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Über Zuständigkeiten im Wartezimmer zur Ewigkeit

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28.02.2002
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Über Zuständigkeiten im Wartezimmer zur Ewigkeit

Ein winziger, schmaler Raum. Sechs Stühle stehen einander gegenüber an den grauen Wänden. Kaltes Neonlicht scheint von der Decke. An jeder der schmalen Seiten befindet sich eine Tür. Ein Verstorbener sitzt auf einem der Stühle. Er ist enttäuscht.
'Das kann doch nicht das Jenseits sein, dieser graue Raum? Wo war der lange Tunnel, wo die Lichtgestalt, die mich in die Ewigkeit führt? Ich bin doch gleich losgegangen und habe ihn gesucht. Weit und breit nur Dunkelheit. Dann dieser Filmriss und hier bin ich. Hm. Dabei war doch bis jetzt alles genauso geschehen, wie ich es geplant hatte. Der Schuss ins Herz, keine Schmerzen, war fast sofort Tod. Oder ist das eine Notaufnahme? Nein, ich bin tot, das fühle ich genau. Mein Hemd ist zwar sauber, aber das hat wohl eher mit einer Art "jenseitigen Instandsetzungsservice" zu tun.
Nun denn. Was wird nun geschehen? Werde ich aufgerufen, kommt jemand, um nach mir zu sehen? Soll ich rufen? Oh Gott, denke ich da nicht in irdischen Kategorien? Kategorien der Zuständigkeit? Vielleicht gelten hier ja ganz andere, oder noch schlimmer, gar keine Regeln? Was wenn nichts passiert? Wenn ich bis in alle Ewigkeit in diesem verdammten, grauen Raum sitzen bleibe? Weil einfach niemand für mich zuständig ist?'
Er bekommt Angst, steht auf und reibt sein Gesicht. Das aber nützt nichts, er fühlt Panik in sich aufsteigen.
"Ruhe, Ruhe!", befiehlt er sich flüsternd und atmet tief durch die Nase. "Jetzt mal sachte. Also, es haben sich durch die Jahrtausende weitaus klügere Menschen, als ich es bin, Gedanken zu diesem Thema gemacht. In jeder Kultur, die jemals von Menschen erschaffen wurden". Seine Stimme klingt, als erteile er einem Schüler Unterricht. "Schamane, Heilige, Weise, Spiritisten, Seher, Geistliche und so weiter. Und all diese sind zum Schluss gekommen, dass das Jenseits irgendwie strukturiert ist. Richtig? Richtig! Die können sich doch nicht alle geirrt haben! Meine ganzen Bücher, meine esoterische Bücher! Gut, sie haben mir nicht aus meinem Elend helfen können, aber von drüben berichtet. Das höhere Selbst, Reinkarnation, wenn man möchte. Liebe."
Er bemerkt, dass sein Selbstbeschwichtigungsversuch nicht funktioniert und nimmt wieder Platz. 'Jetzt sitze ich hier rum in diesem blöden Raum.'
Nach einer Weile: 'Ich hätte noch aufräumen sollen, daheim. Der als nächstes meine Bude betritt wird es sowieso nicht leicht haben. Na, eh schon wurscht. ...Keiner zuständig. Bei wem kann man sich dann beschweren?' Er lässt den Kopf sinken. "Die Türen!" , fällt ihm ein und er springt auf. "Ich Idiot! Ich hau hier einfach ab. Das ist mal wieder typisch für mich, diese Lethargie hat mich mein ganzes Leben begleitet, lieber motzen als handeln. Eigenverantwortlichkeit ist die Devise!". Er hält inne. 'Aber was, wenn ich den Türen nicht trauen kann?', denkt er, wenn sie gefährlich sind? Vielleicht öffne ich nur einen kleinen Spalt und werde in ein ewig brennendes Feuer gezogen? Oder in die Kälte des Universums. Allein. Allein, wie in meinem Leben? Zwei Türen. Eine Himmel, die andere Hölle? Was soll ich nur machen?' Er kratzt sich den Kopf und versucht sich zu konzentrieren. 'Vielleicht wird mir vorgehalten zu ungeduldig oder sogar unbescheiden zu sein, wenn ich eine Tür öffne? Es nicht abwarten zu können. Schließlich ist das hier ja wohl ein Wartezimmer. "So, das war der letzte Test! Anstatt die Dinge hinzunehmen, wie sie sind und in aller Ruhe zu warten, brät sich der feine Herr mal wieder eine Extrawurst. Sie gehen wieder runter, ins tiefste Mittelalter, und zwar als Rothaarige. Viel Spaß noch!"
Er beginnt wieder seine Runden zu drehen. 'War ja klar. Andere werden von Lichtgestalten abgeholt und ich lande hier. Anderen leuchtet die Sonne aus dem Arsch, während ich mein ganzes Leben lang versucht habe ein kleines bisschen Frieden zu finden. Einmal Verlierer immer Verlierer. Immer ich! Immer ich! Ja, ich weiß, Selbstmitleid! Ich kann's nicht mehr hören! Halt! Da ist doch etwas an der Tür!"
Die Tür geht auf, eine ältere, dicke Frau, betritt den Raum. Sie trägt einen Haushaltskittel und hält in einer Hand einen Eimer, in der anderen einen Feudel.
"Wer sind sie?"
"Setzen sie sich mal hin und nehmen die Füße hoch!" kommandiert die Alte.
"Sind hier noch Andere? Ich werde hier langsam nervös. Wie ist das hier eigentl..."
"Sie sollen sich hinsetzen und die Füße hochnehmen!", brüllt sie und sieht den Verstorbenen eisig an. Dieser setzt sich ungelenk und winkelt die Knie an.
"Sie sind doch nicht etwa Gott?" Seine Stimme zittert. Mit einem Schwung schüttet sie den Eimer aus und beginnt zu feudeln.
"Nun sagen sie doch was! Was passiert als nächstes?"
Mit kräftigen und gleichmäßigen Bewegungen bewegt sie den Feudel über den Boden.
"Bitte! Ich kenne hier doch niemanden! Das kann doch nicht so sein. Das ist schließlich meine Ewigkeit, mein Leben nach dem Tod!" Er sitzt weiterhin mit angezogenen Knien, die er mit den Händen umfasst, auf seinem Stuhl. Die Alte wringt das Tuch aus und wischt die zweite Hälfte des Raumes.
"Sehen sie mich doch wenigstens an! Es kann doch nicht genauso beschissen weitergehen, wie es vorher war!"
Die Alte ist fertig und verlässt den Raum. Sie knallt die Tür laut hinter sich zu. Er wirft sich auf den feuchten Boden und beginnt stumm zu weinen. Sein Körper bebt. Er weint minutenlang, nur beim Einatmen macht er Geräusche, die eines Ertrinkenden, der kurz an der Wasseroberfläche Luft holen darf.
Die andere Tür geht auf. Er hält inne und setzt sich erschrocken auf. Eine helle, große Gestalt betritt den Raum. Eine sonnenfarbene Aura umgibt sie.
Für Sekunden herrscht Stille.
"Ach hier bist du!", sagt die Gestalt. "Ich suche dich schon eine ganze Weile.
Was machst du denn hier?"
"Na, ich warte." Er beginnt erneut zu weinen, anders als zuvor, wie ein Kind, das endlich im dunklen Wald gefunden wurde. "Dabei habe ich gleich nach dem blöden Tunnel gesucht , überall. Es war so schwarz. Und dann bin ich hier gelandet."
"Das war der Fehler, mein Freund. Wer abgehohlt werden will, darf nicht suchen gehen. Den Raum hier hast du dir selber gedacht. Immer noch so wenig Vertrauen?" Die Gestalt nimmt den Verstorbenen am Arm und richtet ihn auf.
"Ja, ich hab' viel Pech gehabt im Leben. Nie hat was geklappt."
"Aber jetzt ist alles gut. Komm, wie gehen nach Hause."
Beide verlassen den Raum

 

Hallo,
Ende gut alles gut...trotz Selbstzweifel und stummer Putzfrau schafft der Prot. es also noch in den Himmel - ein Ende, das sein angelesenes esoterisches Wissen also doch noch bestätigt und dann noch die "philosophische" Botschaft, dass er nicht auf die Suche hätte gehen sollen, um zu finden...

Stop erst mal! ich habe die Geschichte schon ganz gerne gelesen, aber das Ende erweckt in mir den Eindruck, du wolltest schnell fertig werden. Schade eigentlich, weil mir die Idee, dass das Wartezimmer und die Putzfrau nur aus seiner Vorstellung geboren sind, ganz gut gefallen hat - aber diese Idee hätte viel mehr mit sich bringen können als ein Wartezimmer und eine Putzfrau... verstehst du was ich meine?

Dein Erzählstil ist manchmal sehr alltagssprachlich mit abgehackten Sätzen, aber das passt auch irgendwie zu dem inneren Monolog...

Meine Kritik ist nicht böse gemeint, sind nur so meine ersten affektiven Gedanken zu einer ganz netten Geschichte...

Gruß, juhulala

 

Hallo Juhulala,

als böse habe ich deine Kritik gar nicht empfunden, vielmehr als Anregung. Auf welche Art hättest du denn diese Geschichte ausgebaut? Den Prot einfach länger in diesem Raum belassen, und weitere selbsterschaffenen Dämonen und Schatten aus seiner Vergangenheit ins Spiel bringen?
Gruss
sebastian

 

tja...

Deine Frage nach der Art des Ausbaus der Geschichte lässt mich stutzen: ich komme zu dem Schluss, dass gerade weil die Vorstellungskraft gerade mal ein Wartezimmer und eine nichtssagende Putzfrau hervorlockt, ist die Idee, dass dies nur von ihm erzeugt ist, wahrscheinlich stärker, wie wenn seine Phantasie vollkommen mit ihm durchgehen würde...
Ich bleibe aber dabei, dass das Ende platt ist...aber frag mich nicht was ich anders machen würde - das soll nur ein Gedankenanstoß sein, eine Infragestellung des Klischees quasi, oder des Voraussehbaren...
Gruß,
juhulala

 

Hi bassimax,

tja, wenn wir wüssten was "danach" auf uns zu kommt.

Die Möglichkeit, es so zu erleben wie dein Prot, ist garnicht so abwegig.
Wenn er schon immer ein Mensch war, der glaubte, auf der Schattenseite des Lebens gestanden zu haben, wird genau das, auf der anderen Seite vorfinden.
Gut dass du keinen Dauerzustand daraus gemacht hast und er noch abgeholt wurde.

Den Raum hier hast du dir selber gedacht. Immer noch so wenig Vertrauen?"
Genau so;)
Ja, ich hab' viel Pech gehabt im Leben. Nie hat was geklappt."
"Aber jetzt ist alles gut. Komm, wie (wir gehen nach Hause."
Beide verlassen den Raum

Dieser Schluß ist wirklich zu banal.
Aber wie besser machen?:hmm:
Vielleicht solltest du schon bei der Putzfrau anfangen.
Sie könnte ihm auf seiner Frage antworten.
Nun sagen sie doch was! Was passiert als nächstes
?"
Sie könnte sagen:" Wie, was passiert als nächstes? Woher soll ich das wissen. Ich putze hier, hab schon mein ganzes Leben lang geputzt. Und nun heb deine Füsse ...
Hier könnte dein Prot die Erleuchtung bekommen und sich von seinem Gedankenmuster lösen. Er muß es spüren. Dann weiß er durch welche Tür er gehen muß. Dahinter wartet sein Engel, der ihn anlächelt, oder auch grinst und ihn dazu beglückwünscht, endlich seinen Weg gefunden zu haben.

So in etwa. Vielleicht bringt dich das noch auf eine andere Idee.:shy:

Ansonsten hat mir deine Geschichte gefallen.:)

lieben Gruß, coleratio

 

Hi Coleratio, hi Juhulala,

es gab ja schon immer diese Erlebnisse von Menschen, die Tod waren und wiedergekommen sind und klassicherweise von dem Tunnel mit der Lichtgestalt berichtet haben. Das gab es auch im Mittelalter, wenn auch seltener, da es keine medizinischen Möglichkeiten gab. Jedenfalls handeln solche Erfahrungen aus dem Mittelalter sehr häufig von Hölle und Feuer. Ein Indiz dafür, dass die Erwartungen, die man im Kopf hat sich erfüllen. Und im Mittelalter wurde viel stärker in Dimensionen von Bestrafung, Teufel usw gedacht.
Ich glaube mittlerweile selber, das das Ende etwas zu hoppla-hopp geworden ist und werde es ausbauen. Mal sehen, was mir einfällt. Die fiese Putzfrau werde ich allerdings so lassen. Die ist schön surreal.
Gruss
Sebastian

 

Hallo bassimax,

sogar im Jenseits müssen wir Menschen also ausbaden, was wir uns antun - auch wenn es ein selbst gedachter Raum ist…
Den Raum, der Auftritt der Putzfrau, das finde ich, ist eine gute Idee. Das Philosophische kommt mir ein wenig zu kurz, aber du wolltest dich ja noch einmal um die Geschichte kümmern.


„Ein winziger, schmaler Raum. Sechs Stühle stehen einander gegenüber an den grauen Wänden. Kaltes Neonlicht scheint von der Decke. An jeder der schmalen Seiten befindet sich eine Tür. Ein Verstorbener sitzt auf einem der Stühle. Er ist enttäuscht.“

Diese Abschnitte lesen sich wie ein Drehbuch, kann man machen, ist aber sehr distanziert.

Noch einige Kleinigkeiten:

„In jeder Kultur, die jemals von Menschen erschaffen wurden".“ - wurde


"Dabei habe ich gleich nach dem blöden Tunnel gesucht , überall.“ – gesucht, überall

„Wer abgehohlt werden will“ - abgeholt

„Beide verlassen den Raum“ – Raum.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

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