweder Einzahl oder Mehrzahl: „durch den Spalt der Türe“ oder „die Spalten der Türen“ (dann wären es aber auch mehrere Lichtstreifen, könnte man aber auf „Ein wenig Licht“ oder so ändern)
Umgeändert in: "Ein dünner Lichtstreif kam durch den Spalt zwischen den Türen vor ihm,..." - Obwohl, jetzt ist es fast ein bisschen überladen.


Noch mal :kuss:,
und einen schönen Samstag Nicolaus
wünscht FLoH.

 

Hallo Floh,

interessant, wie man zuerst automatisch an eine Welt denkt, die fern in der Zukunft existiert und dann trifft man auf die DVD Sammlung des Bruders, und man erkennt, dass es ja doch gar nicht so weit weg scheint. Interessant ist die gesamte Geschichte, da sie augenscheinlich gut und böse gegenüberstellt, aber keine Grenzen zeigt. Gut und böse scheint es nicht mehr zu geben. Störend finde ich nur einen Bruch im Erzählstil. Als dein Prot bei seinem Bruder auftaucht, dessen Erscheinen ich übrigens ein wenig plötzlich finde, scheint sich auch die Sprach ein wenig (!) zu ändern. Aber das ist eher Haarspalterei. Im Ganzen habe ich deine Geschichte gerne gelesen, vor allem weil sich zum Schluss der Kreis der Gewalt wieder schließt und man sich in der Tat überlegt, wie Freiheit im Fall der story zu definieren ist.

damit niemand sähe wer er war.
- damit niemand erkennen konnte wer er war; klingt besser

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hi morti,

tschui dass ich deinen Kommentar erst jetzt erkannt habe beim Durchforsten meiner Geschichtenliste. Herzlichen Dank fürs Lesen und Gutfinden. Toll, dass die Geschichte zum Nachdenken anregt. Deine Verbesserung übernehme ich sofort, danke. Den Bruch im Erzählstil erkenne ich an, meine Stilsicherheit ist den 100% noch fern, möchte es trotzdem so lassen.


FLoH.

 

Hallo FLoH,

keine leichte Kost, deine Geschichte, aber auch mich hat sie beeindruckt. Das Thema - Brandmarkung der Gefangenen und Lynchjustitz - kommt recht gut rüber. Dein Stil passt gut dazu. Die Stiländerung an der Stelle, an der der Bruder auftaucht, gefiel mir. Sie markiert eine kurze Erinnerung an das "normale" Leben des Prot, wie es vermutlich war, bevor er eingesperrt wurde.

Inhaltlich habe ich eine Frage: Offensichtlich waren/sind der Prot und sein Bruder Frauenvergewaltiger (und -mörder?). Täter also, die auch heute - verständlicherweise - mehr verabscheut werden als zum Beispiel Bankräuber oder Autodiebe. Täter, bei denen man diskutiert, ob es nicht besser wäre, sie lebenslang wegzusperren, weil zu viele rückfällig werden. Hast du sie mit Absicht so sein lassen, um die Gefahr, die in diesen Überlegungen steckt, aufzuzeigen?

Die Brutalität am Anfang finde ich als Einstieg an sich okay. Allerdings erscheint sie mir etwas unrealistisch. So heftig, wie die Gefangenen gequält werden, braucht es intensive ärztliche Behandlung, damit sie nicht an der Folter sterben. Bringt ein Staat, für den solche Knackis offensichtlich nur noch Dreck sind, solche Arztkosten für sie auf? Ich denke nein. Darum würde ich die Behandlung doch etwas weniger brutal gestalten.


Ihn, an den Ohren aufgehangen,

Ist, wenn mich nicht alles täuscht, Dialekt, und müsste "aufgehängt" heißen.


Überhaupt gab es, von der Rangordnung abgesehen, keine echte Grenze dazwischen

"zwischen ihnen" (weil du es hier auf Personen beziehst)


Es gab eben zwei Arten von Gesetzen. Die da unten, ungeschriebenen. Und die da oben - unbekannten.

*nochmaldraufrumreit* ;)

Susi hat Recht: So ist es falsch. Grund: Deine "ungeschriebenen" und "unbekannten" beziehst du auf die "Arten von Gesetzen" im Satz zuvor. Das wäre okay, wenn es direkt aufeinander folgen würde. ("Es gab eben zwei Arten von Gesetzen. Die ungeschriebenen. Und die unbekannten). Aber weil du noch was dazwischen hast - "die da unten" - "die da oben" - darf sich deine Formulierung nicht auf etwas beziehen, was davor erwähnt wurde. Sie muss sich auf "die da unten" - "die da oben" beziehen.
Also, wie auch Susi meinte, müsste es: "die da unten, die ungeschriebenen. Und die da oben, die unbekannten" heißen. Oder du formulierst es ganz um: "Es gab eben zwei Arten von Gesetzen. Die ungeschriebenen da oben und die unbekannten hier unten" ("hier unten" ist besser als "da unten", da aus Sicht es Prot von "unten" geschrieben. oder du lässt das "da" ganz weg.).


Die Gefangenen konnten so ganz gut verfolgen, woher der Wagen fuhr.

Diese Formulierung gibt es so nicht. "Woher fährst du?" sagt keiner. Fahren kann man nur wohin und kommen nur woher. "Woher der Wagen kam" müsste es also heißen. Klingt aber irgendwie blöd. "Wie der Wagen fuhr" oder "welchen Weg der Wagen nahm" wäre vielleicht besser.


Um ihn der Willkommen-in-der-Freiheit-Prügel zu übergeben

"Um ihn den Willkommen-in-der-Freiheit-Prügeln zu übergeben"


Man durfte auf keinen Fall zusammen Schindluder treiben, meinten sie. Habe jeder sein ganz persönliches Schicksal.

Man dürfe (indirekte Rede) auf keinen Fall zusammen Schindluder treiben, meinten sie. Es habe jeder sein ganz persönliches Schicksal.

Rausgeworfen wurde er auf einem Feldweg, der anscheinend nur die Horizonte miteinander verband. Weit und breit nichts zu sehen von rechtschaffenen, heißherzigen Bürgern.

Klasse. :)


im Wind ihre Köpfe wogen

"Ihre Köpfe wiegten"


Er war also gekennzeichnet, er, der Unschuldige.

Passt so nicht ganz und klingt darum platt. Er mag schlecht behandelt werden, aber unschuldig ist er nicht.


Entgeistert und ohne Stimme fügte sie bei: "Die buchten dich noch ein, wirf ihn doch raus..."

Eben schreit sie noch wie am Spieß, nun ist sie entgeistert - etwas zu viel auf einmal. Und wie kann sie ohne Stimme reden?


Q317 und sein größerer Bruder verließen das Loch.

Meinst du ein Loch in der Hecke? Wird nicht sofort klar.


und das faltengezierte Gesicht einer Frau erschien.

Klingt so wirklich komisch. Ich würde das gute alte "faltige" Gesicht nehmen. Ist zwar nichts besonderes, stört aber auch nicht, und Stil und Geschichte sind originell genug für einige schlichte Adjektive.


Sein Bruder flezte sich mit einem Pfirsichmarmeladenbrötchen auf das fleckige Sofa und stopfte sich ein Pfeifchen. Es kostete Q317 einiges an Überwindung, davon ebenfalls zu essen.

" ... ebenfalls vom Brötchen zu essen." So, wie du es formulierst, will er von der Pfeife abbeißen.


Zitat:
»der entflohen war, und an dessem Gesicht er sich kaum noch erinnern konnte.«
– an dessen Gesicht

"dessem" als Dativ zu "dessen" glaube ich mal gelesen zu haben, aber unsere Sprache macht sowieso einen Formenschwund durch, deswegen habe ich es geändert. Hört sich auch für mich ungewohnt an, wollte damit nur alte Deklinationen am Leben erhalten .


Ich glaube, da täuscht dich deine Erinnerung. Eine Wedung "dessem" hat es mE nie gegeben. "Dessen" kennzeichnet den Genitiv. Es heißt "wessen Gesicht?", nicht "wem sein Gesicht?". Also ist Susis "dessen Gesicht" auf jeden Fall richtig.


Der Plot deiner Geschichte hat mir sehr gefallen. Die Schilderung ist lebhaft und eindringlich. Nur eines stößt mir auf: Dass er seinem Bruder zufällig begegnet. Dies erscheint mir als ein zu großer Zufall. Vielleicht bekommt er die Adresse vom Bruder von der Gefängnisleitung? Oder er erkennt, dass er in der Stadt ist, in der der Bruder wohnt, und findet ihn? Dann fiele zwar die Begegnung mit der alten Frau weg, aber die ist auch nicht so wichtig für die Handlung.

Viele Grüße
Pischa

 

Hallo pischa und roadkill_jesus,

Herzlichen Dank fürs Lesen und euer Feedback.

@pischa: Wow, danke für die umfangreiche, konstruktive Kritik! Fast alle deiner Anmerkungen habe ich mir zu Herzen genommen und die Stellen überarbeitet, teilweise deine Vorschläge direkt übernommen. Freue mich, dass die Geschichte dadurch noch ein Stückchen besser geworden ist.

Inhaltlich habe ich eine Frage: Offensichtlich waren/sind der Prot und sein Bruder Frauenvergewaltiger (und -mörder?). Täter also, die auch heute - verständlicherweise - mehr verabscheut werden als zum Beispiel Bankräuber oder Autodiebe. Täter, bei denen man diskutiert, ob es nicht besser wäre, sie lebenslang wegzusperren, weil zu viele rückfällig werden. Hast du sie mit Absicht so sein lassen, um die Gefahr, die in diesen Überlegungen steckt, aufzuzeigen?
Also ich wollte den Leser schon ein bisschen in einen Zwiespalt (d.h. von seiner vielleicht einseitigen Sichtweise ab-) bringen, und dass schaffe ich nur, indem ich beide Aspekte dieser äh ... "Hetzmentalität" so ineinander verkeile, dass man eben nicht nur das eine betrachten und das andere unter den Tisch fallen lassen kann.

Die Brutalität am Anfang finde ich als Einstieg an sich okay. Allerdings erscheint sie mir etwas unrealistisch. So heftig, wie die Gefangenen gequält werden, braucht es intensive ärztliche Behandlung, damit sie nicht an der Folter sterben. Bringt ein Staat, für den solche Knackis offensichtlich nur noch Dreck sind, solche Arztkosten für sie auf? Ich denke nein. Darum würde ich die Behandlung doch etwas weniger brutal gestalten.
Ehrlich gesagt tue ich mich schwer, die Begründung nachzuvollziehen. :shy:

Man dürfe (indirekte Rede) auf keinen Fall zusammen Schindluder treiben, meinten sie. Es habe jeder sein ganz persönliches Schicksal.
Ich habe es bei "Habe ..." belassen, weil dass nicht indirekte Rede, sondern eigentlich eine Optativ ist (="Möge ..."). Um dass zu verdeutlichen, hab ich ein Ausrufezeichen gesetzt.


Liebe Grüße, FLoH.

 

Hallo FloH,

freut mich, dass du mit meinen Anmerkungen was anfangen konntest. :)

Also ich wollte den Leser schon ein bisschen in einen Zwiespalt (d.h. von seiner vielleicht einseitigen Sichtweise ab-) bringen, und dass schaffe ich nur, indem ich beide Aspekte dieser äh ... "Hetzmentalität" so ineinander verkeile, dass man eben nicht nur das eine betrachten und das andere unter den Tisch fallen lassen kann.

So ähnlich habe ich es auch empfunden. Finde ich eine gute Idee, macht die Geschichte noch vielschichtiger.


Brutalität ...

Ehrlich gesagt tue ich mich schwer, die Begründung nachzuvollziehen.

:susp: Was genau? Warum die Gefangeen einen Arzt brauchen, oder warum die dem Staat zu teuer sind?


Ich habe es bei "Habe ..." belassen, weil dass nicht indirekte Rede, sondern eigentlich eine Optativ ist (="Möge ...").

Alles klar, jetzt habe ich's kapiert. :)


Viele Grüße
Pischa

 

Hi Floh,

ich fand die Geschichte und dein Erzählstil auch klasse.
Allerdings habe ich gedacht, als der Prot zufällig auf seinen Bruder trifft. dass es sich um eine Art Zweispaltigkeit der Persönlichkeit handelt. Das der Bruder vielleicht aufgrund des zufälligen Zusammentreffens eine Fiktion darstellt. :(
Was ich nicht so toll finde, dass du den Prot brandmarkst (ist das richtig geschrieben :) ) und zugleich mit heutigen oder damaligen Fernsehsendungen in eine gleiche Zeit versetzt. Begründung dafür ist, dass es auch zu dieser Zeit keine Brandmarkung gegeben hat. Oder ist das nur symbolisch zu verstehen?

Gruß, Zeco

 

Hi Zeco,

Danke auch dir fürs Lesen und Gutfinden :).

Das der Bruder vielleicht aufgrund des zufälligen Zusammentreffens eine Fiktion darstellt. :(
Warum stimmt dich das traurig?

Was ich nicht so toll finde, dass du den Prot brandmarkst (ist das richtig geschrieben? [ja] ) und zugleich mit heutigen oder damaligen Fernsehsendungen in eine gleiche Zeit versetzt.
Ja, das könnte man als Manko verstehen. Ursprünglich wollte ich damit die Geschichte an die Realität "anlehnen". Hätte ich nur fiktive Filmtitel genommen, stände sie auch in einem fiktiveren Kontext und der Effekt, dass der Leser gemahnt ist, mit ein Auge auf unsere Realität zu werfen, wäre wahrscheinlicher dahin. Aber aus inhaltlicher Sicht kann ich das nur damit begründen, dass sich der Bruder von Q317 ziemlich wahllos aus den Filmarchiven eines TV-Sender (mal angenommen er ist dort Mitarbeiter oder irgendsowas) bedient hat.


FLoH.

 

Jippie, kann in die Zukunft schauen

Just bei Heise einen passenden Link zu diesem Thema gefunden:


Ich sollte in Zukunft aufpassen was für Geschichten ich schreibe. Sie neigen offenbar dazu, wahr zu werden. :rolleyes:


Distopien braucht man nicht mehr lesen,
man erlebt sie im Hier und Jetzt.
-- floritiv.

 

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