Was ist neu

Allein

Mitglied
Beitritt
16.02.2005
Beiträge
2
Zuletzt bearbeitet:

Allein

Er hielt sie in den Armen. Ihr Körper war kalt, sie zitterte.
Er weinte; und schämte sich dafür. Er wollte nicht um einen Menschen trauern, der noch lebte. Wollte nicht, dass das Letzte, was sie von dieser Welt sah, sein von Weinen verzerrtes Gesicht war. Er wollte, dass sie ihn lachend in Erinnerung hielt.
Auch wenn er wusste, dass es keine Erinnerung mehr geben würde, wenn sie erst einmal nicht mehr hier in seinen Armen liegen würde.
Und davor fürchtete er sich. Davor, dass sie nicht mehr hier sein würde.
Er hielt sie fest, als könne er das Unverhinderbahre stoppen. Als könne er verhindern, was kein Mensch zu verhindern wusste.
Die Verzweiflung schnürte ihm die Brust zu. Er rang nach Atem. Versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken.
Es klappte nicht.
Er blickte in ihre Augen, versuchte, das erlöschende Licht mit seinem Blick festzuhalten. Versuchte, ihr all die Worte, die er nie gesagt hatte, mitzuteilen. Sich für all seine Fehler, seine Ausrutscher zu entschuldigen.
Wissend, dass sie es nicht mehr verstehen konnte. Dass sie längst an einem Ort war, an dem kein lebender Mensch sie würde erreichen können.
Ihre Hand zuckte. Er wollte sie halten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Er sass da wie gelähmt und starrte ihre Hand an, die sich leicht erhob und nach etwas zu greifen suchte, das sie halten würde.
Es war nichts da.
Als ihre Hand wieder auf seinem Bein lag, stockten seine Tränen.
Tränen vermochten nicht mehr auszudrücken, welchen Schmerz er durchlebte. Welche Verzweiflung von ihm Besitz ergriff.

Sie hatte ihm einmal gesagt, dass sie alleine sterben würde. Dass sie alleine sterben möchte.
Sie war nicht allein gestorben. Aber er wusste dennoch, dass ihr Wunsch in Erfüllung gegangen war. Denn das Alleinsein bezog sich nicht auf den Körper. Es bezog sich auf den Geist.
Egal, wie sehr er ihren Körper an sich gedrückt hielt, sie war allein gestorben. Hatte die letzte und wohl auch entscheidendste Reise alleine angetreten.

Er hielt ihren Körper noch immer fest. Nicht mehr, um sie zurück zu holen, ihren Entscheid, zu sterben rückgängig zu machen, sondern um sich selber an etwas fest zu halten.
Um nicht den Halt zu verlieren, wie sie es getan hatte.
Er fühlte sich schuldig. Weil er wusste, dass er ihr nie den Halt gegeben hatte, den sie gebraucht hätte. Nach dem sie ihr ganzes Leben lang gefragt hatte.
Und plötzlich fragte er sich, ob er auch so alleine sterben würde. Ob er auch irgendwo in einem verdammten kleinen Bedazimmer langsam verrecken würde. Den Geist durch die Tabletten benebelt. Und dennoch wissend, dass es kein Zurück gab.
Er wollte nicht alleine sterben. Er wollte nicht langsam in der Dunkelheit ertrinken. Wollte nicht verzweifelt nach Halt suchen, den diese Welt nicht geben konnte.
Die Panik kam zurück. Sog ihn in einen schwarzen Strudel der Angst hinab. Er krallte sich in ihren ausdruckslosen Körper. Zerkratzte ihre weisse Haut. Keine Regung war mehr in ihrem toten Gesicht zu finden.

Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, doch plötzlich regte sich etwas neben ihm. Irgendeine gesichtslose Gestalt trennte ihn von ihrem leblosen Körper und brachte ihn an einen kalten, sterilen Ort.
Er fühlte sich leer. Eine Hülle, gefüllt mit schwarzem Rauch, der einen Weg zu entfliehen suchte, jedoch keinen finden konnte.
Er wusste, er würde wieder leben müssen. Er würde wieder lachen müssen. Und er wusste, dass er es sogar einmal wieder gern machen würde.
Doch im Moment konnte er nicht nach vorne blicken. Im Moment sah er nur einfach ihre Hand, die sich immer und immer wieder erhob und ins Nichts griff.
Und dennoch wagte ein Teil seiner selbst zu hoffen. Zu hoffen, dass sie da sein würde, wenn niemand ihm die Hand reichen könnte.
Er hoffte, dass sie ihn dorthin führen würde, wo kein lebendiger Mensch jemals gewesen war. Dass sie ihm den Halt geben würde, den er ihr nicht hatte geben können. Dass sie ihm dann ein Licht sein würde, wenn die Sonne längst gestorben war. Dass sie ihm den Ort zeigen würde, an dem es keinen Schmerz gab. Keine Einsamkeit. Kein Licht.
Er hoffte, sie würde da sein, wenn er sie brauchte. Wenn er ihr folgen würde. Eines Tages. Vielleicht schon morgen. Vielleicht erst in hundert Jahren.
Es spielte keine Rolle. Was zählte war, dass er nicht allein sein würde.
Sie würde warten. Bis zu dem Tag, an dem er nicht mehr zu entscheiden vermochte.
Sie würde warten.
Sie würde verstehen.
Und in diesem Moment wusste er, dass er nicht allein war. Es nie gewesen war und nie sein würde.
Und langsam begriff er, welches Glück er hatte.

 

Hallo zahrafina und herzlich willkommen!

Ganz so schlimm wie Marius würde ich es nicht ausdrücken. Ich sehe darin eine Momentbeschreibung. Doch der Leser taucht irgendwie nicht ein - ich empfinde die Szene als zu gewollt dramatisch in Sprache und Stil - das ist, wie wenn jemand absolut versucht, witzig zu sein. Es wirkt künstlich, auf mich jeden Fall. Einfachere Wortwahl ist oft mehr. Das Happy End am Schluss - darüber kann man geteilter Meinung sein, mir hat es besser gefallen, als wenn er in Depression oder Selbstmord schwelgen würde. :)

schöne Grüße
Anne

 

Hallo!
Danke für eure Rückmeldungen.

Marius, du fragst, wann die 'Sie' sterbe: nun, sie stirbt in dem Moment, als ihre Hand wieder zurück auf sein Bein sinkt. Danach möchte ich einfach irgendwie beschreiben, was in ihm vorgeht und wie verzweifelt er versucht, nicht so zu verzagen wie sie das getan hat.
Ich kann aber verstehen, dass diese Geschichte nicht einfach zu lesen ist, da ich sie in einer ziemlich seltsamen Laune geschrieben habe.
Ich werde aber ganz sicher versuchen, bei der nächsten Geschichte darauf zu achten, dass es auch wirklich eine 'Geschichte' wird!

Anne, ich werde mir auch deinen Ratschlag zu Herzen nehmen und versuchen, in Zukunft einfacher zu schreiben, auch wenn ich vielleicht noch sagen sollte, dass ich keinesfalls versuche, dramatisch zu schreiben. Es passiert einfach.

schöne Grüsse
Zahrafina

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom