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Zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit
Wellenförmige Wege zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit ziehen sich durch ihr Leben, wie die Aufs und Abs der Achterbahnen, die sie als Kind so sehr liebte. Wo einem der Schrei im Halse erstickt, weil man mit weit aufgerissenen, vor Erwartung geweiteten Augen in den vermeintlichen Tod, in den sehnsüchtig nach einem greifenden Abgrund, schaut. Nur dass die Höhen und Tiefen ihres Lebens weit weniger gefährlich sind als eine Fahrt in einem Vergnügungspark.
Ein blauer Lichtpunkt wandert über ihr hübsches Gesicht, mal links, mal rechts, um genau vor ihren Augen stehen zu bleiben und sie langsam zu wecken. Noch Wandern ihre grünen Augen unter den Lidern stetig von links nach rechts, von den Bildern, die sie in ihrer REM-Phase des Schlafes verfolgen, ergriffen. Aber gleich, gleich wird die morgendliche Sonne, die durch ihr Fenster scheint, sie sanft wach küssen. Sie sieht aus wie eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, die nur darauf wartet von ihrem Traumprinzen geweckt zu werden. Aber dieses Schicksal ist ihr nicht vergönnt, weit schrecklichere Dinge stehen ihr bevor, und eine kleine Ahnung davon konnte sie bereits in ihren Träumen erhaschen.
Mit einem Ruck reißt es sie aus dem Schlaf, verwirrt starrt sie an die Decke, wo sich die Spektralpunkte des Lichtes gegenseitig zu fangen versuchen. Es dauert einen Moment, bis sich ihre aufgerissenen Lider entspannen, bis sie den Träumen entflohen ist und sich ihrem hellen zwei Zimmer Appartement bewußt wird. Was für ein Traum! Wirklich erinnern kann sie sich nicht an den Inhalt, sie wird lediglich von dauernd wiederkehrenden, blitzlichtartigen Bildern verfolgt: aufgerissene rote Augen, weiße Haut, ein im Schrei offenstehender Mund . War das ein Traum? Er schien so real!
Tagelang träumte sie den selben Traum, aber sie schob den Gedanken das etwas nicht stimmen könne immer weit von sich weg. Steckte ihre Sorgen immer tief unter den Teppich. Und jetzt scheint es so, als käme es auch in diesem Falle so, wie immer, wenn man Dinge zu tief unter den Teppich zu kehren versucht; jeder Teppich hat ein Ende und je mehr man immer tiefer unter ihn kehrt, desto mehr quillt unheilbringend am anderen Ende heraus. Was es wirklich ist, was sich unter dem Teppich als schwelendes, sprudelndes Feuer der Erinnerung verbarg, sie war noch nicht in der Lage es zu erfassen. Ihr bleibt nur das seltsame Gefühl mit dem sie aus ihren Träumen erwacht ist, ein Gefühl als käme etwas direkt auf sie zu, als stände sie regungslos auf den Gleisen eines heran nahenden Zuges, nicht in der Lage auch nur einen Schritt zu tun um dem bevorstehenden Unheil zu entfliehen.
Die junge Frau setzt sich in ihrem Bett auf und wuschelt durch ihre langen schwarzen Haare, versucht sie und sich aus den wirren Träumen zu schütteln und steht dann auf, um sich den Rest des Traumes und der Müdigkeit von der weißen Haut zu waschen. Als sie aus der dampfenden Dusche steigt, mit ihrer rechten Hand den Wasserdampf vom Spiegel wischt und sich selbst in die Augen blickt, kommt sie sich fast lächerlich vor. Sie streckt sich selbst die Zunge raus. Wie so ein bißchen Träumerei einem den Morgen verderben kann...Unglaublich! Unglaublich was für Abgründe zwischen der Traumwelt und der Realität liegen! Wie schnell sich die Grenzen verschieben werden und wie rasch sie inmitten ihres eigenen Alptraums sein würde ahnte sie noch nicht.
Nachdem sie sich angezogen hat, macht sie sich auf den Weg zu ihrer Mutter, mit ihr frühstückt sie seit sie vor Jahren ausgezogen ist jeden Sonntag. Als sie die Tür betritt überkommt sie ein seltsames Gefühl, unangenehm, schleichend, Angst machend, was ging hier vor? „Ach was!“, denkt sie sich und atmet tief den vertrauten Geruch des Hauses ihrer Mutter ein, von dem unterschwelligen Geruch des Todes nimmt sie nichts wahr. Noch weiß sie nicht, welch schrecklichen Fund sie machen wird! Das Haus hat seinen eigenen Charme, man muß sich einfach wohl fühlen in der heimeligen Atmosphäre. Sie geht in die Küche, keiner da. Der Eßtisch unberührt, seltsam! Leicht irritiert geht sie in Richtung des Schlafzimmers, öffnet die Tür. Und jetzt wird sie wieder von Myriaden Bildern, die sich in ihr Hirn brennen attackiert. Das Bett. Ihre Mutter tot. Starr, weiß. Die Augen weit aufgerissen, ein bitteres Sterben manifestierend. Ein Schrei, es ist ihrer, gellt durch den Raum, wird von den Wänden reflektiert und scheint überall zu sein. Sie steht zwischen den Wellen, Schallwellen, die aus ihrem Mund strömen, von der Wand zurückgeworfen werden und sich in ihr Ohr, ihr Gehirn bohren.
Der Obduktionsbericht ergab: Herzstillstand. Etwas muss sie zu Tode erschreckt haben. Nur war da nichts was sie hätte erschrecken können.Nichts!
Die Beerdigung ihrer Mutter hat sie ziemlich aus der Bahn geworfen. Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt. Natürlicher Tod.
Monate nach dem Vorfall geht es ihr recht gut, mittlerweile ist sie in das Haus ihrer Mutter gezogen und hat den Verlustschmerz weitgehend verwunden. Ihr Schmerz und die seltsamen Synchronizitäten zwischen ihrem Traum und dem Tod ihrer Mutter ist tief unter den Teppich gekehrt worden, aber es scheint als habe auch jener Teppich dieser Tage ein Ende. Als sie eines Morgens aufwacht überkommt sie wieder dieses seltsame schleichend unheimliche Gefühl, welches sie über Tage nicht verliert. Tagelang bewegt sie sich zwischen Angst und eigener Beschwichtigung. Aber das Gefühl bleibt. Fast so als verfolge sie etwas, kommt immer näher, sie zu verschlingen. Doch was war das? Wer oder was verfolgte sie da? Sie hatte doch nie jemandem etwas getan und dennoch schleicht es immer näher, schnürt ihr die Kehle in einem markerschütternden Schrei zu und dann...STILLE.