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Allein in der Disco
"Du, also ich würd dir raten, eine andere aufzureißen!", sagte das Tanzbabe. Wie bitte?, dachte Jochen. "Also, ich wollt's dir nur sagen, damit du mich nicht weiter angräbst und es lieber bei einer anderen versuchst", sagte sie freundlich und aufmunternd, bevor sie sich abwandte.
Das saß.
Jochen blieb enttäuscht und gedemütigt zurück. Seine Stimmung war dahin. Er versuchte wieder den smarten Gesichtsausdruck aufzusetzen, den er extra zuhause eingeübt hatte, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Selbst die fünf Weizen, die er zusammen mit Jens getrunken hatte, halfen ihm nun nicht mehr auf.
Er drehte sich zur Tanzfläche um und schaute zu Jens herüber, mit dem er gekommen war. Jens hob fragend die Schultern und Jochen schüttelte den Kopf.
Jens tanzte nun schon das fünfte Mädel an und würde daraufhin irgend einen dummen Spruch loslassen, um dann zum fünften Mal abzublitzen. Vielleicht war einfach nicht der richtige Tag. "Fünf Weizen brauche ich, dann traue ich mich", hatte Jens gesagt. Das stimmte, auch wenn er damit keinen Erfolg hatte. Trotzdem: Jochen war beeindruckt von soviel Mut. Er selbst hatte sich nach den fünf Weizen noch immer nicht getraut, ein Mächen anzusprechen. Das Tanzbabe hatte doch tatsächlich ihn angesprochen.
Die Situation war trivial genug, damit daraus etwas werden konnte. "Ich muss aufs Klo", hatte Jens gegen die Musik angebrüllt. "Da komm ich mit", hatte Jochen gesagt, denn er musste wirklich. "Ah! Und ich hatte gedacht, nur Frauen gingen zusammen auf die Toilette!", hatte das Tanzbabe gerufen, das zufällig neben ihnen stand und zugehört hatte. Jochen hatte gelacht und geantwortet: "Ja, und wir werden uns dort gleich über dich unterhalten!"
War das nun ein origineller Spruch? Wahrscheinlich nicht. Aber jemand hatte IHN angesprochen, ihn, Jochen. Das war noch nie vorgekommen. Meistens hatte er in Discos nur still in der Ecke gestanden, während die anderen wie wild auf der Tanzfläche Gas gaben. Wenn er überhaupt mal mit jemandem in Discos redete, dann mit seinen Kumpels oder mit den Freundinnen, die sie mitbrachten. Ein fremdes Mädel anzusprechen hatte er noch nie gewagt. Jochen mochte die Musik in Discos nicht, mochte die gegelten Checker-Typen nicht und schon gar nicht mochte er, dass alle nur stumm vor sich selber hintanzten. "Wenn du zuhause bleibst, dann wirst du nie ein Mädchen kennenlernen", hatte Jens aber am Nachmittag gesagt, als er Jochen überredete mitzukommen.
Und nun hatte ihn das Tanzbabe angesprochen. "Überleg dir nen dummen Spruch", hatte ihm Jens auf der Toilette gesagt. "Völlig egal was!"
Und genau das hatte Jochen getan. Das Bier hatte wieder gewirkt und als er vom Klo wiederkam trällerte er dem Tanzbabe fröhlich irgendwas ins Ohr. Doch offenbar hatte sie sich schon vorher ihr Urteil gebildet, bevor sie ihn abblitzen ließ.
Jochen war ihr nicht einmal böse. Sie war nett und wenigstens ehrlich gewesen. Und angesprochen hatte sie ihn wohl nur, weil sie die Situation so lustig fand. Genauso wie die meisten Frauen gar nicht in der Disco angesprochen werden wollen, dachte Jochen. Das hatte er neulich gelesen. Sie gingen nur in die Disco, um abzutanzen und Spaß zu haben. Aber so lustig finde ich es hier gar nicht und Spaß habe ich dabei auch nicht, dachte er. Ob die Frauen wohl wissen, dass die meisten Kerle Discos für eine Kontaktbörse halten und am liebsten gleich irgend eine Frau mit nach Hause nehmen würden?
Jochen ärgerte sich. Wenn nicht in der Disco, wo soll ich denn dann jemanden kennenlernen? Auf der Arbeit waren alle Kolleginnen in seinem Alter schon vergeben. In seinem Fußballklub waren ohnehin fast nur Männer, und Frauen in seinem Alter gingen nicht mehr auf den Trainingsplatz, um Fußballer anzuhimmeln. Und auf der Straße einfach jemanden ansprechen, der ihm gefiel? Das ginge doch auch nicht! Aber hier in der Disco gab es keine einfach gekleideten Mädchen, an die Jochen sich herangetraut hätte. Niemanden, der alleine abseits der Tanzfläche stand, Discos genauso wenig mochte wie er und nur darauf wartete angesprochen zu werden.
Jochen wollte gehen. Er bahnte sich einen Weg zu Jens, der inzwischen zum fünften Mal abgeblitzt war und erst einmal alleine tanzte. Jens wollte noch bleiben und Jochen verabschiedete sich. Er ging langsam von der Tanzfläche weg, zur Garderobe und danach in Richtung Ausgang. Wenn an all den Filmen und Musikvideos etwas wahr wäre, dann würde jetzt noch etwas passieren. Er würde noch jemanden treffen irgendwo am Ausgang und sich nett unterhalten , oder ein Mädchen, das ihn den ganzen Abend heimlich beobachtet hatte, würde hinter ihm herlaufen und ihn auffordern noch zu bleiben.
Natürlich passierte nichts dergleichen. Vor der Disco waren wie üblich nur ein paar Gestalten, die einen über den Durst getrunken hatten oder auf ihr Taxi warteten. Jochen entfernte sich langsam. Er hatte es nicht weit bis nach Hause und ging den Weg zu Fuß. Doch unterwegs traf er niemanden an außer ein paar Halbstarken und zwei Paaren, die von einer privaten Party zu kommen schienen. Zu sowas wurde er nie eingeladen.
Als er in seiner kleinen Wohnung angekommen war, schaltete er seinen Computer ein und holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Bei seinem Messenger waren noch eine ganze Menge Leute online, obwohl es schon nach zwei Uhr nachts war. Jochen sprach eine Bekannte von ihm aus Sachsen an, mit der er sich öfter unterhielt und sie antwortete prompt.
"So spät noch auf?", fragte Jochen. "Klar", antwortete sie, "war heute Abend zuhause. Wo soll ich sonst hingehen?" Jochen fühlte sich wohl im Chat. "Sollen wir uns nicht mal treffen", fragte er mutig nach einer Weile. "Hm...", antwortete sie, "gerne mal, aber..."
Aber die Entfernung war zu groß und die ganze Sache war ihr zu real. Sie würde sich nie mit ihm treffen.