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70 Cent

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30.11.2003
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70 Cent

Es war der heißeste Tag des Jahres. Keine Wolke war am Himmel zu sehen und selbst im Schatten waren die Temperaturen unerträglich. Alle Welt schien träge geworden zu sein. Selbst die Kinder auf dem Spielplatz hatten sich auf den Sandkasten im Schatten beschränkt, während die Eltern auf Bänken dösten. Ich kämpfte mich durch die Hitze und wünschte mir nichts sehnlicher als eine kalte Dusche. Meine Kleidung klebte am Rücken und jeder Schritt kostete Kraft. Während ich einem kleinen Kind auswich, das sein Eis gefährlich in der Gegend herum schwang, eilte ich an weiteren Cafés und Eisdielen vorbei.
„Hey, Kira!“, hörte ich auf einmal meinen Namen. Ich drehte mich um und erkannte eine Bekannte auf mich zu rennen. Während ich noch über ihre Kraft staunte, bei diesen Temperaturen noch rennen zu können, stand sie schon vor mir.
„ Hi“, strahlte sie und ihre blauen Augen leuchteten. Gequält versuchte ich zu lächeln.
„ Hör mal, ich hab’s ein wenig eilig. Meine Mutter wartet auf die Eier für das Essen“, erklärte ich und hob die Eier hoch, die ich in meiner Hand hielt. Sara ließ sich nicht so schnell abwimmeln, sie hatte mir offenbar etwas Wichtiges zu erzählen.
„ Ich muss dir etwas erzä – “, weiter kam sie an diesem Tag nicht.
Ein ohrenbetäubender Lärm war ausgebrochen und Menschen eilten an uns vorbei. Sara und ich drängten uns an einer Touristengruppe Japaner vorbei und hatten freien Blick.
Erschrocken presste ich die Hände vor den Mund, als ich das Blut sah. Sara erging es nicht besser, sie unterdrückte einen Schrei.
„ Los, macht den Alten fertig!“, brüllte der Junge und verpasste dem alten Mann einen weiteren Tritt.

Als ich es geschafft hatte, meinen Blick von der Gruppe Jugendlicher abzuwenden, erkannte ich, dass sich ein Kreis gebildet hatte. Ein Kreis voller schockierter, gelähmter Menschen.

Es handelte sich um vier Jungs, die Eisenringe an den Fingern hatten und schwarz gekleidet waren. Der alte Mann war offensichtlich obdachlos, denn neben ihm war Kleingeld verteilt und ein umgedrehter Hut lag daneben.
Erschrocken drückte ich die Augen zusammen, als einer der Jungen wieder zuschlug, diesmal in den Magen. Die Straße war jetzt totenstill, einzig das Geschrei der Jugendlichen und das Stöhnen des Mannes war zu hören.
„ Obdachlosen-Pack! Verschmutzt unsere Straßen!“, schrie einer der Jungen, ein großer, stämmiger Dunkelhaariger.
Mit jedem weiteren Schlag merkte ich wie die Lähmung aus meinen Knochen wich. Als ich wieder zur Besinnung gekommen war, schüttelte ich Sara. Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen an.
„ Wir müssen etwas tun“, flüsterte sie so leise, dass ich es nicht verstanden hätte, wäre ich nicht direkt vor ihr gewesen wäre. Als ich allerdings auf die tobenden Jugendlichen sah, verlor ich jeden Mut. Sie traten, schrieen und johlten, während der alte Mann immer mehr Blut verlor.
Alles in mir schrie, ich wollte „Stop!“ brüllen und dazwischen gehen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Er stand still. Ganz so, als wäre nichts. Als käme es nicht darauf an, dass ich etwas tat!
Und dann war alles vorbei. Polizei drängte sich an den Menschen vorbei und ergriff die Jugendlichen. Einer schaffte einen letzten Tritt und sein Schuh traf den Alten im Gesicht. Er sackte endgültig zusammen. Die Polizisten zerrten die Jugendlichen zu einem Auto und drängten sie einzusteigen. Kurz danach erschien ein Krankenwagen, hob den bewusstlosen Mann hinein und fuhr mit Sirene davon.
Alles war wie vorher, die Sonne schien noch immer gnadenlos heiß auf die Erde hinunter. Die Menschen lösten sich auf und gingen zurück zu ihren Tätigkeiten, wenn auch langsamer als vorher. Sara verabschiedete sich und eilte davon. Das alles bekam ich nur vage mit. Ich sah alles wie durch einen Schleier, als wäre ich woanders, als mein Körper war. Langsam ging ich auf die Stelle zu, auf der der Alte gelegen hatte und sammelte das Kleingeld zusammen. 70cent, das war alles was ich fand. Während ich es in den Hut legte, merkte ich erst jetzt, dass ich weinte. Stumm und mit angehaltenem Atem betrachtete ich das Blut, das am Boden klebte. Ich empfand keinen Schmerz. Die Tränen rannen an einer leeren Hülle hinunter.
Erst viel später kam das Schuldgefühl, nachdem ich eine Weile auf dem Asphalt gesessen hatte. Ich wusste nicht wie lang ich so dagesessen hatte, aber irgendwann kehrte der Schmerz in meinen Körper zurück. Ich sah den Menschen dabei zu, wie sie ein Eis aßen oder sich auf Bänken sonnten und wünschte mir nichts sehnlicher als etwas mehr Mut.

 

Hi,
erst mal danke für die Kritik. Ja, das hatte ich mir vorher auch überlegt, dass die Situation möglicherweise unglaubwürdig erscheinen würde. Aber dann habe ich mir gedacht, dass Zivilcourage wirklich selten sind und, dass bei so einem Überraschungsangriff möglicherweise die Nerven erst einmal blank liegen und so die Täter länger aktiv werden können.
Ich habe mal eine Frage, vielleicht auch an andere Leser: Habt ihr Tipps für gute Überschriften. Ich tu mich immer schwer mit Überschriften, habt ihr da vielleicht Ratschläge?
Gut danke und lg, bluna

 

Hallo bluna!

Überschrift: ich glaube ich hätte das ganze einfach "70 Cent" genannt ...

Insgesamt habe ich einen ähnlichen Eindruck wie Manuel. Ich hätte mir noch etwas mehr Tiefgang gewünscht, den inneren Konflikt der Erzählerin noch stärker. Die Lähmung ist allerdings schon gut umgesetzt.
Mir erscheint das Szenario leider nicht so übertrieben. Vor 2 Jahren (?) ist im Olympiapark ein Kind ertrunken, die Anlage war voller Leute. Und ich kann mich noch düster an eine Vergewaltigung in einer vollbesetzten Straßenbahn und ähnliches erinnern ... :(

Bitte schau Dir die "Anführungszeichen" noch mal an. Die kleben an dem Gesagten, da ist kein Leerzeichen dazwischen.

schöne Grüße
Anne

 

Hey Bluna!

Deine Geschichte ist nicht schlecht; nicht zu lang und gut zu lesen.

Ein wenig gestört hat mich die "Touristengruppe Japaner" und die riesige Menschenmenge: Da du zu Beginn von einem Spielplatz berichtest, hatte ich nicht den Eindruck, dass die Geschichte an einer belebten Straße spielt. Zumindest sind die Spielplätze, die ich kenne, immer ein wenig abseits, damit die Eltern die Kids im Blick haben. Aber auch, wenn ich jetzt einfach die falschen Bilder im Kopfe habe: Wenn "Touristengruppen" und "Menschenmengen" da sind, hab ich schon eine sehr belebte Straße im Sinn - und das wirklich keiner etwas getan, ist schwer vorstellbar.

Vielleicht solltest du schildern, dass zu erst keiner etwas tut; dass die Leute geschockt sind, dass es erst nach ein, zwei Minuten wirklichen vielen auffällt - und dann doch jemand was sagt. Nur einer, aber weil die Typen den Obdachlosen da schon so zugerichtet haben, dass sie dann abhauen.

Weil dein Prot. selbst aber nicht eingreift, könnntest du so den Schluss (die Hülle) dennoch lassen - das Ende fand ich nämlich sehr gut!

Aber hey, ist nat. nur ein Vorschlag ;) Vielleicht machst du auch einfach nur die Menschenmenge etwas kleiner, wenn du noch mal drüber gehen willst :shy:

Wie gesagt, nur Vorschläge: Hat mir auch so ganz gut gefallen, wenn auch nicht herausragend ;)

LG

 

hallo bluna,

leider ist diese geschichte authentisch möglich. wie maus es gesagt hat, gibt es solche situationen. der gruppenzwang ist unglaublich gross, das heisst, dass sich ein zuschauer nach der gruppe richtet, er guckt, wie er sich verhalten soll. typisch deutsches problem, und passt zu dem ausdruck: "die deutschen sind revolutionsfaul".
dabei bedarf es oft nur 1 person, die hilft, um die massenstarre zu sprengen. "KOMMT MIT MIR. WENIGSTENS EINER, DANN KOMMEN DIE ANDEREN NACH." "ICH KOMME MIT" und dann würden alle gehen.
und genau deshalb hat mir deine geschichte gefallen. sie beschreibt eine kannsituation - kein muss! die lähmung - eine angst, die nicht näher beschrieben wird. wovor hat jeder einzelne eigentlich angst?
was mir sehr gut gefallen hat, der erzähler wird nicht zum helden.
der inhalt gefällt mir ausgezeichnet. kleine inhaltsfetzen leider weniger. die gruppe japaner, warum wird sie erwähnt? und du beschreibst einen spielplatz - das eigentliche geschehen ist aber ein anderer ort! und sara kommt in die szene - damit läutest du eine andere geschichte ein, bis du sie mit der brechstange in eine andere richtung führst. besser wäre es, wenn sara von anfang an dabei gewesen wäre.
jetzt kommen wir zum erzählstil. er ist im groben tatsächlich angenehm. was ihn aber stört sind wieder einmal die kleinigkeiten. furchtbar viele wortdoppelungen. die machen das gesamtbild deiner geschichte ziemlich kaputt. ich lege es dir ganz nah, dich um diese wortdoppelungen zu kümmern. denn wenn du die raus kriegst, wirkt deine geschichte um einiges besser. ich gehe das mit dir durch:

Es war der heißeste Tag des Jahres. Keine Wolke war am Himmel zu sehen und selbst im Schatten waren die Temperaturen unerträglich.

zu viel "war". besser: Es war wohl der heißeste Tag in diesem Jahr; kein Wölkchen am Himmel, so dass selbst die Schatten kaum Kühle spendeten

Es war der heißeste Tag des Jahres. Keine Wolke war am Himmel zu sehen und selbst im Schatten waren die Temperaturen unerträglich. Alle Welt schien träge geworden zu sein. Selbst die Kinder auf dem Spielplatz hatten sich auf den Sandkasten im Schatten beschränkt, während die Eltern auf Bänken dösten.

"Schatten" ist doppelt
das erste "Schatten" könnte in "geschütztere Bereichen" ersetzt werden.
"auf" ist dreifach. besser den sandkastensatz so schreiben: Selbst die Kinder auf dem Spielplatz zogen den schattigen Sandkasten vor.
ein "auf" ist weg, das dürfte reichen

Ich drehte mich um und erkannte eine Bekannte auf mich zu rennen. Während ich noch über ihre Kraft staunte, bei diesen Temperaturen noch rennen zu können, stand sie schon vor mir.

"zu rennen" zusammen - sonst ist der sinn falsch
das "Staunen" musst du nicht näher erkläre - schon gar nicht mit wortwiederholungen ("Temperatur" und "rennen"). besser ganz anders schreiben: Ich drehte mich um und war verblüfft darüber, woher meine Bekannte noch den Elan herholt, so auf mich zu zu rennen.
übrigens ist "Bekannte" kein gutes literarisches wort. es sagt alles und nichts aus. besser wäre "Freundin" oder "Nachbarin"

Hi“, strahlte sie und ihre blauen Augen leuchteten. Gequält versuchte ich zu lächeln.

sie versucht ... gequält zu lächeln? - besser ich versuchte zu lächeln, aber es musste ziemlich gequält ausgesehen haben.

„ Hör mal, ich hab’s ein wenig eilig. Meine Mutter wartet auf die Eier für das Essen“, erklärte ich und hob die Eier hoch, die ich in meiner Hand hielt.
"Eier" ist doppelt. das zweite "Eier" könntest du mit "Verpackung" austauschen

Sara ließ sich nicht so schnell abwimmeln, sie hatte mir offenbar etwas Wichtiges zu erzählen. Ich muss dir etwas erzä – “, weiter kam sie an diesem Tag nicht.

moment - der name sollte bei der ersten nennung der bekannten auftauchen, also ... Sara, meine Bekannte ...
"erzäh" ist doppelt, auch wenn du es abreisst, der leser füllt es in seinem denken auf. besser das 1. "erzählen" mit "berichten" tauschen

„ Los, macht den Alten fertig!“, brüllte der Junge und verpasste dem alten Mann einen weiteren Tritt.

das leerzeichen vor "Los" muss weg
"alten" ist doppelt. entweder ersetzt du den 1. "Alten" mit "Opa", oder den "alten Mann" mit "Senior" oder "Rentner"

Es handelte sich um vier Jungs, die Eisenringe an den Fingern hatten und schwarz gekleidet waren. Der alte Mann war offensichtlich obdachlos, denn neben ihm war Kleingeld verteilt und ein umgedrehter Hut lag daneben.

ihh - wieder nacherklärt. die beschreibung der situation muss direkt am anfang der begegnung stattfinden.
"alter Mann" ist schon wieder da. "Opfer" oder "Bettler" wären synonyme dafür

Sie traten, schrieen und johlten, während der alte Mann immer mehr Blut verlor.
Alles in mir schrie, ich wollte „Stop!“ brüllen und dazwischen gehen, aber mein Körper gehorchte mir nicht.

"schrie" ist doppelt, besser das 1. "schrieen" mit brüllen ersetzen, uznd das "brüllen" mit rufen, was besser zu einer lady passt.

Polizei drängte sich an den Menschen vorbei und ergriff die Jugendlichen. Einer schaffte einen letzten Tritt und sein Schuh traf den Alten im Gesicht. Er sackte endgültig zusammen. Die Polizisten zerrten die Jugendlichen zu einem Auto und drängten sie einzusteigen.

"Polizei" ist doppelt. die "Polizisten" dürfen auch "Uniformierte" heissen
übrigens, die polizei leistet auch erste hilfe - noch bevor der krankenwagen auftaucht

Das alles bekam ich nur vage mit. Ich sah alles wie durch einen Schleier,

"alles" ist doppelt, das 2. "alles" könntest du mit "es" ersetzen

Langsam ging ich auf die Stelle zu, auf der der Alte gelegen hatte und sammelte das Kleingeld zusammen.

"Alte" ist schon wieder da. besser "Bemitleidenswerte" oder "Opfer"

70cent, das war alles was ich fand.

schon wieder "alles"
schreibe zahlen weitmöglichst aus
besser nur kurz: "Siebzig Cents!" mehr satz braucht dieser satz nicht

nachdem ich eine Weile auf dem Asphalt gesessen hatte. Ich wusste nicht wie lang ich so dagesessen

"gesessen" ist doppelt, das 2. "dagesessen" könnte auch "dagehockt" heissen

fazit: eine fast gelungene geschichte, an der du aber noch arbeiten kannst

bye

barde

p.s. - ja, "Siebzig Cents" wäre ein sehr guter Titel!

lieblingssatz:

Ich sah den Menschen dabei zu, wie sie ein Eis aßen oder sich auf Bänken sonnten und wünschte mir nichts sehnlicher als etwas mehr Mut.

sehr schöner abschlusssatz

 

Hallo!
vielen danl für die ausführliche Kritik. Ich wollte den Titel ändern, aber es ging nicht. Wisst ihr wieso? Stimmt, ich habe wirklich viele wortdoppelungen in meiner Geschichte. Werde das bei Gelegenheit ändern. Es stimmt auch, dass der Ort an dem meine Geschichte stattfindet etwas unlogisch finde, obwohl ich nicht damit übereinstimme, dass es unmöglich ist, dass keiner aus einer großen Menschenmenge reagiert.
Wäre schön, wenn ihr mir sagen würdet, wie ich den Titel ändern kann.
Lg, bluna

 

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