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Aberglaube

Beitritt
01.11.2001
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Aberglaube

Claudia Lichtenwald
Aberglaube

Mehr als einmal hatte Elise versucht, ihre Abscheu zu überwinden und zumindest ein paar Worte mit Herrn Töpfer zu wechseln, schließlich lebten sie unter einem Dach. Es brachte sicherlich Unglück, dieses Schweigen; vor einiger Zeit war ihr schon eine teure Vase aus der Hand gefallen und hatte eine der großen, braunen Badfliesen beschädigt - ein schreckliches Vorzeichen ! Ein anderer, Frau Klein von nebenan gar, hätte diese Warnung sicher mißachtet, doch nicht sie. Sie selbst erkannte derartige Vorzeichen sofort, hatte sie sich doch gewissenhaft damit beschäftigt, sämtliche einschlägige Literatur zum Thema gelesen. Sie war nicht etwa abergläubisch, nein, solch profane Dinge wie schwarze Katzen oder ähnliches konnten sie nicht beeindrucken. Aber ein Fingerzeig von oben, von der höchsten Instanz sozusagen, der mußte ernstgenommen werden.
Auch hatte sie, was ihr wichtig war zu betonen, kein schlechtes Gewissen, denn Schuld an der ganzen Misere war zweifellos Herr Töpfer. Ohne Unterlaß hatte er sie gedemütigt, ihre esoterische Berufung verlacht, die Hausregeln schwer verletzt und vor den anderen Mitbewohnern über sie gewitzelt.
Es war dies nicht genug, er hatte es für nötig gehalten, mit seinem Müll das gemeinsame Treppenhaus zu blockieren und die empfindlichen Blumenstauden, die sie mit Hingabe pflegte, durch seine Gartenhütte der Sonne zu berauben.
Und wie er sich überhaupt kleidete ! Er trug Pullover, die ihm viel zu groß, ständig unter der Jacke hervorlugten, abgewetzte Kordhosen, Hemden, stets zerknittert und - zu allen Überfluß - waren seine Schuhe nie geputzt. Seine Art war abstoßend, er hatte keine Manieren, keinen Sinn für klassische Musik und er war nur selten in der Kirche anzutreffen. Ein widerlicher Zeitgenosse !
Nervös fing Elise an, aufzuräumen, um sich von diesen unangenehmen Gedanken abzulenken. Dieser Herr Töpfer ! Sein häßliches Gesicht erschien immer wieder vor ihrem inneren Auge, lies sich nicht abwimmeln.
Elise war eine tiefgläubige Frau, die jeden Sonntag den Gottesdienst besuchte, sie verurteilte keinen Menschen, doch...manche Zeitgenossen konnte sie einfach nicht ertragen. Die provozierten sie, mißachteten sie, ärgerten sie bis zum Letzten; und Herr Töpfer führte die Liste triumphal an.
Es war zum verzweifeln. Ihre Freundinnen aus der Donnerstag-Nachmittags-Yogagruppe und die aus ihrer Gemeinde tuschelten schon. Sie mußte versuchen, zumindest oberflächlich mit ihm ins Reine zu kommen. Ein kleines Gespräch, über das Wetter etwa, selbst das war angesichts ihres jahrelangen Schweigens alles andere als einfach.
Ach, seufzte Elise leise, warum habe ich es mir nur so schwer gemacht ? Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr erklären, warum sie ihn überhaupt geheiratet hatte.


15.03.2001

 

Hallo Claudia,

eine nette kleine Geschichte, allerdings finde ich sie ein wenig weit hergeholt.
Die Pointe, Herr Töpfer als Ehemann von Elise, will mir nicht so ganz in den Kopf. Es ist macht keinen Sinn, dass die beiden an einer so verfahrenen Beziehung festhalten, gerade in der heutigen Zeit.

Ein anderes Ende ist vielleicht wirkungsvoller.

Gruß, Michael

 

Auch in unserer heutigen Zeit tun die Leute Dinge, die für unsereins unverstädlich sein mögen. Na ja, und gerade in diesem Bereich liegen die Gründe doch auf der Hand, zum Beispiel finanzielle Nachteile, oder was die lieben Nachbarn denken. Kennst du das nicht? Übrigens: Die Eltern einer Freundin von mir reden seit über zwei Jahren nur noch das Nötigste miteinander...

 

Jo, die Geschichte ist gut erzählt. Aber ich denke auch, daß es doch etwas zu weit hergeholt ist... ;) Und Du hast schon recht, mit dem, was Du sagst - aber vielleicht hättest Du das nebenbei in einem kleinen Satz erwähnen sollen... Also; WARUM sie mit ihm verheiratet ist, wenn er doch so nervt... ;) Aber; das alles in eine Satire mit Biß zu verarbeiten und damit glaubwürdig zu erscheinen, ist schon schwer.

Griasle
stephy

 

Ich finde, Claudia hat die Distanz, die zwischen den beiden Ehepartnern herrscht, besonders stark und gelungen herausgestellt. Ich denke nicht, daß die Situation zu weit hergeholt ist, nicht einmal "in der heutigen Welt". Es gibt etliche Paare, die so leben, und es gibt vielerlei Gründe, warum sie zusammenbleiben. In der Theorie zu sagen, daß Leute sich solchen Situationen nicht lange aussetzen sollten, ist leicht, die Praxis ist aber oft anders und weitaus schwieriger. Stephi, heirate erst einmal, dann verstehst Du es vielleicht… :D :D :D

 

Ich finde die Geschichte supergut.
Bis zum Schluß habe ich mich gefragt: Ist doch gleich zu Ende, wie will sie da noch auf die Schnelle einen guten Schluß hinkriegen?
Und dann kam der Schlußsatz mit dem absoluten Kick. Ich hab mich echt bep...vor Lachen. Gut gemacht, Claudia.

Ich kenne genug Paare, die so leben. Seit wann lassen sich denn spießbürgerliche, gottgläubige (wahrscheinlich erzkatholische) Frauen scheiden? Die würden ihren Mann eher umbringen (als Unfall getarnt) und sich dafür in der Beichte Absolution erkaufen, als sich durch eine Scheidung dem Getuschel der Leute auszusetzen.
Der Spruch: "Was sollen die Leute denken?" hat noch nichts von seiner Macht verloren.

Gruß.....Ingrid

 

Eine wirklich nette kleine Story. Ich hätte da nur einen, ahem, großen Kritikpunkt: Die Pointe hat mich ziemlich vor den Kopf gestoßen, denn wieso spricht sie von ihrem Mann als "Herr Töpfer"? Ist schon klar, sonst würde die Pointe nicht funktionieren, aber das wirkt extrem aufgesetzt!
Darüber, warum sie den widerlichen Typen geheiratet hat, brauchen wir nicht zu diskutieren - vielleicht hat sie geglaubt, sie könnte ihn ändern oder so. Jedenfalls werden Ehen oft bereut, wie man weiß...

 

Vielleicht nennt Elise Töpfer ihren Mann "Herr Töpfer", weil sie einen Knall hat und nicht er. Aus ihrer Perspektive macht er ja alles verkehrt und ist eklig und schmutzig, aber irgendwie finde ich, daß sie viel schlimmer beschrieben wird mit ihrem Putzfimmel, ihrem Gottesdienst, ihrer Scheu vor seinen "schmutzigen" Sachen, ihrem "was denn die Leute denken"-Verhalten, etc. Wenn ich manche verschrobene Leute höre, wie die allein über Jeans sprechen oder über Frisuren von "unkonventionelleren" Leuten oder über Piercing usw., dann kann ich mir schon vorstellen, daß sie sich aus dem armen Herrn Töpfer ein Feindbild aufbaut. Vielleicht ist er ja ein richig sexy Typ... :D

 

Hallo Claudia Lichtenwald,

bei dieser Geschichte wird sehr radikal die Frage gestellt, aus welchen Gründen zwei Menschen ehelich zusammenfinden und warum sie über viele Jahre hinweg zusammenbleiben. Es ist hier durchaus nicht so, dass der Leser von vornherein auf der Seite der Ichfigur steht, im Gegenteil, die Wertmaßstäbe, die sie aufstellt, sind nicht in allen Punkten unbedingt nachahmenswert. Wieso entstehen Ekel und Überdruss zwischen zwei Menschen? Es ist wohl nicht nur Gewohnheit oder Angst vor der Trennung, sondern vermutlich gibt es manches, was die Bindung aufrecht erhält, aber den beiden Partnern nicht mehr bewusst ist.

Der Kunstgriff der Erzählerin liegt, wie hier mehrfach schon erwähnt, in der distanzierenden Benennung "Herr Töpfer". Erst im letzten Satz wird der Leser aufgeklärt. Das ist eine ganz wirkungsvolle Pointe. Man wird nun gezwungen, den Text noch einmal von vorne nach hinten durchzugehen und die Substanz dieser Beziehung zu hinterfragen, und zwar von neutraler Warte aus.

Viele Grüße!

Hans Werner

 

Hallo,

ich muss ganz ehrlich sagen das mir der Anfang der Geschichte sehr gut gefällt. Die überspitzte Angepasstheit und Sauberkeit der Protagonistin. Doch die Pointe das Herr Töpfer ihr Ehemann ist finde ich überflüssig. Es gibt genug von diesen ach so moralischen Menschen die ihre Überzeugungen als ultimative Messlatte anlegen um darüber eine Satire zu schreiben.

Aber trozdem ein guter Ansatz.

MFG Nightboat

 

Findest du meine Meinung übertrieben moralisch? Ich denke einfach, der einzige Grund mit jemandem zusammen zu bleiben, ist der, sich gut zu verstehen...

 

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