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Zwiegespräch mit einem Eiß
„Hallo-o, da bin ich!“
„Ich spür’s“ knurrte ich, als ich an einem Ostersonntag aufwachte und an mir hinunterblickte. Da hatte sich doch glatt ein Etwas genau zwischen Schniedel und rechtem Bein eingenistet. Von oben betrachtet sah es aus wie zwei Lippen, aus deren Spalt die Spitze einer puterroten Zunge ragte. Ein Eiß. Seine besondere Masche war: immer, wenn ihm etwas nicht passte, schnappte es nach den Härchen dieser Gegend und zupfte daran. Und der Eiß fand reichlich Gelegenheit dazu. Also rasierte ich die Haare ab.
„Das ist aber gar nicht lustig!“ schimpfte der Eiß, schürzte seine Lippen und versuchte, nach weiter entfernten Objekten zu schnappen. Und da ich an diesem Tag einiges zu Fuß zu erledigen hatte, wurden ihm bei jeder Bewegung Härchen zugeführt, die er freudig mit seinen Lippen festhielt. Er spielte „Haare reißen“, wie kleine Kinder.
„Du! Horch mal, so funktioniert das aber nicht. Wenn du schon dort unten wohnen willst, darfst du dich nicht so aufführen!“ tadelte ich den Eiß.
„Will nicht! Will nicht folgen!“ wie ein ungezogenes Kind. Und wie man bockige Kinder manchmal unter einem Tisch hervorziehen muss, beschloss ich diesen Eiß aus seiner Höhle zu holen. Er spuckte heftig, als ich ihm eine teerhaltige Salbe über die Zunge strich. Vor Ärger liefen sein Lippen dunkelrot an, und dann spürte ich, wie er mit seinen Füßchen strampelte, Halt suchte und an einem Nervenstrang auch fand.
„Vorsicht mein Freund!“ tadelte mich der Eiß. „Wenn du das noch einmal machst, dann ziehe ich!“ Und um diese Drohung zu unterstreichen, zog er heftig an diesem Strang. Ein Schmerz durchzuckte mich von der Spitze meines „Besten Freundes“ bis in den halben Rücken hinauf. Ich krümmte mich und beschloss zu verhandeln.
„Was willst du von mir?“
„Dein Körper schickt mich. Ich soll dich einbremsen. Die Art, wie du arbeitest, wie ein Worcaholic, das gefällt deinem Körper nicht mehr. Er ist stinkesauer. Ich soll dich daran hindern, die nächsten Tage ins Büro zu gehen.“
„Aber das geht doch nicht. Die in der Firma brauchen mich doch. Am Freitag ist Generalversammlung, und da müssen noch einige Unterlagen zusammen gestellt werden.“
Doch der Eiß ließ sich nicht erweichen. „Nix da!“ entgegnete er schroff. „Dein Körper will, dass du einmal die anderen machen lässt. Da sind schließlich noch 18 Kollegen.“
„Aber die kennen sich doch nicht aus!“ Hände ringend beschwor ich den Eiß, Ruhe zu geben.
Doch der entgegnete kühl: „Nicht auskennen, das sagen die anderen. Aus Bequemlichkeit. Und: Wenn sie’s nicht wissen, sollen sie’s lernen. Lass dich nicht immer von den lieben Kollegen ausnutzen. Die sollen ruhig mal ins kalte Wasser springen und Schwimmen lernen!“ befahl der Eis und zog noch einmal heftig am Nervenstrang.
„Schon gut! Schon gut! Ich gebe mich geschlagen.“ Und je länger ich nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass der Eiß Recht hatte. Es gibt etwas weit Schlimmeres als einen frustrierten, verärgerten Chef. Den kann man gelegentlich auswechseln. Aber der eigene Körper ist einmalig. Und als ich am Abend zu Bett ging, sagte ich zum Eiß: „Ich glaube, ich habe verstanden, was du meinst. Gute Nacht!“
Und der Eiß antwortete: „Schön für dich. Es stimmt, wenn du ein bisschen weniger schwer arbeitest, leistest du noch immer mindestens so viel, wie andere, wenn sie fleißig sind. Gute Nacht!“
Von nun an war klar, in der Arbeit etwas leiser treten, dafür mehr Entspannung und mehr Sport. Ja und der Sex war bisher auch etwas zu kurz gekommen. Da gab es ganz schönen Nachhholbedarf.
Apropos Sex. Als der Eiß eingeschlafen war, beschloss ich ihm den Garaus zu machen. Wie soll man auch Sex haben, wenn ein schmerzender taubeneigroßer Eiß im Unterstübchen eingezogen ist. Am nächsten Tag schon ging ich zum Arzt.
Apropos: Eiß ist ein alter süddeutscher Ausdruck für Eiterbeule, Abszeß