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Dies hier ist für dich.
Für dich, dessen Existenz niemand für möglich hält. Niemand außer mir. Für dich, dessen Existenz noch nicht im geringsten belegt ist, außer für mich. Für dich, weil ich weiß, dass du bereits existierst. Dass du hier bist. In mir. Ich weiß nicht wer du bist, ich weiß nicht wer du sein wirst, ich spüre nur, dass du da bist. Ich habe keine Vorstellung von dem, was mit dir geschehen wird, ich habe keine Ahnung davon was die nächsten Tage, Wochen, Monate und Jahre bringen werden... ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich liebe, schon jetzt. Wie groß magst du nun wohl schon sein? Vielleicht einen Zentimeter? Ich weiß es nicht, eigentlich ist es auch egal, denn du bist da und das zählt. Ich schreibe nur, weil ich hoffe, du wirst verstehen, vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann... Was auch immer mit dir geschehen wird, vergiss nicht, dass ich dich liebe!
Ich bin noch ein Kind, genau wie du. Sollte ich mich dafür entscheiden, dass es das beste für dich ist zu leben, werde ich 17 Jahre alt sein, wenn du deinen ersten Atemzug machst. „Sollte ich mich dafür entscheiden, dass es das beste für dich ist zu leben“ – wie hart das klingt, wie desillusionierend, wie grausam... Das grausamste jedoch ist, dass es der Realität entspricht.
Ich bin ratlos, weißt du. Absolut ratlos. Ich weiß weder ein noch aus, verstehst du. Mein Leben, vor allem aber dein Leben, wird nicht einfach werden, niemals. Die Zeit, die ich dir schenken kann wird, so sehr ich mich auch bemühe, immer begrenzt sein, von den finanziellen Mitteln ganz zu schweigen. Und – „von Luft und Liebe leben“, so schön das auch klingen mag, so wunderbar es im ersten Moment auch scheinen mag, die Realität sieht anders aus und ich fürchte es ist schier unmöglich. Und auch die Meinung deines Papas wird für meine Entscheidung wichtig sein. Nicht dass du denkst, er hätte mich in der Hand, er könnte über dein und mein Leben entscheiden. Nein, keine Angst, das ist es nicht. Es ist nur... auch er hat nur ein Leben, auch er ist nur ein Mensch... und seine Ansichten sind mir nicht egal, es ist mir wichtig was er denkt - ich liebe ihn sehr, weißt du. Natürlich, er ist älter als ich. Um einiges älter sogar. Aber.... so leid es mir tut ist er in Wahrheit wohl genau wie ich, alles andere als im Stande, dir das zu geben, was du brauchst um leben - um glücklich leben - zu können.
Verstehst du, sollte ich dich umbringen lassen... es ist nicht, weil ich dich nicht liebe, es ist nur... vielleicht hast du ein besseres Leben verdient, als das, was ich dir hier und heute bieten kann.
Und sollte ich mich, was ich beinahe mehr als alles andere hoffe, für dich, für dein Leben, entscheiden, so stellt sich die Frage, ob du bei mir bleiben wirst. Wobei ich dich, sobald ich dich einmal in meinen Armen gehalten habe sowieso nie wieder hergeben kann und sich dieses Thema somit erübrigt. Wenn ich mich einmal für dich entschieden habe, dann ohne Wenn und Aber. Es ist nur.... ich will dass du eines weißt. Egal wie meine Entscheidung fällt, sie wird immer „für dich“ sein. Vielleicht gegen dein Leben, aber zumindest in meinen Augen dennoch für dich.
Niemand wird mich verstehen, Kleines. Niemand. Alle werden sie mich fragen, wie ich dieses Risiko nur eingehen konnte, dieses Risiko mit 16 schwanger zu werden. Und weißt du, ich wollte ja die Pille nehmen, ich wollte wirklich. Doch dein Großvater konnte den Gedanken nicht verkraften, dass seine Tochter von nun an mit einem Jungen schläft. Er dachte er könnte verhindern, was ohnehin nicht aufzuhalten war. Er dachte keine Pille bedeutet kein Sex, deswegen Veto. Deswegen du. Dabei ist es mir im Grunde völlig egal, ob all die anderen verstehen werden. Hauptsache du verstehst.
Egal was ich tun werde, egal welche Entscheidung ich treffen werde, sie alle werden mich zerreißen mit ihren Worten, mit ihren Blicken. Sie werden mich verurteilen, sollte ich dich umbringen und sie werden gaffen und sich den Mund fusselig reden, sollte ich stolz meinen dicken Babybauch präsentieren. Weißt du, beinahe hätte ich Lust, das wirklich zu tun. Ihnen allen unter die Nase zu reiben, dass ich glücklich bin mit dir. Dass ich diese Herausforderung annehme und dass ich mich nicht schäme für dich. Manchmal glaube ich wirklich, zusammen mit deinem Paps und meinen besten Freunden könnte ich das schaffen mit dir. Notfalls auch alleine. Beinahe freue ich mich auf dich, manchmal. Doch dann bekomme ich Angst vor dir, vor dem fremden Wesen in meinem noch so schrecklich dünnen, beinahe kindlichen Bauch. Ich bekomme solche Angst, dass ich glaube ersticken zu müssen, an all den Gedanken, die meinen Schädel zum Platzen bringen. Ich weiß nicht weiter, wirklich nicht... vor allem werde ich mit deinem Paps sprechen müssen. Bald. Ich fürchte, auch er hat ein Recht darauf, zu erfahren, was nur wir beide wissen. Ich fürchte nur nichts mehr, als seine Reaktion auf dich, auf uns. Und dennoch werde ich mit ihm reden, ich brauche ihn doch so, gerade jetzt. Mit meinen Eltern werde ich auch reden müssen, aber das ist eine andere Geschichte... vielleicht ziehe ich auch für ein paar Wochen zu Oma, wenn mir das alles zu viel wird hier, wir werden sehn. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll, aber ich fürchte es wird weitergehen, alles geht ja schließlich irgendwie irgendwann weiter, alles geht seinen Weg... wir werden sehn, welchen Weg wir beide gehen werden, mein Kleines...