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Aberglaube
Claudia Lichtenwald
Aberglaube
Mehr als einmal hatte Elise versucht, ihre Abscheu zu überwinden und zumindest ein paar Worte mit Herrn Töpfer zu wechseln, schließlich lebten sie unter einem Dach. Es brachte sicherlich Unglück, dieses Schweigen; vor einiger Zeit war ihr schon eine teure Vase aus der Hand gefallen und hatte eine der großen, braunen Badfliesen beschädigt - ein schreckliches Vorzeichen ! Ein anderer, Frau Klein von nebenan gar, hätte diese Warnung sicher mißachtet, doch nicht sie. Sie selbst erkannte derartige Vorzeichen sofort, hatte sie sich doch gewissenhaft damit beschäftigt, sämtliche einschlägige Literatur zum Thema gelesen. Sie war nicht etwa abergläubisch, nein, solch profane Dinge wie schwarze Katzen oder ähnliches konnten sie nicht beeindrucken. Aber ein Fingerzeig von oben, von der höchsten Instanz sozusagen, der mußte ernstgenommen werden.
Auch hatte sie, was ihr wichtig war zu betonen, kein schlechtes Gewissen, denn Schuld an der ganzen Misere war zweifellos Herr Töpfer. Ohne Unterlaß hatte er sie gedemütigt, ihre esoterische Berufung verlacht, die Hausregeln schwer verletzt und vor den anderen Mitbewohnern über sie gewitzelt.
Es war dies nicht genug, er hatte es für nötig gehalten, mit seinem Müll das gemeinsame Treppenhaus zu blockieren und die empfindlichen Blumenstauden, die sie mit Hingabe pflegte, durch seine Gartenhütte der Sonne zu berauben.
Und wie er sich überhaupt kleidete ! Er trug Pullover, die ihm viel zu groß, ständig unter der Jacke hervorlugten, abgewetzte Kordhosen, Hemden, stets zerknittert und - zu allen Überfluß - waren seine Schuhe nie geputzt. Seine Art war abstoßend, er hatte keine Manieren, keinen Sinn für klassische Musik und er war nur selten in der Kirche anzutreffen. Ein widerlicher Zeitgenosse !
Nervös fing Elise an, aufzuräumen, um sich von diesen unangenehmen Gedanken abzulenken. Dieser Herr Töpfer ! Sein häßliches Gesicht erschien immer wieder vor ihrem inneren Auge, lies sich nicht abwimmeln.
Elise war eine tiefgläubige Frau, die jeden Sonntag den Gottesdienst besuchte, sie verurteilte keinen Menschen, doch...manche Zeitgenossen konnte sie einfach nicht ertragen. Die provozierten sie, mißachteten sie, ärgerten sie bis zum Letzten; und Herr Töpfer führte die Liste triumphal an.
Es war zum verzweifeln. Ihre Freundinnen aus der Donnerstag-Nachmittags-Yogagruppe und die aus ihrer Gemeinde tuschelten schon. Sie mußte versuchen, zumindest oberflächlich mit ihm ins Reine zu kommen. Ein kleines Gespräch, über das Wetter etwa, selbst das war angesichts ihres jahrelangen Schweigens alles andere als einfach.
Ach, seufzte Elise leise, warum habe ich es mir nur so schwer gemacht ? Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr erklären, warum sie ihn überhaupt geheiratet hatte.
15.03.2001