Alexanderplatz
Alexanderplatz
Sie saßen ganz oben im Fernsehturm und schauten auf den großen Platz herunter. Winzig kleine Menschen bewegten sich von rechts nach links, von links nach rechts und quer über den Platz.
Es war schon langsam Herbst geworden und die Scheiben waren bereits nass geregnet. Beide hatten sie eine Tasse Kaffee vor sich stehen.
Sie saßen schon eine ganze Weile da und schwiegen sich an. Sie hatten sich nicht mehr viel zu sagen.
Lena hasste sie manchmal. Sie hasste ihre Art, wie sie sich vor anderen Menschen gab und wie sie versuchte immer perfekt zu sein. Das war schon immer so gewesen, erinnerte sie sich. Schon immer war sie im Nachteil gewesen. Es fing im Kindergarten an und endete letztes Jahr bei Sarahs Hochzeit. Sie spielte mit den schöneren und neueren Puppen, sie bekam die schönere Schultüte und ihre Noten wurden stets schöngeredet. Viele Menschen scharrten sich um sie, so als wäre es eine Ehre mit ihr befreundet zu sein. Lena verstand diesen Trubel um Sarah nicht ganz recht.
Es sollte heute ihr Tag werden, ihr Geburtstag, doch danach sah es nicht im Geringsten aus.
Die ganzen geladenen Gäste versammelten sich um Sarah und ihre neu erworbene Stelle bei einer renommierten Zeitung war das einzige Gesprächsthema dieses Nachmittages. Alle freuten sich, demnächst einen Zeitungsartikel mit ihnen einer bekannten Autorin zu lesen und ihn stolz präsentieren zu können.
„ Auf Sarah und ihr außerordentliches Geschick das Richtige zu tun“, rief meine Tante in den Raum und alle anwesenden Gäste, die noch nicht auf Sarah aufmerksam gemacht wurden, wandten sich nun auch endgültig ihr zu.
Sarah lächelte und überspielte ihre innerliche Freude über ihr Ansehen gekonnt.
Einige Zeit später verließen sie das Restaurant. Es war nun schon sehr dunkel und nicht warm genug um ohne einen Mantel auf die Straße zu gehen. Doch es war noch recht voll auf dem großen Platz und viele Menschen liefen noch hektisch hin und her.
„War doch ein schöner Geburtstag, nicht?“, sagte Lenas Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen, während sie gemeinsam die Treppen zur U-Bahn Station hinunterstiegen.
„War toll.“, sagte Lena nur stumpf und zog ihren Schal etwas enger.
Es war eine von den Künsten ihrer Mutter, oberflächliche Fragen zu stellen um von sich selbst abzulenken und ihren Stolz zu überspielen. Sie war etwas unsicher und immer darauf bedacht nie etwas Falsches zu sagen oder gar in ein Fettnäpfchen zu treten.
Da Lena nicht sehr antwortfreudig war, erzählte ihre Mutter von dem geplanten Urlaub von Sarah mit ihrem Mann.
„Fahr doch auch mal ein paar Tage weg“, versuchte sie ihre Tochter zu überzeugen.
Lena schaute sie erwartungsvoll an, so als würde noch etwas im Raum stehen, das nicht ausgesprochen werden sollte. Ihre Mutter versuchte sich ein Lächeln abzuringen. Die gelbe U-Bahn fuhr ein und Lena verabschiedete sich mit einer distanzierten Umarmung bei ihrer Mutter. Sie stieg schnell ein und da schlossen sich auch schon die Türen, es piepte und sie sah ihre Mutter schnell an sich vorbeirauschen. Liebend gerne würde sie mit ihrer Schwester tauschen.