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Aller Tage Abend
Und hier stand er, der Thron GOTTES. Und der Höllenfürst selbst saß auf ihn, versunken in einem Meer aus Licht. Sein makelloses Gesicht war von Ewigkeiten gezeichnet. Erschöpft kauerte er auf den Thron, unfähig, ihn auszufüllen, zerflossen seine Umrisse in einem Schein aus Glanz und Glorie. Er war so müde, so unendlich müde.
„Meister?“
Langsam hob der Höllenfürst den Kopf. Sein oberster Heerführer stand vor ihm. Tiefe Wunden von vergangenen Schlachten bedeckten seinen schwärenden Leib. Der Geruch von Tod und Verwesung haftete an ihm, nur mühsam schien er sich noch auf den Beinen halten zu können. Wimmernd sah der Dämon zu seinem Meister auf, versuchte mit seinen Pranken die Augen abzuschirmen. Dieses ekelhafte, stechende, grässliche Licht.
Der schwarze Engel runzelte geistesabwesend die Stirn. Irgendetwas… irgendetwas war da noch. Wenn er sich doch nur erinnern könnte.
„Meister? Der Gefangene...“
Oh, ja, der Gefangene… natürlich.
„Bringt ihn herein!“
Zwei Dämonen schleiften das herein, was früher der höchste und schönste Engel gewesen sein mochte. Luzifer lächelte dünn. Sein größter Widersacher stand nun nackt vor ihm, von seinen mächtigen Schwingen waren kaum mehr übrig als blutige Stümpfe. Der Körper war über und über mit Wunden bedeckt, gemartert von Waffen, die bis auf die Seele schnitten.
„Ah, Gabriel!“ Luzifer sah auf seinen besiegten Gegner herab. Tief in seinem Inneren regte sich Genugtuung, doch schnell verlor sie sich in einem Wirbel auf Bedeutungslosigkeit.
Gabriel wurde nach vorne gestoßen. Ächzend versuchte er sich mit den Händen aufzustützen. Mühsam hob er den Kopf und richtete sein verbliebenes Auge auf den Höllenfürsten. Selbst jetzt loderte noch Verachtung und Stolz in ihm.
„Frevler!“, schrie der Engel, „Du entweihst den Thron Gottes.“
„Oh!“ Luzifer richtete sich auf, spitze belustigt die Lippen. „Selbst jetzt noch begehrst du auf, allein zu seinem Ruhm, nicht wahr?“
Auf einen Wink von ihm trat einer seiner Diener auf den letzten Engel zu, hob seinen klauenbewehrten Fuß und presste damit Gabriels Kopf auf den Boden. Der Dämon kicherte als er es knacken hörte.
„Wo ist er?“, murmelte der Höllenfürst. Seine Stimme dröhnte durch Raum und Zeit und war doch leer und kraftlos.
„Wo ist Gott?“
Gabriel schrie auf, als der Dämon sein Gewicht verlagerte. Neugierig beobachtete dieser, wie sich der Kopf des Engels unter seinen Fuß verformte. Luzifer beugte sich nach vorne und sah seinen Widersacher in das verbliebene Auge, das langsam aus seiner Höhle quoll.
„Verfluchte Unsterblichkeit, Gabriel!“, sagte er sanft, „Hörst du die Schreie deiner Kameraden, wie sie ihn anflehen, er solle sie von diesen Qualen erlösen?“
Der gefallene Engel schloss die Augen und lauschte der Symphonie aus Schmerz und Verstümmelung, die seine Diener entfesselten.
„Hörst du ihr Flehen?“
Langsam lehnte er sich zurück. Das Licht umfing ihn, und für einen Moment schien er sich in diesem Glanz aufzulösen.
Als Luzifer die Augen öffnete, wirkte er um Äonen gealtert. Sein makelloses Gesicht war von Falten gerahmten, wie sie nur Ewigkeiten graben konnten. Seine Augen strahlten eine Sehnsucht aus, ungestillt und voller Begierde. Er wirkte so zerbrechlich.
„Aber er hört nicht“, murmelte er, „Sag mir, Gabriel, ist das ein barmherziger Gott?“
Gabriel wimmerte unter den Klauen des Dämons. Mühsam versuchte er zu sprechen, musste sich jedes Wort erkämpfte.
„Er ... wird ... zurück … kommen …wird kommen und dich …dich für deine Frevel strafen!“
Luzifer lachte höhnisch auf. Seine Augen begannen zu leuchteten, stürmische Wut und unendlicher Hass durchfluteten ihn, durchströmten seinen Körper, seinen Geist, seine Gedanken.
„Mich strafen?“
Kreischend schwang er sich vom Thron herunter. „Wie sollte er? ICH HABE GEWONNEN! Sieh dich um! Die Himmelstore sind erstürmt, eure Festung ist gefallen, das Paradies steht in Flammen! Sieh dich um! Die Körper deiner Kameraden braten im Höllenfeuer selbst, für alle Ewigkeiten! Sieh dich um! Und dann sage mir: Wo ist GOTT?“
Luzifer sprang nach vorne, heulte auf und trat gegen geschundenen Körper des Engels.
Gabriel zitterte, Blut quoll aus seinem Mund hervor, selbst der Dämon stolperte nach hinten, als wäre er vom Schlag getroffen worden. Luzifer taumelte zurück. So schnell die Wut in ihm aufgelodert war, so schnell verpuffte sie in einem Strom aus Lethargie. Mühsam hievte er seinen Körper zurück auf Gottes ...– nein, auf seinen Thron. Er hatte gesiegt. ER HATTE GOTTES SCHÖPFUNG EROBERT! Er hatte gewonnen! Gewonnen... Das musste doch etwas bedeuten…
Luzifer atmete schwer. Mühsam richtete er sich auf. Ewigkeiten drückten auf seiner Seele, eine Last, die auch er nicht mehr so einfach abschütteln konnte.
„Wo ist er?“, flüsterte er ohne aufzusehen
„Ich… weiß… es nicht“, stammelte Gabriel. „Ich kann... mich… kaum noch erinnern.“ Er hob seinen deformierten Kopf, eiternde Hautfetzen lösten sich von den Knochen und blieben am Boden kleben. "Ich kann mich kaum noch erinnern…“, flüsterte er. Ein Krächzen schüttelte seinen Körper, bevor Gabriel schluchzend zusammenbrach.
Zitternd sank Luzifer in sich zusammen. Der letzte Funken Kraft wich aus seinem Körper und er spürte die Äonen, wie sie auf seiner geschundenen Seele lasteten so deutlich, wie noch nie zuvor.
„Schafft ihn fort!“, flüsterte Luzifer, „Er nützt mir nichts mehr.“ Seine zwei Diener packten den letzten Engel. Als Gabriel hinaus geschliffen wurde, zog er eine Spur aus Blut und Ausfluss hinter sich her. Er wimmerte vor dem, was jetzt noch kommen würde.
„Und jetzt?“, flüsterte Luzifer. „Was jetzt?“
„Meister?“, fragte sein Heerführer unsicher. Der dunkle Engel schreckte hoch, sah seinen Diener wütend an. Er wollte aufspringen, seinen Diener maßregeln, um… warum eigentlich?
„Lasst mich allein!“, murmelte er müde und scheuchte den Dämon fort.
Als das Tor zum Thronsaal krachend zu fiel, sah Luzifer das letzte Mal hoch.
„Herr?", fragte er ängstlich. "Wo bist du, Herr?“,
Er hatte doch die letzte Schlacht gewonnen, die Apokalypse besiegelt, hatte Gottes Schöpfung erobert! Er, der gefallene Engel, der Ausgestoßene, saß nun endlich auf Gottes Thron. Einsam und verlassen.
Und so dämmerte er vor sich hin, versunken in einem Meer aus Licht.
„Warum hast du mich verlassen?“
Ewigkeiten kamen und gingen. Doch Gott zeigte sich nicht.