Zurück
Vier Jahre sind es nun schon. Vier Jahre, in denen du und ich mehr oder weniger das Leben kennen gelernt haben, vielleicht von seinen guten, wahrscheinlich von seinen schlechten Seiten.
Bei mir waren es wohl eher letztere.
Ich wundere mich, als ich die lange Allee unserer Heimat hinunterfahre, ob du da sein wirst.
Es ist gewagt, das weiß ich, nach all der Zeit die nun schon vergangen ist.
Ein prickelndes Gefühl in meinen Fingerspitzen, es krabbelt langsam meine Arme hoch, bis in den Nacken, und ein Schauer durchläuft mich...so lange, so lange.
Wir waren so verrückt, damals, weißt du das ? Wir lebten in Träumen, an denen wir so sehr festhielten, obwohl wir doch genau wussten, dass wir sie irgendwann werden gehen lassen müssen... Da, unser Park, Bilder in meinem Kopf. Wir, Hand in Hand, lachen, küssen...
Irgendwie muss ich lächeln, als ich dran vorbeifahre. Alles hat sich verändert, seit damals.
Es gibt nicht mehr viele Bäume, sie haben einen Kiosk aufgestellt der Postkarten verkauft, seltsam, und unsere Blumenbeete sind verschwunden.
Ich spüre dieses Drücken im Magen, genau wie an dem Tag, als ich ging, und dich hier zurückließ.
Wir waren gerade 18 Jahre alt, aber wir waren so stolz auf uns und dachten wir könnten gegen die Regeln des Lebens gewinnen, doch am Ende muss man wohl leider immer verlieren.
Du bist noch genau in meinem Kopf, und wenn 50 Jahre vergehen werden, dein Gesicht vergesse ich nie. Vor kurzem hat mir jemand erzählt, dass die erste Liebe uns für immer prägen wird.
Ich will wieder zurück zu meinem Anfang, ich bin so unruhig vor Neugier was aus dir geworden ist.
So eine Schande, dass ich gegangen bin. Du konntest das Leben , dass ich zu gerne führen wollte, draußen in der Welt, niemals nachvollziehen. Meine Sehnsucht nach Freiheit und mein Drang zu wachsen, an all den Herausforderungen, die meine Ziele so mit sich brachten, waren dir immer fremd. Im Gegenzug war es mir suspekt, wie du niemals weggehen wolltest, zufrieden warst mit dem was du hattest.
Unsere Freunde, unsere Familien seien doch hier, wie könnten wir denn das alles zurücklassen? Du hattest Recht, aber ich wollte mehr, mehr.
Damals habe ich dich nicht verstanden, ich wollte zu mir selbst finden und meinen Weg kennen lernen. Schneller, höher, weiter, alles schien in meiner Reichweite.
Während du immer mit wenig zufrieden warst und sowieso viel lockerer, war ich ehrgeizig, wollte Leistung, und die brachte ich auch. Mein Abitur schaffte ich mit Bestnoten, wovon du nur träumen konntest. Ehrlich gesagt, habe ich mich immer als die Stärkere in unserer Beziehung gefühlt, wollte dir vorschreiben wie du zu sein hast und konnte deine Schwächen niemals akzeptieren. Für mich solltest du perfekt sein, schließlich war ich es doch auch.
Und du bliebst auf der Strecke. So oft, so oft habe ich dich verletzt, dich bloßgestellt, über dich gelacht, weil du einfach nicht mithalten konntest mit mir, die sich immer mehr von dir entfernte. Deine Liebe konnte ich nicht mehr sehen, und all das, was dich doch so besonders gemacht hat. Ich ließ alles zurück, um wegzuziehen, weit weg von dir und alles was uns verbunden hat. Schließlich wollte ich studieren, das Maximale aus mir herausholen, mich bis zum Exzess zu Leistungen treiben, was mir, wie du bald erfahren wirst, auch hervorragend gelungen ist, bis ich zusammengebrochen bin. Und du glaubst nicht, wie sehr ich mich schäme. Selbstüberschätzung kennt manchmal keine Grenzen, bis sie einem knallhart aufgezeigt werden und man merkt, es geht nicht immer schneller, höher, weiter.
Man brennt aus, und der Mensch an sich stirbt. Verdammt, es tut so weh zu spüren, wie es ist alleine zu sein, keinen mehr zu haben der dich in den Arm nimmt, deine Tränen wegwischt wenn du weinst und mit dir lacht wenn du glücklich bist. Jetzt komme ich zurückgekrochen, zu dir, vielleicht hoffe ich, dass du auf mich gewartet hast... Mich, die Schöne, Kluge, um die du immer beneidet worden bist und die dir das Leben zur Hölle gemacht hat.
Die dich ausgenutzt und verbraucht, dann weggeworfen hat. Du hast mir nie gereicht, und ich war viel zu viel für dich. Vielleicht hast du den Bericht über mich gelesen, vor zwei Jahren, als ich den Förderpreis gewonnen hatte? Oder hast du vielleicht von meinem Auslandssemester in England gehört, natürlich ein Stipendium für herausragende Leistungen ? Ach, man wird’s dir erzählt haben, da bin ich mir sicher, schließlich ist unser Ort ja nicht so groß gewesen, jeder kannte jeden, ein Umstand, den ich übrigens sehr gehasst habe.
Ich zittere, bei dem Gedanken, ob man dir auch die andere Seite erzählt hat.
Dass ich verdammt alleine war. Dass ich keinen Kontakt mehr hatte, zu irgendjemanden von den Leuten, die alles für mich getan haben und die ich vor den Kopf gestoßen habe in meiner grenzenlosen Eitelkeit. Und dass ich letztlich mein Studium abbrechen musste, weil ich krank geworden bin, so krank, dass ich nun zurückkommen muss, weil ich unfähig bin dem hektischen Treiben der Stadt standzuhalten.
Vielleicht hatte ich mal ein bisschen daran gerochen, was es heißt, Ruhm zu erlangen, aber ich habe verlernt, was es heißt, Liebe zu atmen, und im Gegenzug geliebt zu werden. So alt im Herzen, aber ich bin erst 23.
Mittlerweile fahre ich beinahe Schritttempo. Mein ganzer Körper bebt, mir wird schlecht und ich muss erst mal anhalten und meine Gedanken ordnen. Ich werde zunächst wieder zu hause wohnen, zum Glück nehmen wenigstens die mich noch auf, und das ist keine Selbstverständlichkeit, nach allem was ich mir so geleistet hab in den letzten Jahren.
Mein Haus ist nicht weit von deinem, einmal über die Straße, kurz um die Ecke, und schon ist man da.
Nicht einen der Schritte habe ich vergessen, keinen einzigen, ich finde im Schlaf den Weg zu dir. Auch wenn du es niemals glauben wirst, aber ich habe oft an dich gedacht, auch wenn ich dir nie schrieb.
Die letzten Meter liegen vor mir, und ich wundere mich, was mich erwarten wird.
Ich kann jetzt nicht erst nach Hause fahren, ich will keine Sekunde mehr verschwenden, keine einzige, es sind schon viel zu viel, deswegen fahre ich zu dir, ich will dir sagen, dass es mir leid tut , so schrecklich, dass ich dich irgendwie doch immer geliebt habe und so sehr gehofft habe, du würdest mir irgendwann verzeihen können.
Und jetzt bin ich da.
Seltsames Gefühl, wie ich so plötzlich vor deinem Haus stehe, es ist doch fast alles wie es früher war. Deine Mutter hat immer noch ihren wunderschönen Rosengarten, den ich immer so sehr liebte.
Ich steige langsam aus meinem Auto aus, und sauge mit jedem Atemzug mein altes Leben ein... Zu Hause...
Zögernd stehe ich vor deinem Tor, ich weiß nicht, soll ich gehen ?
Vielleicht erkennst du mich gar nicht mehr. Meine Haare sind kürzer, und ich bin dünner geworden als ich früher war.
Ich habe Angst, furchtbare Angst, und mein Zittern wird immer schlimmer.
Ich krieche zurück zu dir..
Tief einatmen, und das Tor öffnen.
Lautes Knirschen, das mich zusammenzucken lässt...
Wirst du mich vielleicht schon gesehen haben?
Was wirst du sagen?
Schritt für Schritt, alle Zeit der Welt gehört mir.
Noch zwei Meter, einer, dann stehe ich vor deiner Haustür.
Meine Hand streicht über den Rahmen, ich genieße jeden Augenblick und doch scheint er mich zu verbrennen.
Ein letzter Rest Mut, und ich klingele.
Keiner öffnet. Mein Mut verschwindet...
Dann: Schritte. Jemand kommt die Treppen runter.
Du.
Die Tür geht auf.
Du siehst mich an.
Ich weine.
Immer noch, immer noch bist du so schön, in deiner ganzen Natürlichkeit, und ich musste erst weggehen um deinen wahren Wert zu lernen.
„Lara...“
An deinen Augen erkenne ich, dass auch dein Schmerz wieder da ist, was es noch schlimmer für mich macht.
„Aber warum...?“
„Es tut mir so leid...ich habe einen Fehler gemacht...hätte niemals weggehen sollen...wusste nie was du wert warst...wie sehr ich dich liebe...dass ich ohne dich kein Leben mehr habe...“
Ohne ein Wort schlingst du deine Arme um mich, und alle meine Tränen strömen aus mir raus, ich weine wie ein kleines Kind, weine mich rein von meiner Schuld, und jetzt, endlich, bin ich wieder bei mir angekommen.