3 Uhr 40
3 Uhr 40
Ich erwache aus einem Traum. Ich habe immer solche Träume, wirr und völlig sinnlos. Doch ich
habe sie. Beinahe jede Nacht. Ich stehe auf. Langsam erinnere ich mich wieder an den Traum.
Irgendwas mit einer Prüfung, die völlig in die Hosen ging.
Auch egal. Ich gehe ins Bad, duschen. Das Frühstück lasse ich aus, denn unter der Dusche
merke ich, dass ich spät dran bin. Den Bus hab ich gestern schon verpasst, als ich 10 Minuten
zu spät aufgestanden bin und es nicht mal merkte. Folgen eines sinnlosen Traumes, der mich
beschäftigte. Das tun mich alle Träume, auch wenn sie noch so sinnlos sind. Einmal habe ich
eine ganze Doppelstunde an einem Traum herumgedacht. Es ging dabei um Hexenverbrennung,
irgendetwas mit meiner Mutter, ich kann mich auch nicht mehr genau erinnern. Jedenfalls hatte
ich eine spannende Doppelstunde, anders als der Rest der Klasse.
Der Bus fährt mir vor der Nase weg. Dieser verdammte Busfahrer hätte auf mich warten können,
weiss ja genau dass ich jeden Morgen komme. Vielleicht hat er auch einfach nur schlecht geträumt. Nachlaufen bringt nichts, dafür ist meine Raucherlunge nicht fit genug. Ob ich mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren könnte? Mein Rad kann ich nicht nehmen, dieses habe ich vor einem halben Jahr mal genommen und am Bahnhof stehen gelassen. Jetzt ist es entweder eingerostet oder es wurde geklaut. Das des Bruders hab ich gestern genommen. Steht wahrscheinlich noch unten. Vielleicht auch nicht. Auch egal.
Ich werde langsam nervös. Jetzt bleibt nur noch Vaters übrig. Platt. Nicht zu gebrauchen. Ich zünde mir eine Zigarette an. Diese Prüfung heute. Ich merke dass ich überhaupt nicht vorbereitet bin. Auch egal. War ich im ganzen letzten halben Jahr nicht. Irgendwie wird es schon gehen. Irgendwie ist es immer
gegangen. Irgendwie.
Vater fährt mich zum Bahnhof. Ein letztes Mal ein nicht wirklich aufmunterndes "Und versau diese Prüfung ja nicht". Ach wie kann mein Vater doch mühsam sein. "Temperamentvoll" hat sein Bruder mal gesagt. Vater und sein Bruder sind seit Jahren verstritten, reden kein Wort mehr miteinander. Ich mag meinen Onkel. Ist genau wie ich. Frech, faul und chaotisch. Worum es bei ihrem Streit ging, weiss ich nicht. Wahrscheinlich wissen sie es selbst nicht mehr. Wenn ich aber meinen Vater ansehe, verstehe ich meinen Onkel.
Am Bahnhof. Ein Freund überreicht mir ein kleines Säckchen. Sollte für eine Woche reichen. Riecht gut. Als Beruhigung vor der Schule. Ich verkrieche mich in eine Ecke. War ja klar dass ich keinen Tabak mehr habe. Pur geht auch.
Prüfung. Alle schauen mich so komisch an, was haben denn alle nur? Ich kann mit diesen Zahlen nun mal nichts anfangen, da kann ich auch nichts dafür. Trotzdem schauen mich alle komisch an, schütteln nur den Kopf.
Prüfung ist vorbei und versaut, aber davon muss Vater ja nichts wissen. Mein Freund wird das schon richten. Ein Paar Programmierzeilen und alles ist in Ordnung, wie er so schön sagt. Der Freund ist Hacker. Gegen Bezahlung tut er alles. Seit Jahren bügelt er meine schulischen Schwächen aus. Er könnte mir sogar Geld von der Bank besorgen. Wenn es wieder mal knapp wird. Nach der Prüfung habe ich keine Lust auf Schule mehr. Ich packe alles zusammen und gehe zum See. Eine Gruppe von älteren Schülern ist auch da. Haben wohl auch keine Lust. Ten Pack. Irgendwo erblicke ich eine Cola-Flasche. Der Duft einer frisch angezündeten Wasserpfeife ergreift mich. Apfel-Tabak, wahrscheinlich aus
Ägypten. Ich machs mir bequem, packe Papier und Stoff aus. Mein Feuerzeug muss ich heute Morgen verloren haben. Einer der älteren Schüler ist so freundlich. Wir kommen ins Gespräch. Am Morgen eine 2 in Mathe bekommen und die Lust auf Schule ist verflogen. So einfach ist das. Da soll noch einer sagen, mit dem Alter werde man vernünftig. Mir wird ein Bier angeboten, später noch eins und wahrscheinlich noch eins. Auch die Cola-Flasche wird geleert, irgendwann wird Feuer gemacht. Ein letztes Mal brauche ich Feuer, bevor ich einschlafe. Die Freunde aus der 5. - ich bin in der 3. - sind wohl alle früher nach Hause, ich hab es nicht bemerkt. Irgendwann erwache ich wieder. Wieder diese Träume. Dunkelheit. Kälte. Wo bin ich? Die Uhr zeigt 3 Uhr 40.
gruss