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3. Oktober 1991

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19.08.2006
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3. Oktober 1991

Dieses Datum bedeutete eine erstmalige Zäsur in der Wahrnehmung meines Alkoholproblems. Natürlich merkte ich schon vorher, daß einiges aus dem Ruder zu laufen schien, jedoch war dieser Tag mein persönlich erstes einschneidendes Erlebnis.

Zur Vorgeschichte:
Nachdem ich bis Mitte Juni in einer Druckerei gearbeitet hatte (und währenddessen natürlich auch soff), blieb ich den Sommer über arbeitslos.
Nach der Kündigung fuhr ich Ende Juni mit meinem damaligen "Hilfs"-Schwiegervater per LKW gen Schweden. Von der kühlen Schönheit des hohen Nordens bekam ich allerdings nicht sehr viel mit.
Prägendste Erinnerung danach: Die polnische Fähre ("Jan Heveliusz") auf der wir nach Schweden übersetzten, soff über ein Jahr später mit Mann und Maus (über 50 Tote) ab.
Von diesem Höllentrip einigermaßen erholt, lernte ich im Spätsommer eine neue Flamme kennen. B. Sie war sehr jung und der Trinkerei auch nicht abgeneigt. Nachdem B. sofort bei mir eingezogen war, starteten wir einige sehr turbulente Wochen.
Im Lauf der Zeit merkten wir jedoch, daß es besser wäre leiser zu treten.
Ich wollte natürlich auch nicht gleich wieder eine neue Beziehung auf's Spiel setzen.
Meinen Beschluß abrupt die Trinkerei zu beenden, sollte mir jedoch fast das Leben kosten. (Klingt plakativ, war aber so.)
Da mir damals natürlich noch nicht bewußt war, daß man einen plötzlichen Entzug niemals ohne ärztliche Hilfe durchführen darf, geriet ich in diese fatale Situation.
3. Oktober, morgens:
Nach einer durchzechten Nacht verabschiedet sich Neo-Freundin B. Richtung Berufschule.
Da ich nicht mehr schlafen kann, beschließe ich einen Wohnungsputz.
Im Verlauf des Vormittags, während ich staubsauge, befällt mich immer stärker ein dräuendes Gefühl.
Es wähnt mir als beobachteten mich - HEXEN!
Ich pausiere, hole mir ein Bier, setze mich und rauche.
Aus einer Ecke flüstert mir eine zwergwüchsige Gestalt in zerschlissener historischer Uniform zu.
(Ich glaube französisch, Napoleonische Kriege, Anfg. 19. Jhdt.) Leichtes Befremden überfällt mich.
Während ich weiter staubsauge, gesellen sich noch mehr fiktive Gestalten dazu.
Versuch einer einseitigen Konversation.
Nach einiger Zeit beruhigt sich der amorphe Sauhaufen und verschwindet.
Letztes Bier. Es läutet an der Türe. Freund K. Er erinnert mich, daß ich noch Geld von einem ehemaligen Arbeitskollegen bekomme. Inzwischen ist es Nachmittag.
Wir fahren gemeinsam zur Druckerei um mein Geld zu holen.
Auf dem Rückweg in der Straßenbahn beginne ich small-talk mit einem Insekt(!)
Freund K. hat keine Ahnung was los ist, und sieht mir entgeistert zu.
Bei einer nahen Station springe ich aus der Tramway und verfolge das Fluginsekt bis zu meinem Haus.
(Was ich von ihm wollte, weiß ich bis heute nicht.) K. fährt weiter.
Zuhause angekommen, sitze ich und warte auf B's Rückkehr.
Als sie endlich kommt, zeige ich ihr sogleich meine inzwischen wieder versammelten "neuen Freunde".
B. ratlos - ruft ihre Mutter an. Diese kommt und hört interessiert meinen plastischen Ausführungen zu.
Mutter L. ahnt natürlich was los ist. Sie holt einen Kassettenrecorder aus dem Auto und läßt mich meine Wahrnehmungen auf Band sprechen.
Ich zeige auf den (ausgeschalteten) Fernseher, und frage beide, ob sie nicht auch die Hexenvisage darin sprechen sehen.
Mutter L. und B. beschließen mich zum Psychosozialen Notdienst zu bringen.
L. fordert mich sanft, aber bestimmt auf, mich anzuziehen. (Ich sitze in der Unterhose herum.)
Während ich versuche in meine Jeans zu schlüpfen, bemerke ich im ganzen Vorzimmer ekeliges Kriechgetier. (Spinnen, Würmer, Asseln, etc.) Dieses versucht in meine Hosenbeine zu gelangen.
Entsetzen! Ich weigere mich lange Beinkleider anzulegen. Also fahre ich kurzbehost mit.
Während wir an einer Ampel warten, geschieht das Unfaßbare.
Ich beginne plötzlich so stark Hitze abzusondern, daß sämtliche Autoscheiben innen beschlagen!
L. wischt die Fahrerscheibe frei. Endlich im Psych. Dienst.
Der Arzt kommt und begutachtet mich.
Inmitten des Gespräches verformt sich in Hosenschlitzgegend der Stoff in eine zahnlose Fratze, und spricht mit mir.
Ich weise etwas furchtsam den Arzt darauf hin.
Nach kurzer Zeit werde ich in einen Rettungswagen verfrachtet und die Fahrt ins Ungewisse geht los.
Mein Beharren ins Allgemeine Krankenhaus gebracht zu werden, wird weise lächelnd ignoriert.
Als wir am AKH vorbeifahren, merke ich leicht echauffiert wohin die Reise geht.
Baumgartner Höhe. (Psychiatrisches Krankenhaus)
Selig versinke ich im "Mare Valium".

Erwachen. Leichte Verwirrung. Die Ärzte erklären mir, daß ich bei einer ca. 30-minütig verspäteten Einlieferung wahrscheinlich an Dehydrierung verblichen wäre.
Nach ein paar Tagen (B. besucht mich täglich) spaziere ich bereits zur Otto-Wagner-Kirche auf dem Anstaltsgelände.
Vor der Entlassung wird mir ein regelmäßiger Kontakt zu einer Alkoholberatungsstelle nahegelegt.
Diesen begann ich danach aufzunehmen.
Meine "Trinkerkarriere" fand aber damit leider kein Ende.
Denn trotz dieses wahrlich kafkaesken Aufenthaltes auf der Baumgartner Höhe, war ich damals noch keineswegs geläutert.

 

Sind wir hier bei Kurzgeschichten.de oder bei den Anonymen Alkoholikern?

Nichts gegen Autobiografien, auch nichts dagegen, sich aus einem Loch ins Leben zurückzukämpfen. Das verdienst Respekt und Achtung.
Alkoholismus ist auch ganz sicher ein wichtiges Thema für Geschichten.

Aber auf dieser Seite sollte es wenigstens im Ansatz belletristisch sein. Sonst wird irgendwann schlicht das Thema der Seite verfehlt.

Lieben Gruß, sim

 

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