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1. Mai

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04.03.2002
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1. Mai

Wir sitzen auf dieser Anhöhe. Haben einen tollen Blick in das Tal. Dieser Blick gibt uns das Gefühl dieser Unendlichkeit, dieser Unsterblichkeit, als könnte uns keiner etwas. Mein Freund macht die Flasche Weißbier auf, füllt das Weizen-Glas und gibt es an mich weiter. Ich nehm einen Schluck und leg mich auf die Decke zurück. Will einfach nur den beiden Karten spielenden Mädchen zuschauen oder genießen, wie die zwei Jungs sich über das korrekte Entfachen einer Grillglut streiten, während mein dritter Freund die Weizengläser füllt und seine Freundin es mir gleich tut. "Was gibt es schöneres?" geht es mir durch den Kopf. "Eine kleine Wanderung mit Freunden, verbunden mit einer Grillparty in kleinem Kreis." Da stören auch die wenigen Regentropfen nicht. Ich schließe meine Augen und genieße es, hier zu sein. Ein bisschen mit Freunden zu feiern, kein Gelage, sondern nur ein bisschen Spaß haben. Ein Handyklingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Es hat diesen bedrohlichen Unterton, dieses Etwas, das uns den Tag zerstören kann.
"Hallo?" meldet sich mein Freund am Handy. "Wann sollen wir ihn besuchen?" Jeder von uns weiß sofort, wer gemeint ist: Ein alter Lehrer, der ins Krankenhaus eingeliefert wurde - Bauchkrebs. Für uns ist er mehr als ein Lehrer. Er ist ein Freund, schon lange duzen wir ihn. Nächtelang haben wir Skat gespielt oder sind seiner Leidenschaft nachgegangen: Irgendwelche 3D-Graphiken für einen Wettbewerb zu modellieren.
"Oh!" sagt mein Freund plötzlich. Er ist gestorben, fährt es mir durch den Kopf. Letzte Nacht. Die erste Chemotherapie hatte nicht angeschlagen, für die zweite war es zu spät gewesen.
"Ich bin ganz zuversichtlich, dass ich bald hier raus bin!" sind seine letzten Worte, die in meinen Ohren nachklingen. Wir hatten ihn besucht, ich hatte ihm den fernseher angeschlossen. Und jetzt lebt er nicht mehr, und dieses Wissen verursacht in mir ein ganz komisches Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben. Ich kann es nicht einmal richtig fühlen, denn ich fühle mich schlecht dabei.
Ganz still ist es um uns geworden, als mein Freund uns mitteilt, dass er tot ist. Eine weibliche Stimme sagt: "Oh Nein! Scheiße!" Ich kann nicht unterscheiden, ob es eine der Kartenspielerin oder das dritte Mädchen ist. Unwillkürlich fliegt mein Blick auf die Häuser unter der Anhöhe, auf der wir sitzen. "Schon kurios," breche ich kurz das Schweigen. "Dass wir ausgerechnet heute in die Nähe seines Heimatdorfes wandern." Keiner antwortet. Es bleibt still unter uns. Ich muss meine Augen reiben, fühle, wie müde ich doch eigentlich bin.
Belanglosigkeiten gehen mir durch den Kopf. Hab ich die Hausaufgaben für morgen gemacht? Seit wann kümmern mich Hausaufgaben? "Samstag oder Dienstag ist die Beerdigung!" sagt einer meiner Freunde - der, der telefoniert hatte. "Dienstag wäre scheiße!" antworte ich. "Da haben wir Sport-Abi!" Um mich herum nicken sie bloß.
"Warum trifft es immer die Falschen," frage ich mich mehr als einmal in Gedanken. Kurz nach meiner Grundschulzeit starb unser damaliger Lieblingslehrer. Bald darauf starb unser Kunstlehrer, der sich immer durch sein jugendliches Verhalten auszeichnete und deshalb für uns sympathisch war. Und jetzt unser Mathelehrer, den wir als Freund schätzten. "Trifft es überhaupt mal die Richtigen?" frage ich mich selbst im Gegenzug.
Wir versuchen den Übergang zur Normalität, grillen unsere Würstchen und die Kartoffeln, aber Stimmung will keine mehr aufkommen. Man kann zwar über den einen oder anderen Witz man noch lachen, trotzdem haben wir das Bedürfnis nach Hause zu gehen. Wir machen uns auf den Heimweg. Ich spreche kaum ein Wort mit meiner Nebenfrau. Hey Jude, Wish you were here, Stairway to Heaven - das ist es, was mir durch den Kopf geht. Und immer wieder das Bild von dem Mann, der über seine eigene Krankheit lachen konnte. "Ich werde doch immer weniger", scherzte er, während er Daumen und Zeigefinger um sein Handgelenk legte, um auf seinen Knochenschwund aufmerksam zu machen. Unwillkürlich muss ich lächeln. Es ist zwar nur ein kleines, kaum vernehmbares Lächeln, aber es gibt mir ein Gefühl von Zufriedenheit. Denn er hatt ein Lebensziel erreicht: Den Spaß am Leben bis zu seinem plötzlichen Ende.
Langsam kommen wir zu unserem Treffpunkt zurück. Der Leiterwagen wird leer gemacht und ins Auto gepackt. Wir verabschieden uns, machen uns auf den Weg heimwärts. Würde ich es besser verkraften, wenn ich eine Freundin hätte? Wenn ich jemand hätte, den ich jetzt umarmen könnte, mit dem ich mich austauschen könnte? Gehe nach Hause, morgen nicht in die Schule. Während ich in den BMW meines Vaters steige, bekomme ich Angst - vor morgen.

in memoriam an unseren Hermann!

In der Schule war er unser Lehrer, zu Hause unserer Freund, mit dem wir soviel lachen konnten und der bis zu seinem Tod über sich selbst lachen konnte.

Christoph Kruppa, 2. Mai 2002

 

Hallo!

Ich kann es irgendwie nicht glauben. Noch wenige Wochen haben wir zusammen gelacht, wenige Wochen waren wir noch so gut drauf, obwohl wir wussten, dass er einen Tumor im Bauch hat. Und jetzt soll er tot sein? Werden wir nie mehr dieses breite Grinsen auf dem Schulgang sehen? Werden wir keine Nacht mehr zusammen Skat durchzocken können?

Schreiben hilft mir, das Unangenehme zu verkraften. Dennoch stellte sich mir die Frage, ob ich diese Geschichte hier veröffentlichen soll. Sehr persönlich sind meine Gedanken, ich gebe meine Schwächen frei, aber irgendwas hat mich trotzdem dazu gezwungen, die Geschichte zu veröffentlichen. Wahrscheinlich war es der Drang, mich anderen mitteilen zu müssen, der Drang, der bei mir nach Unangenehmen aufkommt, mit jemanden darüber reden zu müssen.

cu_christoph

"Life´s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage,
And the is heard no more: it is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury,
Signifying nothing."
Wiliam Shakespeare, Macbeth

 

Hi Chris.

Ich möchte eigentlich nicht viel sagen, sondern dir nur mein Beileid ausprechen.

Stille Grüsse, Gam.

 

Sorry Nike, wollte ich nicht damit bezwecken!

Du kanntest ihn ja auch, deshalb kannst du wahrscheinlich am besten mitfühlen. Hatte einfach das Bedürfnis, meine Gefühle aufzuschreiben und sie anderen mitzuteilen.

Ich finde auch, er hatte es verdient, eine Geschichte zu bekommen...

cu_christoph

 

Hallo Christoph,

eine einfühlsame Geschichte hast du da geschrieben und es ist eigentlich erschreckend, dass die Gedanken, die du in diesem Text beschreibst, zu den ganz normalen Dingen gehören. Verlust und das Nachdenken darüber gehört fest zu jedem Leben. Auch die Frage nach der Einsamkeit hat sich jeder schon einmal gestellt. Es ist ein bedrückendes Gefühl, bei dem man sich selbst sehr nahe ist und glaubt, dass niemand anderes nachfühlen kann, was in einem selbst vorgeht. Aber so abgedroschen es auch klingt: Es geht weiter. Es geht immer weiter und Gefühle verschwinden, oder werden durch andere ersetzt.
Ich will diesen Text gar nicht als eigentlich Kurzgeschichte kritisieren, da sie wie von dir gesagt, sehr viel persönliches beinhaltet, aber dennoch werde ich der Form halber auf ein paar Fehler im Text hinweisen:

die zweite zwar schon, aber da war es schon zu spät gewesen.
- zweimal schon; liest sich etwas unschön

Seid wann kümmern mich Hausuafgaben?
- Seit, Hausaufgaben

der sich imer durch
- immer

aber Stimmng will keine mehr aufkommen
- Stimmung

der über seine eigen Karankheit lachen konnte
- Krankheit

Einen lieben Gruß...
morti

 

mein beileid!
aber trotzdem gehört die geschichte doch eher in die kategorie alltag!

riot

 

Hallo morti,

huch, die Geschichte ist ja schon alt. Danke für die Worte, auch wenn es für mich schon lange weiter geht. Denn am schönsten sind heute die alten Geschichten, die wir uns von ihm erzählen können.


Hallo Rick Riot,
wie schon gesagt, die Geschichte ist schon alt. Damals überwiegte eben die "seltsamen" Gedanken, deshalb habe ich wohl die Geschichte in einem Schnellschuss hier gepostet. Mittlerweile weiß auch ich, dass sie eigentlich nicht hierher gehört...
Werde den Antrag zum Verschieben der Geschichte sofort stellen ;)

cu_chris

 

Auf Wunsch des Autors von Seltsam nach Alltag verschoben.

 

Ich hoffe, es erscheint nicht vollkommen respektlos, wenn ich den Text als ein Stück Literatur betrachte und ebenso damit verfahre, wie ich es bei einer fiktiven Geschichte tun würde. Ermutigt sehe ich mich durch Deine Aussage im letzten Posting, daß für Dich das Leben längst weitergehe. Falls Dich das aber dennoch stören oder gar verletzen könnte, solltest Du besser hier aufhören weiterzulesen, meinen Kommentar löschen lassen.

Mehrere Anläufe habe ich gebraucht, um den Text überhaupt zu verstehen. Da Du zum Beispiel darauf verzichtest, den Freunden Namen zu geben, wirken einige Formulierungen etwas merkwürdig. Gerade, als wolltest Du die Beliebigkeit von Menschen damit zum Ausdruck bringen. Das bringt aber auch mit sich, daß ich als Leser den Gedanken und Geschehnissen nur sehr schlecht folgen kann.

Auch habe ich erst beim dritten Lesen verstanden, daß gar nicht das Handy des Protagonisten klingelte, und daß bei diesem Anruf die Nachricht vom Tod des Lehrers übermittelt wird. Zunächst dachte ich, der Gedanke an ihn, der Wunsch, ihn zu besuchen, sei aus Gewohnheit gekommen, überrascht von dem eigentlichen Wissen, daß er schon tot ist, ganz, als hätte man das vergessen. Vielleicht untersuchst Du die Formulierungen noch einmal kritisch darauf.

Der Rest ist eigentlich nur Textkram. Da Du in einem Kommentar geschrieben hast, es habe sich nur um einen Schnellschuß gehandelt, inzwischen auch einige Zeit vergangen ist, hast Du vielleicht den Willen und Abstand, an den Formulierungen des Textes etwas zu verändern.

Also, Vorschläge und Details:

  • das Gefühl dieser Unendlichkeit, dieser Unsterblichkeit, als könnte uns keiner etwas. - mir gefiele "das Gefühl von Unendlichkeit/ Ewigkeit" besser; die Formulierung "als könnte uns keiner was" finde ich sehr schön und passend
  • wie sie zusammen Karten spielen oder genießen, wie die zwei Jungs sich darüber streiten, wie man eine Grillglut entfacht, während mein dritter Freund die Weizengläser füllt und seine Freundin dasselbe wie ich macht. - "wie" taucht viermal auf; "dasselbe wie ich macht" ist ein wenig verunglückt
  • mit einem kleinen Grillen - Ist mir zu umgangssprachlich.
  • Ich schließe meine Augen und genieße es hier zu sein. - Komma nach "es"
  • meldet sich mein Freund - Weshalb hier kein Name?
  • der aufgrund von Bauchkrebs ins Krankenhaus eingeliefert wurde - "aufgrund von" klingt merkwürdig, wie wäre "wegen"
  • Für uns war er mehr - Die Zeitenfolge ist hier und im Folgenden etwas merkwürdig. Ist an dieser Stelle ein "war" bereits gerechtfertigt? An anderen Stellen verwendest Du Präsens.
  • Mir fährt es als erstes durch den Kopf - er ist gestorben. Letzte Nacht war es soweit gewesen. - Wie wäre: "Und plötzlich weiß ich: er ist gestorben. Letzte Nacht."
  • sind seine letzten Worte, die in meinen Ohren nachklingen - Hier vielleicht besser "waren seine letzten Worte"?
  • ich hatte geholfen, den Fernseher für ihn einzustecken. - vielleicht "ich hatte ihm dabei geholfen, den Fernseher anzuschließen"?
  • Ich kann es nicht einmal richtig fühlen, denn ich fühle mich schlecht dabei. - Erscheint mir nicht stimmig.
  • Seid wann kümmern mich - "Seit"
  • der sich immer durch sein jugendliches Verhalten auszeichnete und uns so sympathisch machte - der erste Teil klingt sehr künstlich, der zweite kann so nicht richtig sein: der Lehrer macht die Schüler sympathisch?
  • frage ich mich selbst im Gegenzug. - "im Gegenzug" erscheint mir als nicht richtig, wenn es der gleiche 'Sprecher' ist.
  • haben wir das Bedürfnis nach Hause gehen - "nach Hause zu"
  • Ich spreche kaum ein Wort mit meiner Nebenfrau - Nebenfrau? Weshalb kein Name, z.B.: "mit Janine/ Berta/ Anna, die (ebenso stumm) neben mir geht."
  • dieses Bild von diesem Mann - "dieses [...] diesem"
  • seine eigen Krankheit - "eigene"
  • Unwillkürlich muss ich lächeln. Aber nur eines, ein ganz kurzes, kaum vernehmbares. - Da stand wohl mal das Substantiv "Lächeln". Jetzt hat "eines" keinen Bezug mehr.
  • Er hatte die Lust am Leben, bis zum Schluss. - Ohne Komma, denke ich, und: "Lust am Leben" mißfällt mir.

 

Danke cbrucher für die Kritik,

hätte ich keine ehrliche Kritik gewollt, hätte ich die Geschichte wahrscheinlich nicht veröffentlicht :D

Trotzdem denke ich, dass ich außer den Formulierungen, die mir aus deinem Posting heraus stimmig scheinen, nichts an der Geschichte ändern werde. Wie gesagt, es ist genau das Gefühl, das ich damals hatte. Ich hoffe, du fasst das jetzt nicht als Arroganz oder Faulheit auf.
Dass du es nicht so richtig verstanden hast, mag daran liegen, dass ich damals wohl etwas konfuse Gedanken hatte.

Nochmals Danke
Chris

 

Hallo Christoph!

Wir kennen uns noch nicht, aber ich muss dir einfach was zu Deiner Geschichte schreiben. Ich finde, sie kommt genauso rüber, wie sie wahrscheinlich wirken soll. Ich hab alles verstanden, war an keiner Stelle verwirrt und finde, Du hast das alles gut umgesetzt.
Um es kurz zu machen: Deine Geschichte ist mehr sehr ans Herz gegangen.

Liebe Grüße,
aneika

 

Hallo Christoph,

Es sind die Geschichten, welche jedem von uns Tag für Tag passieren können. Es erschreckt mich nur, dass ich mir anscheinend immer wieder gerade diese Art der Geschichten (welche das Leben schreibt) suche um sie zu lesen und dass gerade dann, wenn es aufhört weh zu tun.
Wenn ich denke das Leben hat mich wieder.
Dann steht irgendwo: "Der zweite Februar".

Danke für deine Geschichte.

Liebe Grüße
Alexandra

 

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