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Thema des Monats Agave Azul

Seniors
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22.10.2004
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Agave Azul

Er war ihr in Tarifa begegnet, an der spanischen Atlantikküste, wo der Wind ohne Unterlass über Wellen und Sand strich und heißkörnige Ahnungen von Afrika mitbrachte, das man als dunstige blaue Küstenlinie am Horizont sehen konnte. Magdalena wanderte durch den weißen Sand, als wäre sie in einer Wüste unterwegs, mit langsamen und bedächtigen Schritten und mit dieser Holzkiste, gegen deren helle Wände sich das Goldbraun ihrer Arme abhob. Pavel schaute ihr entgegen und fand, dass sie so fremd aussah, wie er sich fühlte und dass sie keine Spanierin sein konnte.
„Nein, ich komme aus Jalisco“, sagte sie, als sie sich gegenüberstanden und er sie angesprochen hatte. Und sie lächelte und fügte hinzu: „Mexiko.“ Das Wort klang, als ob sie es beim Aussprechen streichelte. Auf die gleiche Weise verriet sie ihm ihren Namen, dessen Silben in der Luft zu schillern begannen.
Da ist etwas mit ihr, dachte Pavel, es ist in ihrer Stimme und es leuchtet aus ihren Augen. Er suchte nach dem richtigen Wort, aber es fiel ihm weder auf Spanisch noch auf Tschechisch ein.
Sie verließen den Strand in Richtung Tarifa. Zwischen Pavels Zähnen knirschte es, und er musste sich feine Sandkörner aus den Augen wischen, aber Magdalena tat nichts dergleichen.
Gegenüber der Kirche setzten sie sich in ein Café, sie schob die Kiste unter ihren Stuhl und trommelte sachte mit den nackten Fersen dagegen. Hier zwischen den Mauern war die Mittagsstille vollkommen.
„Was ist da drin?“, fragte er und deutete nach unten.
„Mein Zuhause“, antwortete sie, lächelte, und er suchte schon wieder dieses Wort.
„In einer Holzkiste?“
Sie zuckte die Achseln. „Warum nicht. So ist es bei mir. Wo ist deines?“
Jetzt hob Pavel die Schultern und überlegte, ob er ihr von Prag erzählen sollte oder gleich von seinem Großvater, von der Überquerung der Pyrenäen, dem blutigen Staub von Albacete, wo der Schweiß vieler Länder zusammenkam, von den Marschgesängen der Brigaden, brockig ausgespucktem Spanisch und dem Mädchen aus Guadalajara, das damals im Regen hinter seinem Großvater aufgetaucht war und ihn beiseite gestoßen hatte, ehe der tödliche Schuss fallen konnte. Er hätte ihr das erzählen können, denn in jenem Augenblick, im unbarmherzigen Regen von Guadalajara, hatte ja seine Geschichte angefangen, die wie ein großes Pendel war, von Spanien – um das seine Großmutter weinte wie um einen Toten – nach Tschechien und nun wieder zurück und vielleicht danach wieder in die andere Richtung, wer konnte das wissen, er glaubte jedenfalls noch immer die Bewegung zu spüren.
Er dachte noch darüber nach, was davon er ihr sagen sollte, als sie schon seinen Blick gefunden hatte.
„Du suchst noch …“

Sie hatte in diesem Moment beschlossen, dass sie ihn begleiten würde, unwiderruflich, aber das wurde ihm erst später klar. Er hatte geglaubt, ein wirklicher Reisender zu sein, losgelöst von allem und mit nichts als einem Rucksack, der das Wenige enthielt, worauf er nicht verzichten konnte. Doch er hatte sich geirrt, die wahre Reisende war Magdalena, barfuß und mit ihrer Holzkiste in den Armen, die sie nicht öffnen mochte und die nichts von dem enthalten konnte, was er auf einer Reise für nötig hielt. Magdalena reiste auf Wegen, die hinter ihr zerflossen und vor ihr ins Ungewisse führten. Er reiste nicht wirklich, nicht wie sie, er machte Ausflüge, zaghafte Schritte hier und dorthin und immer so, dass er sich festhalten konnte. Das begriff er, als sie ihn am Arm fasste – „schau mal, wollen wir in den Bus steigen und sehen, wohin wir kommen?“ – und er nein sagen musste, weil es zu viele Dinge gab, die ihn für den Moment zurückhielten. „Ich brauche doch meine Sachen.“ Sie ließ ihn los, sah ihn an und lachte, mit diesem Leuchten in den Augen. „Ach ja, es haben alle Sachen. Das vergesse ich andauernd.“
Er schaute weg, sein Gesicht war zu hart zum Lachen, das tat auf einmal weh.
Also fuhren sie am nächsten Tag. Er zahlte die Fahrkarten, denn sie hatte kein Geld.

„Ich bin am Ende der Welt an Land gekommen“, erzählte sie ihm, und Pavel hielt es für unmöglich. Er hatte vom Ende der Welt gehört, die Spanier nannten es Finisterre und meinten ein raues Kap im Westen Galiziens, kurz über Portugal … Aber dort legten keine Schiffe an.
„Ich bin dort angekommen“, beharrte sie, „und das Erste, was ich kennenlernte, war der galizische Regen. Der ist wie flüssig gewordenes graues Licht. Ich bin durch den Regen gegangen und hatte feuchte Erde unter den Füßen, und bei jedem Schritt hab ich mich gefragt, ob es gute Erde für meine Wurzeln ist. Ich mochte die Erde dort, wirklich. Ich mochte auch den Regen. Aber ich bin weitergegangen.“
Pavel gefiel das Bild mit den Wurzeln, und der Regen von Galizien erinnerte ihn an einen kalten Regentag in Guadalajara, den er nie erlebt hatte, aber die Erinnerung daran hatten sie ihm gegeben wie ein Erbstück, verblichen und staubbedeckt. Er holte die Erinnerung hervor, und Magdalena hörte ihm zu, während der Bus Richtung Norden fuhr und am Bett des Guadalquivir entlang, in dessen Mitte braune Pfützen vom Meer träumten.
„Bist du in Guadalajara gewesen?“
„Zuallererst dort, ja. Aber da war es nicht.“ Er dachte an ihre Worte von vorhin. „Ich mochte die Erde dort. Trotzdem bin ich weitergegangen.“
Magdalena lächelte und Pavel dachte, dass er jetzt wieder das Pendel war und suchend über die gesamte Halbinsel schwang.
Er fragte nach Mexiko, aber sie schüttelte den Kopf.
„Ich kann mich nur an die Sonne erinnern“, sagte sie, „und an die Erde.“
„Ist sie anders als hier?“
Er spürte ihr Zögern.
„Für die Erde von Mexiko gibt es keine Worte.“
Draußen leuchtete die Erde von Andalusien: rote staubige Felder, ausgebrannt von der Mittagssonne. Drinnen, in der künstlichen Luft des Busses, nahm Magdalena Pavels Hand und schob sie behutsam in die nur leicht geöffnete Holzkiste, bis er Sand zwischen seinen Fingern spürte, blind die fremde Erde ertastete und etwas Spitzes in seinen Handrücken stach.
„Vorsicht!“, sagte Magdalena, als er zusammenfuhr.
„Was ist da drin? Ein Kaktus?“
„Kein Kaktus.“ Sie sah zu, wie er seine Hand zurück zog und auf einen winzigen blutenden Einstich starrte. „Eine Agave.“
„Darf ich sie sehen?“
„Noch nicht. Ich zeige sie nicht jedem, weißt du.“
Pavel schüttelte leicht den Kopf. Zwischen seinen Fingern spürte er noch immer ein paar Krümel mexikanischer Erde. „Du hast ganz schön viele Geheimnisse.“
Sie schob den Deckel zu, wich seinem Blick aus.
„Ich habe keine Geheimnisse, Pavel. Ich habe nur mich und sonst nichts. Verstehst du?“
Er gab keine Antwort.

Sie waren aufs Geratewohl in den Bus gestiegen, und er brachte sie nach Sevilla. Pavel dachte an alles, was er an Lobgesängen auf diese verzauberte Stadt gelesen hatte, aber Magdalena sah sich skeptisch um mit ihren dunklen Augen. Sevilla war überrannt von Fremden, die Hitze hatte seine Gassen ausgebrannt, und die müden Orangenbäume brachten Magdalena fast zum Weinen. Sie stellte die Kiste ab, um die schmalen Stämme zu streicheln.
„Im Frühjahr müssen sie wunderschön sein“, sagte sie, während ihre Finger sanft über trockene Rinde glitten. Eine Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit, die größer und ehrlicher war als alles, was er jemals gehört hatte.
Er bot ihr an, die Kiste zu tragen, aber sie schüttelte den Kopf und nahm sie wieder auf. Gemeinsam streiften sie durch die abgestandenen Schatten der Altstadt und legten vor der Kathedrale den Kopf in den Nacken.
„Steingewordener Glaube“, meinte Pavel. „Damit alle sich klein fühlen.“
„Glaubst du an das, was sie Gott nennen?“
Die Frage erstaunte ihn. Er zögerte.
„Ich glaube an Ideen, nicht an Götter. Aber was ist mit dir? Ich dachte, die Mexikaner wären alle sehr …“
„Du glaubst“, unterbrach sie ihn leise und drückte ihre Kiste an sich. „Du kannst das.“
Er verstand nicht recht.
„Willst du rein?“
Sie schüttelte den Kopf und blickte noch einmal an den grauen Mauern hoch.
„Ich habe Angst in Kirchen. Ich hab immer Angst, wenn zuviel Stein da ist. Lass uns lieber zum Fluss gehen.“
Er folgte ihr über den glühenden Asphalt, der ihren bloßen Füßen nichts auszumachen schien. „Du warst schon einmal hier?“
Magdalena wandte sich kaum um.
„Nein. Aber ich weiß immer, wo es zum Fluss geht.“

Vor der Torre del Oro, dem Goldturm, wollte sie hinunter in das Flussbett, um wenigstens ein bisschen feuchten Schlamm unter den Füßen spüren zu können.
Pavel betrachtete die traurigen Sommerreste des Guadalquivir und hob die Schultern.
„Man kommt aber nicht runter.“
Sie schaute hilflos an den Ufermauern entlang.
„Aber es ist doch Flusserde“, murmelte sie. „Und meine Füße tun weh.“
„Du könntest Schuhe tragen.“
„Das hilft nicht. Sie brauchen Erde und Sand.“
„Ich brauche was zu essen. Und ein Zimmer sollten wir auch suchen.“
Für einen Moment wurden ihre Augen groß, schienen nicht gleich zu verstehen.
Sie ist wie ein Kind, dachte Pavel und fühlte unbestimmten Ärger in sich aufsteigen.
„Hast du etwa keinen Hunger?“
„Ich vergesse ihn immer“, sagte sie entschuldigend.
„Meine Güte, Magdalena.“
„Ich habe mich nur gewundert, dass du ein Zimmer suchen willst.“
„Wo wolltest du denn schlafen?“
Sie wies mit einer unbestimmten Armbewegung um sich.
„Irgendwo. Ich habe immer irgendwo geschlafen. Auf der Erde.“
Pavel schüttelte sich. „Das ist doch viel zu kalt.“
„Es ist Sommer“, widersprach sie.
„Trotzdem. Die Erde ist kalt und nachts wird es feucht.“
Magdalena nickte lebhaft. „Eben. Und ich mag es, wenn die Feuchtigkeit mich einhüllt.“
„Irgendwie bist du verrückt.“ Er musterte sie und spürte das seltsame Verlangen zu grinsen. „Bist du die ganze Zeit so herumgereist?“
Wieder nickte sie.
„Und wenn es kälter wird, was machst du dann?“
„Das stört mich nicht.“ Sie lächelte. „Die Erde ist auch gar nicht kalt. Sie wärmt eigentlich immer. Das reicht völlig aus.“
„Du wirst dir den Tod holen.“
Er schaffte es, sie nachdenklich zu machen.
„Vielleicht“, sagte sie, „werde ich es eines Tages verlernen. Das ist die Frage.“

Damals, im Winter, zwischen Guadalajara und Madrid, konnte die Erde nicht gewärmt haben. Da war Pavel sich ganz sicher. Auch wenn er im Sommer nach Guadalajara gekommen war, in ein ausgedörrtes Guadalajara, wo die Hitze alle Geräusche in den Straßenstaub gepresst hatte und wo nichts daran erinnerte, dass es dort je geregnet hatte. Das Wolkengrau war genauso weit weg wie das Blut und das Donnern und die klammen Finger, und die erstarrte ratlose Front voller durchnässter Leiber. Nach alldem hatte das Wort Guadalajara für ihn geklungen, es hatte sich angefühlt wie eiskalte Hände, die sich in stiller Hilflosigkeit umklammerten, pressten und einander noch fremd waren. Guadalajara: wo das spanische Mädchen aus dem Regen kam. Guadalajara: das Zauberwort.
Aber bei seiner Ankunft hatte er begriffen, dass er sich irrte. Dass er ein anderes Guadalajara meinte, das es heute nicht mehr gab. Er kam nicht nach Hause, als er Guadalajara erreichte, er fand nur den Geschmack von heißem Staub und ausgelöschter Zeit und das hatte er nicht gesucht. Er hatte auch nicht den vergilbten Regentag gesucht, oder vielleicht doch, aber es gab etwas vor diesem Tag, das Mädchen aus dem Regen musste einen weiten Weg gegangen sein.
„Sevilla hat keine gute Erde“, sagte Magdalena neben ihm und fuhr mit der Hand über das kurze trockene Gras. Er glaubte, sie zu verstehen.
„Aber du trägst deine Erde ja mit dir.“
„Gegen das Heimweh.“
Sie saßen in dem großen stummen Garten des Alcázar, des alten Maurenpalastes, und es war, als hätten sie sich in ein geflüstertes Märchen zurückgezogen. Die Umgebung verlor sich langsam im graublauen Dämmerlicht und die sanfte Abendkühle kroch langsam an sie heran wie ein Tier.
„Es ist seltsam“, sagte Pavel schließlich. „Ich habe immer gemeint, Heimweh zu haben. Und dass es hier aufhören würde.“
„Ich finde das nicht seltsam. Es kann an deinen Wurzeln liegen.“
„Eigentlich glaube ich nicht an so was.“
„Doch, du glaubst. Es ist auch eine Idee, an die du glaubst.“
„Ich meinte vorhin eigentlich andere Ideen.“
„Diese hier auch. Das ist die wichtigste aller Ideen, Pavel. Die Idee vom Zuhause.“
Er hatte zuviel gelesen, um mit diesem Gedanken zufrieden zu sein, er klang zu einfach. Aber er schwieg. Schwieg und schaute auf Magdalenas Holzkiste.
„Was suchst du eigentlich? Dein Zuhause hast du.“
Sie zuckte mit den Achseln.
„Ich suche Sachen, die du schon immer hattest. Vergangenheit. Zukunft. Freiheit …“
„Ist das Freiheit, immer mit dieser Kiste herumzulaufen? Ich meine … Sie ist sehr schwer und sperrig.“
„Sicher. Aber wenn ich diese Kiste zurücklasse, lasse ich mich selbst zurück.“
„Es ist doch nur eine …“
„Eine blaue Agave.“
Sie beugte sich vor und schob den Deckel zurück, sodass er in die Holzkiste hineinsehen konnte. Er sah eine Pflanze mit langen, schmalen spitzen Blättern, vielleicht schimmerte sie wirklich bläulich, vielleicht lag es an der Dämmerung. Vielleicht, dachte er plötzlich, hatte auch diese Agave die gesamte Umgebung in ihr bläuliches Schimmern getaucht und eben das war der Abend.
Er schüttelte leicht den Kopf. Es musste an Magdalena liegen und an ihren dunklen Augen, denn ansonsten fühlte er sich zu vernünftig für solche Gedanken.
Das Holz der Kiste roch nach Salz, ganz leicht, wie eine undeutliche Erinnerung. Pavel sagte es ihr, und Magdalena erklärte, das käme vom Meer.
„Weil diese Kiste den Ozean überquert hat“, meinte sie.
Pavel zog die Augenbrauen hoch. „Das ist doch Unsinn.“ Und er setzte ihr auseinander, dass die Kiste mit dem Sand viel zu schwer für so einen weiten Weg war und außerdem zu undicht, sodass die Agave darin das doch niemals überlebt hätte.
Magdalena lächelte nur dazu, nahm die Kiste wieder auf ihren Schoß und strich mit beiden Händen darüber.
„Und trotzdem ist es so“, sagte sie, „denn mit dieser Kiste bin ja auch ich gekommen.“

Mit dem Morgen kehrten die Farben zurück in den Alcázar, die Farben, die Muster, Ornamente einer vergessenen Welt.
Pavel hatte unruhig geschlafen, das leichte Frösteln, die Nachtfeuchte in allen Gliedern und immer wieder, in undeutlichen Bruchstücken die Traumbilder dessen, was Magdalenas flüsternde Stimme im schwindenden Abendlicht erzählt hatte. Da war eine Holzkiste auf den unbarmherzigen Wellen des Meeres. Den Wellen hatte sie sich anvertraut, hatte sie gesagt, und darum eben war es eine Frage des Vertrauens.
„Ich war eben dabei, Vertrauen zu lernen, weißt du. Ich glaube, jetzt kann ich es, denn wenn du einmal gelernt hast, dieser wogenden Unendlichkeit aus Wasser, Salz und Wind zu vertrauen, dann ist alles andere einfach. Oder wenigstens: einfacher.“
Und es kann doch nicht sein, dachte Pavel und starrte in den blassen Himmel, der langsam an Farbe gewann, es ist doch nicht möglich, dass sie mit dieser Kiste gekommen ist, genauso wie das mit Galizien und Finisterre nicht geht. Und ich kann es nicht glauben, dass sie das Land durchreist auf bloßen Füßen, sie hat kein Geld, sie hat nichts, nur diese Kiste. Sie müsste erschöpft und verwahrlost aussehen, aber selbst jetzt, wo sie neben mir liegt und ihr Haar feucht ist von der Nacht, würde ich nicht denken, dass sie einen langen Weg hinter sich hat. Als ob sie immer nur dort sei, wo sie gerade ist. Ohne Vorher und Nachher.
Ihm fiel ein, dass sie gesagt hatte, sie würde genau das suchen: Vergangenheit und Zukunft.
„Wo wollen wir hin?“, murmelte Magdalena neben ihm.
„Wo gute Erde ist.“
Diesmal lächelte sie nicht. Sie setzte sich nur auf, schaute auf ihre Kiste.
„Es tut weh“, sagte sie schließlich.
„Was?“
„Entwurzelt zu sein. Es ist das, was ich wollte. Aber es tut weh, unheimlich weh, und die Erde hilft mir immer weniger, selbst wenn ich sie mag, denn es ist nie die richtige. Ich dachte, wenn man irgendwo anders gute Erde findet, kann man dort Wurzeln schlagen und bleiben und nicht mehr diesen Schmerz fühlen, aber ich hab mich geirrt. Und ich hab Angst, Pavel, dass es zu sehr weh tut und mich von innen auffrisst, und ich hab auch Angst, dass ich eines Tages um dich weine.“
„Warum solltest du das tun?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Magdalena, und die ersten Sonnenstrahlen schimmerten über die Alcázarmauer hinweg, brachten sie zum Leuchten und warfen goldene Spuren aufs Gras. „Aber es wäre nicht gut. Ich könnte nicht mehr nach Hause, ich hätte mich zu weit entfernt.“
Während sie dasaßen und warteten, dass der Alcázar seine Pforten öffnen, all die Fremden ein- und sie auslassen würde, dachte Pavel über ihre Worte nach und stellte sich vor, wie es wäre, sie mit nach Tschechien zu nehmen, so wie sein Großvater das Mädchen aus dem Regen mitgenommen hatte. Wie es wäre, wenn sie dort auf der eisigen Erde schlafen wollte. Keine gute Erde, bestimmt nicht, überlegte er. Sie würde eingehen.
Er suchte ein besseres Wort, weil eingehen mehr nach der Agave klang als nach Magdalena, aber er fand keines. Ihm fiel ein, dass er auch noch ein anderes Wort suchte für ihr Lachen, ihren Blick und ihr ganzes Wesen, und dass er es geträumt hatte zwischen den schwarzen Atlantikwellen, aber mit Einbruch der Farbendämmerung war es davongeflogen.

Sie gingen am Bahnhof auf und ab, wussten noch nicht, ob Bus oder Bahn, und er las ihr aus einem Prospekt alle Orte vor, zu denen sie fahren konnten, all die bunten Zauberworte: Córdoba, Madrid, Granada, Toledo, Cáceres … Und er las ihr die Regionsnamen vor, Extremadura, Castilla-La Mancha, das schmeckte doch förmlich nach weiten Ebenen und viel weicher, guter Erde, heißem Sand und drehenden Windmühlen gegen den Horizont. Aber sie gab ihm keine Antwort, sie wandte sich ab und weinte, die Kiste in den Armen und die Stirn an die Bahnhofswand gepresst. Pavel schrak zusammen, hielt mitten in der Silbe inne und schaute sie hilflos an; er berührte sie an der Schulter, sacht, mit dem zerknitterten Prospekt.
„Es ist gut“, murmelte sie zwischen zwei Schluchzern, „es ist ja nicht deinetwegen.“
Er fragte sich, warum ihr das so wichtig war.
„Die Orte rufen mich nicht mehr“, sagte Magdalena und wischte sich mit einer Hand über die Wangen. „Am Anfang haben sie das noch getan. Mit ihren Namen, mit ihrer Erde und mit einer ganz feinen Ahnung … Da war es noch gut. Aber jetzt tun sie es nicht mehr, und ich weiß nur noch, dass sie mir alle fremd sind. Und es gibt nichts, was Sinn hat. Das ist das, was ich eigentlich suche.“
„Ich dachte, du suchst Vergangenheit und Zukunft.“
„Und ich will, dass es einen Sinn hat.“
Pavel zögerte, ehe er langsam und sorgfältig den Prospekt in schmale Streifen zu reißen begann, Streifen, die er zu Boden flattern ließ.
„Warum suchst du das hier? Ausgerechnet hier?“
„Hierher hat das Meer mich gebracht. Ich habe dir das erklärt. Vertrauen.“
Er blies eine Handvoll Schnipsel davon.
„Deine Geschichte ist sonderbar, Magdalena. Vollkommen sonderbar. Aber selbst, wenn du mit dieser Kiste übers Meer gekommen sein willst und was weiß ich … warum? Warum bist du nicht dort geblieben, in Mexiko, wo die Agaven wachsen? Dort könntest du das alles auch haben.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich kann es dort nicht haben. In Mexiko habe ich nur mein Zuhause. Alles das, was ich dir gesagt habe, kann immer nur anderswo sein als dort. Der Sinn. Die Zukunft. Vertrauen, Freiheit, Heimweh … alles.“
„Ich verstehe das nicht.“
„Es ist ein Preis, den ich zahle. Ich kann das eine nur haben, wenn ich das andere aufgebe. Ich habe Mexiko aufgegeben.“
„Und was hast du dafür bekommen?“
„Alles, was ich jetzt habe“, sagte sie bitter. „Auch das, was wehtut.“
„Und wer hat dir das bitte gegeben?“
Sie zuckte die Achseln.
„Vielleicht die Götter, die du Ideen nennst?“
„Ich dachte, du glaubst nicht?“
„Weil ich nicht glauben kann, Pavel. Das ist etwas, was sie mir nicht gegeben haben. Was ich suchen muss!“
„Magdalena! Das ist alles einfach albern!“
Sie biss sich auf die Lippen. Zitterte.
„Kennst du das Schicksal einer Agave? Weißt du, was mit den blauen Agaven passiert, Pavel? Sie haben zwölf Jahre. Sie wachsen. Dann werden sie geerntet. Geerntet und …“ Sie schloss die Augen, atmete ein, sah weg, ballte die Fäuste. „Es bleibt nichts von ihnen übrig. Du hast die Blätter gesehen, oder? Die werden abgeschlagen. Darunter ist das Herz. Das backen sie. Weichen es auf. Zerhacken es. Verstehst du? Es bleibt nichts übrig, absolut nichts, außer ein paar glasklaren brennenden Tropfen, aber sonst … Davor hab ich Angst.“
„Dass es dir geht wie der Agave?“
Sie nickte. Vielleicht sollte ich sie jetzt in den Arm nehmen, dachte Pavel, vielleicht wird es dann besser. Aber ich kann nicht.
„Wenn du mir nicht glaubst“, setzte sie hinzu, „dann kann nichts von mir bleiben.“
„Ich weiß gar nicht, was es eigentlich ist, das ich dir da glauben soll.“
„Dass es wahr ist, alles, was ich dir erzählt habe.“
Unschuldig, dachte er plötzlich, unschuldig ist das Wort, das ich gesucht habe – viel zu einfach eigentlich, aber genau das ist es. Und deshalb ist sie wie ein Kind.
Aber da ist noch etwas.

Damals hatte der Regen von Guadalajara aufgehört, Dinge waren geschehen, Schlachten gewonnen und verloren, und das Mädchen aus dem Regen grub sich selbst aus ihrer Heimaterde, hackte ihre Wurzeln durch und ging mit dem Mann mit, den sie gerettet hatte und der sie nicht retten konnte. Pavel war es manchmal, als hätte der Regen doch nie aufgehört, als wäre dieses Mädchen in einem ewigen Regentag gealtert und zur Fremden in seiner Heimat geworden, zu der Großmutter, die ihn nicht ansah, weil ihre Augen so schwer vor Kummer waren und die immerzu aus dem Fenster blickte und ihn spanische Wörter lehrte, deren Bedeutung er aus ihrem Klang erschließen musste. So musste sie immerzu gewesen sein, seit sie fortgegangen war von ihrer Erde. „Ich kann schlecht zurück“, hatte sie einmal gesagt. „Dann zerspringe ich ganz.“
Er hatte sie nie ganz begriffen.
Aber er hatte hierher kommen müssen an ihrer Stelle, als sie schon nicht mehr war, und nun war er hier weit weg von Guadalajara und wusste nicht mehr, was er eigentlich suchte. Alles, was er gefunden hatte, war ein Mädchen aus Mexiko, das auch aus seiner Heimat fortgegangen war und im Begriff war zu zerspringen. Vielleicht konnte er sie darum verstehen – verstehen, nicht begreifen -, und vielleicht begleitete sie ihn gerade deshalb, weil sie es spürte, das mit den durchgehackten Wurzeln.
„Warum willst du so unbedingt, dass ich dir glaube?“
„Ich fühle mich wohl, ich bin vorher nicht mit Menschen gereist. Du suchst auch etwas, das du nicht finden kannst.“
„Ich werde es sehr wohl finden!“, rief er ärgerlich und wusste, dass das nicht stimmte.
Sie schaute ihn lange an.
„Lass uns nach Madrid fahren.“
„Warum denn Madrid?“
„Von dort ist es nicht weit … nach Guadalajara.“

Die Fahrkarten verschlangen fast sein gesamtes letztes Geld und brachten ihn zurück in eine Wirklichkeit, in der vergangene Regentage und durchgehackte Wurzeln nichts zu suchen hatten. Wäre Magdalena nicht, dachte er, hätte ich noch mehr übrig. Jetzt muss ich mich ja sogar fragen, wie ich wieder nach Hause … wie ich wieder nach Prag komme.
Er sagte ihr das, als sie im Zug saßen.
„Gehst du zurück nach Prag?“
„Natürlich. Das hier ist nur eine Reise, Magdalena, und am Ende einer Reise kehrt man zurück.“
„Ja, nach Hause. Aber du kehrst nur dahin zurück, wo du hergekommen bist. Das ist nicht dasselbe.“
„Hör auf.“
Magdalena sah auf ihre Hände. Er überlegte, dass sie langsam wund sein mussten von den Kanten der Holzkiste.
„Was werde ich tun, wenn du zurückgehst?“
„Woher soll ich das wissen?“
Sie schwiegen.
„Ich kann dich ja schlecht mitnehmen.“
Magdalena sagte nichts. Ihre Stirn lehnte an der Glasscheibe, und ihre dunklen Augen schauten irgendwohin, durch die Landschaft hindurch, die in bunten Streifen an ihnen vorbeiflog.
Wie Großmutter, dachte Pavel, und das beunruhigte ihn.

Guadalajara.
Guadalajara.
Es hatte noch immer etwas von einem verbotenen Zauberwort. Zumindest war es das erste gewesen, was sie ihm damals beigebracht hatte, und er war stolz gewesen, es aussprechen zu können, bis er begonnen hatte, den Regen in dem Wort zu schmecken. Und das Blut und die Hoffnung.
„Dein Großvater hat auch etwas gesucht, oder?“, sagte Magdalena neben ihm, und er zwang sich, in die Gegenwart zurückzukommen. Die Gegenwart war der Busbahnhof von Guadalajara, die seltsam erschöpfte Nachmittagssonne, der in Unwichtigkeit verebbende Lärm einer Stadt, die jede hätte sein können. Guadalajara.
„Ich weiß nicht. Vielleicht auch eine Art Sinn. Er war auch einer, der an Ideen geglaubt hat, und er ist hergekommen, um für sie zu kämpfen.“
Magdalena nickte bedächtig. „Würdest du das auch tun?“
„Du nicht?“
„Du weißt doch, dass ich noch gar nicht glauben kann. Vielleicht lerne ich gerade, an dich zu glauben, aber das ist etwas anderes.“
Pavel seufzte, hatte plötzlich Lust, sich auf die dreckigen Stufen zu setzen und sich von alldem hier wegzudenken. Guadalajara war an sich schon genug. Warum musste dieses Mädchen mit der Holzkiste neben ihm stehen und ihre seltsamen Sätze sagen?
„Er war jedenfalls auch hier. Nicht direkt in Guadalajara, sondern in der Nähe, und es war im März 1937 … Aber ich habe mir alles angesehen. Ich hätte nicht noch einmal herkommen müssen, hier gibt es nichts.“
„Guadalajara“, sagte Magdalena, „ich war sehr gespannt darauf.“
Sie stellte ihre Kiste ab, setzte sich darauf und schaute nachdenklich zu ihm hoch.
„Es ist seltsam, dass deine Geschichte hier anfängt. Und dass deine Großmutter aus Guadalajara fortgegangen ist.“
„Was ist so seltsam daran?“
„Ich bin auch aus Guadalajara fortgegangen, Pavel.“ Sie grinste schelmisch.
„Ich denke, du bist aus Mexiko fortgegangen?“
„Eben. Aus der Hauptstadt von Jalisco. Und die heißt Guadalajara.“
„Das glaub ich nicht!“
„Warum fängst du nicht an, mir zu vertrauen? Ich bin nicht das Meer. Es müsste dir leicht fallen.“
„Du bist einfach nur seltsam, seltsam, seltsam …“
Sie lächelte weiter vor sich hin.
„Ich bin das ja alles noch nicht lange. Hast du das noch immer nicht begriffen? Ich muss doch noch lernen.“
Pavel schüttelte den Kopf, stemmte die Arme in die Seiten, seufzte.
„Ich fahre jetzt zurück nach Madrid. Und von dort aus … dahin, wo ich hergekommen bin.“
„Sicher?“
„Ich bin schon viel zu lange hier.“
„Du willst doch gar nicht zurück.“
Er hob die Schultern. „Ich bin nicht wie du, ich kann nicht ewig kreuz und quer durchs Land fahren.“
„Aber du hast nicht gefunden, was du suchst. Du bist nicht zufrieden. Warum tust du Sachen, die du nicht willst?“
Er gab keine Antwort. Magdalena stützte den Kopf in die Hände.
„Eins vom Menschsein verstehe ich langsam“, murmelte sie. „Es ist unerträglich.“

Als Pavel sich ein Baguette in der Bahnhofshalle gekauft hatte, fiel ihm wieder ein, dass Magdalena noch nichts gegessen hatte, seit sie sich begegnet waren – an dem weißen Strand Tarifas, der auf einmal unendlich weit weg schien, wie eine uralte Erinnerung.
Magdalena saß neben ihm auf der harten Bank. Die Stadt versank langsam in unwirklicher, von bunten Lichtern erhellter Dunkelheit und in einer Kühle, die sie am Vorabend im Süden nicht gespürt hatten.
„Vielleicht“, sagte Magdalena irgendwann, „kannst du es nicht finden, weil es gar kein Ort ist. Vielleicht wollte deine Großmutter deshalb auch nie zurück. Sie hat ein Spanien vermisst, das es nicht mehr gab. Das es vielleicht nie gegeben hat.“
„Vielleicht, vielleicht, vielleicht“, sang Pavel halb spöttisch vor sich hin, „quizás, quizás, quizás …“, und Magdalena lächelte traurig, sie musste das Lied kennen.
„Im Ernst. Es könnte schon stimmen. Aber das habe ich eigentlich schon verstanden, als ich das erste Mal herkam.“
„Aber nicht begriffen.“
„So habe ich gerade erst selbst unterschieden, als ich über dich nachgedacht habe. Ich verstehe dich, aber ich begreife dich nicht. Auch nicht nach allem, was du mir über dich erzählt hast.“
„Ach, Pavel“, murmelte sie und schaute betrübt auf die Holzkiste. „Es ist doch so einfach. Ich muss das Menschsein lernen, und ich fürchte, ich schaff es nicht. Ich hab mich auf etwas eingelassen, das viel zu groß für mich ist. Das zu sehr weh tut.“
„Ich kann dir da nicht helfen.“
Er legte den Arm auf die Rücklehne der Bank. Nicht um Magdalena herum, aber zumindest in ihre Nähe.
Die Abendkühle war feucht geworden. Ein unendlich sanfter Sprühregen ging nieder.
„Es regnet in Guadalajara“, hörte er Magdalena sagen und hatte das Gefühl, dass ihre Stimme von ganz weit her kam. Aber sie klang glücklich. Hoffnungsvoll. Er sah sie nicht an, er schaute in die Dunkelheit und spürte den Regen, und irgendwo zwischen ihnen tanzte ihr Satz: Es regnet in Guadalajara.
Plötzlich fühlte er sich selbst glücklich. Er war hier und er würde aus Guadalajara fortgehen, im Regen, das war, als ob sich ein großer Kreis geschlossen hatte. Und er hatte ein Mädchen gefunden, das am Ende der Welt an Land gekommen und auch aus Guadalajara fortgegangen war. Womöglich war das alles kein Zufall. Er dachte an das Schicksal der blauen Agaven, vor dem sie solche Angst hatte, und an die Erde von Tschechien.
„Es fährt noch ein Bus nach Madrid heute Nacht“, sagte er. „Kommst du mit?“
Nur der Regen wisperte fast unhörbar um ihn herum.
Pavel drehte den Kopf.
Magdalena saß nicht mehr neben ihm, aber die Holzkiste stand noch da, und der Deckel war offen. Die schmalen Agavenblätter bewegten sich ganz leicht. Das Holz roch nach Salz. Er streckte die Hand aus nach den spitzen Blättern, fuhr sacht darüber, und diesmal stachen sie nicht.
Vielleicht, weil er darauf vertraut hatte.

 
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Ursprünglich sollte das mal ein Thema des Monats Oktober werden - aber dazu find ich das Setting nicht alternativ/innovativ genug. Eigentlich sollte die Geschichte auch Illu und sirwen gewidmet sein, die beide dran geglaubt haben, dass ich meine Schreibblockade überwinde. :) Aber ich habe so erbittert mit diesem Teil gekämpft - manche Aspekte haben ein wahres Eigenleben entwickelt -, das Fantasy-Element ist vermutlich hauchdünn (ich fürchte sogar, ZU dünn) und ich bin eigentlich nur noch froh, dass ich das Ding zuende gekriegt habe. Auch wenn die Geschichte viel länger ist als sie sein sollte und ich langsam selbst nicht mehr weiß, was ich von ihr halten soll. ...

 

Hola Malinche!

Ich bin überwältigt! Und das hast du in so kurzer Zeit geschrieben? Habe ich dich zu sehr unter Zeitdruck gesetzt? :D Das Resultat lässt sich jedenfalls sehen.

Das Setting ist wunderbar ... *schwärm*. Bei mir rufen deine Beschreibungen besonders lebendige Bilder hervor, aber das hat ja auch seine Gründe ;). Ich fühle mich sofort nach Spanien versetzt und kann die Erde förmlich riechen. Du schaffst es immer wieder, Fernweh in mir auszulösen. (Aus Rache werde ich eine Mexiko-Geschichte schreiben, irgendwann ...*droh*)

Leider habe ich ja schon gewusst, wie die Geschichte endet, aber sie war trotzdem spannend bis zum Schluss und stimmt mich beinahe nachdenklich. Vor allem ist deine Sprache so poetisch, sie passt ganz gut in die Atmosphäre und zu den beiden Prots.

Was ich nicht ganz verstanden habe: Wieso hat es in der Kiste schon eine Agave, wenn Magdalena sie noch herumträgt? Habe ich da irgendetwas verpasst? Und hat niemand gemerkt, dass sich da noch zwei Leute im Alcázar befinden? ;)

Es hat sich also gelohnt, dich zum Schreiben zu animieren. (Ausserdem habe ich beim Lesen das Wasser für meinen Tee auf dem Herd völlig vergessen ... ist ja eigentlich ein Lob, aber ärgerlich für mich )

Liebe Grüsse
sirwen

 

Hallo Malinche,
ich finde die Geschichte unglaublich stark - du hast die Sehnsucht und die Hoffnung gut zum Ausdruck gebracht. Ich finde auch nicht, dass das Fantasy-Element zu dünn ist. Teilweise haben mich die ganzen Erwähnungen von "das Mädchen hat noch nichts gegessen" "das Mädchen ist seltsam" irritiert... warum schreibst du das nicht so um, dass sie von selbst nichts isst, dass er ihr aber ständig etwas anbietet? Das würde das Mysteriöse besser hervorheben als mit dieser Erwähnung. Meiner bescheidenen Meinung nach.
Ich finde den Kontrast interessant, wenn auch stellenweise noch verbesserungsbedürftig. Da ist dieser Junge, der von zu Hause fortgegangen ist. Er glaubt, er hat seine Wurzeln abgeschnitten, er weiß, er kann irgendwann zurück, aber er meint, er reist ohne jede Verpflichtung und ist frei wie ein Vogel. Dann ist da dieses Mädchen, das ihm durch sein Verhalten beweist, dass er sich geirrt hat, dass er Verpflichtungen hat wo er geht und steht. Da treffen zwei Welten aufeinander, eigentlich sollte seine gesamte Illusion von Freiheit zerbrechen oder wenigstens einen massiven Knacks kriegen... und das könntest du mMn noch besser herausarbeiten.

Die Geschichte hat mir wirklich gut gefallen.
gruß
vita
:bounce:

 

Hallo sirwen, hallo vita,
danke für eure Kritiken ... und hey!!! Mir fallen grad ein paar wirklich große Steine vom Herzen. Ich bin echt erleichtert und sehr glücklich, dass euch die Geschichte gefällt.

Ich freue mich schon auf deine Mexiko-Rache, sirwen. :D
Ich bin nicht sicher, ob ich deine Problem mit der Agave verstehe. Magdalena trägt sozusagen ihren alten Körper mit sich herum.
Und das mit dem Teewasser tut mir sehr Leid.

Danke auch für deine ganzen Anmerkungen, vita, ich werde mir das noch mal anschauen. Aber erst freue ich mich noch ein bisschen, dass du dich Geschichte als "unglaublich stark" empfindest (und dass sie genug Fantasy ist!)

vielen lieben Dank euch beiden
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche!

Die Sache mit der Agave: Verstehe ich das jetzt richtig, wenn sie ihren alten Körper mit sich herumträgt und am Schluss wieder in die Agave zurückkehrt. D.h., der alte Körper ist von ihrem "Geist" verlassen und sie verwandelt sich gar nicht wirklich.

 

Genau so hab ich das gemeint, mit dem "Geist" und dem Körper. Der Geist ist sozusagen in Menschengestalt sichtbar geworden und am Ende geht sie zurück. Ich hatte gehofft, das kommt so rüber ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Malinche,

ich habe deine Geschichte gestern schon gelesen, konnte sie aber wegen PC-Problemchen nicht kommentieren.

Muss und Will und Kann und Werde mich aber sirwen und vita anschliessen: Deine Geschichte hat mich wirklich berührt. Die Bilder sind so stark und intensiv, dass man sich in die Geschichte richtig "reinfrisst". Wirklich sehr, sehr gelungen.

Eine Frage noch: Magdalena hat das Menschsein ja nicht gerade genossen: Wird ihr aber nicht vieles fehlen?

Liebe Grüsse
ardandwen

 

Hallo ardandwen,
danke fürs Lesen. Und wow, ich bin ganz hin und weg, dass du die Geschichte "reinfressen" musstest und sie dir so gut gefällt. :)

Die Frage ist gut. Magdalena hat die ganze Zeit gewusst, dass sie auf vieles verzichten muss, wenn sie "nach Hause" geht. Auch ein Grund für ihre Unentschlossenheit. Andererseits bedeutet der Verzicht auf all das auch den Verzicht auf ein entsprechendes Bewussstsein. Nur als Mensch könnte sie sich ja an all das erinnern und sich überhaupt klar werden, dass ihr etwas fehlt ...
Aber andererseits, wer kann das alles schon sicher wissen ...

liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Hi Malinche,

endlich endlich komm ich wieder ein bisschen zum Lesen. So eine schlaflose Nacht muss ja auch was Gutes haben.

Viel gibt es allerdings gar nicht zu sagen. Wie machst du das immer wieder, so wunderbare Szenarien zu entwerfen, bei denen man die Welt vor seinem inneren Auge vorbeiziehn sieht *seufz* Toll, jetzt will ich auch nach Spanien... ;)

Wunderbar geschrieben, mit jedem Abschnitt steigt das Gefühl der Sehnsucht und die Traurigkeit. So schön, dass mir irgendwie die Worte fehlen.
Mach weiter.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi Ronja,

danke fürs Lesen! :) Hehe ... langsam musst du wohl wirklich mal nach Spanien. Mal sehen, wie viele Geschichten ich noch brauche, um dich dahin zu kriegen ...

Und, ja, was soll ich sagen? Danke für das Lob. Ich freu mich, und dass sie dir gefallen hat, ist "so schön, dass mir irgendwie die Worte fehlen". :)

Liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche,

zunächst einmal: du hast mit Magdalena einen außergewöhnlich spannenden und mysteriösen Charakter geschaffen. Die Geschichte lebt ganz und gar von ihr und daher habe ich sie auch gerne gelesen.
Jetzt kommt das große Aber: Für meinen Geschmack lässt die Geschichte doch zu viele Fragen unbeantwortet. Magdalena ist zum Schluss - jedenfalls ist das mein Eindruck - noch beinahe so mysteriös wie am Anfang. Und da liegt das Problem: wenn du sie von Anfang bis Ende mysteriös und irgendwie unnahbar gestaltet hättest, in Ordnung, wenn du ihr Geheimnis ganz aufgelöst hättest, auch in Ordnung, aber so hat man zunächst den Eindruck, das Rätsel würde aufgelöst und man würde erfahren was es mit ihr auf sich hat und dann muss man feststellen, dass das doch nicht der Fall ist. Ich persönlich bleibe da etwas verwirrt zurück.
Gut, vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Geschichte im Grunde um Pavel dreht und es um seine Suche geht und weniger um die Magdalenas (oder habe ich das jetzt ganz falsch verstanden :hmm: ?).
Na, jedenfalls hätte ich mir ein etwas klareres Ende gewünscht.
Beim Lesen hatte ich teilweise das Gefühl, dass die Übergänge zwischen den Absätzen doch recht abrupt waren, allerdings passt das auch irgendwie zu den Charakteren und ihren Suchen.
Was mir sehr gut gefallen hat, ist der Vergleich der Menschen mit Pflanzen und der Hinweis darauf, dass sie eben, obwohl sie es sich nicht eingestehen mögen, doch in verschiedener Hinsicht den selben Einschränkungen unterliegen. Irgendwie wird diese "Pflanzlichkeit des Menschen" dann allerdings wieder abgeschwächt, da ja offenbar Magdalena tatsächlich eher pflanzlicher Natur ist. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie nur ein Mensch gewesen wäre, der sich seiner "Pflanzlichkeit" im Gegensatz zu allen anderen Menschen bewusst gewesen wäre. (Das hätte dann wiederum gewisse pflanzlich-fantastische Fähigkeiten mit sich gebracht und - *seufz* wäre vermutlich eine ganz andere Geschichte gewesen :shy: ).
Tja, ich habe die Geschichte wahrscheinlich einfach mit den falschen Erwartungen gelesen. Damit ist diese Kritik vermutlich auch nicht die hilfreichste...
Aber auf jeden Fall eine schöne Atmosphäre, die du da geschaffen hast ;) .

Gruß, Tolkiens Padawan

 

Hallo Tolkiens Padawan,
danke für deine Kritik.
Hm.
Eigentlich empfand ich Magdalenas und Pavels Suchen als gleichwertig, unterschieden dadurch, dass die Geschichte aus Pavels Sicht erzählt wird. Aber es stimmt schon, dass es im Endeffekt eher um ihn geht und um das, was Magdalena mit ihrer Suche für ihn bedeutet und auslöst …
Es tut mir Leid, dich verwirrt zu haben. Ich wollte den Leser verstehen lassen, welcher Natur Magdalena ist, worin ihre Suche besteht und woran sie scheitert. Doch völlig greifbar sollte sie in der Tat nicht werden. Immerhin scheint sie für dich greifbar genug geworden zu sein, wenn du die Geschichte ihretwegen gelesen hast. :)
Bleiben denn wirklich so viele Fragen offen, die notwendigerweise beantwortet werden müssen? Als Autorin kann ich da ja auch eine gewisse Betriebsblindheit haben, deshalb die Frage. Aber das ist wohl auch schwer zu beantworten, weil es, wie du ja selbst schreibst, auch mit der Leseerwartung zusammenhängt.
Schön, dass dir die „Pflanzlichkeit des Menschen“ gefallen hat, auch wenn Magdalenas Natur sie wieder abschwächt … Das kommt vielleicht, weil da ja noch ein weiterer Punkt ist: die Menschlichkeit selbst …
Das Ende: ich weiß auch nicht, ob ich es als völlig zufriedenstellend empfinde, aber ich wusste beim Schreiben auf einmal, dass die Geschichte an genau diesem Punkt aufhören muss und dass kein Platz mehr ist für mehr Klarheit etc. Dem musste ich mich beugen. Ich hoffe, das ist jetzt irgendwie verständlich ausgedrückt …
Liebe Grüße
Ciao
Malinche

 

Malinche,

eine wirklich sehr schöne Geschichte mit ungewöhnlich traumhaften Dialogen und Ortsbeschreibungen, die so fantastisch erscheinen, dass sie keine Realität erschaffen kann. Magdalena erscheint in dieser Welt wie ein Fremdkörper, Pavel fast wie ihr Fremdenführer.
Der Weltenschmerz der beiden schwirrt das ganze Lesen hindurch.
Fantastisch? Auf jeden Fall. Solche Geschichten schreibt das Leben nicht.


Hat mir sehr gut gefallen.

Eike

 

Hoppla, Eike!
Da guckt man so fleißig nach neuen Antworten und dann übersieht man sie.
Ich sollte mir eine Spezialbrille für solche Fälle zulegen.
Danke dir fürs Lesen und die schönen Worte zur Geschichte.
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche,
interessant zu wissen, dass "manche Aspekte ein wahres Eigenleben entwickelt haben" - das kenne ich! Sie machen sich selbstständig und wollen unbedingt zu Wort kommen... Aber, ich finde, sie haben recht... (wenn man Deine Geschichte so liest!) Würde man nur mit dem Verstand schreiben, käme unter Umständen angepasste Einheitssch... dabei heraus! (sorry, dass ich so drastisch bin! :D )
Liebe Grüße, Vizande

 

Hallo Vizande!
Schön, dass dir das Ergebnis des Eigenlebens gefällt. Hätte ich der Verselbständigung nicht Raum gegeben, wäre es eine ganz andere Geschichte. Oder nein, ich hätte sie gar nicht fertig gekriegt. :)
Gut zu wissen, dass es dir beim Schreiben auch so geht.
Liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Liebe Malinche!

Jetzt ist zwar Dein Geburtstag schon vorbei, aber ich wünsch Dir trotzdem noch alles Gute! :)

Die Geschichte ist schön erzählt und vor allem eine schöne, philosophisch angehauchte Geschichte, die auch zum Nachdenken über die eigenen Wurzeln anregt. Pavel und Magdalena sind interessant und als Charaktere sehr gut gelungen.
Den Schluß hab ich leider auch nicht gleich verstanden, allerdings glaube ich, daß das daran lag, daß genau bei dem Satz, der eigentlich den wichtigsten Hinweis darauf gibt, meine Aufmerksamkeit mehr bei dem fehlenden »sich« lag:

Die schmalen Agavenblätter bewegten ganz leicht.
Ich denke, ohne Ablenkung hätte es funktioniert, aber vielleicht kommen ja, wenn Du es eingefügt hast, noch ein paar Leser, die Dir das sagen können.
Es hat aber andererseits auch nichts ausgemacht, daß das erst an mir vorbeiging, so war der Schluß eben etwas rätselhafter, was auch gut zur Geschichte paßte. :)

Noch ein paar Kleinigkeiten:

»dass sie so fremd aussah wie er sich fühlte und dass sie keine Spanierin sein konnte.«
– aussah, wie er sich fühlte, und

»Das Wort klang, als ob sie es beim Aussprechen streichelte.«
– schöner fände ich »als streichelte sie es beim Aussprechen«

»„und das Erste, was ich kennen lernte, war der galizische Regen.«
– würde »kennenlernte« zusammenschreiben (zur Unterscheidung dieser Satz: Sie hat ihn in einer Bar kennengelernt, aber es dauerte Monate, bis sie ihn richtig kennen lernte.)

»Sie sah zu, wie er seine Hand zurück zog«
– zusammen: zurückzog

»Er glaubte sie zu verstehen.«
– glaubte, sie

»Sie zuckte die Achseln.«
– ich würde »mit den« schreiben, aber wahrscheinlich geht da beides, bin mir nicht sicher.

»Als ob sie immer nur dort sei, wo sie gerade ist.«
– oder: Als sei sie immer nur dort

»Und es gibt nichts, was Sinn macht.«
– grauslicher Anglizismus, wie wärs mit »Und es gibt nichts Sinnvolles« oder »was einen Sinn ergibt«?

»Aber selbst wenn du mit dieser Kiste übers Meer«
– selbst, wenn (da wird auch die Kursivschreibung unnötig ;-))

»Ich kann das Eine nur haben, wenn ich das Andere aufgebe.«
– das eine, das andere

»vielleicht begleitete sie ihn gerade deshalb, weil sie es spürte, das mit den durchgehackten Wurzeln.«
– statt dem »es« könntest Du gleich die Ergänzung an die Stelle schreiben: weil sie das mit den durchgehackten Wurzeln spürte.

»Die Stadt versank langsam in unwirklicher, von bunten Lichtern erhellten Dunkelheit«
– erhellter

»„Vielleicht, vielleicht, vielleicht“, sang Pavel halb spöttisch vor sich hin, „quizás, quizás, quizás …“, und Magdalena lächelte traurig, sie musste das Lied kennen.«
– quizás …“ (Und) Magdalena

»das war, als ob sich ein großer Kreis geschlossen hatte.«
– langsam glaube ich, die »als ob«-Sätze gefallen Dir; wenn das so ist, will ich sie Dir nicht ausreden, fände aber trotzdem »als hätte sich ein großer Kreis geschlossen« schöner.


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

oh Mann, ist das peinlich. Da schreibst du mir so eine schöne Kritik zu einer meiner persönlichen Lieblingsgeschichten, und ich übersehe sie ganz einfach. Entschuldige bitte. Ich habe das wirklich erst jetzt gesehen - klares Zeichen, dass ich kg.de doch ein wenig vernachlässige. Aber ich habe irgendwie auch nicht damit gerechnet, dass eine meiner Geschichten ausgegraben wird. :)

Danke für deine lange Liste mit Anregungen und Verbesserungen - ich werde sie in Ruhe durchgehen und wahrscheinlich das meiste davon übernehmen. Wird eventuell ein paar Tage dauern, da ich noch einiges um die Ohren habe, aber ich mach es - nicht, dass du denkst, du hast dir die ganze Mühe umsonst gemacht.

Vielen Dank noch einmal für deine Kritik - ich freu mich, wenn dir die Geschichte insgesamt gefallen hat, zum Ende sag ich erst mal nix - und für deine Geburtstagsglückwünsche! :kuss:

Liebe Grüße,
ciao

Malinche

 

Hallo noch einmal Häferl,

die meisten Anregungen sind jetzt umgesetzt. Die vielen "als ob"s sind geblieben, ich mag sie - zumindest in dieser Geschichte. Will aber in Zukunft mehr darauf achten.

Danke noch einmal für deine Kritik und liebe Grüße,
ciao

Malinche

 

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