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Adolf's Worst Case

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01.10.2010
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Adolf's Worst Case

Adolf, ein dünner und kränklicher junger Mann, ging mit gesenktem Blick die Milchstraße entlang. Soeben hatte er seinen Ausbildungsplatz verloren, weil er seine eurosportinduzierte Frustbewältigungsmethode an der Ausbilder-Glatze ausprobierte, der die Faust im Magen nicht schmecken wollte. Dabei verstand man sich, eigentlich. Bis sich der Testosteron-Schrank und die Glatze über Adolfs fachlich diagnostizierte bipolare Persönlichkeitsstörung lustig zu machen begannen. Er würde keine Scheingespräche mehr führen, die Poldis Torflaute oder die Mainzer Siegesserie zum Inhalt hätten, dachte Adolf, einige alte Kassenzettel entsorgend.

Dabei fiel ihm ein Bettler auf, der auf einem Lumpen saß. Der dreckige Alte, dessen schwarzgrauer Bart wohl unfreiwillig mit Herbstlaub verziert war, erschreckte Adolf wie der Teufel selbst. Nicht, weil der Bettler besonders aggressiv oder aufdringlich Geld eingefordert hätte, nein, vielmehr darum, weil Adolf in ihm eine verwirklichte Möglichkeit seiner selbst zu entdecken glaubte, nämlich den worst case. Er konnte nicht aufhören, diese verlotterte Erscheinung zu betrachten, die er allmählich zu hassen begann: mit aufgerissen Augen starrte Adolf dem Bettler mitten ins ungewaschene Gesicht, als wäre er gekommen, um diesen widerlichen alten Mann seine Widerlichkeit spüren zu lassen; selbiger, zunächst freundlich und interessiert dasitzend, fühlte sich bald belästigt und bat Adolf, doch bitte zu gehen. Doch der junge Mann, angeekelt und fasziniert gleichermaßen, stand weiterhin leicht nach vorne gebeugt da, während seine feingliedrigen Finger zu zittern anfingen. Die Zukunft war offen, nach allen Seiten hin gefährlich weit offen, dieser Gedanke schmerzte Adolf im Hirn. Schließlich schlich er, blass und verschwitzt, auf unsicheren Beinen fort. Noch einmal sah er sich um, noch einmal kreuzten sich die verächtlichen Blicke des Armen mit denen des Ärmsten.

Dann drehte sich Adolf final um und rannte los. Wenn er sich beeilte, könnte er seinen Brechreiz vielleicht noch ein Weilchen hinauszögern, bis er zu Hause angekommen wäre. Die Vorübergehenden verstanden nicht, wieso er plötzlich stehen blieb und seinen Mund wie ein Wasserspeier aufriss. Bis eine grauenvolle Kotzfontäne aus ihm herausplatzte, die ihn leicht zurückstieß. Adolf fiel, von den vielen Ausbrüchen ganz geschwächt, auf den Bauch, mitten in halbverdaute REWE-Fritten und American Sandwiches. Ein Hausmeister wurde gerufen, der sich des Entkräfteten annehmen sollte. "Mein Herr, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie gerne wegkehren. Sie vergraulen die Kunden". Aus dem Augenwinkel sah Adolf ein riesiges Kehrblech, das der Hausmeister mit fragender Miene auf ihn richtete. "Nein ... noch nicht, ich darf noch nicht weggekehrt werden", keuchte er.

Noch nicht. Denn die Zukunft war offen, nach allen Seiten hin gefährlich weit offen...

 

Schönes Gedankenspiel, sprach mich sofort an, die Situation und die Frage, wie weit das Leben des hoffnungsfrohen Einen von dem eines hoffnungslosen Anderen entfernt ist, die Zufälligkeit unserer Leben. Da muss ich als Leser aber wieder ne Menge mitbringen, denn dieser Kerngedanke ist ja kaum ausgeführt. Da sind Passagen, die eher die Begeisterung des Autors an der Sprache bezeugen, bspw die hier:

weil er seine eurosportinduzierte Frustbewältigungsmethode an der Ausbilder-Glatze ausprobierte, der die Faust im Magen nicht schmecken wollte.
Müsste abspecken.
Was er zum Schluss des letzten Absatzes erzählt und tut, geht völlig an mir vorbei, das kann freilich auch an der Uhrzeit liegen. Und dann dieser ganze, wirklich seltsame Mittelteil, in dem mich der Prot mit seinen starken Gefühlsäußerungen an die Figuren Dostojewskis erinnert. Du erzählst von sehr starken Emotionen, deren Ursprung nicht näher ausgeleuchtet wird. Natürlich ist da diese worst case-Erkenntnis, aber die reicht mir nicht zur Erklärung, warum der Protagonist zu hassen beginnt, angeekelt und fasziniert zugleich ist. Dann drängt sich der Erzähler in den Vordergrund und beschreibt den Alten als verlottert, widerlich etc.
Zum Schluss noch dieses riesige Kehrblech, so ein surreales Element, erinnert mich wieder an nen Russen, an Gogols Glocke. Der Text ist wie dein anderer sehr dicht, abwechslungsreicher, aber auch verschlossener. So als kurze Annäherung.
Grüße

 
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Moi Salamander,

ein englischer Titel ohne sehr guten (inhaltsrelevanten) Grund wirkt über deutschsprachigen Texten leider immer schrecklich bemüht. Falls es aber nun unbedingt sein muß, sollte man schon die korrekte Schreibweise bei englischen Titeln wählen; außdem fehlt das Apostroph. :dozey: Adolf's Worst Case. Darf ich ändern? Das tut mir weh, irgendwie.

Ab davon entspricht worst case nicht dem, was Du übersetzt - nämlich nicht, daß es die schlimmste für Adolf mögliche Existenzform bedeutet, sondern sein schlimmster Fall, vergleichsweise z.B. mit dem eines Detektives. Hrumpf. Nee, ey. Mir fällt dazu ein saublöder Spruch ein: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Sag's doch auf Deutsch, was Du sagen willst.

Dabei viel ihm ein Bettler auf,
Öhem ... viele Bettler fielen ihm auf? ;)
eurosportinduzierte Frustbewältigungsmethode
Wirkt sehr angestrengt auf mich, und weder lustig noch einfallsreich, der gesamte erste Absatz macht es mit diesen vielen 'ulkigen' Worthülsen schwer, in die story einzusteigen.
nämlich den worst case
Schlimmsten Fall, schlimmstes Ergebnis, schlimmste Zukunftsvariante ... where's the problem, dude?

Dem zweiten Absatz würden ein paar Punkte als Satztrennung guttun, ich bin hier mal kurz ausgestiegen, das ist nicht so elegant gelöst.

Dann drehte sich Adolf final um und rannte los.
Ja guck, das ist jetzt doof mit dem restlichen Englisch hier. Adolf Final wäre ein lustiger Name, obwohl unsinnig, selbst in einer seltsamen Geschichte. Meinst Du vllt abschließend? Das ist aber nicht final, sondern finally. Ich empfehle ganz dringend, Fremdsprachen nur korrekt einzubauen - sonst besser gar nicht. Wenn es nun das eingedeutschte final sein soll, erkennt man es nicht als solches, weil halt oben Englisch verwendet wird. Find ich sehr ungeschickt.

eine grauenvolle Kotzfontäne aus ihm herausplatzte, die ihn leicht zurückstieß.
Entweder überzogen oder abgeschwächt, nicht kombinieren.

Also, sori, mich kann dieser kleine Text nicht überzeugen. Nicht nur wegen der stilistischen und sprachlichen Holpereien, sondern auch, weil es gefühlte 100 Texte hier auf der site gibt, in denen Bettler für irgendeine philosophische, satirische, kritische oder humorige Introspektive eines Prots herhalten müssen, und das erinnert mich in der Häufung schon an die Manie mit den "Edlen Wilden" des 18. und 19. Jahrhunderts.

Aber wir sind ja alle zum üben hier. ;) Würd ich nochmal gründlich durcharbeiten, auch in Hinblick auf Sprachfluß. Ein roter Faden und etwas Komplexität könnten auch nicht schaden - damit meine ich nicht besonders schräge Formulierungen, sondern passende. Dann wird vllt auch deutlicher, was Du erzählen möchtest. Auf mich wirkt das wie eine konfuse und nicht überarbeitete Reihung von Ideen, die irgendwie aber nicht so ganz mit Adolf Hitler und dem finalen Sonstwas zu tun haben ... könnten ... oder auch nicht.

Herzlichst,
Katla

 

Der Stil ist das Problem, das ist ein "ich versuche cleverer auszusehen als ich bin"-Stil, mit umständlich gewählten Wendungen und Imponierformen, die bei näherem Hinsehen überflüssig oder sogar sinnlos sind und sich an der Geilheit des Bruchs und der Wiederholung berauschen, dadurch wirkt der Erzähler auch gleich unsympathisch und die Nicht-Handlung nervt.
Wenn man das Gefühl hat, der Erzähler holt sich auf sich selbst einen runter und der Autor lässt ihn das ungebrochen tun, ist das leider nicht so toll. Wenn das mal zum Trend wird, wäre der erste Absatz aber bestimmt spitze.
So ein Text lebt einzig und allein von der Sprachmelodie und die hier, um in der Sprache unserer Zeit zu bleiben, suckt.

 
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@all

Zunächst einmal ein Danke für euer feedback.

Ja, es gibt eine gewisse Begeisterung des Autors für seine Sprache. Ich werde meine Sprache "abspecken", so dass die Kraft nicht mehr in einem protzigen Ausdruck gebündelt wird ("eurposportinduzierte Frustbewältigungsmethode" etwa), sondern sich gleichmäßiger verteilt. Obwohl ich zitierte Wortgruppe durchaus witzig finde. Andererseits ist der Erzähler ja selbst kein Handelnder, der zu sehr auffallen und die Aufmerksamkeit auf sich konzentrieren sollte, weil so der Blick von der Geschichte abgelenkt bzw. erschwert wird. Was Kubus bemerkt, dass der Erzähler den Bettler als "lotterlich", "widerlich" etc. bezeichnet und sich somit auf eine Seite schlägt, ist problematisch, ja. Das lag hier an der Situation, der Mann steht stumm da und sagt nichts, für ausformulierte Gedanken arbeitet sein Kopf zu tierisch, so dass es mir angebracht schien, den Erzähler übernehmen zu lassen.

Das lebensweltiche Drumherum könnte mehr ausgleuchtet und nachvollziehbar gestaltet werden, nur liegt hier das Problem wiederum darin, dass es der Sinn des Textes ist, eine gewisse Beklemmung zu erzeugen, einen Menschen zeigen soll, der gerade keine reflexive Distanz einzunehmen vermag.

Über den Titel lässt sich schreiten, ich wählte ihn, weil er den Kerngedanken erahnen lässt. "Schlimmerster Fall" schiene mir weniger griffig als "worst case". Ich sehe nicht, wieso diese Wendug im Text nicht passen sollte. Auch denke ich nicht, dass man prinzipiell auf deutsche Worte verzichten sollte, entweder sie passen oder nicht, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Aber Katla hat Recht, wenn sie sich über den Titel mokiert - englische Titel deutschsprachiger Texte muten schon ein bisschen dekadent an. Wer sich an dem "final" stört, ersetzte es gedanklich durch ein nicht welsches "endgülitg", das ist zuerst stehen hatte, mir dann aber als zu aufgeblasen erschien. Vermutlich müsste ich einen ganz anderen Satz schreiben, um diese Unreinheiten zu vermeiden.

Naja, und Quinn. Ein wenig unkonstruktive Polemik, ein bisschen Selbsterhöhung durch Fremdabwertung, wenn' Spaß macht.

So weit.

 
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"Schlimmerster Fall" schiene mir weniger griffig als "worst case". Ich sehe nicht, wieso diese Wendug im Text nicht passen sollte.
Weil Dein Begriff im Englischen zwar so klingt, als ob er das gleiche sagte, es aber in Wahrheit nicht tut - das ist der Trick: nicht alles läßt sich wörtlich übersetzen. Cut it out heißt "Hör auf damit", da kannst Du das auch nicht besser finden wollen, als zu sagen, schneid es aus, verstehst?

Wir haben bei Sprachen, die nicht unsere Muttersprachen sind, oft das Gefühl, etwas passe besser. Meist ist es aber nur so, daß wir in der anderen Sprache nicht so firm sind, und daher den Eindruck haben - völlig zu unrecht - man könne dort alles lockerer und unbekümmerter handhaben. In diesem Fall offensichtlich in die Hose gegangen, denn was Du sagst, ist kein korrektes Englisch für diese Aussage - ganz simpel. Aber hey, wenn Dich das nicht stört.
Wieso stört es Dich aber in einer anderen Sprache nicht, wenn es Dich im Deutschen schon stört, daß sich was komisch anhört, was aber korrekt gewesen wäre? :confused: :confused:

Ich mach mal den scheußlichen Titel schön, Du hast Dich ja nicht gegen den Vorschlag gewehrt. :D

Sonnigst,
Katla

 
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Naja, und Quinn. Ein wenig unkonstruktive Polemik, ein bisschen Selbsterhöhung durch Fremdabwertung, wenn' Spaß macht.
Ich weiß immer nicht, wie man sowas konstruktiv kritisieren soll, also im Sinne des Autors.
Die Geschichte hat keine Figuren und keinen Plot. Man hat also nur die Erzählstimme, die hier irgendetwas tragen kann. Und die zieht in diesem Fall nicht. Was will man denn sonst dazu sagen?
Ich kann ja nicht hergehen und anfangen: "Ja, also erzähl doch erstmal eine Geschichte mit einer Handlung und Figuren!" Ich kann mich nur mit der Erzählstimme beschäftigen. Und da hab ich versucht, dir klar zu machen, dass das so kaum funktionieren kann.
Mir zu unterstellen, ich würde mich selbst erhöhen, wenn ich den Text hier abwerte, ist einfach dreist. Damit kann man jede Form von Kritik abtun. So reagieren Narzisten auf Kritik.
Wie hättest du dir denn Kritik an dieser Geschichte gewünscht? Wolltest du für die wahnsinnige Schärfe des Blicks auf den Alltag gelobt werden? Oder für gewagte Formulierungen? Oder für dieses dumpfe "Irgendwas hat das auch mit Nazis zu tun - OOOOOOOOOOOH!"? Wie stellst du dir denn konstruktive Kritik an so einer Art von Text vor, das würde mich interessieren.

Und über was sich katla da aufregt, ist das fehlende "Scenario". Worst-Case-Scenario, im deutschen haben wir das als "GAU" übernommen, größter anzunehmender Unfall, das ist aber auch keine 1:1-Übersetzung, sondern das Akronym "GAU" wird bei uns fast ausschließlich mit Atomkraftwerken in Verbindung gebracht. Schlimmstmögliche Wendung ginge.

 

Hallo Salamander,

mit dem Namen "Adolf" verknüpft man ja so einiges, und ich habe zuerst erfolglos darüber nachgegrübelt, wo denn der Bezug sei. Dann habe ich für "Adolf" "Markus" eingesetzt, und ich konnte den Text sofort viel unbefangener lesen. Okay, ein junger Mann, der wie ein Planet die Milchstraße entlangtrudelt (neue Interpretationsmöglichkeiten, wenn sie Lindenstraße oder Sonnenallee oder Boulevard der verlorenen Träume heißen würde), einen Bettler trifft - eine Parabel mit höchst aktuellem Gegenwartsbezug. Das Bild mit der Kehrschaufel hat mir sehr gut gefallen. Weil ich schon dabei war, taufte ich den Kerl in "Hassan" um, und siehe da: Es taten sich ganz neue Zugangsebenen auf. Je nach Namen sind auch die Interpretationsmöglichkeiten offen, genau wie die Zukunft. ;)

 

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