Was ist neu

Aller Tage Abend

Mitglied
Beitritt
18.04.2004
Beiträge
134
Zuletzt bearbeitet:

Aller Tage Abend

Und hier stand er, der Thron GOTTES. Und der Höllenfürst selbst saß auf ihn, versunken in einem Meer aus Licht. Sein makelloses Gesicht war von Ewigkeiten gezeichnet. Erschöpft kauerte er auf den Thron, unfähig, ihn auszufüllen, zerflossen seine Umrisse in einem Schein aus Glanz und Glorie. Er war so müde, so unendlich müde.

„Meister?“
Langsam hob der Höllenfürst den Kopf. Sein oberster Heerführer stand vor ihm. Tiefe Wunden von vergangenen Schlachten bedeckten seinen schwärenden Leib. Der Geruch von Tod und Verwesung haftete an ihm, nur mühsam schien er sich noch auf den Beinen halten zu können. Wimmernd sah der Dämon zu seinem Meister auf, versuchte mit seinen Pranken die Augen abzuschirmen. Dieses ekelhafte, stechende, grässliche Licht.
Der schwarze Engel runzelte geistesabwesend die Stirn. Irgendetwas… irgendetwas war da noch. Wenn er sich doch nur erinnern könnte.
„Meister? Der Gefangene...“
Oh, ja, der Gefangene… natürlich.
„Bringt ihn herein!“

Zwei Dämonen schleiften das herein, was früher der höchste und schönste Engel gewesen sein mochte. Luzifer lächelte dünn. Sein größter Widersacher stand nun nackt vor ihm, von seinen mächtigen Schwingen waren kaum mehr übrig als blutige Stümpfe. Der Körper war über und über mit Wunden bedeckt, gemartert von Waffen, die bis auf die Seele schnitten.
„Ah, Gabriel!“ Luzifer sah auf seinen besiegten Gegner herab. Tief in seinem Inneren regte sich Genugtuung, doch schnell verlor sie sich in einem Wirbel auf Bedeutungslosigkeit.
Gabriel wurde nach vorne gestoßen. Ächzend versuchte er sich mit den Händen aufzustützen. Mühsam hob er den Kopf und richtete sein verbliebenes Auge auf den Höllenfürsten. Selbst jetzt loderte noch Verachtung und Stolz in ihm.
„Frevler!“, schrie der Engel, „Du entweihst den Thron Gottes.“
„Oh!“ Luzifer richtete sich auf, spitze belustigt die Lippen. „Selbst jetzt noch begehrst du auf, allein zu seinem Ruhm, nicht wahr?“
Auf einen Wink von ihm trat einer seiner Diener auf den letzten Engel zu, hob seinen klauenbewehrten Fuß und presste damit Gabriels Kopf auf den Boden. Der Dämon kicherte als er es knacken hörte.
„Wo ist er?“, murmelte der Höllenfürst. Seine Stimme dröhnte durch Raum und Zeit und war doch leer und kraftlos.
„Wo ist Gott?“
Gabriel schrie auf, als der Dämon sein Gewicht verlagerte. Neugierig beobachtete dieser, wie sich der Kopf des Engels unter seinen Fuß verformte. Luzifer beugte sich nach vorne und sah seinen Widersacher in das verbliebene Auge, das langsam aus seiner Höhle quoll.
„Verfluchte Unsterblichkeit, Gabriel!“, sagte er sanft, „Hörst du die Schreie deiner Kameraden, wie sie ihn anflehen, er solle sie von diesen Qualen erlösen?“
Der gefallene Engel schloss die Augen und lauschte der Symphonie aus Schmerz und Verstümmelung, die seine Diener entfesselten.
„Hörst du ihr Flehen?“
Langsam lehnte er sich zurück. Das Licht umfing ihn, und für einen Moment schien er sich in diesem Glanz aufzulösen.
Als Luzifer die Augen öffnete, wirkte er um Äonen gealtert. Sein makelloses Gesicht war von Falten gerahmten, wie sie nur Ewigkeiten graben konnten. Seine Augen strahlten eine Sehnsucht aus, ungestillt und voller Begierde. Er wirkte so zerbrechlich.
„Aber er hört nicht“, murmelte er, „Sag mir, Gabriel, ist das ein barmherziger Gott?“
Gabriel wimmerte unter den Klauen des Dämons. Mühsam versuchte er zu sprechen, musste sich jedes Wort erkämpfte.
„Er ... wird ... zurück … kommen …wird kommen und dich …dich für deine Frevel strafen!“
Luzifer lachte höhnisch auf. Seine Augen begannen zu leuchteten, stürmische Wut und unendlicher Hass durchfluteten ihn, durchströmten seinen Körper, seinen Geist, seine Gedanken.
„Mich strafen?“
Kreischend schwang er sich vom Thron herunter. „Wie sollte er? ICH HABE GEWONNEN! Sieh dich um! Die Himmelstore sind erstürmt, eure Festung ist gefallen, das Paradies steht in Flammen! Sieh dich um! Die Körper deiner Kameraden braten im Höllenfeuer selbst, für alle Ewigkeiten! Sieh dich um! Und dann sage mir: Wo ist GOTT?“
Luzifer sprang nach vorne, heulte auf und trat gegen geschundenen Körper des Engels.
Gabriel zitterte, Blut quoll aus seinem Mund hervor, selbst der Dämon stolperte nach hinten, als wäre er vom Schlag getroffen worden. Luzifer taumelte zurück. So schnell die Wut in ihm aufgelodert war, so schnell verpuffte sie in einem Strom aus Lethargie. Mühsam hievte er seinen Körper zurück auf Gottes ...– nein, auf seinen Thron. Er hatte gesiegt. ER HATTE GOTTES SCHÖPFUNG EROBERT! Er hatte gewonnen! Gewonnen... Das musste doch etwas bedeuten…

Luzifer atmete schwer. Mühsam richtete er sich auf. Ewigkeiten drückten auf seiner Seele, eine Last, die auch er nicht mehr so einfach abschütteln konnte.
„Wo ist er?“, flüsterte er ohne aufzusehen
„Ich… weiß… es nicht“, stammelte Gabriel. „Ich kann... mich… kaum noch erinnern.“ Er hob seinen deformierten Kopf, eiternde Hautfetzen lösten sich von den Knochen und blieben am Boden kleben. "Ich kann mich kaum noch erinnern…“, flüsterte er. Ein Krächzen schüttelte seinen Körper, bevor Gabriel schluchzend zusammenbrach.

Zitternd sank Luzifer in sich zusammen. Der letzte Funken Kraft wich aus seinem Körper und er spürte die Äonen, wie sie auf seiner geschundenen Seele lasteten so deutlich, wie noch nie zuvor.
„Schafft ihn fort!“, flüsterte Luzifer, „Er nützt mir nichts mehr.“ Seine zwei Diener packten den letzten Engel. Als Gabriel hinaus geschliffen wurde, zog er eine Spur aus Blut und Ausfluss hinter sich her. Er wimmerte vor dem, was jetzt noch kommen würde.

„Und jetzt?“, flüsterte Luzifer. „Was jetzt?“
„Meister?“, fragte sein Heerführer unsicher. Der dunkle Engel schreckte hoch, sah seinen Diener wütend an. Er wollte aufspringen, seinen Diener maßregeln, um… warum eigentlich?
„Lasst mich allein!“, murmelte er müde und scheuchte den Dämon fort.
Als das Tor zum Thronsaal krachend zu fiel, sah Luzifer das letzte Mal hoch.
„Herr?", fragte er ängstlich. "Wo bist du, Herr?“,

Er hatte doch die letzte Schlacht gewonnen, die Apokalypse besiegelt, hatte Gottes Schöpfung erobert! Er, der gefallene Engel, der Ausgestoßene, saß nun endlich auf Gottes Thron. Einsam und verlassen.
Und so dämmerte er vor sich hin, versunken in einem Meer aus Licht.

„Warum hast du mich verlassen?“

Ewigkeiten kamen und gingen. Doch Gott zeigte sich nicht.

 

Hi Kerberos.

Ich liebe Bibel-Geschichten. Kennst du "Gods Army"? Der Film gefiel mir ebenfalls.
Auch du schaffst es, die Bibelfiguren, wenn auch klischeehaft, so doch gut rüberzubringen.

Tief in seinem Inneren regte sich Genugtuung, doch schnell verlor sie sich in einem Wirbel auf Bedeutungslosigkeit.
Ein sehr tiefer Satz. Super!

Die überraschende Wende am Schluss ist genial!:thumbsup:

Einziges Manko: Es sind noch einige Worte drin, die nicht reingehören. ich denke, sie sind nach einem Korrekturlesen noch übrig geblieben. Lies nochmal drüber.

Ach, und das Wort "Äonen" tauchte mir ein bisschen zu oft auf.

Hat aber Spaß gemacht. Sehr gute Unterhaltung.

Gruß! Salem

 

Hallo kerberos!

1A-Geschichte, wirklich gelungen, (fast) keine Fehler, sowohl was Ausdruck und Grammatik betrifft und ein guter Schluss. Da wünscht man sich, dass es weiter geht und etwas genauer auf die Bibel-Gestalten eingegangen wird.

Du verzichtest darauf Gott zu beschreiben (siehe auch: Mohammed) und lässt den Höllenfürsten und den Leser an seiner Existens zweifeln, großartig.

Nur ein Vorschlag von mir: Es könnte jemand/etwas in der Kg erscheinen, der/das Gott symbolisiert, aber der Teufel erkennt und begreift ihn/es nicht. Toll wäre es auch, wenn du die Typen etwas menschlicher machen würdest und den Himmel genauer oder sehr schräg beschreiben würdest.

Ansonsten, wie gesagt großartig. :thumbsup:

Ciao Marvin

 

Hallo Kerberus,

sehr gern gelesen, jo, das trifft es. Deine Formulierungen sind größtenteils gelungen und transportieren eine Atmosphäre der Verzweiflung. Das Grundthema an sich packt mich jetzt nicht so wahnsinnig, also Luzifer, der gefallene Engel, Gabriel usw., weil ich das genug abgehandelt finde und es mir bei sowas ähnlich geht, wie bei antiken Heldenepen: Die Protagonisten bleiben mir einfach zu fremd in ihren Beweggründen und Emotionen. Um es anders auszudrücken: Der Höllenfürst und ein Erzengel bieten mir einfach keine Figuren, mit denen ich mich identifizieren kann.
So viel zu meiner Abneigung gegenüber dem Grundthema deiner Geschichte.

Jetzt aber zum Positiven:
Den Teufel find ich unheimlich gut beschrieben. Von seinem Verhalten her, aber auch, dass du auf sein Aussehen nicht allzu deutlich eingehst, sondern Platz für Phantasie lässt. Ich glaube, dass ist fast immer gut, wenn es um das Personal des Bösen geht.
Genau das selbe gilt für mich bei der Beschreibung des Himmels: Weniger ist mehr, und dies erfüllst du hier zu meiner vollsten Zufriedenheit.

Das Beste an deiner Geschichte ist allerdings der Punkt, dass der Teufel als Sieger eigentlich doch der Verlierer geblieben ist, denn gut scheint'S ihm auf dem Thron ja nicht wirklich zu gehen. Seine ganze Existenz liegt eigentlcih nur im Kampf gegen Gott begründet, und da dieser ja nun vorbei ist...
Hast du ganz toll gemacht, Respekt dafür!
Auch dieser Jesus-Satz am Ende ist ein Höhepunkt.

Übrigens haben mich die in Großbuchstaben geschriebenen Worte in deiner Geschichte nicht gestört, wie es sonst bei mir immer der Fall ist. Weiß auch nicht warum, wollte es nur mal anmerken.

Als Fazit bleibt mir zu sagen, dass ich die Geschichte durchaus gelungen halte und ihr in Schulnoten eine 2- geben würde. Was in diesem schwierigen Fach doch keine ganz leicht zu erreichende Bewertung ist.

 

Hallo!

wow, soviel positive Kritik auf einmal, tut richtig gut ;)

@Salem
Danke für das Lob!
God's Army hab ich noch nicht gesehen, sollte ich aber wohl mal.
Wegen dem Klischee: jo, sicher. Allerdings sind bei Bibelgeschichten die Charaktere ja mehr oder weniger fest vorgegeben. Schließlich sind die Protagoniten allgemein bekannt sein, krasse Änderungen wären nur in einer Satire verpackt glaubhaft

@Marvin
Danke für Lesen und Kritik!

Zu deinen Vorschlag:
Ich hab auch in diese Richtung gedacht, bin dann aber davon abgekommen. Es hätte nur logische Probleme aufgeworfen, ohne dem Plot etwas Neues hinzuzufügen. Wenn Gott doch da ist, warum tut er dann nix? Das wird Gabriel ja auch von Luzi vorgeworfen. Ein bahrmherziger Gott würde doch seinem Treiben Einhalt gebieten... Und nebenbei: Wie kann man gegen einen allmächtigen Gott gewinnen? (oder ist er gar nicth allmächtig, sondern tut nur so? Tja, dass wäre dann aber ein ganz andere Geschichte geworden... *notier*)

Wegen den genaueren Beschreibungen, tja, ich halte es da wie kevin2, weniger ist manchmal doch mehr... Ich glaube, die Geschichte würde sich dadurch nur unnötig aufbauschen

@Zebrösel-Pistole
Danke fürs Lesen und Fehler raus picken
Interessant finde ich, dass du genau die Formulierung kritisierst, die Salem extra lobend herausgestrichen hat. Da halte ich es wie Salem. Ich mag die Formulierung :shy:

@Kevin2
Auch dir vielen Dank für Lesen und Kritik!
Interessant finde ich deinen Vergleich mit antiken Heldenepen. Stimmt ja auch, hier wie dort sind die Figuren mehr oder weniger stark vorgezeichnet, hier wie dort handeln Extreme gegeneinander. Dass man sich nicht mit den Figuren identifizieren kann, muss ich wohl auf mir sitzen lassen. Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Luzifer kann ich ja schlecht zu einem Hundeliebhaber machen, denn seine Eltern zu wenig beachtete haben, weshalb er auf die schiefe Bahn geraten ist, und Höllenfürst geworden ist. (ja, gut, ich könnte, aber... naja, andere Geschichte.
Aber wie du selbst gesagt hast, dass ist eben ein allgemeines Problem des Grundthemas.

Das mit dem Großbuchstaben hat mir übrigens einiges Bauchweh bereitet. Ich hab befürchete, dass es zu plakativ wirken würde. Gut, dass wäre damit fürs erste abgehakt.


Noch mals Danke an alle!

mfg
Kerberos

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom