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Adel verpflichtet

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01.06.2009
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Adel verpflichtet

Moritz von Kramhausen verließ mit versteinerter Miene das edle französische Restaurant. Während des Essens hatte sich die ansonsten betongeschwängerte Großstadt in ein Winteridyll verwandelt. Er betrachtete mit starrem Blick die fast unberührte Schneedecke, entnahm seinem vergoldeten Etui eine Zigarette und zündete sie an. Tief inhalierend klappte er den Cord-Kragen seiner Steppjacke hoch. Eben noch hatte er seinen Eltern lächelnd mitgeteilt rauchen zu wollen. Tatsächlich hatte er das Bedürfnis noch einmal alleine zu sein, bevor er die Bombe endlich platzen lassen würde. Baron von Kramhausen hatte freundlich von seinem Digestiv aufgeblickt und genickt während seine Frau Mechthild stumm in ihrem Espresso rührte und dabei wie immer den kleinen Finger abspreizte.

„Du kannst es ihnen sagen, du schaffst das“, versuchte eine innere Stimme ihm Mut zu machen. Moritz trat von einem Fuß auf den anderen und stampfte knirschend ein Muster in den Schnee. Den ganzen Abend wollte er seinen Eltern diese Mitteilung schon machen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, die richtigen Worte zu finden.

Sie wollten heraus kommen, sobald sie die Rechnung bezahlt hatten. „Bezahlen“, murmelte Moritz und pustete dabei ein Gemisch aus Zigarettenrauch und kondensierter Luft in die Winternacht. „Bezahlen konnten sie schon immer“, wiederholte er verbittert. Die Kälte bahnte sich derweil ihren Weg durch die dünnen Ledersohlen seiner Gucci Schuhe.
Ein Blick ins Fenster des Restaurants verriet ihm, dass seine Eltern angefangen hatten zu streiten. Dieser Umstand überraschte ihn nicht. Sie stritten ständig, seit er denken konnte. In der Öffentlichkeit gelang es ihnen stets, den Streit zu verbergen. Anhand ihrer Gesten und ihrer Körperhaltung konnte Moritz sie entlarven. „Adel verpflichtet“, schoss es ihm wie eine Kugel durch den Kopf. Zu Hause in Gut Hohenstein war dies anders. Völlig anders. Sein Vater war zeitlebens ein Choleriker, doch Mechthild konnte sich wehren. Und wie. Moritz selbst gelang dies nicht. „Heute schaffst du es, heute musst du es schaffen“ feuerte die innere Stimme ihn erneut an.

Trotzig schnippte er die Zigarette in den Schnee. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bevor er allen Mut zusammen nehmen würde, um es ihnen zu sagen. Zum wiederholten Mal tasteten seine Finger in seiner Gesäßtasche, deren Inhalt für ihn so wichtig war, dass seine Psyche ihm zwanghafte Kontrolle vorschrieb.

Die Glut einer weiteren Zigarette flammte auf, während sich in nicht einmal zwei Metern Entfernung ein Igel in Pflugmanier durch den Schnee schob. „Du bist mutig, kleiner Stachelfreund, verweigerst einfach deinen Winterschlaf“, murmelte Moritz und zog die Augenbrauen hoch. Im Lokal hatte sich der Streit manifestiert. Es waren über zwei Zigarettenlängen vergangen, ohne dass seinen Eltern aufgefallen wäre, dass er fehlte.

„Also, ich habe euch etwas wichtiges zu sagen“, begann Moritz zu proben. Bis zu dieser Stelle würde er ohne Probleme kommen. Aber dann? Wie würde sein Vater reagieren? Was würde seine Mutter sagen, oder würde sie nur an ihrem Pelzmantel nesteln und zu Boden blicken, würden Tränen fließen? Er würde sie aufgeben müssen. Sein Herz pochte. Natürlich war er überzeugt von dem was er vor hatte. "Ich hätte es ihnen schon viel eher sagen müssen", fluchte er. Seine Art und Weise zu rauchen erinnerte mittlerweile an einen Soldaten im Schützengraben. Wirbelnd näherte sich eine Schneeflocke und landete auf seiner heißen Stirn. Im Restaurant sah es immer noch nicht nach Aufbruch aus.

„N`abend! Herrliches Wetter, oder?“ begrüßte ihn ein elegant gekleidete Mittfünfziger der aus dem Lokal kam, eine Schachtel Zigaretten hervor kramte und davon stapfte. Moritz betrachtete die Spuren die der Mann im Schnee hinterlassen hatte, dabei fiel ihm ein gefaltetes Papier auf, welches der Winterliebhaber verloren haben musste. Es handelte sich um edles Briefpapier. Überrascht davon, in seiner Situation so etwas wie Neugier zu spüren, bückte er sich danach und entfaltete den teuer aussehenden Briefbogen. Schneeflocken tanzten jetzt wie irrsinnig um ihn herum. Als er den mit Tinte geschriebenen Text das vierte Mal las war die Schrift schon leicht verlaufen. Das machte nichts, denn dort stand nicht viel. Trotzdem wusste er nun genau, was zu tun war.

Ohne noch einmal ins Restaurant zu blicken steuerte Moritz auf den Mercedes seines Vaters zu, der mittlerweile wie ein Iglu aussah und steckte den Zettel in den Schnee auf der Windschutzscheibe. Zurück blieben nur die Abdrücke seiner Gucci Schuhe, sein Porsche und in einiger Entfernung die goldene Rolex, die sein Vater ihm zwei Monate zuvor zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie lag nun in einer Schneewehe. Moritz hatte sie im hohen Bogen weggeschleudert, als er gegangen war.

Der Zeitpunkt zu dem sein Vater den Zettel las, kongruierte chronologisch mit der Frage des Bundesbahnschaffners nach dem Fahrschein, den Moritz aus seiner Gesäßtasche gezogen hatte. „In Amsterdam hat es nicht geschneit“, sagte der Bahnangestellte während er das Billet abknipste. Einige Kilometer entfernt erstarrte Baron von Kramhausen und das nicht vor Kälte. „Was steht in dem Brief, Ludwig“? wollte seine Frau wissen. Wortlos und ohne sie an zu gucken reichte er ihr das Papier. Sie las laut:

Das Wort macht den Menschen frei. Wer sich nicht äußern kann, ist ein Sklave. Sprachlos ist darum die übermäßige Leidenschaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen ist ein Freiheitsakt; das Wort ist selbst Freiheit. Manchmal selbst dann, wenn es nur geschrieben wird".

`
Der Zug ratterte durch die weiße Landschaft. Moritz` Wange lehnte an der beschlagenen Scheibe. Durch das Guckloch, welches er sich durch Reiben geschaffen hatte, blickte er in die Ferne und lächelte. Er war frei.

 
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Hallo eule,

Deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen.
Schön, wie Du die Zerrissenheit von Moritz beschreibst, wie er sich endlich gegen den übermächtigen, alles beherrschenden Vater durchsetzen will, aber trotzdem von seiner Sprachlosigkeit runtergedrückt wird.

Mir gefallen die vielen netten Details, die die Geschichte würzen, die Atmosphäre schaffen, mir Moritz näher bringen.

Allerdings: Ein Igel im Winter, im Schnee? Naja, ich weiß nicht so recht, ob so ein Tierchen den Winterschlaf "verweigern" kann, er würde bei der Kälte wohl erfrieren, oder? Und dass Du eben den Igel auch noch als "Titelheld" gewählt hast, obwohl er eigentlich fast gar nichts zur Geschichte beiträgt. Oder sollte ich da was falsch verstanden haben?

"Adel verpflichtet" hätte ich da passender gefunden.
Vielleicht denkst Du ja nochmal drüber nach.

Ansonsten hat's mir aber gefallen.

Schneeige Grüße
Giraffe :)

 

Hey Giraffe,
es freut mich sehr, dass du die Geschichte gerne gelesen hast. Der Igel sollte natürlich als Fabeltier benutzt werden. Beim Schreiben fiel mir auf, dass er ja gar nicht da sein dürfte, wegen seines Winterschlafs. Aber das Bild und die Metapher gefiel mir dann irgendwie gerade gut. Deshalb hab ich ihn durch den Schnee schieben lassen. Aus diesem Grund hab ich ihn auch in doppelter Funktion im Namen der Geschichte einfließen lassen. Aber: du hast recht. Ich denk mal darüber nach.
Viele Grüße
Jens

 

Hallo Jens,

wende Dich per PM an einen Moderator, der kann den Titel für Dich ändern.

Bin gespannt, wie Du ihn ändern lassen willst.

Grüße
Giraffe

 

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