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Alien! Das Gebläse im Nebel.
(Ein Gedicht- und Prosa-Bastard)
Die Lichter der Autos schießen kurze Blitze.
Sie schneiden einen winzig langen Blick hinein
in die Ungewissheit eines Nebelmeeres.
Kurti ist ein ganz ein Wiffer!
Von der Disco schnell nach Hause möchte er.
Er hat endlich seinen Traum von Frau gefunden.
Sie ist, wie er, auch schon mehr als heiß!
Sie kann es nicht mehr lassen!
Das Hosentürl auf. Sie reißt am Reißverschluss!
Oh Gott! Und ihre Hand wühlt tief! Und tiefer!
Sie findet Ihn!
Und Er steht auch gleich,
wie von selbst aus seinem Tor heraus.
Kurti schämt sich nicht!
Er weiß ja, was er hat!
Und was hat sie doch für einen festen Griff!
Mmmmhhhh!
Sie küsst ihn voller Gier auf ….
…. seinen Hals.
Sie saugt daran. Schmatz. Schmatz.
Sie frisst ihn auf.
Kurti denkt kurtikurz und nach geschwind:
„Verdammt! Das geile Luder hängt mir einen Lutschfleck an!
Verdammt! Das wird meiner Frau aber nicht gefallen!“
Und deshalb zu ihr gewandt:
„Hey, bitte! Bitte nicht!
Ich muss mich auf die Sicht konzentrieren,
die ich nicht hab!
Also bitte, gedulde dich noch einen Augenblick.
Wir sind ja eh gleich bei dir im Bett zu Haus’!
Gut fünf Minuten noch.“
Sie guckt ihm voller Wohllust in die Augen.
„Gut! Gut! Mein lieber, lieber Kurti!
Ich saug’ dir einstweilen Einen ab!
Dann fällt er nicht gleich um, gell,
wenn wir dann budern.
Ist das Okay für dich?“
„Ja, ja! Ja, ja! Oh Ahhhh!
Ja! Ja! So ist’s gut!
Ja! Ja! Das ist sogar ganz gutigutikurtigut!
Oh Aaaaahhhhhh! Ja! Ja! Sooo guuuut!“
Er legt ihr seine linke Hand ganz fest auf ihren Kopf
und steckt ihn ganz fest drauf auf seinen Kropf.
Oh Gott! Wie gut! Wie gutigutikurtigut!
Seine rechte Hand krallt sich dabei am Lenkrad fest.
Dann guckt er wieder auf die Straße.
„Verdammt! Wo bin ich da?
Die Leitlinie liegt ja rechts von mir!
Bin ich gar in London-Town?
Verdammt! Ein Licht!
Der Trottel fährt ja viel zu schnell für diese schlechte Sicht!“
Verdammt!
Da macht es
BuMMMMMMMMMMM!
Als Rocky noch ganz jung gewesen ist, das ist nun aber schon ewig lange her, da ist er beim Zivildienst gewesen, beim Roten Kreuz. Sie waren mit der Rettung natürlich wieder einmal die Schnellsten am Unglücksort. Klar! Rocky ist am Steuer gesessen und ist wie ein Irrer mit gut hundert Sachen durch den dichten Nebel gewetzt. Sichtweite Null! Verdammt! Was dabei doch Alles hätte geschehen können? Daran will er heute lieber gar nicht denken. Dass Rocky heute noch lebt, das verdankt er einzig und allein dem Gott des Glücks. „Lieber Gott, ich danke dir daher!“
Und dann konnten sie wieder einmal gar Nichts tun! Er war total verzweifelt. Er hüpfte um diese Ziehharmonikas von zwei Autos herum. Er zog an allen Türen. Immer und immer wieder versuchte er es. Er schlug die spitzen Fensterglasscherbenreste weg. Dabei stank es nach Benzin. Er zerrte an den Körpern und verletzte sich dabei auch selbst. Egal. Sie waren alle eingeklemmt. Ein Junge, ungefähr so alt, wie er, schrie vor Schmerzen, er bettelte um Hilfe, bis er dann so ganz, ganz still geworden ist. Irgendwann hat auch er sich nicht mehr gerührt, weil er endlich in eine friedliche Bewusstlosigkeit hinein geglitten ist.
Rockys Partner war genau so lang dabei, wie er. Er hat nur einmal in den Audi Quattro vom Kurti hinein geschaut, nur „Ein Alien!“ gesagt, mit so spitzer und sich dabei überschlagender Stimme. Dann hat er sich in ein Gebüsch hinein vertschüsst. Er hat die zwei Leberkäs-Semmeln und die Dose Cola ausgekotzt, die er eine halbe Stunde zuvor noch so über unser Leben so erhaben genossen hat.
Verdammt! Diesen „Einblick“ in diesen total zerfetzten Audi Quattro wird Rocky sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Immer wieder träumt er davon. Ihre Hand hielt Kurtis am Faustrand leicht umgeknickten Schwanz noch immer eisern fest im Griff. Ihr Hinterkopf steckte gut zwei Zentimeter tief im Lenkrad drin. Damals gab es ja Air-Bags noch nicht. Der Kopf war zerschmettert. Die Kopfhaut an mehreren Stellen aufgeplatzt, zerrissen. Er war aufgeschwollen, wie ein spitzes Ei. Ihr Kiefer war total verschoben. Die Zähne standen schräg und lang nach vorn. Die Lippen wölbten sich ganz dick darüber. Alles schwamm in einem Meer von Blut und Speichel. Es sah aus, wie dieses safttriefende Gebiss von diesem Alien. Ein Bild von und für H. R. Giger. Der Film lief damals gerade im Kino. Es war so um die Weihnachtszeit des Jahres 1979. Die Zeitungen waren mit diesen Bildern voll. Rocky hatte den Film gemeinsam mit einigen seiner Zivildienstkollegen am Wochenende zuvor gesehen. Seither hat Rocky jeden Glauben an Zufälle verloren. Er weiß: Da draußen gibt es Etwas, das uns immer wieder und immer wieder etwas mitteilen möchte, doch wir, wir so dummen Menschen, wir verstehen einfach nicht.
Nun ja, EU und USA! Es ist ja heute eh schon Alles so egal! Mit der Zeit kamen dann jedenfalls immer mehr Leute hinzu. Der Unfall geschah ja am Rande eines Ortsgebietes. Da standen bei ungefähr zehn Grad über Null ein paar Hausfrauen im Morgenrock. Ein alter Mann sprang im Pyjama, darüber nur eine Jacke, in Moon-Boots um den VW-Golf herum und sagte dauernd: „Den kenn i!“ Mehr nicht. Immer wieder nur: „Den kenn i!“ Rocky hat ihn nicht gefragt: „Wieso?“ Er glaubt auch heute noch, dass er es einfach gar nicht wissen wollte. Ein älterer Mann, Marke zwanzig Jahre Hochofen in der Vöest, also völlig ausgebrannt, stand mitten in einer Benzinlache drin und war gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden. Zum Glück war seine Frau schon etwas munterer und hat ihm das Feuerzeug gerade noch im letzten Augenblick aus der Hand geschlagen. Er hat sie zuerst im ersten Moment so angesehen, als würde er ihr nun vor uns Allen gleich eine knallen. Aber dann flackerte es kurz in seinen Augen. Er hat kapiert! Mann oh Mann, wie können Männer doch männerdeppenblöde sein, wenn sie denken, sie müssten Männer sein!?
Irgendwann dann blauten sich drei Polizeiautos mit ihrem warnenden Geblinke durch die dichte Nebelwand, damit nicht noch mehr Unglück geschehen konnte. Die Polizisten, ach nee, damals waren es ja noch die braven Gendarmen auf dem Land, eilten geschäftig hin und her. Sie drängten die Neugierigen, insbesondere die Kinder, von denen auch ein paar da waren, von den Unfallautos weg. Doch immer wieder kamen sie kurz zum Audi Quattro her. Einer von ihnen, er war schon um die vierzig Jahre alt, hat also schon so Einiges in seinem beruflichen Leben gesehen, sagte dabei immer wieder: „Wahnsinn! Des muaß i ma nu a moi aunschau’n! So Wos hob’ i in meim gaunzen Leb’n no net g’seh’n! Wahnsinn! Des glaub’ i net! De wüll eam jo no oiwäu an blosen! De is jo no oiwäu geil! Irrsinn! So was von makaber!“ Und irgendwann dann weinte er. Er war, so wie wir anderen Alle wohl, entsetzt, auch über sich selbst.
In dieser Nacht hat Rocky es das erste Mal bereut, dass er zum Zivildienst gegangen ist. Am Liebsten wäre er schnurstracks zum Bundesheer hinüber gewechselt. Das wäre für ihn sowieso kein ideologischer Weltuntergang gewesen. Er war damals halt in so einer Gruppe von Gutjungs drin, die alle zum Zivildienst gegangen sind, aus welchen Gründen auch immer. Also ist er halt auch dorthin. Er und sein bester Freund haben damals ja nicht nur ein bisschen „geträumt“. Sie hatten diese irre schöne Vorstellung, dass sie es sich über ihre Herren Väter, die beide in der Staatsbürokratie leicht wichtig gewesen sind, irgendwie so einrichten könnten, dass sie gemeinsam in dieselbe Einheit kommen würden, und dann würden sie dort auch gemeinsam eine Mords-Gaudi haben.
Aber so war das dann halt nicht! Scheißen war! Damals war dieses „Gesindel von Feiglingen“ ja als Billigarbeitskräfte noch nicht so allgemein anerkannt, wie heute, also hat man dann Alles unternommen, damit sie dort nicht einmal den Ansatz von einer Gaudi hatten. Und als dann Rocky den Kommandanten der Welser Rettung das erste Mal beim Schachspielen weg geputzt hat, vor ihm hat sich das ja noch Niemand getraut, da hat der dann sogar das Schachspielen im Nachtdienst verboten. (Und das ist jetzt echt kein Schmäh!) Vom Kommandanten war ja allgemein bekannt, dass er SS-Freund war, und nicht nur das. Er soll in diesem deutschen Gutmenschenverein par excellence sogar braves Mitglied gewesen sein, so wie auch der arme Günter Grass. Auch er soll gerade noch einzugsberechtigt gewesen sein, damals also so gerade mal ganz leicht über sechzehn Jahre alt. Also die reine Unschuld in Person! Aber im Gegensatz zu Große Deutsche Dichter Nummel Eins war er immel stolz daruf! Uff! Nun ja, SS, also fast EU und USA. Egal! Die Haupt- und Nebenberuflichen hatten dann jedenfalls eine ordentliche Wut auf uns Zivildiener, so im Sinn von: „Wegen euch Feiglingen dürfen wir anderen uns jetzt in der Nacht die Zeit nicht mehr mit Schachspielen vertreiben, wenn Nichts los ist!“ Irre! Einfach völlig irre und heute kaum mehr glaubhaft. Aber genau so und nicht anders ist das damals gewesen! Wir waren die Feiglinge, die Verräter der Nation! Und genau diese Sichtweise war letztendlich auch der Hauptgrund dafür, weshalb Rocky damals nicht zum Bundesheer gegangen ist. Z’fleiß net! Also zum Trotz nicht! Kapito! (Versteht Das irgendein jeweils Gestriger einer jeden Zeit?)
Rocky hätte am Liebsten wie ein kleines Baby geheult. Noch nie zuvor in seinem Leben ist er so unglücklich gewesen. Und dabei musste er aber ständig darauf achten, dass er nicht in lautes Lachen ausgebrochen ist. Die Stimmung am Unfallort war nur und deshalb auch so unmöglich makaber. Da lag das große Heulen und ein irreirres Lachen gleichzeitig in der Luft. Auch den Gendarmen und dann den Männern von der Feuerwehr ist es nicht anders ergangen.
Rocky hat dann irgendwann seinen Partner im Gebüsch eingefangen, ihm gut zu geredet, und mit ihm die zwei Toten aus dem VW-Golf eingeladen. Den Audi Quattro hat er brav seinen später noch eingetroffenen Kollegen des anderen Rettungswagens überlassen. Er hat bei der Bergung des Aliens nicht mehr zugesehen. Aber es muss furchtbar gewesen sein. Der Kopf ist angeblich noch auseinander gefallen. Ein Kollege hat das Gehirn des Mädchens mit einer Mistschaufel im Auto eingesammelt. Schließlich haben Rettungsleute ja die Pflicht, selbst die Toten, wenn irgendwie möglich, in ihrer Gesamtheit einzuklauben.
Sie haben dann die vier Toten im AKH Wels abgeliefert, dann die Autos schnell gewaschen. Anschließend haben sie sich mit einigen der Gendarmen und Feuerwehrleute in ihrem Stammlokal getroffen. Auch dort war die Stimmung extrem makaber. Einer der Feuerwehrmänner ist völlig fertig an der Bar gesessen. Er war unansprechbar. Er hat nur geradeaus in die Flaschenwand hinein gestarrt. Sie haben nur Mineralwasser, Coke und so getrunken. Manch Einer halt ein kleines Bier. Dabei hätten sie sich alle gerne schwer besoffen. Aber es war erst so um fünf Uhr in der Früh herum. Sie waren alle noch im Dienst.
Zum Glück ist dann in dieser Nacht Nichts mehr passiert. Ein paar nette Zivildienstgeschichten hat Rocky aber noch auf Lager. Also keine Angst! Es kommt noch Was!!!!!
© Copyright by Lothar Krist (18.4.2007 von 22.40 – 02.55 Uhr im Smaragd, Linz.)