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Ökomanie
Franz lebt Öko. Dem ordnet er alles Andere unter. Deswegen hat ihn auch seine Frau verlassen. Aber solche Kleinigkeiten stören ihn nicht. Öko ist ihm eine Offenbarung, eine neue Religion und Propheten waren schon immer unverstanden.
Brot lässt er einige Tage liegen, damit alle schädlichen Dämpfe entweichen. Nachdem er sich einen Zahn ausgebissen hatte, weicht er es vor dem Verzehr in Regenwasser ein. Da eine Plastiktonne für ihn nicht in Frage kommt, sammelt er das Regenwasser in einem ausgedienten, vergammelten Bierfass. Nun muss er sich beim Trinken die Nase zuhalten, aber die Hauptsache, es ist Öko, auch wenn er beim Trinken verschiedene kleine Lebewesen mit verschluckt.
Tierische Produkte genießt er nur, nachdem er den Glückszustand der Tiere überprüft hat. Jeden zweiten Tag fährt er mit dem Rad etliche Kilometer zu einem Bauernhof, überzeugt sich, ob die Hühner fröhlich umherflattern und erwirbt zwei Eier. Im Stall sucht er lange nach der Kuh, die den emotional ausgeglichensten Eindruck macht und lässt ihr in seinem Beisein den halben Liter Milch abzapfen, den er benötigt. Dann bedankt er sich bei der Kuh. Zu seinem Kummer hat er noch keinen Weg gefunden, auf dem Schlachthof festzustellen, ob das Schwein, das ihm sein Schnitzel lieferte, das Leben in froher Stimmung beendet hat.
Bei Obst und Gemüse dagegen kann Franz seiner Leidenschaft so richtig frönen. Nichts ist verdorrt und verschrumpelt genug, um Öko zu sein. Seine Ernährungsgewohnheiten sind nicht ohne Folgen geblieben. Er wirkt ausgetrocknet und hungrig, gleicht seinem Ökogemüse. Ein verkniffener Zug hat sich in seinen Mundwinkeln eingegraben. Mit mürrischem Gesicht blickt er auf die fröhlichen, satten Mitmenschen herab, die ihr Leben ohne Öko verplempern.
Martin Eberhard Kamprad, Leipzig
[ 19.06.2002, 16:30: Beitrag editiert von: Eberhard_Kamprad ]