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Zurückgeblieben

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06.10.2005
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Zurückgeblieben

Ein Ball kullerte auf sie zu und blieb vor ihren Füßen liegen. Unschlüssig sah Franziska auf ihn hinab. Ein kleiner Junge kam in ihre Richtung gelaufen. Sie stieß mit ihrem Gehstock nach dem Ball, um ihn dem Jungen zuzuspielen. Aber der Stock rutschte ab und der Ball blieb liegen. Schon war der Junge da, hob den Ball auf und grinste sie fröhlich an. Franziska versuchte ein Lächeln. Aber der Junge hatte ihr bereits den Rücken zugedreht und rannte zurück zu seinen Freunden.

Sie ließ sich langsam und umständlich auf eine Parkbank sinken und legte den Stock neben sich ab. Wehmütig blickte sie auf die Ball spielenden Kinder. Ein junges Pärchen schlenderte Arm in Arm und schäkernd an Franziska vorbei. Sie sind alle nicht alleine, dachte Franziska bitter. An manchen Tagen würde ihr schon ein kleiner wackelnder Goldfisch im Glas reichen, damit Einsamkeit und Trostlosigkeit sie nicht übermannten. Der Fisch würde ihr stille Gesellschaft leisten, ihm könnte sie von früher erzählen. Im Seniorenstift waren Haustiere jedoch nicht erlaubt. Und von den übrigen Mitbewohnern hatte sich Franziska bisher abgekapselt. Sie wollte nicht mit denen über belangloses Zeug reden. Unwillkürlich presste sie die Lippen aufeinander.

Seit Johannes´ Tod machte ihr Leben einfach keinen Sinn mehr. Sie hatte ihr gemeinsames Haus verlassen müssen, weil sie es alleine nicht geschafft hätte, sich zu versorgen. Ihr Hüftleiden und der fortschreitende graue Star machten es unmöglich. Johannes hatte immer so viele Dinge erledigt. Da es keine Kinder gab, die sie hätten aufnehmen können, war ihr nur der Weg in ein Seniorenstift geblieben. Dort schien sie gut aufgehoben. Sie bewohnte ein kleines Appartement im ersten Stock, das sie nur zu den Mahlzeiten im Speiseraum verließ. Die übrige Zeit saß sie zusammengekauert auf ihrem Sessel, lauschte dem Radio oder blickte einfach nur stundenlang aus dem Fenster. Oft zeichneten danach salzige Spuren auf ihren Wangen den Weg der Tränen nach.
Heute hatte sie die Oktobersonne jedoch so vorwitzig durch ihr Fenster gekitzelt, dass Franziska sich zögerlich hinaus gewagt hatte. Das Gehen bereitete ihr Mühe, nur sehr langsam hatte sie sich durch den kleinen Park bewegt, der das Seniorenstift umgab.

Ein satt dunkelrot verfärbtes Ahornblatt segelte neben ihr auf die Bank nieder. Sie nahm es auf und strich mit den Fingern darüber. Es fühlte sich glatt und fest an, aber sie konnte auch die feinen Adern spüren, die das Blatt durchzogen. Versonnen zwirbelte sie das Blatt zwischen den Fingern. Den Herbst hatten Johannes und sie so sehr gemocht. Mit seinen warmen Farben und dem besonderen Duft nach Laub und Erde hatte er sie beide jedes Jahr aufs Neue verzaubert.
Johannes´ Leben war ihr Leben gewesen. Als sie sich kennen lernten, war sie bereits neunundzwanzig Jahre alt gewesen. Sie hatten sich vom ersten Moment so verbunden und vertraut gefühlt, dass es ihnen unerklärlich gewesen war, wie sie vorher ohne einander hatten auskommen können. Wenige Zeit später waren sie frisch verheiratet in ein kleines Haus am Stadtrand gezogen. Ein Leben ohne den Anderen war von nun an unvorstellbar.
Franziska schloss die Augen. Johannes. Sie sah ihn immer noch so lebendig vor sich, sein widerspenstiges, graues Haar, die Lachfältchen um die Augen. Wenn sie doch jetzt mit ihm hier sitzen könnte. Er würde ihre Hand nehmen und sie festhalten. Vielleicht würde er ihr von einem fernen Land erzählen, und sie würden sich übermütig ausmalen, es zu erkunden, bevor sie in die süßen Erinnerungen an ihre unzähligen, gemeinsamen Reisen versinken würden. Wann immer sie von diesen vielen Erkundungen wieder in ihr kleines Haus zurückgekehrt waren, hatten sie sich vorgestellt, ein Stückchen Welt mitzubringen, so dass sie irgendwann den ganzen Globus bei sich zu Hause hätten. Bis zu dem Zeitpunkt, da Franziskas Beschwerden das Reisen nicht mehr möglich gemacht hatten, waren sie zusammen unterwegs gewesen, um fremde Städte und Länder kennen zu lernen.
Irgendwie hatte Franziska immer gedacht, sie würden auch ihre letzte Reise eines Tages gemeinsam antreten. Aber er war ohne sie gegangen. Nach neunundvierzig Jahren Ehe hatte sein Herz plötzlich aufgehört zu schlagen, mitten in der Nacht.
Das lag nun drei Monate zurück. Franziska verspürte seitdem nur noch den Wunsch, auch ihr Leben möge zu Ende gehen. Es war eine Qual für sie, sich jeden Morgen aufzuraffen, um einem Tag ohne Johannes entgegenzuhumpeln. Einem Tag ohne Licht, Wärme, Freude, Hoffnung, Mut.
Vor seinem Tod war Franziska eine lebenslustige Frau gewesen. Sie hatte jedem Tag entgegengelacht, mochte er noch so hässlich gewesen sein. Es hatte einem Freude bereitet, mit ihr zu sprechen, da sie eine wunderbare Zuhörerin gewesen war und für ihr geknicktes Gegenüber stets aufmunternde Worte bereit gehabt hatte. Selbst später, als ihre Leiden begonnen hatten, schien kein noch so bohrender Schmerz es ihr wert gewesen, darüber zu jammern oder zu klagen.
Auf einmal schien es, als gäbe es diese Franziska nicht mehr. Als habe Johannes sie mitgenommen und eine leere Hülle zurückgelassen.

Franziska schüttelte es. Die Sonne blinzelte nur noch schwach durch Bäume, die Kinder trollten sich lachend und schwatzend aus dem Park nach Hause. Franziska schob ihr wärmendes Halstuch höher. Dann griff sie nach ihrem Gehstock, um sich darauf zu stützen und erhob sich mühsam von der Bank. Langsam trat sie den Rückweg an.
Als sie das Seniorenstift erreichte, rief ihr eine winkende alte Frau von ihrem Balkon einen Gruß zu. Franziska zögerte.

Dann winkte sie, das rote Ahornblatt zwischen den Fingern, vorsichtig zurück.

 

Eine alte Frau fühlt sich nach dem Tod ihres Mannes isoliert, verliert die Lust am Leben. Nach vielen Gedanken zu ihrer Situation und Vergangenheit auf einer Parkbank kehrt sie zurück in ihre neubezogene Wohnung in einem Seniorenstift, man winkt ihr zu, Hoffnungsschimmer, offenes Ende.

Der kaum vorhandene Plot hat mir ganz gut gefallen, als störend empfand ich denn doch den sehr erklärenden Stil. Der Anfang ist noch verheißungsvoll, da wird das Alter der Protagonistin, ihre Gebrechlichkeit durch die Episode mit dem verfehlten Ball beleuchtet. Danach beschränkt sich der Text aber auf großzügige Zusammenfassungen, die den Leser nichts mehr erkennen lassen, nichts mehr selbst erschließen.

Stilistisch einwandfrei, wären da nicht die Tempus-Fehler: Der Text erzählt in der Vergangenheitsform, Rückblicke müssen im Plusquamperfekt stehen, oder sehr deutlich eingeleitet und beendet werden. Solltest Du dringend überarbeiten. Beispiele unten.

Detailanmerkungen:

  • der sich ausbreitende graue Star - “fortschreitend” gefiele mir besser
  • Als sie sich kennen lernten - “kennengelernt hatten”
  • war […] gewesen. Sie lachte jedem Tag entgegen, mochte er noch so hässlich sein. Es machte Freude - Du beginnst mit Vorvergangenheit, setzt aber mit Präteritum fort.

 

Hi Blömsche,

zum Text:

Sie ließ sich langsam und umständlich auf eine Parkbank sinken und legte den Stock neben sich ab.
Ihr Hüftleiden und der sich ausbreitende graue Star machten es unmöglich

Die Frau ist gebrechlich, so, wie du sie schilderst.
Und dann:

Ein satt dunkelrot verfärbtes Ahornblatt segelte neben ihr auf die Bank nieder. Sie nahm es auf und strich mit den Fingern darüber.

Du müsstest wenigstens beschreiben, wieviel Kraft sie das kostet, sich von der Bank auf den Boden zu beugen.

An manchen Tagen würde ihr schon ein kleiner wackelnder Goldfisch im Glas reichen, damit Einsamkeit und Trostlosigkeit sie nicht übermannten.

wackelnder Goldfisch...ich kenne Dackelköpfe, die hinten auf der Autoablage wackeln - aber Fische?

Als sie das Seniorenstift erreicht hatte, winkte eine alte Frau von ihrem Balkon zu ihr herunter.

Sie hat den grauen Star, der so fortgeschritten ist, dass sie nicht mehr zu Hause wohnen kann, sieht aber noch eine Frau von einem Balkon aus?

Das sind für dich vielleicht Haarspaltereien, mich stören solche Logikfehler sehr.

Jo, zum Inhalt: Er hat mich nicht bewegt, es gibt viele alte Menschen, die dieses Schicksal trifft, so dass ich aus der Geschichte nichts ziehen konnte, was sie irgendwie ausmacht. Dazu hast du mir Franziska und Johannes zu wenig genau beschrieben, um mit ihr fühlen zu können. Interessant wären für mich konkrete Erinnerungen an Johannes gewesen.

Lieber Gruß
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Bernadette,
danke für deine Kritik. Zu den einzelnen Punkten möchte ich gern was sagen:
Das Blatt segelt auf die Bank (steht ja auch so da), darum muss sie sich nicht mühsam zum Boden bücken, sondern kann es einfach in die Hand nehmen.
Ein fortschreitender grauer Star bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Krankheit bereits im Endstadium ist und die betroffene Person garnichts mehr sehen kann. In den ersten Stadien kann man noch etwas sehen. Da die Krankheit jedoch fortschreitet, macht für die Frau ein eigenständiges Leben auf lange Sicht keinen Sinn mehr => Seniorenheim.
Dennoch habe ich nach deinem fragenden Kommentar diesbezüglich das pure Winken der Nachbarin mit einem gerufenen Gruß verbunden.

Achso, was den Fisch betrifft: habe neulich noch Goldfische im Teich gesehen, die so typisch schlängelig geschwommen sind. Wackeln klingt etwas profan - vielleicht fällt mir in der Tat noch eine schönere Umschreibung dafür ein ;-)

Gruß
Blömsche

 

Hi Cbrucher
vielen Dank für den Hinweis auf die Tempusfehler!! Schien mir selbst beim Schreiben alles schon etwas verzwickt. Ich habe es sofort korrigiert - hoffentlich stimmts jetzt überall an den richtigen Stellen :-)
Schön, dass es dir ansonsten gefallen hat.
Gruß
Blömsche

 

Das Blatt segelt auf die Bank (steht ja auch so da), darum muss sie sich nicht mühsam zum Boden bücken, sondern kann es einfach in die Hand nehmen.

ach herrje, das ist ja peinlich: Da war der Kopf irgendwo anders als im Text...tschuldige bitte :shy:.

 

Hallo Blömsche,

Mir ist besonders die liebevolle Art und Weise, mit der du die Geschichte geschrieben hast, positiv aufgefallen, habe die Geschichte schon deshalb gern gelesen.
Ich kann mich den Vorrednern in Sachen Inhalt allerdings nur anschließen: Noch ein paar emotionale Details, kleine, unscheinbare Aspekte, die zum Beispiel die glückliche Beziehung zwischen dem ehemaligen Paar verdeutlichen. Meist bieten sich kleine Anekdoten an (der unvergessliche Urlaub; ein bindendes Erlebnis, ...) .

Ein paar Unsauberkeiten sind mir noch aufgefallen:

Den Herbst hatten Johannes und sie so gerne gemocht.

"gern mögen" ist unüblich/umgangssprachlich?, eher z.B. "hatten [...] sie so sehr gemocht"

Sie ließ sich langsam und umständlich auf eine Parkbank sinken

umständlich wirkt unpassend, vielleicht etwas wie: "langsam und schwerfällig"

Sie wollte nicht mit denen über belangloses Zeug reden. Sie presste die Lippen aufeinander.

Zwei aufeinanderfolgende Sätze mit gleichem Anfang. Lässt sich bestimmt anders formulieren.

Oft zeichneten danach salzige Spuren auf ihren Wangen den Weg der Tränen nach, die dort entlanggelaufen waren.

Der erläuternde Teilsatz am Ende kann gestrichen werden.

und nachdem sie beide pensioniert gewesen waren

Etwas gruselig, vielleicht: "und nach ihrer Pensionierung"

An vielen Stellen findet sich "hatte"/"hatten". Wenn du zuviel Zeit hast ;-), kannst du versuchen, die Stellen umzuformulieren.

Gruß,
HienTau

 

Hallo Existence und HienTau,
finde es ganz toll welch konstruktive Kritik man hier bekommt! Habe dementsprechend schon einiges eurer Ideen umzusetzen versucht. Hoffe es gefällt euch.

Eins möchte ich noch loswerden zum Thema "mehr Handlung":
ich wollte mit dieser kleinen Geschichte bei einem Einblick in die (Gefühls-)welt einer alten Frau, die das Wichtigste im Leben verloren hat, bleiben. Mehr Handlung habe ich nicht beabsichtigt und würde meine ursprüngliche Intention kaputt machen.
Die Tatsache, dass kaum Handlung geschieht, spiegelt in gewisser Weise auch die Versteinerung und den passiven Alltag der alten Frau wider.

Also,
merci
und bis bald

Blömsche

 

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