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21.3.2000
21.3.2000
Sammy und ich saßen im Denny’s; sie hatte sich ein Club Sandwich und einen Eistee bestellt, ich einen Caesar Salad mit Hähnchen und ein Sprite. Während sie eine Nachricht eingab schwang der Snoopy-Anhänger an ihrem Handy zufälligerweise zum Rhythmus des mittelmäßigen Popsongs, der gerade aus den Boxen kam, hin und her. Einen Moment lang konzentrierte ich mich auf den Text, dann wurde er mir zu blöd. Zum Glück steckte Sammy gerade in diesem Augenblick ihr Telefon weg, und fragte mich, was wir heute Abend machen sollten.
„Keine Ahnung“, sagte ich.
Sammy zog ihre Unterlippe ein, kratzte sich hinter ihrem rechten Ohr, und rollte kurz mit den Augen. „Gehen wir doch ins Yellow Cab“, sagte sie schließlich. „Ich hätte mal wieder echt Lust auf Cocktails.“
„Kein Problem“, sagte ich. Sammys Großmutter, die ihr sehr nahe war starb vor zwei Wochen, und ich versuchte ihr das Leben so einfach wie möglich zu machen. Nachdem wir diese einfache Entscheidung getroffen hatten, saßen wir eine Weile stillschweigend und gedankenverloren da. Ich stellte mir vor, dass Sammy ohne Kleider vor mir sitzt.
„Woran denkst du gerade?“, fragte sie mich.
„Ach nichts,“ sagte ich. „Ich überlege nur, wann ich meinen Rückflug buchen soll.“
„Sag mal, hast du dir schon einmal überlegt ein Motorrad zu kaufen?“
„Nicht wirklich.“
„Ich finde das wäre toll“, sagte sie. „Ich meine, wenn du ein Motorrad hättest.“
„Hmm.“
„Ich würde mir eine Afro-Frisur machen lassen, und hinter dir sitzen, während wir durch die Berge fahren.“
Ich ließ mir den Satz ein paar mal durch den Kopf gehen, aber ich verstand nicht was sie meinte.
„Wozu willst du dir eine Afro-Frisur machen lassen?“
„Na wie in diesem Film“, grinste sie mich an. „Easy Rider!“
„Ach so,“ sagte ich, als ob ich jetzt wüsste wovon sie spricht. Ich hatte den Film zwar nur einmal, und mehr oder weniger im Halbschlaf gesehen, konnte mich aber eigentlich nicht an jemanden mit Afro-Frisur erinnern.
„Na gut“, sagte ich nach einem letztem Schluck Sprite, und einen Eiswürfel kauend. „Gehen wir zahlen."
Vor der Kasse staubsaugte eine der Kellnerinnen gerade den türkis-rosaroten Teppich, auf dem ein lächelnder Delphin abgebildet war. Auf einmal blieb Sammy stehen, und fasste sich ans rechte Ohr.
„Was ist los?“ fragte ich.
„Ich glaube mein Ohrstecker ist gerade rausgefallen“, sagte sie. „Siehst du ihn irgendwo?“
Ich suchte den Teppich ab, aber er war einfach zu bunt, um einen kleinen Ohrstecker auszumachen. Sammy war schon auf allen Vieren und tastete den Boden ab.
Die Kellnerin schaltete den Staubsauger aus. „Haben Sie etwas verloren?“
„Ja, meinen Ohrstecker“, antwortete Sammy.
„Hoffentlich habe ich ihn nicht aus Versehen aufgesaugt. Einen Moment, ich sehe einmal nach,“ sagte die Kellnerin, öffnete den Staubsauger, und nahm den Staubbeutel heraus.
„Ich zahl mal eben,“ sagte ich, und ging an die Kasse. Als ich fertig war, hatte Sammy den Ohrstecker immer noch nicht gefunden, aber die Kellnerin breitete mittlerweile den Inhalt des Staubbeutels auf dem gesamten Boden aus. Eine fast surreale Szene.
„Bist Du Dir sicher, dass du den Ohrstecker wirklich hier verloren hast? Vielleicht ist er ja auch wo anders herausgefallen,“ meinte ich.
„Kann sein. Ich glaube aber das war hier,“ sagte Sammy.
„Wie teuer war er denn?“
„Er war doch ein Geschenk von Dir,“ sagte Sammy enttäuscht.
Einen Moment überlegte ich, ob sie nun mehr enttäuscht war, weil sie den Ohrstecker verloren hatte, oder weil ich vergessen hatte, dass ich ihn ihr geschenkt hatte.
„Pass mal auf. Ich glaube nicht, dass du den Stecker jetzt noch findest. Ich kauf dir einfach einen neuen. Gehen wir jetzt lieber.“
„Okay,“ sagte Sammy, immer noch entäuscht, und stand auf. „Aber du musst es versprechen.“
„Kein Problem,“ sagte ich. „Obwohl dein Ohr ohne Stecker genauso gut aussieht.“
Vor dem Denny’s riefen wir uns ein Taxi, und fuhren zum Yellow Cab, in dem Lena, Roen, und Sho schon auf uns warteten, und kräftig am bechern waren.
„Hey, was ist los?“, begrüßte uns Roen, und drückte uns zwei Drinks in die Hände. „Gut, dass ihr endlich hier seid. Wo wollt ihr denn auch sonst hin?“
Irgendwann gegen drei Uhr beschlossen wir zu gehen. Da wir alle Hunger hatten wollten wir noch zusammen ein paar Burger futtern gehen.
„Ich bin mit dem Auto da,“ meinte Sho.
„Bist du dir sicher, ob du noch fahren kannst?“ fragte Sammy skeptisch.
„Ach Quatsch!“ sagte Roen. „Das packt der doch locker. Das ist ein echter Mann!“
Lena lächelte verlegen.
Im Auto saß Lena vorne, neben Sho, während Roen und ich hinten, mit Sammy in der Mitte waren. Sho schaltete den CD-Spieler ein, und wir fuhren los.
„Und? Wie geht’s?“ fragte Roen.
„Alles klar“, meinte Sho.
Wir bogen auf die Landstraße ein, und ich blickte aus dem Fenster. Wir fuhren an einer Tankstelle vorbei. Dann ein Supermarkt, leere Bürogebäude, und eine Spielhalle. Die Regentropfen, die noch auf der Fensterscheibe klebten, ließen die Lichter verschwommen und abstrakt schimmern. Vielleicht war es aber auch der Alkohol und die Müdigkeit. In solchen Augenblicken frägt man sich jedenfalls oft, ob man sich überhaupt selbst kennt. Wie man an diesen Ort geraten ist, und wo man überhaupt hin will.
Ich legte meinen rechten Arm um Sammy, und begann ihr Ohr zu streicheln. Dann bemerkte ich einen Ohrstecker.
„Häh?“ Ich wollte Sammy darauf ansprechen, aber plötzlich wurde die ganze Luft aus meinen Lungen gepresst. Meine Eingeweide bewegten sich nach oben. Auf einmal spührte ich einen gewaltigen Aufprall, und ich wurde aus meinem Sitz gerissen. Danach bewegte sich der Wagen nicht mehr, und ich hing, umgekehrt, im Sitzgurt. Absolute Stille.
„Scheiße, das war ein Unfall,“ dachte ich mir.
„Alles in Ordnung?“ fragte ich.
Sammy klammerte sich an mich, und Lena öffnete schon ihre Tür.
„Bei mir schon, glaube ich,“ meinte Roen. „Was ist mit Sho?“
Ich kletterte aus dem Wagen, und lief zur Fahrerseite. Die Tür ließ sich nicht öffnen.
„Alles klar!“ hörte ich auf einmal Sho rufen, und ich sah, wie er sich abmühte den Sitzgurt zu lösen. Lena, Sammy und Roen waren inzwischen auch schon ausgestiegen.
„Scheiße, den Wagen hat’s ganz schön erwischt“, meinte Roen. „Das wird teuer, das Dach zu reparieren.“
„Sind nur wir in dem Unfall?“ fragte ich.
„Ja, hab die Kurve nicht erwischt,“ sagte Sho, der nun auch ausgestiegen war. „Was machen wir jetzt am besten?“
„Wenn wir alle anpacken, können wir den Wagen umdrehen“, meinte Roen. „Wo geht Sammy denn hin?“
Ich blickte hinter mich. Sammy ging geradeaus in das dunkle, brache Feld hinein, in dem wir gelandet waren. Nur noch ihr gelbes T-Shirt war zu sehen. Ich lief auf sie zu, bis ich sie eingeholt hatte, und legte meine Hand auf ihre Schulter.
„Wo willst du hin?“
Sammy drehte sich um, und blickte mich weinend an.
„Ich weiß es nicht. Aber wir hätten da alle sterben können.“