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Zwischen Weihnachten und Neujahr

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12.06.2007
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Zwischen Weihnachten und Neujahr

Zwischen Weihnachten und Neujahr

Links stand der Rosenbusch höher als das Fensterbrett und ihm gegenüber zog sich der Schatten der alten Weide von den vereinzelt stehenden, verwelkten Gladiolen bis hin zum blühenden Lavendel am Zaun entlang. Die Sonne stand hoch und ihr helles Licht flutete den vom Schatten ungeschützten Rest des Gartens. Die roten, glänzenden Äpfel reflektierten das Sonnenlicht und die Birnen hatten ihr intensivstes Grün erreicht. Herr Borsa saß im Wohnzimmer, laß Capotes Baum der Nacht und knackte beiläufig Walnüsse, deren Schalen er in seine leere Kaffeetasse tat. Seine Frau hatte ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit in den Garten zu kommen. Er wollte lieber lesen, aber anstatt ihr das zu sagen, antwortete er: „Ach Schatz, ich habe keine Zeit, ich korrespondiere nun schon seit geraumer Zeit mit einer Fruchtzwerge veschlingenden jungen Dame aus Luxemburg. Du siehst also, ich habe keine Zeit. Habe Nachsicht mit mir.“
Sie schüttelte den Kopf, lächelte kurz und ging in den Garten und holte die Liege, deren Beine an manchen Stellen mit Rost überzogen waren, aus dem Abstellraum. Herr Borsa betrachtete seine Frau, ihre Haut war goldbraun und circa alle dreißig Sekunden zogen sich ihre Grübchen zusammen. Er war ein wenig blass, doch das störte ihn nicht, er lag einfach nicht sonderlich gern in der Sonne. Im Winter hatte er überlegt, seine Frau ins Solarium zu begleiten, ließ es dann aber doch sein. Zu einem gegrillten Proleten mutieren, dachte er sich, nein danke, dann doch lieber ein Tuschkasten weißer Taugenichts, zu wissen, was man ist, das ist die Kunst der denkenden Minorität.
Die Seiten seines Buches verflogen von Geschichte zu Geschichte schneller und gerade als er mit der betrogenen Mrs. Munson fühlte, passierte es. Die Weltkarte an der Wand schien Töne von sich zu geben, leise, unverständliche Töne. Einbildung, dachte er, und laß weiter. Die Töne hörten nicht auf, also stand er auf und ging zur Karte rüber. Mit den Augen konnte er nichts erkennen und seine Ohren nahmen nicht mehr wahr als ein zartes Rascheln, doch er war sich sicher, dass es von der Karte nahm. Er bräuchte Hilfsmittel, eine Lupe hatte er im Schreibtisch und ein Stethoskop hatte er irgendwann einmal auf dem Dachboden gesehen, keine Ahnung, wie es dort hingekommen ist. Nach einer halben Stunde stand er bewaffnet mit Lupe und Stethoskop erneut vor der Karte. Zu allererst untersuchte er sie mit der Lupe, sein aufmerksamer Blick wanderte vom Cape Adore bis zum Johnston Atoll und von den Stränden Brasiliens bis zu den nördlichsten Häfen Skandinaviens. Am südlichsten Rande Tanzanias machte er zwei winzige, plattgedrückte Gestalten ausfindig. Ihre Gesichter waren dunkel und ihr Haar zottelig wie das eines wilden Pferdes und sie fuchtelten wild mit ihren kleinen Ärmchen. Herr Borsa legte das Stethoskop an und hielt es vorsichtig vor die Karte, er wollte die winzigen Tanzanier ja nicht verletzen.
„Hallo“, sagte er leise.
„Hallo, wird auch Zeit, dass du uns mal Gehör schenkst, wir sind schon heiser.“, sagten sie synchron. Sie machten alles synchron, jedes Wort, jede Bewegung.
„Ich konnte euch nicht hören.“
„Mach dir nichts draus, jetzt gehts ja.“
„Was macht ihr eigentlich an meiner Wand auf meiner Weltkarte.“, fragte Herr Borsa verdutzt.
„Wir leben hier, dumme Frage“, antworteten sie kichernd.
„Und wieso sprecht ihr mich ausgerechnet heute an?"
„Naja“ sagten sie wieder synchron, „deine Frau hat gestern die Vorhänge abgenommen und deshalb blendet uns die Sonne. Du könntest ja bestimmt so nett sein, die Vorhänge zu befestigen oder uns von halb zwölf bis siebzehn Uhr woanders hinzuhängen.“
„Ich lass mir was einfallen.“
„Danke“
„Wir sehen uns, Jungs. Nun gehe ich erst einmal zu meiner Frau in den Garten, sie ist schon ganz mürrisch.“

Seiner Frau erzählte er nichts. In den nächsten Wochen und Monaten erkundete er jeden Tag einige Minuten die Karte. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr ließ ihn der Alltag vergessen und die winzigen, plattgedrückten Tanzanier verloren sich in den hintersten Winkeln seines Gedächtnisses.

 

inwiefern ist die geschichte unvollständig? Für eine kurzgeschichte ist sogar zu deutend, auf den ersten blick jedenfalls.

 

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