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- 10.07.2006
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Adrett misshandeln.
“Ich hab eine Frage an dich, aus karrieristischen Gründen.”
“Schieß los und so.”
“Wurdest du vergewaltigt, als du klein warst?”
“Warum kann man Karriere machen, wenn man als Kind vergewaltigt wurde?”
“So karrieristisch war die Frage gar nicht gemeint.”
“Ja.”
“Wie oft?”
“Zwölf Mal ungefähr.”
“Erzähl mir doch keinen Scheiß.”
“Und du?”
“Ich hab mich heute aus Versehen in dich verliebt. Tut mir Leid.”
Sophies Augen haben die Farbe einer blaugrünen Leuchtreklame; sie sind blaugrün. In einem seriösen Interview würden ihre Gesichtszüge vermutlich als markant bezeichnet und das Titelblatt des dazugehörigen Fernsehprogramms zieren.
In grobmotorischer Ideenvielfalt hat sie die aus zerbrochenen Tellern bestehenden Unannehmlichkeiten mit einem Handfeger beseitigt und mich durch eine spontanen Geste an den Mahagonitisch gebeten. Ich weiche herum liegenden Schnittverletzungen aus und diskriminiere die Ambivalenz eines intoleranten Realitätsbezug. Die von einer namhaften Persönlichkeit in den Kunstbegriff verpackte Langweile betitelt sich eigenständig als den sechsten Dezember und verschenkt durch Tesafilm fabrizierten Funkenflug; ich verblute an einem zerbrochenen Stückchen Balkontür. Ich ritze mir ein frühpubertäres Pentagramm in den kindlichen Handrücken, zerschneide die Peinlichkeit mit einer Textilschere in feinkategorisierte Zeitabschnitte und zeichne mit Lippenstift den momentanen Standpunkt unserer verkommenen Klimasituation in mein Universallexikon. Anhand visualisierter Brennpunkte entwickelt sich mein nicht vorhandenes Feingefühl zu einem guten Gewissen und frisst Thunfischtatar. Goethe fickt und anstelle des obligatorischen Menstruationsblut läuft Sophie ein bisschen Sperma die rötlichen Schenkel hinunter, schließt sich humorvoll zu einem Herz zusammen und stellt durch derart geballter Skurrilität die thematisierte Jugend zutiefst authentisch dar.
Ich habe mich in ihr fortgeschrittenes Alter verliebt und den dazugehörigen Beschützerinstinkt. Mein Leben gleicht dem Verfaulungsprozess eines giftigen Apfels, dessen intrigante Schönheit sein Opfer im obligatorischen Nachhinein zu einer aus Flucht bestehenden Vorsicht animiert. Sie streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, berührt eine erogene Zone und dreht sich überfordert zum Fenster.
Sie fickt für Geld.
„Ich steh nicht auf Mädchen, Kleines.“
„Ich auch nicht.“
Ich ziehe das weiße Hemd eines Freiers über, erzähle ihr von einem Igel am Hauptfriedhof und meinen tot im Betriebsbüro herum liegenden Erziehungsbevollmächtigungen.
„Jetzt, wo ich weiß, dass du mitkommen wirst, liebe ich dich so gar noch mehr.“
Zwischen Raufaser und Wand klebt die Hoffnung fremder Leben.
Während Sophie sich die Textilschere in die Arterie zu rammen versucht um im dazugehörigen Anschluss Hühnersuppe auf dem Küchenboden zu fressen, stelle ich ihr die erste philosophische Frage unseres gemeinsamen Lebens:
“Wie ignoriert man die Gleichgültigkeit des Universums?”
Wir hängen gemeinsam unsere Herzen im Wohnzimmer auf und tanzen zu aus ihren nostalgischen Kindheitserinnerungen heraus gerissenem Punk. Sie antwort nie und kümmert sich stattdessen lieber um die Biologie performenden Plastikpflanzen im Vorratsschrank.
In ihrer Gegenwart vergleiche ich das fehlplatzierte Mobiliar mit unserer illegalen Beziehung.
Weder die Couch noch wir selbst werden in absehbarer Zeit durch eine geordnetere Scheiße rocken als zuvor, sondern in einer gesellschaftlichen Nische an Heroin oder dem Traum von rosagestrichener Gartenzaundramaturgie verkommen.
Sie hat Sex mit Scheißmenschen, während ich meine Unschuld auf ihr Konto überweise. Die hervorstehenden Beckenknochen symbolisieren ihre offensiv gelebte Zwangsneurose, zwei Stiefmütterchen verwelken derweil in einem klardefinierten Alterungsprozess und schätzen an Sophie hauptsächlich ihre auf die soziale Unterschicht projizierte Komplexbeladenheit.
Ich möchte von ihr träumen und zwar so, dass es sich anfühlt, als wäre sie wirklich da und eine kompetente Erziehungsbevollmächtigung mit Zusammengehörigkeitsgefühl. Stattdessen schreit sie beim Ficken nach mir und erleidet unter der Absurdität ihrer Situation einen Nervenzusammenbruch.
Pianist Franz befriedigt sich bei meinem entblößten Anblick selbst und verleiht seiner Perversion in Räucherstäbchenzusammenhang niveauvoll Hintergrund.
Seine Liebe zur Drastik sei in Sophies psychosozialer Inkompetenz gestorben. Er wolle mit einem Glockenspiel operieren und mir zu meiner Karriere als glückliches Kind verhelfen.
“Was stellt ihr beiden hier eigentlich dar?”
Die Skizze zweier Verunglückter.
“Sophie sollte dich ins Bett bringen, hast du irgendwelche Hobbys? Malen vielleicht?”
Ich liebe sie.
Ich liebe die Marmelade an ihrem Ohrläppchen. Nachts dem Knacken der Holzdielen auszuweichen, um ihr unbemerkt die Nägel zu schneiden oder den alkoholisierten Schönheitsschlaf in Zuneigung umzuinterpretieren.
Als sie eines romantischen Morgens von ihrem Wortschatz profitiert und unsere Armut in den Schatten einer Dostojewskifloskel stellt, trinken wir Milch und performen Gesundheit.
Die Sonne kitzelt einen Marienkäfer auf dem Fensterbrett zu Tode.
“Leni Erdnuss, siehst du? Ich spreche irgendwie wieder.”
“Ja, ganz hervorragend.”
“Wir können jetzt über tolle Vergewaltigungsfilme konferieren.”
Sie krächzt weinerlich und bohrt ihre Nägelchen in mein Rückrat.
“Kannst du dich die nächste halbe Stunde mal kurz verantwortlich für mich fühlen, Sophie?”
“Klar, warum nicht?”
“Weil ich mich jetzt umbringen werde.”
Ich suche hektisch nach der zuvor bereit gelegten Pistole und stelle sowohl ihren Verlust als auch die damit verbundene Peinlichkeit fest.
“Scheiße, wirklich. Tut mir Leid. Ich wollte uns nicht blamieren.”
***
„Ich habe einen Spiralblock mit praktischer Ausreißhilfe erstanden...“
„Und warum genau?“
„Weil, wir wollen ausreißen.“
„Du und ich? Aber nicht, dass wir uns noch erschießen müssen oder so, weil diesem Text hier die Dramatik fehlt. Es gibt ja die verrücktesten Gründe.“
„Nein. Wir schauen aus dem Fenster nach herum liegenden Jobangeboten.“
„Und was ist mit dieser Zwangsbeschneidungsscheiße in Tansania?“
„Mir wird nie im Leben jemand glauben, dass ich eine zwangsbeschnittene Arbeiterin in der Eiswürfelfabrik meines getöteten Vaters bin, Sophie.“
Wie alles passiert ist, ist meistens eine lange Geschichte. Unsere begann damit, vorhanden zu sein.