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Zwei alte Freunde
„Und nun ihr Zecher; hebt die Becher!
Eine Skudrinka für euch!“
Damit durchzog das charakteristische Summen des Budunkopfes den Raum. Gefolgt von dem melodiösen Spiel der eigentlichen Sackpfeife. Die Backen des Bläsers plusterten sich auf und füllten den Sack mit Luft. Immer wieder, denn er drückte das Instrument so fest, dass man förmlich sehen konnte, wie sich die Luft durch die Öffnungen zwängte. Ergebnis war ein ebenso lautes wie elegantes Spiel.
Die vier Spielmänner standen in ihren Kostümen auf einer kleinen Bühne oberhalb des feiernden Volkes. Einige erhoben sich von ihren Plätzen und begannen ihre Köpfe und Hüften im Takt der einsetzenden Trommel zu wiegen. In ihren strahlenden Gesichtern tanzten die Lichtspiele der Fackeln und Feuer, die im ganzen Raum brannten und ihn mit dem würzigen Duft brennenden Holzes füllte.
An einem der hinteren Tische saßen zwei ältere Männer. Beide in weite schwarze Umhänge gehüllt, doch ihre kleiderähnliche Gewandung fiel nicht auf, da sich im Rahmen des Mittelalterfestes fast alle Besucher in die mehr oder weniger originalen Textilien dieser Zeit geworfen hatten.
„Mein alter Freund. Es ist immer wieder schön, dich einmal im Jahr an diesem Ort zu treffen.“
Der rechtssitzende hob seinen Kopf und ließ die Öffentlichkeit das erste mal an diesem Abend sein Gesicht sehen. Es war das Gesicht eines alten Mannes. Die Wangen waren eingefallen und unter den Augen zeichneten sich dicke, schwarze Ränder ab. Er hatte schmale und ebenso blutleere Lippen, die das Bild eines Mannes malten, der sein ganzes Leben hart arbeiten musste, um ein Teil der Welt zu sein. Seine knochigen Finger wanderten fast in Zeitlupe über den Tisch und ergriffen einen vollen Becher Wein. Bevor er das süße Getränk zu seinem Mund führte, hob er den Becher in die Luft und erhob seine Stimme zu einem kraftvollen Schrei, der alles durchdrang. Dunkel und rau war sie, aber das Leben eines jungen Burschen steckte in ihr. „Auf ihr Zecher; hebt die Becher!“
Die Menge stimmte mit ein, johlte und wiederholte den markanten Satz, bevor sie ihre Getränke hinunterstürzten. Die Mienen der Spielmänner erhellten sich augenblicklich und sie intensivierten ihr Spiel, so dass man das Gefühl hatte, dass sie all die schönen Dinge des Lebens in ihrer Melodie sammelten und hinaus in die Welt bliesen und trommelten.
„Wenn die Menschen nur wüssten, dass ihnen an diesem einen Abend im Jahr nichts zustoßen kann. Was sie nicht alles machen würden. Ich kann dir sagen; binnen weniger Minuten hätten wir einen neuen weltweiten Feiertag, der in seinen Ausmaßen wohl kaum zu übertreffen wäre.“
Auch sein Gegenüber war vom Leben gezeichnet. Seine Wangenknochen drückten sich weiß durch die bleiche Haut und aus seiner Nase sprossen ganze Büsche von Haaren. Doch in seinen Augen brannte etwas. Es war, als könne man in ihnen ein loderndes Feuer entdecken, das durch einen unbändigen Lebenswillen gespeist wurde. Und wenn man nah genug an sein Gesicht heran ging, konnte man die Hitze spüren, wie sie auf einen übersprang und drohte die eigene Haut zu verbrennen. Ein schier unglaubliches Gefühl, dass in dieser Zeit jeder zweite Mensch irgendwann erleben durfte.
Der Becher Wein landete geleert auf dem hölzernen Tisch und wartete darauf wieder gefüllt zu werden.
„Nun, Luzifer. Erzähl mir von deinem letzten Jahr. Was hat sich getan?“
Luzifer nestelte, in seinen Gedanken verloren, an einem Ziegenbart herum.
„Neues gibt es wohl kaum zu erzählen. Gibt es doch nie. Ich gehe meiner Arbeit nach. Bringe den Menschen das Licht in die Ewigkeit und sie danken es mir nicht einmal. Ich kann es bald nicht mehr hören, dass ich für alles schlechte auf dieser Welt verantwortlich gemacht werde. Und zwar auf Teufel komm raus, sozusagen.“ Er lachte über seinen eigenen Witz, doch sein Lachen gefror schnell wieder, denn dieser Gedanke machte ihn in letzter Zeit immer mehr zu schaffen.
„Es ist doch vollkommen grotesk. Denk mal drüber nach. Egal welche Religion. Egal welche Götter verehrt werden. Sie alle kennen mich und sie alle klagen mich an. Den Herren der Hölle, der seine verlorenen Seelen mit einem Dreizack quält, sie in großen Feuergruben wirft und sein Leben auf zwei Hufen verbringt. Nicht zu vergessen der lange, rote Schwanz, der mir anstelle eines Geschlechtsteils gewachsen ist. Und dann schau dir mal die Kerle an, die mich verehren. Laufen in ihrer Freizeit mit weiß geschminkten Gesichtern herum, behängen sich mit umgedrehten Kreuzen und leben nach den Versen und Sätzen Crowleys. Übrigens gar kein übler Kerl, wenn ich das an dieser Stelle einmal erwähnen darf.“
„Ja, ich weiß. Der Gute hat mir sogar gedankt, als ich ihn geholt habe. Netter Bursche!“
Der Tod hatte wieder einen vollen Becher Wein vor sich stehen und starrte amüsiert in die rote Flüssigkeit, so als gäbe es auf dem Grund irgendetwas interessantes zu entdecken.
„Das einzig gute, was diese Düsterheimer hervorbringen ist die Musik. Da liegt wenigstens noch was drin und wenn man mal nicht weiter weiß, dann tritt sie einem so richtig schön in den Arsch!“
„So sieht es aus,“ stieß der Tod glucksend hervor; begleitet von einem bestätigendem Nicken, aber seine Miene verfinsterte sich zugleich wieder und man sah ihm an, dass etwas an ihm nagte und das sich um dieses Etwas all seine Gedanken drehten.
Luzifer sah ihn lange und prüfend an, bevor er schließlich wieder das Wort an seinen alten Freund richtete.
„Jetzt erzähl es mir schon.“
„Und was genau soll ich dir erzählen?“
„Nun hör schon auf. Für solche Spielchen kennen wir uns schon zu lange. Ich sehe, wenn dich etwas beschäftigt. Und wenn ich mich nicht ganz täuschen sollte, dann ist es diesmal sogar besonders schlimm.“
Der Tod hielt inne und schien über diese Worte nachzudenken, doch er wusste, dass es ihm nicht möglich war etwas zu verbergen. Er begann mit der Spitze seiner Gabel einige Kerben in den Tisch zu kratzen.
„Verdammt sei der göttliche Plan, denn unter all den Aufgaben habe ich die undankbarste. Gott bringt mir dafür weder Beachtung noch Interesse entgegen. Seit wie vielen Jahrhunderten erledige ich nun schon meinen Arbeit?“ Luzifer antwortete nicht und konzentrierte sich weiterhin auf die leise Stimme des Todes, der geistesabwesend am Fenster herausblickte, so als rede er in Wirklichkeit mit sich selbst und nicht mit jemanden anderen. Draußen fiel sein Blick auf die hohe Burgmauer und den Schatten, der sich darauf bewegte. Er verengte seine Augen und versuchte den Schatten zu bestimmen. Es war die Silhouette eines Mannes, der tanzte und dabei die Arme immer wieder in weiten Bögen um seinen Körper schleuderte.
„Anerkennung. Das ist alles was ich will!“ Er wurde lauter und sein Blick verengte sich, so das man seine Augen in dem bleichen Gesicht kaum noch ausmachen konnte. „Ich habe meine Arbeit immer vorbildlich erledigt und ist mir mal ein Fehler unterlaufen, hab ich ihn direkt und einwandfrei behoben.“
„Na ja. Denken wir doch mal an die Kennedy Sache. Und da sprichst du von einwandfrei behoben?“
„Hmm, wenn die wüssten, wie es wirklich war.“ Der Anflug eines Lächelns glitt über das Gesicht des Todes, doch es verschwand sogleich wieder hinter der düsteren Miene. Dann wurde er still und Luzifer ergriff sogleich das Wort, um ein mögliches unangenehmes Schweigen zu vermeiden, denn sein Plan die Situation mit Humor zu bereinigen, war fehlgeschlagen. Statt dessen schien sein alter Freund immer tiefer in seine düsteren Gedanken abzudriften.
„Hör auf mein Freund. Du weißt doch genau so gut wie ich, dass Gott nur seine Schöpfung beachtet. Rede mit den Engeln, oder weiß, ähhh, Gott mit wem. Niemand von denen hatte jemals seine Aufmerksamkeit. Aber du wirst auch niemanden finden, der sich darüber beschwert. Wir sind genauso seine Geschöpfe wie die Menschen und unsere Aufgabe ist es, uns um diese zu kümmern. Das ist der einzige Grund, warum wir existieren und das ist die Bürde mit der wir leben und es immer tun müssen.“
Wieder wurde es still um sie herum, denn die Spielleute hatten ein weiteres Stück beendet und die letzten Respektsbekundungen des Publikums verhallten in den Weiten des Raumes.
„Nun wollen wir euch ein letztes Stücklein spielen, bevor die Uhr die zwölfte Stunde schlägt. Und was wäre wohl geeigneter als zu dieser gar dunklen Zeit des Todes ureigenen Tanz zu spielen. Saltatio Mortis!“ Die Trommel schlug. Der Dudelsack dröhnte. Und der Tod guckte finster drein, denn er mochte diese Melodie. Sie belebte ihn immer, doch diesmal war es anders.
„Was wäre, wenn dieser Tag nie enden würde?“
Der erste Engel blickte sein Gegenüber ratlos an.
„Ich meine, wenn wir unserer Arbeit nicht mehr nachgehen und alles hinschmeißen. Wir durchbrechen den göttlichen Plan.“
Luzifer blickte dem Tod tief in die Augen, bevor er sich von seinem Stuhl erhob und sich weit zu ihm herüberbeugte. Seine Stimme wurde hart und drohend.
„Lass diese Spiele. Niemand richtet sich gegen ihn, denn du weißt was passiert. Wir haben es schon versucht und sind gescheitert. Wir fanden uns damit ab und genau das wirst du auch tun. Sieh zu, dass du wieder einen klaren Kopf bekommst! Wenn ich mich mit all dem abfinden kann, dann kannst du es auch. Ich hoffe wir verstehen uns!“
Luzifer ging und als er den Raum verlies, war es als verschwinde auch das Licht mit ihm, denn die Fackeln loderten nur noch halb so hoch.
Der Tod bleib noch einen Augenblick sitzen, lauschte seiner Melodie und beobachtete den Mann, der immer ausgiebiger auf der Mauer tanzte. Es würde nicht mehr lange dauern und er würde herunter stürzen. Er wusste es und er wusste ebenso, dass dieser Sturz tödlich enden würde. Lange folgte er den immer unkoordinierter werdenden Bewegungen, bis der Todestanz schließlich verklang und sich der Tag dem Ende neigte. Es waren zwölf Uhr und nun war die Zeit gekommen, dass er sich zurück meldete und seiner Arbeit nachging. Es tat ihm Leid, wie das Treffen mit seinem alten Freund gelaufen war, doch er hatte sich entschieden.
Der Tod verlies unter dem Applaus des Publikums den Raum und trat hinaus in die frische Nacht. In diesem Augenblick zeriss ein spitzer Schrei die Ruhe und der Tod sah, wie der Tänzer einen Fehltritt tat und von der Mauer stürzte. Es dauerte nur Sekunden, bis sich eine Traube aus Menschen um den reglosen Körper sammelte und auf ihn hinunterstarrten. Doch keiner rief um Hilfe, sondern ihre Blicke wanderten immer wieder hinauf zur Mauer und wieder hinab auf den jungen Mann.
Und der Tod spürte wie sich etwas veränderte. Er fühlte, dass er beobachtet wurde und die Aufmerksamkeit eines einzigen gewonnen hatte. Und dieses Gefühl gefiel ihm. Es gefiel ihm sogar sehr.