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Abend, Nacht und Traum, ein halber Tag

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26.05.2005
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Abend, Nacht und Traum, ein halber Tag

1. Im Park, abends

Sehe ich den Penner in der Fussgängerzone. Oder im Park. Mit seinem fettigen Haar. Seinem fettigen Hund. Seiner scheinbar verkorksten Existenz. Dann spüre ich Inkonsequenz auf meiner Seite. Auch ich müsste dort sitzen. Mit fettigem Haar. Mit fettigem Leben. Einen Hund kann ich mir nicht leisten. Aber noch achte ich auf ein künstliches, von Gesellschaft und Erziehung aufgebautes, Schamgefühl. Welches mir verbietet dort zu sitzen. Sehe ich den Penner, ertrinkend im Alkohol, schwimmend in seinen Exkrementen, abstinent der Arbeit, abstinent den Zwängen, sehe ich Millionen Menschen. Wartend auf das Wochenende. Um im Club alkoholertrinkend ihr Leben wegzufeiern. Um zu ertrinken. Der Penner ist konsequent. Ist ehrlich. Zu schwach zur Selbstlüge.

Sehe ich den Penner in der Fußgängerzone. Sehe ich darin auch den erfolgreichen Banker. Umgeben von Dauergrinsen, Dauerphrasen, Dauerlügen. Mit seiner verkorksten Existenz. Ich gehe nach Hause.


2. Fernsehprogramm, abends

Ich sitze den ganzen Abend vor dem Fernseher. Ich schaue Nachrichten auf N-tv. Dies erweitert mein Wissen. Was sich wiederum positiv auf ein mögliches Vorstellungsgespräch auswirken kann. Erweitertes Wissen verbessert meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ich hoffe, ich werde kein Vorstellungsgespräch haben. Auf CNN schaue ich zusätzlich Nachrichten in englischer Sprache. Gutes Englisch verbessert meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sagte mein persönlich unpersönlicher Vermittlungsberater. Am besten richte ich meine gesamte Existenz auf den Arbeitsmarkt aus. Ich schalte um. Es läuft eine Reportage aus Bukarest. Aus einem fahrenden Bus sieht man Geschäfte vorbeirauschen. Einen Supermarkt. Einen Daewoo-Händler. Auch ein großes Levis-Schild rast vorbei. Eine Bank. Dann größere Gebäude. Schlecht erhaltene Häuser. Gute erhaltene Häuser. Neubauten. Wieder Geschäfte. Sogar ein Mercedes-Händler. Dann exquisit aussehende Geschäfte. Dann steigen aus dem Bus Menschen aus. Kinder. Kleine Kinder, Jugendliche, Heranwachsende. Sie sehen dreckig aus. Haben Tüten in der Hand. Sie sind laut und ungehobelt. Sie werden nicht beachtet. Schöne junge Menschen gehen an ihnen vorbei. Sie sehen die Kinder nicht. Schöne junge Frauen. Schön gekleidet. Mit schönem, langen Haar. Sie lachen. Die schönen Menschen. Freuen sich des Lebens. Es ist alles gut. Sie sehen die Kinder nicht. Die atmen aus den Tüten Lackverdünnerdämpfe ein. Und sind laut und ungehobelt. Sind im Begriff zu sterben. Als ich genug gesehen habe, schalte ich um. Es läuft eine Talk-Show. Jugendliche beschweren sich über das Leben. Wie ärgerlich die Schule sei. Wie unverschämt der hohe Preis für die Eintrittskarten in den neuen Club. Der sei gerade ziemlich angesagt. Wie schade, dass die neuen Jeans doch nicht ganz so sexy aussehen. Wie gereizt man sei über sichtbare Armut. In der Schule. Auf der Straße. Hier würde doch Handlungsbedarf bestehen. Ich esse irgendetwas und gehe schlafen. Hoffentlich habe ich einen Albtraum. Er wäre die konsequente Fortsetzung des eben gesehenen. Die konsequente Fortsetzung des bisherigen Daseins.

3. Traum vom Englischkurs, nachts

Ich träumte von dem Englischkurs, zu dem mich mein Vermittlungsberater vom Arbeitsamt eins zwang.
"Gutes Englisch verbessert Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt!", sagte er. Drohte er.
Der Kurs ist erst einige Wochen her. Ich habe noch alle Gesichter in Erinnerung. Ich war der jüngste. Alle anderen waren um die vierzig. Waren alt. Ich schaffte es nicht mit Ihnen vernünftig zu kommunizieren. Den ganzen Tag sprachen sie von Belanglosem. Von Lieblingsspeisen. Von Zukunftsplänen. Vom Fernsehprogramm. Von sich. Manchmal schaute ich jemanden lange an. Ohne dass er es bemerkte. Ich fragte mich dann, wie er so leben kann. So einfach. So dahinlebend. Die einzige Priorität das Fernsehprogramm. Sie aber fanden mich merkwürdig. So still. So verschlossen. Nur weil ich nicht den ganzen Tag über Scheiße faselte. Dieser Englischkurs mit anderen Menschen war eine große Herausforderung für mich.
Einmal, als diese 45-jährige sich in der Mittagspause ihren Kaffee eingoss, über das Fernsehprogramm philosophierte und rundum zufrieden wirkte, überlegte ich, was sie tun würde, wäre die gesamte Lebensmittelindustrie plötzlich weg. Sie würde verhungern. Vor ihrem Fernseher. Sie würde sich einen letzten Kaffee einschenken. Sich dann ihrem Schicksal hingeben. Ein letzter guter Film. Eine letzte Talkshow. Eine Talkshow. Eine.

Am ersten Tag des Kurses verlangte unsere Lehrerin, zum besseren Kennenlernen untereinander, einen Aufsatz, vorerst noch in deutscher Sprache, beginnend mit "Ich bin ..."

Am nächsten Tag mußte ich als erster lesen. Ich schaute nochmal kurz in die Runde. Wir saßen im Kreis. Wie beim Kindergartentreffen. Ich fühlte mich unbehaglich. Gern wäre ich einfach aufgestanden, hätte gesagt, dass ich nicht mehr kann, nicht mehr will - hätte einfach den Raum verlassen, wäre nachhause gegangen und hätte überlegt was aus mir eigentlich werden soll .... Aber ich mußte jetzt anfangen zu lesen. Wäre ich einfach aufgestanden, hätte ich mein Gesicht verloren. Welches Gesicht?

Ich atmete noch einmal tief ein und las vor:

"Ich bin eigentlich nicht gern hier. Ich fühle mich nicht wohl unter Menschen. Aber an diesem Kurs muß ich teilnehmen. Sonst wird mir mein Geld gestrichen. Welches ich anders nicht zu beschaffen weiß. Denn in jedem Job habe ich mit Menschen zu tun. Jeder Job also, wäre eine verdammte Herausforderung für mich. Ich müßte schnell soziale Kompetenz erlangen. Kann ich nicht. Will ich vielleicht auch gar nicht. Ich weiß es nicht. Überhaupt habe ich oft das Gefühl wenig zu wissen. Wenig von den Dingen die ich täglich wiederholt, schablonenhaft und stumpfsinnig ausführe. Ich weiß also wenig von den Dingen, die einen Großteil meines Lebens ausmachen. Das verwirrt mich. Ich weiß oft nicht wie ich mich verhalten soll."

Ich schaute kurz von meinem Heft hoch und sah in die Runde der offenen Augen, kritischen Gesichter und verzerrten Stirnfalten. Mir genau gegenüber saß die 51jährige Trutlinde. Sie hatte kurzes weißes Haar und ein von Falten zerfurchtes Gesicht. Aus ihren Kommentaren wußte ich schon, dass sie sehr konservativ war. Wie alle hier. Sie hatte so viele Falten, dass ich ihre Mimik nie richtig deuten konnte. Ihr Strickzeug hatte sie vor sich auf dem Tisch liegen. In den Pausen strickte sie. Hässliche Pullover für Ihre Enkelkinder. Sie sah mich, glaube ich, ziemlich böse an. Ich nahm an, dass mein Text niemandem gefiel. Mir ja auch nicht wirklich. Als ich wieder zu meinem Heft runtersah bemerkte ich, dass meine Hände leicht zitterten. Ich las weiter:

"Warum können andere Menschen so einfach leben? Einfacher als ich? Befreit und scheinbar sorgloser? Warum habe ich solche Schwierigkeiten mit meinem Leben? Warum denke ich über alles nach? Warum verspüre ich Unbehagen wenn ich durch die Einkaufspassagen gehe und so viele Dinge sehe, die Millionen andere Menschen weder zu Gesicht bekommen werden, geschweige denn besitzen. Täglich sterben tausende Menschen weil es ihnen an den einfachsten Dingen fehlt und ich kann mir den unnötigsten Scheißkrempel kaufen, um im täglichen Wettbewerb der allgemeinen Materialanhäufung bestehen zu können. Denn zum Leben benötige ich keine Parfüms, Fernseher, DVD-Player, DVD-Recorder, Laptops, Notebooks, Marken-Pullover, Designer-Hosen, Designer-Klobrillen. Es gibt so verdammt viel. Es gibt zu viel.

Nicht dass man mich falsch versteht. Ich kann dem Leben auch gute Seiten abgewinnen. Mir fallen nur im Moment keine ein, aber es gibt sie. Das gute an meiner Einstellung der totalen Resignation, jedoch weitab der Suizidgefährdung, ist das verloren gehen der Angst. Habe ich Angst? Nein. Hat man jegliche Hoffnung verloren, lebt aber trotzdem resigniert weiter - ist auch alle Angst verloren.
Resignation schafft Freiheit. Das Fehlen jeglicher Verbindungen zu positiven Gefühlen schafft in mir eine ebene Fläche die neu benutzt werden darf. Sie ist glatt, nichts ist auf ihr. Resignation ist ein Leerlauf. Ich empfinde Resignation als gesund. Man kann alles neu betrachten. Resignation ist ein verloren gehen von Gefühlen, welches mir erlaubt frei zu sein und neu zu bewerten. Wenn ich es will.
Warum benutze ich eigentlich so oft das Wort "Ich?“ Je einsamer der Mensch ist, umso öfter benutzt er das Wort "Ich". Sei es in Dialogen oder Monologen."

Ich wache auf. Ein neuer Tag beginnt.

 

Hallo Lester,

erstmal willkommen bei kurzgeschichten.de.

Leider muss ich sagen, dass mir dein Text nicht besonders gefallen hat. Er wirkt auf mich wie eine Lamentation eines Umschülers, der seine Mit-Umschüler aus einer Position kritisiert, die mir arrogant erscheint.

Sorry, ich hab aus dem Text für mich nichts Interessantes / Neues entnehmen können.

Grüße,
Stefan

 

Ich muss mich leider leixoletti anschließen.

Gestalte deine nächste Geschichte doch nicht so pseudo-philosophisch. Oder weniger rau. Je nachdem. Deine Mischung aus rauen Worten wie "Exkremente" oder "fettig" und "eleganteren" Worten wie "Selbstlüge" oder "alkoholertrinkend" ist einfach nicht gut. Dadurch wirkt deine Figur des Erzählers wirklich arrogant.
Mach den Erzähler also zuerst weniger arrogant. Dann stört sein Philosophieren auch weniger.

 

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