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§ 5 SLVG
§ 5 Slvg
§ 5 SLVG
"Was, Frau P., haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?"
Der ärgerliche Blick des Restaurantchefs Meierbehn traf Sylvia hart, so dass sie unsicher zurückzuckte. Sie spürte wie ihr die Röte in die Wangen stieg und das Herz anfing zu pochen. Was, um Himmels willen könnte sie bloß falsch gemacht haben, überlegte sie fieberhaft.
Aber der immer noch ungehaltene Blick Meierbehn's, verhinderte jeden klaren Gedanken. In ihrem Kopf rauschte es und zu ihrer Schamesröte kam nun noch eine unangenehme Hitze dazu. Sie begann zu schwitzen und blickte verlegen zu Boden.
"Ich erhalte von Ihnen also keine Erklärung für ihr impertinentes Verhalten, Frau P.?" , klang Meierbehn's Stimme nun höchst bedrohlich. "Nun denn, dann sage ich Ihnen was jetzt passiert: Sie sind gekündigt, Frau P.! Verlassen Sie sofort ihren Arbeitsplatz."
Meierbehn erhob sich und Sylvia wußte, dass sie das auch tun sollte, aber ihre Knie hatten plötzlich keinen Halt mehr, das Herz schlug bis zum Hals und sie rang nach Atem.
Wie sie es überhaupt schaffte, zu ihrem Auto zu gelangen und unfallfrei durch die Stadt zu ihrer Wohnung zu fahren, wußte Sylvia im Nachhinein nicht mehr.
Ihr Mann, der mit ihrem frühen Kommen noch gar nicht gerechnet hatte, war erstaunt sie zu sehen.
"Du bist schon zurück?", begrüßte er sie, "ist irgendetwas?"
"Sie haben mir gekündigt, fristlos", brach sie in Tränen aus "und ich weiß noch nicht einmal, was los ist."
"Wie? Die können dir doch nicht einfach ohne Grund fristlos kündigen! Und wieso hast du keine Ahnung?"
"Ich schwöre dir, Klaus, ich habe nichts falsch gemacht", beteuerte Sylvia, "ich habe alle Gäste stets ordentlich bedient. Es hat sich keiner beklagt. Ich war auch zu jedem höflich und korrekt, im Gegenteil, die Gäste waren sehr froh von mir bedient zu werden", klang ihre Stimme voller Verzweiflung, "du hast ja selbst mitbekommen, wieviel Trinkgeld ich immer mit nach Hause gebracht habe."
"Das ist alles sehr seltsam", grübelte Klaus, "weißt du was? Ich rufe Meierbehn an und frag, was er sich dabei gedacht hat."
Sylvia nickte und Klaus wählte die Nummer des Restaurants.
"Guten Tag Herr Meierbehn, erklären Sie mir doch bitte, weshalb Sie meiner Frau fristlos gekündigt haben."
"Ihre Frau hat sich gegenüber den Gästen ungehörig benommen. Sie hat trotz unserer Anordnungen, es zu unterlassen, mit den Gästen einen höflichen, ja geradezu freundlichen Umgang gepflegt, ihnen das Gefühl zuvorkommender Behandlung gegeben und damit dafür gesorgt, dass sich die Gäste ausnehmend wohl fühlten in unserem Restaurant."
"Waass?", Klaus schüttelte ein wenig benommen seinen Kopf, als habe er Hörschwierigkeiten, "was ist daran denn aber falsch, Herr Meierbehn?"
"Ich sehe schon, auch mit Ihnen ist nicht zu reden, Ihrer Frau war ja auch schon kein Beikommen, da diskutier ich jetzt nicht. So, wie es Ihre Frau getan hat, geht man nicht mit Kunden um!" Meierbehn hatte aufgelegt.
Klaus zuckte die Achseln als Antwort auf Sylvias fragenden Blick.
"Ich hab ihn nicht verstanden", sagte Klaus, "am besten du gehst gleich morgen zur Gewerkschaft, die haben eine Rechtsabteilung, da lass dich beraten, was nun zu geschehen hat." Sylvia seufzte und nickte stumm.
"Ich habe, gleich nach Ihrem Anruf, mit Herrn Meierbehn telefoniert, um zu erfahren, weshalb er Ihnen gekündigt hat", sagte der Gewerkschaftsanwalt, "und ich kann Ihnen sagen, Frau P., das sieht sehr schlecht aus für Sie."
"Aber ich hab doch gar nichts...",
"Oh, nein, ich muß Sie da gleich mal unterbrechen, Frau P., Sie haben sich gegenüber den Gästen ungehörig benommen! Wie konnten Sie nur auf die Idee verfallen, Freundlichkeitsfloskeln wie: 'guten Tag, bitte, danke', gar noch: 'danke schön, guten Appetit' und 'gern geschehen' zu verwenden? Was veranlasste Sie bloß derart höflich zu den Gästen zu sein? Damit verstießen Sie eindeutig gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten und das stellt zusammen mit ihrem weiteren Verhalten ein eindeutiges schwerwiegendes Fehlverhalten dar."
"Aber..."
"Nein, unterbrechen Sie mich jetzt nicht! Der Gipfel war dann ja wohl, Frau P., dass Sie einem Gast einen Sonderwunsch erfüllten und Bratkartoffeln, statt der Pommes zum Schnitzel servierten. Das war ein gravierender Servicefehler von Ihnen!"
Sylvia wußte darauf nichts zu antworten und starrte nur ungläubig in das Gesicht des Anwalts, welcher weiter in vorwurfsvollem Ton ausführte:
"Als Herr Meierbehn mir noch berichtete, dass Sie einer älteren Dame, die um Salz bat, den Salzstreuer vom Nachbartisch mit den freundlichen Worten 'bitte schön' gereicht haben, war für mich das Maß voll. Frau P., das war eindeutig ein Grund Ihnen fristlos zu kündigen! Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ich es auch getan."
Sylvia schluckte.
"Ihr Anliegen, eine Kündigungsschutzklage erheben zu wollen, das lassen Sie mal flugs wieder fallen, Frau P.! Wenn Sie Pech haben, verklagt der Arbeitgeber Sie! Und zwar auf Schadensersatz wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber den Gästen!", ereiferte sich der Anwalt und auf seinem Gesicht verteilten sich nervöse rötliche Flecken.
Mit hängenden Schultern verließ Sylvia das Gewerkschaftsgebäude und schluchzte leise vor sich hin.
Drei Wochen später las Sylvia mit zitternden Händen eine Klagschrift, in der Herr Meierbehn von ihr Schadensersatz in Höhe von 20.885 € forderte.
Nur mühsam drangen die einzelnen Schadenssachverhalte in ihr Bewußtsein und sie setzte mehrere Male an, das Sündenregister, das wie eine Anklageschrift klang, inhaltlich zu verstehen.
Sie habe Gäste zügig und schnell bedient, wurde ihr vorgehalten und mit ihrer Eifrigkeit dem Restaurant einen Schaden zugefügt. Denn nun seien aufgrund dieses Leumundes, ein Lokal zu sein, in welchem man Gäste höflich behandele, mehr Gäste als je zuvor in das Restaurant geströmt, was zu einem meßbarem Mehraufwand an Arbeit geführt habe.
Meierbehn hatte keine Mühe gescheut akribisch vorzurechnen, dass dieser Zuwachs an Gästezahlen dazu führte, dass er und sein Personal Überstunden machen mußten. Ja, er hatte sogar in der Klagschrift damit gedroht, sich weiteren Schadensersatz vorzubehalten, falls der Zustrom an Gästen nicht abnähme und er zusätzliches Personal einstellen müsse.
Allerdings, so hatte er im nächsten Satz relativiert, fühle er selbst sich zur Schadensbegrenzung verpflichtet, weshalb er nicht gedenke, den Gästen auch nur eine einzige zusätzliche Servicekraft zu gönnen.
Er habe schließlich nicht vor, dem frevelhaften Tun der Schädigerin auf diese Weise auch noch Vorschub zu leisten.
Die Einnahmen jedenfalls, die ein zusätzlicher Gästestrom bei ihm hinterließ, die seien in höchst zu vernachlässigender Weise so gering, im Gegensatz zu all den Widrigkeiten, denen er nun aufgrund des schadensstiftenden Verhaltens der Frau P. ausgesetzt sei.
Dann wurde ihr vorgehalten, sie habe sich neben ihrer unakzeptablen Höflichkeit auch ansonsten völlig daneben benommen, weil sie sich geweigert habe, Kunden Speisen auf die Rechnung zu setzen, die sie nie bekommen hätten. Sie habe böswillig handelnd Gästen Sonderwünsche erfüllt, wobei beispielhaft aufgeführt wurde, sie habe Reservierungswünsche entgegengenommen, herunter gefallenes Besteck durch frisches ersetzt, Weinflaschen am Tisch entkorkt und vor dem Ausschank probieren lassen, zu den Speisen Beratungen und Erklärungen gegeben.
Das alles wurde durch unzählige Beweisangebote und teils sogar wörtlich wiedergegebene Zeugenaussagen ihrer Kollegen untermauert. Zum einen bemängelten diese, dass sie völlig arrogant gewesen sei, weil sie sich nie an die Gepflogenheiten gehalten habe, sondern eine geradezu peinliche Aussenseiterstellung inne gehabt habe. So habe sie nie auch nur ein Stückchen Speise vom Teller des Gastes auf dem Weg zu ihm gegessen, habe den Gästen stets nur komplett gedeckte Tische angeboten und man habe sie sogar dabei erwischt, wie sie mit der flachen Hand eine Tischdecke glattgestrichen habe, bevor der Gast Platz nahm und sogar beim Aufhalten der Tür habe man sie erwischt. Jeweils zur Rede gestellt, habe sie so getan, als verstünde sie nicht. So die übereinstimmenden Zeugenaussagen.
Der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sah Sylvia mit Bangen entgegen, sie mußte sich allein vertreten.
Die Kammer, die aus drei düster auf sie dreinblickenden Richtern bestand, schüchterte sie gehörig ein und sie wäre am liebstem im Boden versunken, als man sie mit inquisitorisch durchbohrendem Blick fragte, was sie nun zu ihrer Verteidigung anzubringen hätte.
Sylvia versagte die Stimme und damit der Blick des Vorsitzenden Richters seinen Bannstrahl woanders hin richtete und die Häme im Gesicht des Beisitzenden Richters aufhörte, schüttelte sie ihren Kopf.
"Tja", sagte der Inquisitor in seiner schwarzen Robe, "Frau P., die Kammer hat sich vor dem Termin beraten und wir haben diskutiert, ob wir diese Akte, denn dass Sie hier und heute verurteilt werden , dürfte ja auch Ihnen klar sein, also ob wir diese Akte nicht an die Staatsanwaltschaft geben müssen. Denn, es gibt seit dem 1.10. ein Gesetz, wonach es in Deutschland strafbar ist, Serviceleistungen zu erbringen. Nach § 5 des Serviceleistungsverbotsgesetzes (SLVG) haben Sie sich nämlich strafbar gemacht. Die Kammer hatte nun zu entscheiden, ob die Ihnen vorzuwerfenden Handlungen, die sie ja vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen haben, trotzdem schon mit Strafe bewährt sind."
Sylvia, die bereits bei Betreten des Gerichtssaales der Ohnmacht nahe war, hörte den Rest der Ausführungen nun nicht mehr. Sie war weggetreten, ergab sich dem ohrenbetäubendem Dröhnen in ihrem Kopf und war in sich zusammen gesunken, was die Kammer veranlaßte, diese Körperhaltung als zusätzliches Eingeständnis ihrer schweren Schuld zu werten.
"...aus diesem Grunde", so führte der Vorsitzende Richter nun abschließend aus, "werden wir die Akte an die Staatsanwaltschaft zur weiteren Ermittlung gegen Sie abgeben. In dieser Sache wird nun das Urteil verkündet, bitte erheben Sie sich!"
Ein Zuschauer eilte pflichtbeflissen herbei und zerrte Sylvia aus dem Stuhl in die Höhe, die nun wankend wie durch dichte Watte die Worte des Vorsitzenden Richters vernahm, welcher verkündete, dass sie 20.885 € an Meierbehn an Schadensersatz zu zahlen hatte.
Wochen später wurde Sylvia durch das Strafgericht ein Strafbefehl zugestellt, wonach sie zu 30 Tagessätzen je 100 € verurteilt wurde (ersatzweise Haft) , weil sie sich eines vorsätzlich begangenen Verstosses gegen § 5 des SLVG schuldig gemacht habe, wobei in der Begründung ausführlichst stand, dass auch schon vor Erlaß des Gesetzes jedermann das Unrechtbewußtsein und die Kenntnis gehabt habe und auch Sylvia genau gewußt habe, dass Serviceleistungen in Deutschland strafbar seien.
Zahlen konnte Sylvia ihre Schulden nicht, sie ging ersatzweise in Haft.
Ihr Mann hatte sich schon vor Wochen von ihr getrennt, als sie ihn wild schreiend mit Bierdosen beworfen hatte, wovon eine wie ein Geschoß dicht an seinem Kopf vorbei gesaust war.
Er hatte den fatalen Satz gesagt, sie möge ihm doch bitte ein kühles Bier und die Chipstüte ins Wohnzimmer bringen.
***
Diese Geschichte widme ich meiner Muse Kit und allen Kellnerinnen.