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Zwiegespräch

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02.02.2005
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Zwiegespräch

Zwiegespräch

Was mache ich hier eigentlich? Weshalb stehe ich hier vor einem ausgehobenen Loch, ausgeschlagen mit einer leuchtend grünen Grasmatte?
Es erscheint mir alles so unwirklich. Warum musste das alles geschehen? Warum konnte das Leben nicht so weitergehen wie die ganzen Tage, Wochen und Jahre zuvor? Was habe ich falsch gemacht? Oder konnte ich gar nicht dafür?
Irgendjemand spricht im Hintergrund. Ach ja, der Pfarrer.

„Bernd Braun war immer hilfsbereit und fürsorglich. Kümmerte sich rührend um seine Frau und seine kleinen Kinder. Sie werden ihren Papa sehr vermissen.“

Über wen spricht er da? Über Bernd Braun? Nein, das kann nicht sein. Das ist bestimmt ein Missverständnis. Bernd ist doch erst vor drei Tagen nach Hamburg zu einem Kongress gefahren. Aber warum stehe ich hier auf dem Friedhof? Sollte es doch stimmen, was der Priester da sagt?

„Mitten aus dem Leben gerissen in der Blüte seiner Jahre. Es ist für alle, die ihn kannten, ein schwerer Schock. Keiner kann es so richtig begreifen.“

Da hast du Recht. Begreifen kann ich es immer noch nicht. Sollte das alles gewesen sein? War das nun auch das Ende meines Lebens? Ohne ihn, wie soll es weitergehen? Die Kinder? Wo sind die Kinder? Ach ja, sie stehen neben mir, den Kopf gesenkt. Tränen rollen ihnen über die Wangen. Ob sie begreifen, was geschehen ist?
Die kleine Maja. „Unser Sonnenschein“ hast du sie immer genannt, wenn sie dir abends entgegen geflogen ist, als du abgespannt von der Arbeit nach Hause kamst. Alle Müdigkeit fiel von dir ab. Du fingst die Kleine mit deinen Armen auf und gemeinsam wirbeltet ihr im ganzen Zimmer herum. Maja quietschte jedes Mal ausgelassen und konnte gar nicht genug bekommen.
Sollte das alles nun vorbei sein?

„Am Schlimmsten sind die Kinder betroffen. Sie haben ihren geliebten Papa verloren.“ Da, wieder die Stimme des Pfarrers, die dumpf an mein Ohr dringt.

Aber auch Peter, unser zwölfjähriger Stammhalter. Wie wird er ohne Vater aufwachsen? Braucht ein Junge nicht seinen Vater, besonders in diesem Alter?
‚Warum hast du uns einfach so im Stich gelassen?’, möchte ich hinausschreien. Doch kein Ton kommt über meine Lippen. Stumm starre ich auf das Loch in die gähnende Tiefe, über der der Sarg zu schweben scheint.
Wenn du mir jetzt antworten könntest, was würdest du sagen? Vielleicht, dass ich stark genug sei, um die Situation in den Griff zu bekommen? Oder eher, dass ich mich zusammennehmen und nicht herumjammern soll?
Kenne ich dich so schlecht, dass ich diese Frage nicht beantworten kann?
Vierzehn Jahre haben wir zusammen verbracht. Gute und schlechte Tage, wobei die schlechten in der letzten Zeit überwiegt haben. Aber in welcher Ehe gibt es das nicht?
Oft warst du unterwegs. Für deinen Beruf brauchtest du gerade diese Weiterbildungen, diese Kurse und vieles mehr. Wolltest in anderen Betrieb neue Erfahrungen sammeln. Wieder eine Reise, wieder warst du tagelang unterwegs.
Warum musstest du an diesem besagten Montag wieder verreisen? Ach ja, der verflixte Kongress. Wichtig sei er für dein Weiterkommen in der Firma, ist am Abend vorher deine Ausrede gewesen. Dass du mal von einer Fahrt nicht wieder zurückkommen würdest, das konntest du dir nie vorstellen.

„Bernd Braun lebte seit seiner Kindheit in unserem Ort. Wenn es seine Zeit zuließ, nahm er an regen Ortgeschehen teil. Erst letztes Jahr am Kirchfest organisierte er die Tombola, und zwar mit vollem Erfolg. Es kam ein ganz schönes Sümmchen für unsere Restaurierung der Orgel zusammen.“

Ja, für andere warst du der King. Doch ich habe ständig in der Angst gelebt, dass du eines Tages von einer Reise nicht mehr zurückkommen würdest. Dass einmal die Polizei, wie jetzt doch am Montag, vor unserer Tür stehen würde mit den Worten: „Tut mir Leid, aber ihr Mann ist vor zwei Stunden auf der Autobahn nach Hamburg tödlich verunglückt!“
Am Abend vor deiner Abreise habe ich dich nochmals bekniet, nicht nach Hamburg zu fahren. Peter hatte am nächsten Tag Geburtstag und er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit der ganzen Familie in den Spaßpark zu fahren. Doch du warst nicht davon abzuhalten, trotz des wichtigen Tages im Leben deines Sohnes zu verreisen.
Es sei ja nicht zum Vergnügen, sondern aus rein beruflichen Gründen. Wenn du die Chance nicht wahrnehmen würdest, bestünde die Gefahr, dass du den neuen gut bezahlten Job am Jahresende nicht bekommen würdest. Es stehen noch andere Kandidaten auf der Liste um diese Stelle.
„Verdammte Arbeit!“ Habe ich das jetzt laut gesagt? Etwas pikiert schaut meine Schwiegermutter von der Seite zu mir und schüttelt dabei den Kopf.
Reiß dich zusammen. Du bist hier nicht alleine. Die Öffentlichkeit sieht dir zu.
Die Öffentlichkeit. Was habe ich mit der Öffentlichkeit zu tun? Jetzt nichts mehr. Bernd ist tot. Damit ist für mich die Öffentlichkeit auch gestorben. Immer habe ich Rücksicht genommen auf die Nachbarn, die Bekannten und Verwandten. Aber das wird jetzt anders. Bernd ist nicht mehr da. Es gibt also niemanden mehr, für den ich auf die Meinung anderer achten muss. Hätten wir nicht soviel Rücksicht genommen, wärst du vielleicht noch am Leben. Aber du wolltest immer bei den Besten sein, bei denen, die im Ort das meiste Ansehen genießen. Und was ist nun der Dank dafür?
Du liegst hier in diesem Holzkasten und hast von deiner ewigen Rücksichtnahme nichts mehr. Gut, die Persönlichkeiten des Ortes erweisen dir die letzte Ehre. Doch hast du nun noch etwas davon? Nichts, nichts ist dir geblieben von deiner aufopfernden Pflichterfüllung.
Schau sie dir doch an! Sie stehen wie die Ölgötzen um dein Grab herum. Wie lange werden sie noch an dich denken? Vielleicht haben sie inzwischen schon ein neues Opfer gefunden, das sie sich nach ihrem Sinn zurechtbiegen können.
Mich jedenfalls werden sie hier nicht mehr lange zu sehen bekommen. Ich werde Maja und Peter nehmen und den Ort verlassen, den Ort, der dir das Leben genommen hat, der dich auf dem Gewissen hat. Hier hält mich nichts mehr! Das warst immer nur du!

„Und damit geben wir deinen Körper der Erde zurück.“

 

Hallo Imperator,

tut mir Leid, dass dich die Geschichte gelangweilt hat.
Es sollte nur eine leise Anschuldigung an die Gesellschaft sein.

Nachdem ich gestern Abend deine Kritik gelesen hatte, habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, wie man in die Geschichte Spannung hineinbringen kann. Doch mir ist nichts eingefallen, was nicht das Gesamtbild total stören würde.
Eine laut herausgebrüllte Anschuldigung am Grab, kam mir etwas pietätlos vor, zumal man davon ausgehen kann, dass auch die Kinder des Verstorbenen an der Beerdigung teilgenommen haben.

Falls dir ein Verbesserungvorschlag einfällt, bin ich für jede Idee offen und lasse mich gern überreden, sie einzubauen.
Man kann ja nur aus Kritiken lernen und das ist ja Sinn dieser Seite.

Also vielen Dank für deine Kritik.

Viele Grüße
bambu

 

hallo bambu,

nun wollte ich doch endlich auch mal eine von deinen geschichten lesen.

die idee hat mir eigentlich ganz gut gefallen, ich finde, dass du es gut hinbekommen hast, die gedanken der frau am grab einerseits und das begräbnis, das sie nur so halbwegs mitbekommt andererseits darzustellen. allerdings kam mir die ehefrau - für eine ehefrau - ziemlich unbeteiligt vor. sie macht sich gedanken über die kinder, erinnert sich, wie er nie zeit hatte, zu viel gearbeitet hat etc. aber von ihren gefühlen bekommt man gar nichts mit. ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass eine frau, deren mann gerade gestorben ist, in so geordneter weise (so kam es mir vor) über die vergangenheit nachdenkt und die zukunft plant (das fortgehen). also etwas mehr einsicht in die gefühlswelt der witwe hätte ich mir gewünscht. oder war es absicht, dass sie so kühl wirkt?

viele grüße,

sonnenblume

 

hallo bambu,

richtig begeistern kann mich deine geschichte leider nicht. zum einen finde ich das, was der priester am grab sagt, als grabrede sowas von unpassend, dass ich das gefühlt habe, dass du bislang noch keiner beerdigung beiwohntest. der verstorbene wird gehuldigt, aber keinesfalls soll der schmerz erklärt werden. ein priester soll schmerz nehmen, nicht den schmerz verstärken, indem er mitteilt, wen der verlust am meisten trifft. zum anderen bleibe ich als leser etwas ratlos und auch unbekümmert zurück.
ungereimt ist für mich der ausdruck, dass der ort seinen tod verschuldet. wie ist er gestorben? wurde er gelyncht? ich finde keine textstelle, in der die todesursache und todesort genannt wird, wohlaber die angst, die die frau zu bernds lebzeiten hatte. bernd hatte eine fortbildung gemacht - ausserorts!!! wieso hat der ort ihn getötet?
stilistisch ist das solide, aber reisst den leser nicht wirklich mit. zwar kommt die anklage rüber, aber der leser bleibt von dieser (die anklage ist kaum angemessen) als auch von dem schicksal (traurig bin ich nicht) unberührt

Du liegst hier in diesem Holzkasten und hast von deiner ewigen Rücksichtnahme nichts mehr.

wessen rücksichtsnahme genau? seine? oder doch ihre?

fazit: ich weiss, du kannst bessere geschichten schreiben.

bis dann

barde

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sonnenblume,
hallo Barde,

zunächst einmal vielen Dank für eure Kritik, ob nun possitiv oder negativ.

@ Sonnenblume,
Es freut mich, dass wenigstens einem die Geschichte zugesagt hat. Es ist nicht so mein Fall, Gefühle zu beschreiben. Es war ein kleines Experiment, was mir wohl nicht so gelungen ist.
Zu den Gefühlen der Ehefrau möchte ich sagen, dass es doch oft der Fall ist, dass gerade die am meisten Betroffenen ihre Gefühle erst viel später zeigen können. Sie organisieren alles, machen sich über die Zukunft Sorgen, aber die eigentliche Trauer kommt erst viel später. Deshalb habe ich die Ehefrau etwas kühl dargestellt, vielleicht etwas zu kühl.

@ Barde
Wie ich schon bei Sonnenblume erwähnt habe, ist es nicht so meine Sache, Gefühle zu beschreiben. Es sollte ein Versuch sein. Wenn ich mir die Geschichte zunächst im Kopf zusammenreime, dann wirkt sie immer ganz anders, als wenn sie dann auf dem Papier, sprich Bildschirm, steht.
Mit deiner Bemerkung über die Grabrede muss ich dir Recht geben. Obwohl es sind ja nur immer ein paar Fetzen der Rede in das Bewusstsein der Ehefrau gedrungen. Kann doch sein, dass sie die tröstenden Worte gerade nicht gehört hat, oder? *smile*

wessen rücksichtsnahme genau? seine? oder doch ihre?

Hier dachte ich, an die Rücksicht, die er immer genommen hat, um das Ansehen der Familie im Dorf nicht zu gefährden. Er hat immer alles so gemacht, wie es die Gesellschaft von ihm gefordert hat. Ich hoffe, du verstehst wie ich es meine.

Übrigens ist die Art und Weise, wie er zu Tode gekommen ist im Text vorhanden und zwar in

„Tut mir Leid, aber ihr Mann ist vor zwei Stunden auf der Autobahn nach Hamburg tödlich verunglückt!“

Vielen Dank für deinen Satz

ich weiss, du kannst bessere geschichten schreiben.

Er hat mich sehr motiviert.

Nochmals vielen Dank euch Beiden.

Viele Grüße
bambu

 

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