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Überzeugungstäter
Wir sind heute auf Drive-By. Wir, das sind Pete der Eso, Miller vom Boxklub und ich. Wir sind schlank, durchtrainiert, Nichtraucher und Sportficker.
Unser Körper ist unser heiliger Gral, nein alle Körper sind heilig und wer seinen Körper beschmutzt und besudelt bekommt die Rechnung, aber nicht auf dem Silbertablett.
Angefangen hat es harmlos, Miller und ich fuhren in seinem Großstadthochsitz, genannt Tuareg, Richtung trauten Heimblock. Wir kamen vom Training, ich Kickboxen, er klassisch, findet beides in der gleichen Halle statt, also war eine Fahrgemeinschaft ökologisch angebracht. Natürlich auch ökonomisch, jedenfalls für mich.
Es war ein heißer Abend, die Luft stank nach weichem Teer. Wir mussten an einer Ampel halten, rechts eine Haltestelle, wo ich angeekelt einen unglaublich fetten Mittdreißiger beobachtete. Wie er sich wälzte in einer seltsam breiten Spur, damit die Schenkel nicht so aneinander rieben, ein zeltartiges Hawaihemd angeklatscht an den Titten.
Er hatte eine Plastiktüte in der Hand und ließ sich schnaufend auf der Bank der Haltestelle nieder. Kaum saß er, griff er in die Tüte und holte einen Laib Brot hervor. Ich dachte noch Whatthefuck, dann biss er hinein, es war einfach sein Vesperchen, ein kleiner Imbiss, während er auf den Bus wartete.
Ich machte Miller auf ihn aufmerksam, der schüttelte angewidert den Kopf. Ich ließ das Fenster runter und der Schweinebratengeruch knackte eine Sicherung in meinem Schädel.
„Na, schmeckt´s dir du fette Sau, hm? Jaaa, das ist gut, ein bisschen was auf die Rippen kriegen, was? Ja schling es dir rein du Abfall, friss friss friss!“, schrie ich.
Miller beugte sich über mich und brüllte aus dem offenen Fenster: „Ja, mehr davon, hau rein, ja das schmeckt dir dickes Schweinchen, ah ist das lecker! Ich könnte kotzen!“
Der Dicke war völlig fassungslos, sein fettverschmierter Mund ein abstoßender, glänzender Anus, die Backen noch vom letzten Bissen vollgehamstert.
Die Ampel war längst grün, wir fuhren lachend weiter. Das war sozusagen unser erster Drive-By, er erzeugte in uns ein Gemeinschaftsgefühl, das keiner von uns so gekannt hatte, wir hatten einen Konsens gefunden: Wir hassten beide fette Menschen. Das war einfach, konkret und überprüfbar und grenzte uns ab. Und es machte höllischen Spaß.
Die Drive-By wurden häufiger, die Beschimpfungen noch gröber, dann überschritten wir die nächste Schwelle. Wir trainierten nun bereits fünf Mal die Woche, jeder Muskel war perfekt definiert, unsere Ernährung akribisch abgestimmt. Deshalb wunderte ich mich, warum Miller bei der Heimfahrt einen Abstecher zum Würger-King machte. Er grinste nur vielsagend, stieg aus und kam mit einer Riesentüte Hamburger zurück, sicher 10 Stück von dem Fraß.
Es trieben sich überall Fette herum, es war eine Epidemie, wir mussten nie lange suchen. Doch diesmal schrien wir nicht mehr nur, wir sprangen aus dem Wagen, mitten hinein zwischen die Leute auf dem Bürgersteig, die auseinanderspritzten wie Wasser. Ich hielt das fette Mädchen, es war noch jung, eine zusätzliche Schande, während ihr Miller die Burger in den Mund stopfte.
„Na, ist es jetzt einmal genug, komm schon, friss, sonst schmeckt´s dir auch so gut, hau doch rein, komm mehr mehr, ja so ist´s brav, schön runterschlucken, ja, so gefällt´s dir was?“, schrie Miller und wischte sich schließlich die Fettfinger an ihrer Wampe ab.
Dann sprangen wir wieder in den Tuareg und quietschten davon. Lachend, aber mit klopfenden Herzen. Doch es passierte nichts. Niemand zeigte uns an. Die Leute hatten einfach zugesehen, sogar ein wenig gelacht, es tauchte ein Video davon im Internet auf, das jemand mit dem Handy gemacht hatte und großen Beifall fand.
Ein Kommentar: „Endlich zeigt es jemand diesen abstoßenden Parasiten unseres Gesundheitssystems!“
Wir fühlten uns bestätigt und erlangten durch unsere Aktionen bescheidene Berühmtheit und auch ein paar Anhänger.
Einer davon war Pete, der heute mit von der Partie ist.
Pete ist ein anderer Typ, er ist kein Sportler, wie ich und Miller, er ist ein Veganer und Esoteriker, aber er teilt unsere Abscheu vor den Fetten, eben aus anderen Gründen. Er möchte den veganen Lebensstil für alle durchsetzen und arbeitet selbst daran, sich nur mehr von Prana, von Lichtenergie zu ernähren. Dementsprechend sieht er auch aus, ein Klappergestell, Oberarme wie Bleistifte. Er trägt einen schwarzen Vollbart und sieht einen aus dunklen Augen immer von unten an, ohne viel zu sagen.
Pete interessiert sich nicht für die gewöhnlichen Aktionen, ich hätte auch Angst um ihn, wenn so ein Fettwanst auf ihn drauf fallen würde – nicht auszudenken. Aber heute ist er dabei, heute passiert kein gewöhnlicher Drive-By, heute jagen wir den Würger – King in die Luft. Dafür brauchen wir Pete, denn er hat das technische Know-How und auch ein paar obskure Verbindungen.
Es ist Nacht, wir parken den Tuareg ein paar Straßen weiter, schnappen uns die Rucksäcke und gehen zum King. Die Fettschleuder ist beleuchtet, aber das sind sie ja immer, es ist drinnen keiner zu sehen. Keiner von uns ist ein versierter Einbrecher, wir haben uns für die robuste Methode entschieden.
Ich umwickle meine Hand mit einem T-Shirt, packe den mitgebrachten schweren Hammer und schlage auf ein Fenster ein. Zu einfach. Es ist kein Alarm zu hören, ich schlage beinahe die ganze Scheibe aus dem Rahmen.
Die Plastikflaschen in den Rucksäcken sind gefüllt mit Benzin, Pete hat seinen Angaben nach noch etwas „Deftigeres“ mitgebracht. Ich laufe durch den Restaurantbereich und verteile den Inhalt meiner zwei Flaschen auf den Plastikbänken, Miller und Pete stürmen in die Küche.
Ich habe das Zippo in der Hand und warte nur noch auf das Zeichen der Beiden, ich will endlich verschwinden. Ungeduldig gehe ich in den Küchenbereich. Miller grinst über beide Ohren und wirft die leere Plastikflasche weg, Pete lässt gerade eine Handgranate in die eklige Frittierwanne fallen.
Die Explosion kommt viel zu früh. Pete erwischt es sofort, Miller und ich werden von brennendem Fett überschüttet. Miller bricht nach wenigen Schritten zusammen, ich schaffe es, vor Schmerz beinahe blind, nach draußen.
Lichter blinken, ich laufe darauf zu, es ist ein Streifenwagen. Ein fetter Polizist steht mit dem Funkgerät in der Hand da und starrt auf die Fackel, die ich bin.
Es wird dunkel, ich stolpere noch ein paar Schritte auf ihn zu und falle. Als er sich über mich beugt, kann ich noch flüstern: „Ihr habt es geschafft, ihr fetten Schweine.“