Was ist neu

Zwei Arten von Tod

Mitglied
Beitritt
08.02.2010
Beiträge
2

Zwei Arten von Tod

ZWEI ARTEN VON TOD

Von Christian Stöckmann

An diesem Abend war bereits von 120.000 Toten die Rede gewesen. Er hatte es genau verfolgt, oder es hatte ihn verfolgt, wie man es nahm. Es hatte am zweiten Weihnachtstag mit einer Einblendung am unteren Bildschirmrand begonnen. 6000 Tote bei Seebeben in Südasien während eines Spielfilms an den er sich jetzt, nur vier Tage später nicht mehr erinnerte. Auf der Fahrt zur Weihnachtsfeier mit Feuerzangenbowle bei seinem besten Freund hatte man im Radio von 7500 Toten gesprochen und zwölf Stunden später bereits von über 10.000. Die Zeitungs- und Fernsehberichte überschlugen sich und innerhalb von drei Tagen war die Anzahl toter Menschen über 40.000 auf 60.000 und von 60.000 auf 80.000 gestiegen. Das war die Zahl die heute Morgen in dicken tiefschwarzen Buchstaben auf der Titelseite gestanden hatte. Zusammen mit Fotos von Strandabschnitten, übersät mit Abfällen und aufgequollenen Wasserleichen. Mit Fotos von Leichenhallen bei Temperaturen von 35 Grad und Menschen mit Atemmasken, umherirrend und nach ganzen Familien suchend.
Die Flutwelle war über zwei Kilometer ins Landesinnere gestoßen und hatte gefressen was ihr in den Weg gekommen war. In Indonesien hatte sie eine ganze Provinz, ein ganzes Volk von 50.000 Menschen ausradiert. Ganze Landstriche standen davor in Seuchen und Chaos zu versinken und überall auf der Welt waren Rettungs- und Hilfsaktionen im Gang, nur er war untätig, so kam es ihm zumindest vor. Er hatte den Tag in seinem Taxi verbracht und sich das Bedauern der Menschen über diese Katastrophe anhören müssen.
„Schlimm, was da passiert ist, oder?“
„Ja, schlimm.“
„Die armen Menschen, haben jetzt gar nichts mehr.“
„Ja, die armen Menschen.“
„Die brauchen doch Jahre, bis das alles wieder in Ordnung ist.“
„Ja, bestimmt.“

„…und das Wetter soll auch an Silvester nicht besser werden.“

„..und wenn ich dann diese Arschlöcher höre die sich darüber beschweren dass sie seit Tagen keinen Service mehr kriegen und keine sauberen Pool haben dann geht mir doch alles hoch! Die müsste man in die Bergungstrupps prügeln!“
„Da haben sie Recht.“

Am Bahnhof hatten drei kleine Mädchen indischer Herkunft schüchtern an seine Scheibe geklopft und um eine Spende gebeten. Sie hatten Button mit Abkürzungen getragen, die er nicht kannte und er hatte beobachtet wie oft sie vorher am Eingang des Bahnhofs abgewiesen worden waren. Er gab ihnen das Trinkgeld, das er bis dahin eingefahren hatte und sah ihnen nach während sie von Wagen zu Wagen gingen. Einige der türkischen Fahrer in ihren Kastenwagen ließen nicht einmal die Scheiben runter. Er dachte unweigerlich an das Erdbeben in der Türkei zurück.
Jetzt war es Abend und in den Nachrichten sprachen sie von 120.000 Opfern.
Er fuhr durch die Straße, durch die er jeden Abend, durch die er mehrmals am Tag fuhr wenn er frei hatte und unter ihrem Fenster wurde er langsamer und sah hoch. Er sah den Jungen am Schreibtisch sitzen und das Mädchen hinter ihm. Sie hatte ihre Arme um seinen Hals gelegt und lächelte ihn über seine Schulter an. Das Licht im Zimmer war warm und draußen auf der Straße war es nass und dunkel und eine leere Einsamkeit durchfuhr ihn. Da wo du niemals sein wirst, dachte er. Jetzt lag es auf einmal klar vor seinen Augen. Da, wo du niemals in deinem ganzen Leben sein wirst. Seit Jahren liebte er die Schwester des Mädchens, ihre Familie und alles was mit ihr zu tun hatte doch sie hatte ihn abgewiesen und nur diese Straße und dauernde Abfahren dieser Straße war ihm geblieben. Diese Straße hatte ihm das Herz gebrochen und er fuhr weiter, das Bild der beiden in ihrem Zimmer in seinem Kopf. Am Ende der Straße kam ihm ihr Wagen entgegen. Es war jetzt gegen halb sieben und sie kam von der Arbeit nach Hause. Sie sah ihn während sie abbog. Durch ihr Gesicht im Halbdunklen des Autos zog sich ein kurzes und höfliches Lächeln. Ihr Arm hob sich und im Vorbeifahren winkte sie ihm zu, wie man einem flüchtigen Bekannten zuwinken musste um ihm zu zeigen, das er gesehen worden war, das er sich aber nicht einfallen lassen sollte zu halten um ein paar Takte zu wechseln. Nur ein kurzes Winken, gerade so, das es genug war.
Er liebte sie über alles hinaus und er konnte es ihr nicht sagen, aus Angst dieses Winken und dieses flüchtige Lächeln auf dieser schmerzhaften Straße zu verlieren, denn das war alles was er hatte wenn das Glück mit ihm war und er sie zu sehen bekam. Da, wo du niemals sein wirst, dachte er. Die ruhenden Tränen in seinen Augen ließen die Straße vor ihm verschwimmen. Er hatte an diesem Tag zweimal weinen müssen. Über 120.000 tote Menschen und über den Tod, den er jedes Mal starb, wenn er die Straße runter fuhr.


Copyright Christian Stöckmann

 

Hallo Hemingstein,

tja, ich weiß nicht so recht, was ich zu Deinem Text sagen soll.
Irgendwie ist es für mich keine richtige Geschichte.
Zum einen schilderst Du das Tsunami-Geschehen. Das kommt aber eher wie ein Zeitungsbericht daher, vor allem die Aufzählung der immer größer werdenen Opferzahlen. Das wirkliche Ereignis und die Bilder, die wir alle in den Köpfen haben, hat mich damals ziemlich schockiert. Deine Schilderung hat mich allerdings genauso kalt gelassen.

Im zweiten Teil kommt plötzlich eine Liebesgeschichte dazu, eine unglückliche, die mit den Ereignissen in Südostasien nicht das geringste zu tun hat, da knüpfst Du nur einen zeitlichen Zusammenhang. Für mich bleiben die beiden Geschehnisse allerdings völlig isoliert. Eine wirkliche Verbindung erkenne ich nicht.

Außerdem solltest Du Dich dringend um die Kommaregeln kümmern, da fehlen einige in Deinem Text, was mich persönlich beim Lesen stört.

Tut mir leid, dass es keine bessere Kritik wurde, aber mir hat's leider gar nicht gefallen.

Liebe Grüße
Giraffe

 

Entschuldige mal, aber das geht mir zu weit!
Du bringst da zwei dinge miteinander in Verbindung, stellst sie regelrecht - durch den Titel angedeutet, später bestätigt - auf ein und dieselbe Stufe: Menschen, die ertrunken sind oder von herabfallenden Trümmern erschlagen wurden, denen von jetzt auf gleich Jahre, Jahrzehnte genommen wurden, deren aufgedunsene Leiber verrottend unter Trümmern liegen - und dann der klerine, warmherzige Taxifahrer, der seiner unerreichten Liebe nachtrauert.

Ja, das erinnert mich glatt an Frau Schickedanz, die sich ganz solidarisch erklärt mit den Hartz IVern, sie lebt in etwa das gleiche Niveau.
Klar.

Auch wenn Liebeskummer bestimmt furchtbar ist, komma wieda runter!

 

KOMMA WIEDA runter???

Ich habe nie etwas auf die gleiche Stufe gestellt, so wie du es fälschlicherweise erkannt haben magst. Ich weiß, dass diese Katastrophe nicht mit einem persönlichen Schicksal gleich gestellt werden darf und das hab ich auch nicht getan. Vielleicht wollte ich zeigen, das der Tod in jeder Form schmerzhaft ist. Für die einzelne Person, die ihn psychisch erlebt, wieder und wieder, oder für die 120 000 tausend Menschen, deren, wie du so "RTL mäßig" schreibst, aufgedunsenen Leiber verrottend unter Trümmer liegen.
Die Geschichte mag vielleicht einiges an handwerklichen Fehlern mit sich tragen, aber sie soll ganz sicher nicht respektlos gegenüber den Menschen dieser Katastrophe sein.
Trotzdem danke für deine Kritik.

 

Hallo Hemingstein,

das hätte schon interessant sein können in der Gleichzeitigkeit der zwei Arten von Tod, bei der wir allgemein annehmen oder sogar fordern, dass die eine Unfassbare die andere relativieren sollte. Wie gern lesen oder schreiben wir, was denn das eigene lächerliche Liebesschicksal gegen die Abertausend Toten eines Unglücks sind. Und manchmal gelingt es uns sogar, uns damit zu trösten, viel häufiger verbieten wir uns aber angesichts solcher Tragödien wie dem Tsunami den eigenen Liebeskummer.
In diesem Spannungsfeld hast du deinen Text angesiedelt. Leider füllst du es für mein Gefühl aber nicht aus. Dazu bleiben Tsunami und Charaktere in deinem Text für meinen Geschmack zu blass. Der beschriebene Konflikt findet für deinen Protagonisten nur in den Dialogen bei anderen statt, die er dafür verurteilt. Auch die spendenunwilligen Türken verurteilt er, ohne sicher sein zu können, dass die drei kleinen Mädchen vielleicht nur die Situation nutzen (müssen), um erfolgreicher betteln zu können.
Das Problem liegt für mich in der Erzählstruktur. Für diesen Konflikt wäre mE ein Ich-Erzähler geschickter gewesen, der, während er durch die Straßen fährt und seiner Liebe nachgrübelt vom Tsunami hört, von den steigenden Zahlen der Toten und der auf die reflektiven und wertenden Gedanken dazu und zu den aufgeschnappten Dialogen verzichtet, sondern die ehr an seine Liebe verschenkt. Die beiden Stränge sollten nicht so sauber getrennt sein, sondern mehr ineinanderfließen.

Liebe Grüße
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Über 120.000 tote Menschen und über den Tod, den er jedes Mal starb, wenn er die Straße runter fuhr.

Da bitte schön:
sogar in einem Satz zusammengefasst - Tod 1 (Erdbeben), Tod 2 (unerfüllte Liebe)

@Sim: ich wehre mich gegen den Begriff "sterben" in Zshg mit einem Liebeskummer. Ich weiss, dass selbiger einen sehr zerstören kann, aber deer Mensch an sich lebt und hat die Chance, wieder sein Leben anzugehen - eine Möglichkeit, die tatsächlich Verstorbenen nicht mehr offen steht. Dabei ist es für mich unerheblich, wie die Toten starben, es muss nicht das Massenunglück sein, er hätte auch von der Beerdigung einer flüchtigen Bekannten kommen können.
Es geht um das substantielle, das TOD oder eben nicht od ausmacht.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom