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Zwei auf'm Weg
»Schweißbrenner!«
»Schweiß… äh, ja …« Schröder versuchte den siebzehner Maulschlüssel nach dem geforderten Werkzeug aussehen zu lassen. Ein mildes Lächeln, welches schieres Werkzeugdesinteresse aber auch tiefes Vertrauen in alternative Arbeitsmittel zeitigte, verknüpfte er zu einer mimischen Collage, welche die Übergabe in Kowalskis Hand begleitete. Der jedoch schaute gar nicht hin, sondern schob sich die Schweißermaske von einer Ecke seines faltigen Gesichts zur anderen. Nein, das Schweißen war nicht Kowalskis Baustelle. Doch die Umstände waren trübe bis aussichtslos, jene dicke Stahltür ohne Schlüssel und Sicherheitscode öffnen zu können. Vor allem, wenn die Legalität bei dieser Aktion eine eher untergeordnete, nun, bedeutungslose Rolle spielte.
Kowalski klappte die Maske nach oben und seine Augen wanderten über den Maulschlüssel zu Schröder, der versuchte, die Aussage seines Lächelns in erfrorenem Starren zu manifestieren. Nach einigen getauschten Blicken, schnippte Kowalski die Maske nach unten, setzte den Schlüssel an einer vorher sorgfältig ausgewählten, beliebigen Stelle der Tür an und seufzte.
»Das scheint mir kein passendes Instrument zu sein und das sieht auch überhaupt nicht aus wie ein Schweißbrenner.« Kowalski kratzte sich am Kinn.
»Ja, ich fürchte auch«, schloss Schröder und zuckte ahnungslos mit den Schultern.
»Nun gut. Eigentlich ’ne Ahnung, warum die Dinger Schweißbre…?«
»Nee, aber ich hab da mal was gelesen«, unterbrach Schröder und führte seine Nase zwischen die Achseln und schnüffelte, »dass diese Dinger als Alternativdeodorant gedacht waren, aber dann rausfand, dass man damit wunderbar Türen kaputt machen kann.«
»Hm, könnte was dran sein«, sinnierte Kowalski und versuchte vergeblich dem Maulschlüssel eine blaue Flamme zu entlocken.
Fünfzehn Minuten klopfte Kowalski mit dem Knochen auf die Tür ein. Das Ergebnis war ein zerbeulter und verbogener dreizehndreiviertel Maulschlüssel, sowie eine makellose Stahltür, deren gebürstete Oberfläche Kowalski zu verhöhnen schien. Bei genauerer Betrachtung, machte sie sich beinahe in die Hosen.
»Mensch, das ist doch wohl nicht zu FASSEN!« ärgerte sich Kowalski und schob die Schweißermaske vom Kopf. »Und ich hab kaum sehen können, wo ich hinklopfe.«
»Wie verhext.«
»Diese Zeit ist das Allerletzte! Noch nicht mal einen Hyper..., äh, Hyperdüper...«
»Hypermodulator.«
»Wie auch immer. Jedenfalls gibt’s den hier nicht. Kaff, kaffiges!«
»Aber die Gartenkralle ham se.«
»Watt?«
Schröder malte mit dem Zeigefinger eine Skizze in die Luft. Mit viel Phantasie konnte man ein Wollknäuel erkennen.
»Mit der Gartenkralle kannst du im Stehen Unkraut jäten«, erklärte er.
»Das würde ich nicht unbedingt als einen Vorteil betrachten.«
»Na ja, vielleicht funktioniert die Gartenkralle nicht im Sitzen.«
Kowalski stutzte.
»Dann verstehe ich den Sinn dieser Gartenkralle nicht. Tut mir Leid.«
Kowalski versuchte sich ein Bild zu machen, aber seine Vorstellungskraft hatte sich vor Angst in eine ungenutzte Ecke des Bewusstseins verkrochen und knabberte an den metaphorischen Fingernägeln.
»Jedenfalls wird der Boden schön locker. Wie russischer Zupfkuchen.«
»Kuchen bringt uns nicht weiter, Schröder.«
»Hm, wenn ich mir die Konsistenz von Zupfkuchen vergegenwärtige, meine ich eher Streuselkuchen.«
»Meine Güte.«
Kowalski stand auf, trat einige Schritte zurück und schüttelte noch ein wenig über die Gartenkralle den Kopf. Sein Blick schweifte über die Front der Tür, inspizierte die Fugen, die massiven, eingelassenen Scharniere. Für ihn stand fest, die Tür lachte ihn gerade schallend aus.
Um die Imagination nicht in erschreckender Ungewissheit verweilen zu lassen, sind einige Erklärungen nötig, die ein weniger diffuses Bild der vorzustellenden Phantasie generieren soll. Schröder, seines Zeichens erster Zeitoffizier sowie Testpilot der Intergalaktischen Tempusbrigade und Kowalski, Major dritten Grades der achteinhalbten Unterstufe, Zeitmaschinenexperte, Gelehrter der drei Zeitgesetze, zweifacher Meister im Scrabblen auf kurtyksianisch (eine ungemein vielfältige Sprache, die weniger mit Lauten, als vielmehr mit diversen Körperflüssigkeiten gesprochen wird), sowie erstklassiger Panzerknacker, befinden sich in einer irrationalen Gegenwart und versuchen nicht etwa irgendwo ein-, sondern auszubrechen. Auch wenn der Ausbruch einem Einbruch vorangeht.
Objekt der Begierde ist das von Zeitinternen - den, sich legal in der Zeitenlinie aufhaltenden Personen - sichergestellte Zeitfahrzeug, welches sich hinter einer wunderschön gearbeiteten Tresortür der Asservatenkammer von Ulm befindet.
Schröder wühlte im Werkzeugkoffer herum und nahm einen Hammer heraus. Er besah sich dessen Stiel, den Kopf, das elektronische Eingabefeld der Tresortür ...
»Weißt du, Schröder, ich glaube wir brauchen unbedingt diesen ..., dieses ..., ähm ...«
»Modu... hm, ...lator.«
»Genau! Na jedenfalls brauchen wir den.« Er überlegte kurz. »Oder den verdammten Sicherheitscode.«
Schröders Blick schweifte vom Tastenfeld zum Hammer und wieder zurück. Wäre der Raum in völlige Dunkelheit gehüllt gewesen, hätte man bei genauer Beobachtung eine grün leuchtende Entladung aus seinem rechten Ohr blitzen sehen können.
»Schröder, wir sind aufgeschmissen. Das war’s dann wohl. Wir kommen zu spät in die Zukunft. Mann, so was ist mir das letzte Mal vor, äh ... in hundertfünfzig Jahren passiert.«
Die elektrische Entladung in Schröders Hirn folgte einer Trägheit, die ihresgleichen suchte. Wie in Zeitlupe - nun, es war zwar in Echtzeit, aber es wirkte wie eine temporäre Verzögerung - generierte ein Gedanke seine Daseinsberechtigung und setzte alle Hebel in Bewegung, die Information an die entsprechenden Extremitäten zu leiten.
Wenige Minuten später holte Schröder aus und rammte die Faust in das Tastenfeld. Diverse Funken entflohen ihrer kabelgebundenen Gefangenschaft und stoben in allen Richtungen davon.
Kowalski erstarrte.
»Hast du ’ne Macke!? Wir dürfen keinerlei Spuren hinterlassen. Wenn irgendetwas unsere Existenz in dieser Zeit beweist, könnte dies schwerwiegende Auswirk...«
KLONK!
Die dicke Stahltür schwang einen Spalt weit auf.
»Äh«, sagte Kowalski und brachte damit zum Ausdruck, dass er sich von diversen Vorstellungen löste, eine Kfz-Werkstatt zu eröffnen, um in dieser Zeit überleben zu können.
Schröder versuchte sich eine Erklärung zurecht zu legen, scheiterte jedoch an dem Umstand, dass die Erklärung im Schlamm der Nervosität stecken blieb.
»Äh, ich hatte da diese Idee mit dem Hammer und äh, der Kontrolle und da dachte ich, dass ich vielleicht ... äh ...«
»... doch nur die Faust nimmst?«
»Es war halt ein Geistesblitz.« Schröder zog die Hand aus der Platine, krümelte die Splitter ab, gab den Knöcheln einen Kuss und legte den ungenutzten Hammer zurück in den Koffer.
Das Problem bei Zeitreisen ist die unerhörte Dreistigkeit, mit der die Entmaterialisierung einhergeht. Dem Zeitreisenden stehen nicht nur die Haare zu Berge, sondern ihnen entweicht auch reichlich Rauch. Natürlich erst, nachdem die Ankunft rumpelnd beendet worden ist. Halterungen für Spucktüten sind an Zeitmaschinen nicht vorgesehen, wegen der Gewichtsoptimierung. Der erste Zeitreisende Horst Schwarowski aus Jena meinte zu diesem Thema: »Zum Kotzen haste später immer noch Zeit.« In vielen Fällen behielt er Recht.
Kowalski und Schröder nahmen diese Strapazen gerne auf sich, da sie immer schon einmal wissen wollten, was denn so vor dem Urknall los gewesen war. Da sie wieder von diesem Ereignis zurückkehrten, beweist, dass es eher unspektakulär war. Oder um es in den Worten Kowalskis zu sagen: »Verdammt schwarz, aber mal so richtig.«
Beide sollten für eine Neufassung der Geschichtsbuchindustrie des Intergalaktischen Vergangenheitsbewältigungszirkels e.V. Echtzeitinformationen sammeln und waren auf dem Weg zum Fall der Mauer. Nicht nur, dass sie die Zeit um einige Wochen verfehlten, auch der Ort war grundlegend falsch. Gut, die Ulmer mögen das vielleicht etwas anders sehen. Aber es ist schon recht albern, wenn eine hypermoderne, mit bunten Wimpeln und attraktiven Girlanden ausgestattete Zeitmaschine, mitten ins Landesposaunenfest platzt. Um siebzehn Uhr. Zu dieser Zeit erwartet man höchstens das zweite Weizen, aber keine qualmenden Zeitreisenden mit abstehenden Haaren.
»Da ist sie!« Schröders Stimme klang ehrfurchtsvoll. Er stemmte die rechte Schulter gegen die Tür und schob sie auf. Der Luftzug wirbelte Staub auf, der es gar nicht fassen konnte, da er sich erst vor einigen Stunden gesetzt hatte.
»Wie sieht sie aus? Irgendwelche sichtbaren Beschädigungen? Bei diesen Steinzeitmenschen kann man nie wissen.« Kowalski nahm die Maske ab und warf den Möchtegernschweißbrenner achtlos auf den Boden.
Die Zeitmaschine, oder wie Tempusbrigadiere zu sagen pflegen Dingenskirchens, Gedönsrat, Schrottscheese, oder schlicht und ergreifend Karre, war mit einer Plane bedeckt, an deren Ende ein kleiner gelber Zettel mit Archivierungsnummer hing. Nummer A Strich fünftausendachthundertneunundsiebzig R Schrägstrich SCH. Die Asservatenkammerbeamten nahmen es sehr genau mit der Archivierung.
Schröder holte eine Digitaldigitalkamera heraus und fotografierte jeden Winkel der Kammer. Wer in der Zukunft etwas auf sich hielt beziehungsweise hält, fotografiert, hört und sieht nur noch digitaldigital – eine technologische Sensation, die nicht einmal die Entwickler richtig verstanden. Jedenfalls hat es etwas mit Nullen, Einsen und Dreien zu tun.
»Mensch Schröder, hör auf zu blitzen, das macht mich ganz kirre!« Kowalski rieb sich die Augen. »Fass mal mit an!« Er nickte zur anderen Seite der Maschine. Schröder fummelte an der Kamera herum, stellte sie auf ein Regal mit Hieb- und Stichwaffen und grinste krampfhaft.
»Lächeln!«
»Wie?«
TSCHING!
»Für später. Hach, die Jungs werden begeistert sein, wenn sie zum Diaabend ...«
»Ach du gütiger Gott!«
»Soll das heißen, du kommst nicht?«
»Los, Plane hoch!«
Schröder versuchte seine Enttäuschung zu zügeln und packte einen Zipfel der Abdeckung. Weiterer Staub gesellte sich zu seinesgleichen und die Maschine erstrahlte in prachtvoller Stumpfheit, da sich jegliches Licht von einer kleinen Leuchtstoffröhre am Ende des Aufbewahrungsraums hervorkämpfen musste.
»U.W.E.!« intonierte Kowalski mit ehrfürchtiger Inbrunst. »Ist sie nicht wunderschön?«
»Kommt ganz darauf an«, meinte Schröder und dachte über die Abkürzung nach.
Kowalski strich über die goldenen Lettern des Vehikels.
Die U.W.E. ist ein besonders hübsches Modell der derzeit, oder im Moment, beziehungsweise aktuell eingesetzten Zeitmaschinen. Sie hat außerdem einen gravierenden Vorteil gegenüber den Vorgängermodellen – sie funktioniert halbwegs zuverlässig. Optimistisch gesehen. Ihr Design besticht durch eine tollkühne Mischung aus Tretroller, Zahnarztstuhl, Angorapulli, und sie riecht nach Bockwurst, ein Umstand, den sie der Kantine der Tempusbrigade zu verdanken hat, in der sie zusammengeschraubt worden ist.
»Ach Kowalski?«
»Ja?«
Schröder setzte sich ans Steuer, drückte diverse Knöpfe, drehte den Zündschlüssel und ließ den Querkompensator die Quantensingularität aufbauen, welche Zeitreisen überhaupt erst möglich machte.
»Du bist doch da immer so pingelig. Haben wir nicht gegen das erste Zeitgesetz verstoßen, als wir den Wachtposten verdroschen haben, nachdem wir uns mittels des Schweizer Taschenmessers durch die Gitterstäbe der Arrestzelle gelasert haben?«
Kowalski verdrehte die Augen.
»Ich meine, du versuchst erst ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und erzählst ihm alles über die Zeitmaschine, dass Deutschland Fußballweltmeister wird, irgendwann mal ’ne Kanzlerin hat, Gottschalk noch als kryotechnikkonservierter Wetten Dass..? moderiert. Jetzt hat er ne Beule, muss ins Krankenhaus, wird behandelt und weil das eigentlich gar nicht passiert wäre ... Also das hätte ja eigentlich gar nicht passieren sollen, ne? Und deswegen stirbt der zukünftige Bundesfinanzminister und ...«
»Woran?«
»Na was weiß ich, jedenfalls geht der hopps und ...«
»Und was ist daran so schlimm?«
»Nu hör mir doch mal zu, Mensch. Ich meine doch nur, das ist doch dann Geschichtsfälschung oder so. Wenn wir jetzt zurück in die Zukunft ... Wir reisen doch wieder zurück oder? Na egal. Jedenfalls geht doch da die Zeitlinie kaputt oder wird unterbrochen oder macht nen Knick nach links oder so. Implodiert uns da nicht das Universum um die Ohren? Und komm mir nicht mit Querverstrebungen der Zeitpfade oder Rückkopplungsreaktionen der temporalen Fixpunkteinspritzung oder wie sich das schimpft. Davon hab ich nämlich echt die Schnauze voll.«
U.W.E. vibrierte leicht, als der Querkompensator maximal querkompensierte.
»Du willst also wissen, ob wir den Lauf der Geschichte verändern durften, indem wir einen Zeitinternen K.O. geschlagen haben, nur damit wir zurück in unsere Gegenwart können und ob dies im krassen Gegensatz zu den von uns einzuhaltenden Zeitgesetzen steht?«
»Und ob das Universum implodiert.«
Kowalski dachte über die geäußerte Befürchtung Schröders nach und setzte sie ins Verhältnis der situationsbedingten Erfordernisse.
»Nicht im Geringsten.«
Als die Singularität aufgebaut war, öffnete sich unter U.W.E. ein gleißend gelber Schlitz, der sogenannte Zeitschlitz - in Fachkreisen auch Tempusritze genannt und verschluckte Schröder und Kowalski in eine temporäre Ewigkeit.
Am 9. November 1989 kam es dazu, dass sich einige Menschen auf einer Mauer in Berlin versammelten, um für Freiheit, Videorekorder und Südfrüchte zu demonstrieren.
Niemandem fielen zwei Typen auf, die mit abstehenden Haaren und qualmenden Köpfen ihre Digitaldigitalkameras betätigten und auf Trabbidächer trommelten.