Afrika
Schon wieder konnte er nicht schlafen. Nachdem er sich eine ganze Weile frustriert im Bett
hin und her gewälzt hatte, stand er auf und ging an den Schrank- Er schenkte einen Schluck
Whiskey in das Glas auf dem Tisch, setzte es an seine Lippen und leerte es im nächsten
Moment. Er atmete tief ein und aus, blickte aus dem Fenster in seinem Büro in die tief
schwarze Nacht und versuchte einen Gedanken zu greifen. Das wurde schon fast zu einem
Dauerzustand. Die Gedanken flogen in Scharen an ihm vorbei und machten es unmöglich
sich zu konzentrieren. Er schenkte sich ein weiteres Glas ein. Und plötzlich war der
Gedanke klar. Er dachte an ihn. Sein goldblondes Haar. Sein rundes Gesicht mit diesem
kleinen verschmitztem Lächeln und den großen, dunklen und unglaublich traurigen Augen.
Philipp. Zu lange hatte er ihn nicht mehr gesehen. Von jetzt auf gleich hatte Susanne ihm
ihren Plan vor die Füße geworfen. Sie würde nach Afrika gehen. Und Philipp würde sie
mitnehmen. Hier wäre es ihr zu kalt. „In den Wintern halte ich es nicht mehr aus.... Und der
Sommer ist schon zu lange her, als dass mich der Gedanke an ihn erwärmen könnte.“ Das
waren ihre Worte. Und er hatte davon nichts mitbekommen. „Warum hast du nichts gesagt?“
Die Frage hallte immer noch in seinem Kopf nach. Klar, man konnte ihm Vorwürfe machen.
Er war nicht perfekt. Aber von jetzt auf gleich nach Afrika zu gehen, war das in Ordnung?
Er seufzte. Schenkte sich zum dritten Mal nach und setzte sich vor den Fernseher. An Schlaf
war nicht mehr zu denken. Auf dem Bildschirm sah er Giraffen wie sie Blätter von riesigen
Bäumen pflückten und gemächlich fraßen. Auf den Bäumen saßen kleine Affen mit
hinterhältigen Gesichtern, die die Giraffen mit Früchten bewarfen. Die Giraffen ließen sich
davon aber keineswegs beirren. Es war ihnen egal. Kurz dachte er über die
Nahrungssituation in Afrika nach. Wie konnte es sein dass Affen mit Essen um sich warfen.
Musste man in Afrika nicht um das Überleben kämpfen? Ein Sonnenuntergang wurde
eingeblendet, der die ganze Savanne in wunderschöne Gelb- und Rottöne tauchte. Vielleicht
war in Afrika doch alles besser, dachte er sich. Vielleicht war es ein unglaublicher Ort, wie
das Paradies aus dem die Menschen verdrängt wurden.
Er schaltete weiter durch das Programm. Bis auf glückliche Hausfrauen, die voller
Lebensfreude einen Topf spülten und einem Psychologen der fachmännisch einen Patienten
auf seinem Sofa begutachtete, lief nichts interessantes. Wieder seufzte er, stellte sein Glas ab
und ging zurück zu seinem Bett. Er hatte einen Entschluss gefasst. Wochenlang hatte er
nicht mehr schlafen können. Wochenlang hatte er versucht Nachzudenken. Aber nie war es
ihm gelungen. Jetzt wusste er es. Zufrieden machte er die Augen zu und träumte von roten
Bäumen und hinterhältigen Affen. Wenige Stunden später machte er sich auf den Weg. Lief
durch verwinkelte Straßen, ein Stück Papier fest in der Hand haltend. Wie eine Weltreise
kam es ihm vor. „Noch zwei Haltestellen mit der Bahn, dann über die Brücke und rechts....“
Immer wieder ging er es in seinem Kopf durch. Dann stand er da, öffnete die Tür und ging
die Treppen hinauf. Er klopfte und wartete. Wie eine Ewigkeit kam es ihm vor bis die Tür
geöffnet wurde. Er blickte in einen großen, schönen Raum, der in Gelb und Rot gehüllt war.
Und vor ihm strahlten ihn zwei dunkle Augen an. Hier war es wirklich wärmer. Erst jetzt
merkte er wie sehr er gefroren hatte.