Was ist neu

Abgestempelt - Eine kurze Beamten-Ballade

Mitglied
Beitritt
15.08.2006
Beiträge
21

Abgestempelt - Eine kurze Beamten-Ballade

Abgestempelt - EIne kurze Beamten-Ballade

Formular. Stempeln. Das nächste Formular. Stempeln.
Noch ein Formular. Wieder stempeln.
Das nächste Formular war ein rotgerändertes, weshalb Holger darüber einen Vermerk machen musste. Warum, wusste er nicht mehr. Vielleicht hatte er es einmal gewusst, doch anstatt darüber nachzudenken stempelte er. Das letzte Formular. Nur noch einmal stempeln.
Holger starrte das Blatt vor sich an, dann stempelte er es unnötigerweise ein zweites Mal. Er empfand dabei seltsam diebische Freude. Der Stapel, den er sich vorgenommen hatte bis zur Mittagspause zu erledigen, war nun abgearbeitet und abgestempelt. Er sah zur Uhr: 11:34, Mittag.
Zwar verspürte er noch nicht das Bedürfnis eine Pause einzulegen, doch der Stapel war erledigt und halb zwölf war nun mal seine Zeit. Auf dem Flur vor der Bürotür hallten Schritte. Gleich würde Hans-Peter von Zimmer 417 anklopfen und seinen Kopf durch die Tür stecken. Er würde Holger fragen, ob er Lust hätte, mit in die Kantine zu kommen. Holger würde wie immer in den letzten Monaten behaupten er habe noch Einiges zu tun.
Es klopfte. Hans-Peter schaute hinein und sagte seinen Satz. Holger schaute von seinem Formular auf und sagte seinen. Hans-Peter verschwand wieder.

Holger schloss seine Tür von innen ab, nahm seinen kleinen Weltempfänger aus der Aktentasche und schaltete ihn ein. Klassik, in gedämpfter Lautstärke. Die beiden belegten Brötchen, die er sich am Morgen geschmiert hatte, ließ er in der Tasche. Stattdessen zog er einen Wecker hinaus, stellte ihn vor sich auf den Schreibtisch und sah ihm beim Ticken zu. Die Minuten vergingen.

Fast regungslos verharrte er so, bis die Zeiger des Weckers 12:02 anzeigten. Seine offizielle Pause betrug eine halbe Stunde. Er stand auf und ging zum Fenster. Von dort aus konnte er die angrenzenden Bürogebäude mit ihren verspiegelten Fensterscheiben sehen. Mit ihren künstlich angelegten und künstlich aussehenden Blumenbeeten vor den Eingängen.
Er schloss das gekippte Fenster und zog die Jalousie zu. Dann setzte er sich wieder. Aus der Innentasche seines verknitterten Sakkos zog er ein Foto. Es war das gleiche Foto, mit dem er sich vor fast zwanzig Jahren beworben hatte. Hätte er sich die Mühe gemacht das Foto richtig anzusehen, hätte er überrascht festgestellt, wie jung und voller Leben er damals ausgesehen hatte. Er legte es vor sich hin und nahm den Stempel in die Hand. Ein außenstehender Beobachter hätte in der Art wie er sein eigenes Portrait abstempelte keinen Unterschied bemerkt zu der Art wie er seine Formulare stempelte.
Er hielt kurz inne, dann fügte er noch einen Datumsstempel hinzu. Bevor er die Waffe aus seiner Aktentasche nahm, zog er sich noch die Krawatte zurecht und strich sein zerknittertes Sakko glatt.

ENDE

 

Hallo moehrle,

die letzten Stunden eines sehr "ordentlichen" Mannes schildert deine Geschichte. In knackiger Kürze mit vielen Ellipsen und Satzfragmenten erzählst von einem wohlgetimten Selbstmord.

Was mir besonders gut gefiel ist, dass die Tötung selbst ín der Geschichte nicht vollzogen, sondern nur mit dem Zaunpfahl angedeutet wird. Noch mehr gefiel mir, dass eine aufmerksamer Leser den bevorstehenden Selbstmord schon erahnen kann, denn schon beim Hantieren am Fenster zieht der Geruch des Todes durch das Geschehen.

Hat mir in seiner knackigen Kürze gut gefallen.

Gruß
Woitek

 

Hallo moehrle,

mir hat deine Geschichte nicht zugesagt. Du bedienst hier ein lahmes Cliché vom trägen Beamtendasein, das letztlich im Selbstmord endet.
Nur weil das Leben öde und monton ist, reicht es nicht aus, um hieraus einen glaubwürdigen Suizid abzuleiten. Dafür bleibst du zu sehr an der Oberfläche der Dinge, gibst dir keine Mühe die Verzweiflung engmaschig genug zu stricken, um den letzten Ausweg daraus als nachvollziehbar erfahren zu können.
Was Woitek gelungen fand, nämlich das man am beginn schon erahnt worauf das Ende hinaus läuft, finde ich hingegen nicht gut. So bietet dein Text nicht einmal Spannung, es entfaltet sich kein Konflikt.
Tut mir leid, aber dieser text gehört für mich in die allzugroße Schublade "unausgegorene Suizidgeschichten".

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo moehrle,

ein Selbstmord in einer KG muss nicht per se schlecht sein, nur, weil viele KGs auf eine billige Weise mit einem solchen enden. Ganz genau weiß man's bei deiner ja auch nicht - kann ja sein, unser Beamter steht mitsamt seiner Waffe auf, verlässt sein Büro und knallt alles ab, was er findet. Aber so, wie's geschrieben ist, liegt ein Selbstmord schon nahe. Im Prinzip wäre er für mich in dieser Geschichte auch okay.


Doch wie geronimo und weltenläufer schon meinten, denke ich auch: Gut geschrieben, aber durch die allzu klischeehafte, realitätsferne Beschreibung viel Potential verschenkt. Du beschreibst eine Figur, von der du keine Ahnung hast (Beamte arbeiten nicht so), das schafft Abstand, und das schadet der Geschichte. Nimm einen Einwohnermeldeamt-Beamten in einer Großstadt, der 35 Mal am Vormittag Bürger empfangen und stumpfsinnige Anträge bearbeiten muss, die sich endlos wiederholen, nur aufgelockert durch cholerische, arrogante, stinkende oder sonstwie nervige Mitmenschen, den abschmierenden Computer oder das Telefon ... das entspräche einer - leicht überspitzen - Realität schon eher.

Er würde Holger fragen, ob er Lust hätte, mit in die Kantine zu kommen. Holger würde wie immer in den letzten Monaten behaupten er habe noch Einiges zu tun.

Wenn ich einen Kollegen jeden Tag frage, ob er mit in die Kantine will, und der sagt jedes Mal nein, dann frage ich nicht monatelang jeden Tag auf's neue, sondern höre nach längstens zwei Wochen damit auf.

Außerdem, was hat Holger in all den Monaten mittags getan? Auch dem Wecker zugeschaut? Sein Photo angeschaut? Die geschmierten Brote gegessen? Was ist heute anders als die Monate davor? Wenn er sich die Brote morgens noch geschmiert hat, muss sein Entschluss kurzfristig gewesen sein. Aber er hat ja auch die Waffe mitgenommen. Also doch nicht so spontan? Oder spielt er nur jeden Mittag mit dem Gedanken, tut es aber nie? Legt die Geschichte aber nicht nahe. Irgendwie ist das für mich nicht aus einem Guss.

Viele Grüße
Pischa

 

Aaalso... Die Geschichte soll keine uns bekannte Realität darstellen, soviel schon mal im Voraus. Mir ist klar, dass Beamte nicht so arbeiten, es ist nur meine überspitzte Darstellung eines langweiligen Lebens. Ob sich Holger wirklich umbringt ?? Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Vielleicht spielt er jeden Tag mit der Waffe. Vielleicht plant er einen Amoklauf. Wer weiß das schon...

 

Ich nochmal Moerle...

hmm, das dein Text nicht realistisch ist, sondern überspitzt persifliert, ok - schön und gut, doch ist es mit Sicherheit keine Ballade. Du magst jetzt erwidern, dass man es mit Begriffen ja nicht so eng sehen muss und der Titel als "Beamtenballade" doch so schön alliteratorisch sei... Nur es ist mit Sicherheit keine Ballade und jeder Leser, der sich ein bisschen mit Textsorten auskennt würde beim Anblick der Divergenz zwischen Titel und Text unmutig den Kopf schüttel.

Gruß
Woitek

 

Scheiß doch drauf. Eigentlich hieß die Geschichte auch nur "Abgestempelt", aber dann hab ich den Rest noch drangehangen. Ich finde es klingt gut und das ist doch die Hauptsache.

 

Ne, moehrle, auf deine Geschichte scheißen werde ich sicher nicht, das verbietet mir schon der Respekt vor anderer Leute Werk und Schaffen.

Ich frage mich allerdings was du dir von der Aktivität in einem Literaturforum erwartest, die Diskussion und Arbeit an deinen Texten kann es anscheinend nicht sein.

Dir liegt also nicht daran über deine Texte zu sprechen, ok kann akzeptiert werden, doch vergibst du dir damit auch das Entwicklungspotential, dass die Arbeit in einem Forum dir bieten könnte.

Gruß
Woitek

 

Das hab ich nicht damit gemeint, für konstruktive Kritik bin ich dankbar. Mir persönlich ist es nur wurscht ob etwas das Ballade heißt nun wirklich eine Ballade ist. Das hab ich mit "Scheiß drauf" gemeint. Gerade weil es so schön unpassend ist gefällt mir der Titel, mögen andere das auch anders sehen. Naja, hoffe du liest trotzdem weiter Geschichten von mir.
(Stehen noch ein paar in den Startlöchern...)
Gruß

 

Ich noch mal Moehrle *zwinker*

auch auf die Gefahr hin dich zu nerven: Magst du denn Leser die unhinterfragt alles schlucken, was du ihnen vorsetzt? Ein Text gibt für mich immer auch Auskunft über den Schreibenden. Wenn im Titel nun steht Beamtenballade und es ist im Text nicht einmal ein ironischer Widerspruch zum Titel zu finden, ist dies für mich schlichtweg unnötig,unpassend und zu zufällig, um gut zu sein , da gäbe es viel passendere Wortspiele, wie z.B. " Abgestempelt - die Peripetie eines Beamtenlebens".

Die Idee von KaGeb, die Geschichte in den Präsenz zu setzen, möchte ich unterstützen. Diese Zeitform würde deinem Text etwas Unmittelbares geben. Probier es doch einfach mal aus, dann vergleichst du beide Versionen miteinander und entscheidest dich für die, die dir besser gefällt.

Gruß
Woitek

 

Eigentlich bin ich kein Freund von Geschichten im Präsenz, ich mag es eher Geschichten mit einer gewissen Distanz zu erzählen, aber ich werde es auf jeden Fall mal versuchen. Mal sehen, was dabei rauskommt...
Und zum Titel: Je öfter ich den Titel lese, desto weniger gefällt er mir. Hat jemand noch andere Vorschläge ?? Das mit der Peripetie klingt mir ein wenig zu gestellt und drückt auch nicht so ganz das aus, was ich mir vorstelle.

 

Tag moehrle,

Du fängst doch im - fälschlicherweise - im Präsens an, korrekt müsste die Einleitung

Formular. Gestempelt. Das nächste Formular. Gestempelt. [...]
lauten.

Der Text wirkt für mich in seiner Reduziertheit, und in dieser kann ich die Reduktion des Beamtenarchetypus auf Stempelaufgaben und Pause um 11:30h als Minimalismus lesen.

Das Ende gefällt mir in seiner Undefiniertheit, für mich plant er eher einen Amoklauf denn einen Suizid, doch da Du so früh raus gehst wie Du den Protagonisten als Strichmännchen skizzierst, geht aus das als Minimalismus durch.

Kurz : eher ein Drahtmodell denn ein im puristischen Sinne vollständiges Gebilde, doch das gut konsequent umgesetzt. Gefällt mir.

Grüße
C. Seltsem

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom