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Alle lieben Anna, wenn sie es will

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24.01.2009
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Alle lieben Anna, wenn sie es will

»Mitternacht bist du wieder zu Hause«, sagte Mama.
»Vielleicht«, sagte Anna.
»Nicht vielleicht. Ich meine es ernst.«
»Ich auch!« Anna stürmte hinaus, hinter ihr fiel die Tür krachend ins Schloss. Mama zuckte zusammen, gemeinsam lauschten wir dem Hallen von Annas Absätzen auf den Betonstufen nach.

Anna kam nicht um Mitternacht, nicht am Morgen, nicht am Vormittag und auch nicht am Nachmittag. Sie kam zum Abendessen, ganze neunzehn Stunden zu spät. Ich hörte, wie Mama in den Flur stürzte, schlug mein Mathebuch zu und lauschte, wartete auf das Duell: Mama gegen Anna, aber es blieb still.
»Das ist Lasse«, hörte ich Annas Stimme.
Lasse war also der Grund. Vor Fremden streitet man sich nicht. Familiendinge gingen niemanden etwas an. Außerdem war Anna seit zwei Monaten achtzehn, sie konnte tun und lassen, was sie wollte.
Obwohl ich nichts sehen konnte, wusste ich: Mama verzog sich in die Küche, öffnete den Schrank, nahm einen Teller für Annas Mitbringsel heraus und warf die Tür zu. Danach zerrte sie die Besteckschublade auf, die klemmte, weil sie zu oft und mit zu viel Schwung zugestoßen wurde. Andere haben einen Sandsack, meine Mama hat Küchenmöbel.
Ich hörte Lasses Stimme und Annas Kichern. Als ich mir sicher sein konnte, dass niemand mehr im Flur war, warf ich einen Blick auf Lasses Schuhe. Blaue, stinknormale Turnschuhe. An der Garderobe hing seine Lederjacke. Keine Nieten, Aufnäher, Bemalungen. Ein Sturzhelm lag auch nirgends rum. Ich ging ins Wohnzimmer, wo Anna und Lasse bereits am Tisch saßen. Der Neue sah normal aus. Halblanges Haar, nicht geschminkt, keine Ringe oder Tattoos. Lasse war ein verirrter Spatz in Annas Papageienstaat.
»Ich bin Ronja«, sagte ich.
»Hallo. Lasse.«
Mama kam mit dem Auflauf, der dampfte und nach Käse und Thymian duftete. Nacheinander füllten wir schweigend unsere Teller.
»Ist dein Telefon kaputt?«, fragte ich Anna.
Meine Schwester schaute erst mich an, dann Mama.
»Akku war leer«, antwortete sie schließlich.
»Deiner auch?«, fragte ich Lasse.
»Hör auf, Ronja«, bat mich Mama. »Nicht jetzt.«
»Wieso?«, fragte Lasse.
»Anna hätte ein Telefon gebraucht.«
»Hab ich nicht gewusst.«
»Ronja, bitte!«, flehte Mama. »Können wir nicht einfach nur in Ruhe essen?«
Ich schaute Mama an, Mama Anna und Anna mich. Lasse starrte auf seinen Teller.
»Ich hole noch das Salz«, sagte Mama und verzog sich in die Küche, um sich an den Schränken abzuarbeiten.
»Du bist so gemein«, fauchte ich Anna an. »Einen einzigen Scheißanruf! Sie hat nicht geschlafen. Die ganze Nacht nicht. Und heute auch nicht.«
»Sie muss lernen, dass ich erwachsen bin.«
»Blödsinn! Darum geht es doch gar nicht.«
»Hör zu. Halt dich da raus. Verstanden?«
Mama kam zurück. Ihr Blick passte nicht zum schiefen Lächeln ihres Mundes. Lasse und ich schauten sie an. Anna guckte aus dem Fenster.
»Lasse ist ein ungewöhnlicher Name«, sagte Mama schließlich.
»Nordisch«, antwortete er. »Meine Großmutter war Schwedin.«
Lasse klingt nach Hundename, dachte ich. Lasse, Platz! Lasse, bei Fuß! Lasse, hol das Stöckchen!
»Leben deine Großeltern denn in Schweden?«
»Sie sind tot.« Und dann begann Lasse, seine Familiengeschichte zu erzählen, und Mama machte ab und an »Oh« oder »Ah«. Sie ist manchmal unglaublich, sitzt mitten in einem Gewitter und spielt Picknick unterm Postkartenhimmel.
»Komm!«, befahl meine Schwester schließlich.
»Aber wir sind doch noch gar nicht fertig«, sagte Mama.
»Wir beide schon«, sagte Anna und Lasse erhob sich aufs Wort.
Bring Stöckchen!, dachte ich.
»Er ist ein wirklich Netter. Schade, dass er schon bald ausgetauscht wird«, murmelte Mama. Wir räumten gemeinsam den Tisch ab, ich sortierte das Geschirr in die Spülmaschine, während Mama die Reste in Tupperdosen abfüllte und beschriftete.
»Ich habe eure Namen vertauscht«, sagte sie. »Anna ist die Räubertochter. Nicht du.«
Irgendwann hatte ich Anna gefragt, was sie mit all den gebrochenen Herzen wolle. Sie hatte gelacht, mir durchs Haar gewuschelt und gesagt: »Ich breche sie nicht, ich leihe sie nur eine Weile aus.«

Im Bett schrieb ich Tagebuch. Über Anna, Mama und Lasse. Vor allem über Lasse. Es war noch zu früh, die Musik auszuschalten und die Kopfhörer abzunehmen, obwohl ich hundemüde war, weil ich sonst Anna gehört hätte. Annas Katzenjammer beim Sex. Es klang ungesund, nicht nach Lust oder Spaß. Wenn Sex so war, wie es bei Anna klang, dann wollte ich das nicht.
Das erste Mal, als ich Annas Winseln gehört hatte, stand ich lauschend vor ihrer Zimmertür. Ich hatte mich nicht getraut, zu klopfen oder etwas durch die Tür zu rufen. Ich stand nur da, bereit, das Zimmer zu stürmen, wenn ich ein »Hilfe« oder etwas in der Richtung vernommen hätte, bis Mama mich in mein Zimmer schickte. Am nächsten Morgen strahlte Anna wie eine Schneelandschaft in der Sonne. Seit dieser Nacht stellte Mama den Fernseher laut und ich setzte mir Kopfhörer auf, wenn Anna Besuch hatte.

Ich war wohl eingeschlafen, denn ich schreckte hoch, als Anna mir die Kopfhörer abnahm.
»Ich bin‘s nur«, flüsterte sie. »Rück mal ein Stück.«
Mechanisch rutschte ich an die Wand, und Anna kroch zu mir ins Bett.
»Wie findest du ihn?«, fragte sie.
»Wen?«
»Lasse?« Sie schaute nicht mich an, sondern an mir vorbei auf die Wand.
»Wie soll ich ihn denn finden?«
»Egal. Sag es einfach.«
»Ich kenne den doch gar nicht.«
»Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?«
»Und Lasse? Soll er allein ...«
»Er ist weg«, unterbrach sie mich.
»Wie weg? Wohin?«
Anna schwieg. »Kann ich jetzt bei dir schlafen?«
»Von mir aus.«
»Danke.«
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich zögernd. Es war mindestens vier oder fünf Jahre her, dass wir gemeinsam in einem Bett geschlafen hatten.
»Ja.«
»Okay«, sagte ich. Aber nichts war okay. Gar nichts. Alles fühlte sich falsch an. Lasse, der so anders als die anderen war. Meine Schwester, die bei mir im Bett lag und schwieg, während ich darauf wartete, dass sie redete. Irgendwann griff sie nach meiner Hand und hielt sie fest. Als Anna eingeschlafen war, löschte ich das Licht, löste meine Hand aus ihrer und zog die Bettdecke über ihrem Körper zurecht.

Ich lernte gerade Vokabeln, als es klingelte. Durch den Spion sah ich Lasse.
»Anna ist nicht da«, sagte ich, nachdem ich die Tür geöffnet hatte.
»Ich weiß. Aber sie kommt gleich. Wir sind hier verabredet«, sagte Lasse.
»Aha.« Was sollte das heißen: Anna kommt gleich? In fünf Minuten, in dreißig, in zwei Stunden? Ich schaute auf meine Füße, die in Froschschuhen steckten. In dicken, fetten Schaumgummifröschen.
»Lässt du mich rein?«
Ich gab die Tür frei, und während Lasse sich an mir vorbeidrückte, flüsterte er: »Schöne Hausschuhe übrigens.«
Wir setzten uns ins Wohnzimmer, Lasse auf das Sofa, ich mich in den Sessel ihm gegenüber und wir schwiegen, bis ich irgendwann fragte: »Soll ich den Fernseher anmachen? Oder das Radio?«
»Nö. Aber ein Kaffee wäre gut.«
»Ich trinke lieber Tee.«
»Meinst du, ich könnte einen Kaffee bekommen?«
»Oh! Klar.« Ich sprang auf, füllte den Wasserkocher und begann, Pulver in eine Tasse zu löffeln, bis mir auffiel, dass ich keine Ahnung hatte, wie viel da hineingehörte.
»Danke«, sagte Lasse. Er rührte um, pustete, trank. »Puh!«
»Er schmeckt scheußlich, stimmt‘s?«
»Schon gut.«
Ich schaute auf die Uhr. Annas Training war seit zwanzig Minuten zu Ende. Sie hätte längst hier sein können.
»Wie lange kennt ihr euch? Anna und du?«, fragte ich ihn.
»Seit zwei Jahren.«
Ich schluckte. So lange also schon. »Und, bist du in Anna verliebt?«
»Das wäre gefährlich, oder?«
In diesem Moment wurde die Wohnungstür aufgeschlossen, aber es war nur Mama, die von der Arbeit heimkam. Als sie Lasse sah, straffte sie den Rücken, hob den Kopf und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
»Anna kommt gleich«, sagte ich. »Sagt Lasse. Sie sind hier verabredet. Er wartet auf sie.«
Mama nickte. »Ich brauche dringend einen Kaffee. Möchtest du auch einen?«, fragte sie Lasse.
Er warf einen Blick auf sein Handy. Noch immer keine Nachricht von Anna. »Nein, danke. Ich muss jetzt auch los.«

Lasse war bereits eine halbe Stunde fort, als Anna endlich kam.
»Wo ist er?«, hörte ich sie rufen. Mamas Antwort verstand ich nicht, kurz darauf stürmte Anna in mein Zimmer.
»Wo ist er hin?«
»Keine Ahnung.«
»Scheiße!« Sie schlug die Tür zu und rauschte in ihr Zimmer, kam den Rest des Nachmittags nicht mehr heraus, nicht zum Abendessen und auch danach nicht.
Kurz bevor ich zu Bett ging, klopfte ich und öffnete vorsichtig ihre Zimmertür.
»Hast du schon mal Whisky getrunken?«, fragte sie mich und hielt eine Flasche hoch.
Ich schüttelte den Kopf.
»Heute ist ein guter Tag, damit anzufangen.«
Anna schenkte mir ein. Ich roch daran und war mir sicher, das schmeckt mir nie und nimmer.
»Worauf wollen wir trinken?«, fragte sie.
»Auf die Liebe?«
»Liebe.« Anna lachte. »Du bist so naiv!«
Ich schwieg. In Momenten wie diesen hasste ich Anna.
»Hättest du schon mal Sex gehabt, könnten wir darauf trinken.«
»Manchmal bist du echt ätzend!«
»Habe ich was verpasst?«
»Nicht jeder fickt schon mit fünfzehn.«
Anna schaute mich prüfend an. Dann lachte sie.
»Okay. Trinken wir auf dein erstes Mal. Auf deinen ersten Whisky. Prost!« Sie stieß ihr Glas gegen meines und leerte ihres in einem Zug. Ich kostete vorsichtig, ließ nur ein paar Tropfen auf meine Zunge tröpfeln und wusste es doch vorher, es schmeckte widerlich.
»Das ist kein Lutschbonbon«, sagte Anna, die mich beobachtete.
Ich wollte keine Memme sein. Nicht das kleine Mädchen, über das sie sich lustig machte. Ich hielt die Luft an, schluckte das Zeug wie bittere Medizin, hustete, atmete, es brannte im Mund, im Hals und ich war sicher, es würde nie wieder aufhören. Tat es nach einer Weile aber doch.
Meine Schwester nickte anerkennend. »Noch einen?«
Ich stellte das Glas auf ihren Nachtschrank, setzte mich auf den Schreibtischstuhl und drehte mich im Kreis.
»Mit dem Whisky ist wie mit dem Sex. Beim ersten Mal ist es bisschen unangenehm, aber über die Zeit lernt man ihn zu schätzen.«
Konnte Anna nicht mal von was anderem als Sex reden? »Ich bin nicht wie du«, sagte ich.
»Wie bin ich denn?«
»Du bist ‘ne Nutte.«
Anna zuckte mit den Schultern, füllte ihr Glas wieder auf, hielt fragend die Flasche hoch.
»Ich hole mir ‘ne Cola.«
Zurück bei Anna setzte ich mich zu ihr ins Bett.
»Bist du sauer auf ihn?«, fragte ich.
»Auf wen?«
»Auf Lasse.«
»Er musste wohl weg«, sagte Anna.
»Sonntagabend, musste er da auch weg?«
»Anscheinend.«
Anna schüttete Whisky in meine Cola, und ich fragte mich, wie viel sie selbst wohl schon getrunken hatte. Eine Weile sagten wir nichts. Saßen einfach nur nebeneinander und atmeten. Und dann beugte sich Anna zum Lichtschalter und knipste das Licht aus.
»Mit Lasse, da stimmt was nicht«, flüsterte sie.
»Wieso?«
»Ich weiß nicht. An dem ist irgendwas nicht richtig.« Anna holte tief Luft. »Ich mein, wenn ein Kerl einen Ständer hat, dass man glaubt, gleich explodiert er, dann geht der nicht einfach nach Hause.«
Ich schwieg. Was sollte ich auch sagen? Ich kannte keine Typen mit Ständern.
»Das macht mich fertig, weißt du. Dass er einfach so gehen konnte.«
»Vielleicht musste er ja wirklich weg.«
»Quatsch.«
»Aber er ist doch eh nicht dein Typ.« Obwohl ich Anna in der Dunkelheit nicht sehen konnte, spürte ich, wie sie mich anstarrte.
»Woher willst du das denn wissen?«
»Sieht man doch. Und er geht, obwohl er einen Ständer hat.«
»Stimmt.«
»Und er hat nicht gewartet.«
»Stimmt auch.«
»Bist du in ihn verliebt?«
»Blödsinn.«
»Ich finde, er sieht gut aus.«
»Ah, er ist also dein Typ?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass er gut aussieht.«
»Wenn er dich küssen würde, würde dir das gefallen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er ist zu alt für mich.«
Anna lachte. »Hat dich eigentlich schon mal jemand geküsst?«
»Was geht dich das an?«
»Mach die Augen zu.«
»Warum?«
»Mach sie einfach zu, okay.«
Ich schloss die Augen und dann spürte ich Annas Lippen auf meinen, wie ihre Zunge über meine Unterlippe strich.
Ich stieß sie von mir: »Du bist total widerlich!«
Anna lachte. »Und du bist eine verdammte Nonne!«

Am nächsten Wochenende war Lasse wieder da. Mama deckte den Tisch für vier, Anna quasselte gutgelaunt, Lasse sagte kaum ein Wort. Nachts stellte Mama den Fernseher laut und ich setzte die Kopfhörer auf. Lasse blieb zum Frühstück, zum Mittag, zum Abendessen, den Tag darauf und auch den darauf. Er kam wieder; wochenlang, monatelang. Er reparierte Mamas Küchenschränke. Ich küsste einen Jungen aus der Schauspiel-AG bei einer Party, und als der sich umdrehte, wischte ich mir den Mund am Ärmel ab. Er wusste anscheinend auch nicht viel mehr über das Küssen als ich.
Es war bereits Frühling und mitten in der Nacht, Anna und Lasse kamen von irgendwoher. Sie stritten, Anna wurde laut und Lasse verstummte, schließlich schrie sie: »Dann hau doch ab! Na los, verpiss dich!« Sie stapfte in ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Ich lauschte, wollte wissen, ob Lasse jetzt wirklich ging, oder ob er bei Anna anklopfte, sie um Verzeihung bat, aber ich hörte nichts. Irgendwann wurde der Fernseher im Wohnzimmer angestellt. Zu wach, um wieder einzuschlafen, stand ich auf und zog mir die Jogginghose über. Mama stand im Morgenmantel am Herd und gab Popcorn in einen Topf. Lasse suchte eine DVD aus. Ich öffnete eine Flasche Wein und holte drei Gläser für uns. Nebeneinander saßen wir schweigend auf der Couch, Lasse zwischen uns, auf seinem Schoß die Popcornschüssel. Wir schauten Fight Club.
Als ich am nächsten Vormittag ins Wohnzimmer tapperte, lag Anna neben Lasse auf dem Sofa. Einen Arm und ein Bein um ihn geschlungen.
»Hast du eine Zigarette für mich?«, fragte Mama mich in der Küche.
Ich stellte den Wasserkocher für Tee an. »Ich rauche nicht. Und du seit zehn Jahren auch nicht mehr.«
Mama schwieg. Sie umklammerte ihre Kaffeetasse, kaute auf ihrer Unterlippe.
»Was glaubst du, weshalb sie sich gestritten haben?«, fragte ich sie nach einer Weile.
»Ist doch egal.«
»Warum?«
»Weil Lasse geblieben ist.«
»Ja«, sagte ich. Trotzdem hätte ich es gern gewusst.
Mama stand auf. »Ich habe Angst«, flüsterte sie.
»Dass sie sich wieder streiten?«
»Um Anna, wenn Lasse genug von ihr hat.«

 

Hallo @Fliege

noch ein kurzer Nachtrag: Mein Problem mit der Hauptfigur ist sicher sehr subjektiv. Es stellt sich für einen Autor immer die Frage, wie weit eine Persönlichkeit auserzählt wird. Einerseits kann Info-dumping schnell langweilen, andererseits will man ja als Leser auch nicht die Figuren selber stricken. Und dann ist es eben eine Frage, der beim Leser vorhandenen Bereitschaft, sich die Biographie einer Figur selbst zu erklären, oder an der Oberfläche stecken zu bleiben. Kenne ich nun bereits ähnliche, als unangenehm empfundene Personen aus dem privaten Umfeld, bin ich schnell abgestoßen und blockiere die eigene Fähigkeit zur Empathie. Das kann bei anderen Lesern, je nach persönlicher Erfahrung, komplett ins Gegenteil kippen, und der reduzierte Charakter der Figur wird im Kopf vervollständigt.
Somit hast Du sicher nichts falsch gemacht. Es hat nur speziell bei mir nicht so funktioniert, wie gewünscht. Da ich auf ähnliche Weise versuche, meine Figuren zu erschaffen, bringt mich das zum Nachdenken. Sollte es keine Möglichkeit geben, beiden Ansprüchen zu genügen; zum einen, den Leser zu aktiver Mitarbeit zu fordern und zum anderen: eine Figur mit ausreichender Charaktertiefe zu präsentieren?

Beste Grüße
Kellerkind

 

Lieber @Friedrichard,

... von der es bei einer zB lautet, Astrid Lindgren hätte „den Namen Ronja zumindest laut schwedischer Quellen nicht aus dem Wort Juronjaurenkatan (Lappenhütte) abgeleitet sondern aus Juronjaure, dem Namen eines Sees in Schweden“, und doch folgt alsogleich die Behauptung „Astrid Lindgren Hat den Namen der Ronja Räubertochter aus dem Wort Juronjaurenkatan (eine Lappenhütte) genommen, ...

Ja, schräg oder? Da wusste die Quelle wohl nicht, was in der Quelle steht. Ich denke ja, die Lindgren hat den Namen weder von der Hütte, noch vom See, sondern schon mal irgendwo vorher gehört. Die hat sich den ja nicht ausgedacht, den gab es ja vorher schon :D

Aber Reibung gab und gibt es immer, wenn wer flügge wird und nicht den Nesthocker gibt und doch die Vorteile des Hotels Mama genießen will. Physikalisch erzeugt sie sogar Wärme, die Reibung …
Ohhh, ich bin ganz bei dir!

Gleichzeitig bin ich richtig besorgt, nicht über die Annas dieser Welt, sondern über die, die den Biedermann geben, Kollektiv und Kameradschaft pflegen und hinter dicken Wänden in vor allem rechten Kampfsportgruppen ausgebildet werden, alte Weltbilder widerkäuen und hernach das Straßenbild beherrschen …
Ich teile deine Sorge, die wahre Sorgen sind.

zumal ein Hauch von eines mitteleuropäischen späteren Bullerbü weht ...
Lieber daher der Wind, als von Rechts.

Danke für deinen erneuten Besuch, ich pflück mal schnell die Unkräuter aus dem Text. Und für dich die besten Wünsche zum neuen Jahr!


Hey ho @Kellerkind,

Und dann ist es eben eine Frage, der beim Leser vorhandenen Bereitschaft, sich die Biographie einer Figur selbst zu erklären, oder an der Oberfläche stecken zu bleiben.
Ja.

Kenne ich nun bereits ähnliche, als unangenehm empfundene Personen aus dem privaten Umfeld, bin ich schnell abgestoßen und blockiere die eigene Fähigkeit zur Empathie. Das kann bei anderen Lesern, je nach persönlicher Erfahrung, komplett ins Gegenteil kippen, und der reduzierte Charakter der Figur wird im Kopf vervollständigt.
Auch hier, ja.

Sollte es keine Möglichkeit geben, beiden Ansprüchen zu genügen; zum einen, den Leser zu aktiver Mitarbeit zu fordern und zum anderen: eine Figur mit ausreichender Charaktertiefe zu präsentieren?
Ich schätze mal, dass man mit mehr auch mehr erreicht. Lebenserfahrungen spielen immer mit rein, schon allein ein Name kann Abwehr erzeugen, und wenn der Name beim Leser derart negativ belastet ist, dann hat man es als Autor schon damit schwer. Ist auch die Frage, wie weit der Leser dann bereit ist zu abstrahieren. Die Figur ist nicht xyz von nebenan.
Ich sag jetzt nicht, das die negativ-Empfindung der Anna vor allem aus dir entspringt, sie ist es ja, aber so deutlich empfunden und mir mitgeteilt, haben es mir jetzt zwei Leser, die Mehrheit empfindet sie scheinbar nicht ganz so abstoßend. Jedem recht getan, kann niemand, kann nicht das Ziel sein. Für mich sehe ich hier die Gefahr, wenn ich Anna etwas von ihrer Schärfe nehme (kann sein, ich bin mit meinem Empfinden auf dem Holzweg), dann nehme ich auch Konfliktpotential aus der Geschichte, dann drehe ich am Temperaturregler der Figurendynamik und dann koche ich hier auf sehr, sehr kleiner Flamme lauwarme Figuren.

Lieben Dank Euch beiden für die Nachträge,
Beste Grüße, Fliege

 

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