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Alois und die Liebe
Alois hatte sich verliebt. Nicht in ein Mädchen. Auch nicht einen Jungen, in überhaupt keinen Menschen, nein Alois hatte sich in eine Wand verliebt. Nun haben ja manche Menschen eine starke Zuneigung zu bestimmten Dingen, bei Alois war das anders, er hatte sich wirklich in die Wand verliebt, über beide Ohren, und zwei Wochen brauchte er, dann traute er sich das erste Mal näher an sie heran, tat ganz cool und fragte sie, wie es ihr gehe.
Nun war Alois ja nicht blöd. Natürlich wusste er, dass ihm die Wand nicht antworten würde. Schließlich war es ja eine Wand. Und sprechende Wände sind so selten, dass sie gar nicht vorkommen. Aber Alois war es ganz egal, dass sich die Leute genauso selten in Wände verlieben, er dachte nicht mal darüber nach. Er verließ nachts seine Wohnung und besuchte die Wand, sie war auf seinem Hof und gehörte der Rückseite einer Kaufhalle an.
Sie war eigentlich äußerst hässlich, aber alle sagten ja auch immer, dass es auf innere Werte ankommt. Alois fand das auch. Alois kühlte nachts im Regen sein heißes Gesicht an der Wand und gestand ihr seine Liebe, die Wand ließ das relativ kalt. Aber sie konnte auch wunderbar zuhören, stundenlang, immer, sie war auch immer da wenn er sie brauchte und auf den Hof kam.
Schon bald hatte er die Mülltonnen, die sie teilweise verdeckten, beiseite geräumt, an eine andere Wand. Die andere Wand war sicher mit seiner befreundet, deswegen respektierte er sie und war freundlich zu ihr, trotzdem wollte er die Mülltonnen lieber da stehen haben.
Oft strich er mit seinen Händen über die brüchige Oberfläche und murmelte Worte, sehr private Worte, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Alois überlegte auch, ob er die Wand streichen sollte, vielleicht rosa, aber er wusste nicht so recht, ob sie damit einverstanden war und ihm war gegenseitiges Einverständnis und Vertrauen in einer Beziehung äußerst wichtig.
Schon bald verspürte Alois das Bedürfnis, mit der Wand intim zu werden und versuchte ein offenes Gespräch mit ihr zu führen. Allerdings machte die Wand völlig dicht, wie er es schon geahnt hatte und er beschloss es einfach darauf ankommen zu lassen, wie das ja auch üblich ist, wie er sich dachte.
Alois wurde tatsächlich mit der Wand intim, da das aber nur nachts ging, holte sich Alois schon nach dem ersten mal eine schwere Erkältung und nach dem zweiten mal eine schwierige Lungenentzündung (es war schließlich Herbst) und Alois musste zwei Wochen im Bett bleiben. Das brach ihm fast das Herz, aber er hängte sich Photos von ihr übers Bett.
Natürlich machte Alois der Wand auch Geschenke. Schon zu Beginn stellte er öfter Pfingstrosen an die Wand, aber da die Nachbarn immer dachten, ein Kind sei dort verunglückt oder Ähnliches, ließ er es irgendwann, es schien ihr auch nicht so wichtig zu sein.
Alois hingegen war es wichtig, dass die Beziehung mit seiner Wand völlig normal verlief. Seiner Meinung nach waren anormale Beziehungen ungesund. Er verachtete zum Beispiel den Nachbarn zu dem jede Woche ein neuer junger Mann in sehr enger Kleidung zu Besuch kam. Alois’ Haus war sehr hellhörig. Manchmal gingen die Kandidaten nach vollbrachtem Werk dann gleich weiter in den dritten Stock, wo eine Dame wohnte, die schon über sechzig war. Über manche Leute konnte man nur den Kopf schütteln. Und über die lauten Juchzer der Dame auch.
Aber Alois kümmerte sich um seine Wand. Er pflegte sie, wusch sie und wenn es sehr lange regnete, trocknete er sie mit einem Fön. Den hatte er sich extra gekauft. Als es in der Beziehung, wie in jeder normalen, mal ein bisschen kriselte, verspürte Alois den Wunsch, mal eine andere Seite von ihr kennen zu lernen und er ging in die Kaufhalle und schlich suchend durch die Räume der Flaschenrückgabe. Bald war er sich sicher, seine Wand gefunden zu haben. Wie er es sich gedacht hatte, war sie aus einer anderen Perspektive betrachtet auch ganz anders. Sauber und gleichmäßig. Alois ging nach Hause und dachte darüber nach. Man muss sich schließlich verstehen und da die Gespräche immer nicht so ganz klappten, musste es eben ohne gehen. Alois investierte viel Zeit und Emotionen in seine Beziehung, wie man das ja auch macht.
Alois Beziehung zu der Wand dauerte zwei Jahre. Das Ende war sehr schwer und verletzend, sie wollten im Guten auseinander gehen, aber die Wand dachte nicht daran zu gehen. In einer Beziehung müssen sich schon beide anstrengen und auch bewegen, auch mal ihren Standpunkt überdenken, Alois las das der Wand aus einem Beziehungshandbuch vor. Es nützte nichts. Die Wand hatte ihren Standpunkt. Und der blieb. Kein Entgegenkommen, keine Bewegung überhaupt.
Mit roten Augen zog Alois aus dem Haus aus, er konnte ihre Gegenwart nicht mehr ertragen, es war zu verletzend, wie das eben immer so ist. Der unverschämte Nachbar hatte mal wieder Mehrfachbesuch, die Kerle trugen Alois Schränke in den Kleintransporter und die ältere Dame schenkte ihm Pfannkuchen zum Auszug. Allein die Wand blieb stumm und kalt, sie heulte nur manchmal bei Regen, heute nicht.
Alois hat ein paar Photos von seiner Wand behalten und wohnt nun woanders. Manchmal muss er noch an sie denken und seufzt schwer. Aber so ist das eben.
Auch als Alois ein paar Jahre später noch mal vorbei fuhr und noch mal reden wollte, merkte er, dass es vorbei war, der Zug war abgefahren. Sie sah schlechter aus als er sie in Erinnerung hatte, älter war sie geworden, grauer und die Mülltonnen standen wieder davor. Es hatte keinen Sinn, er merkte, es war endgültig vorbei.
Am Wochenende aber kommt Alois verantwortungsbewusst öfter mal vorbei und gießt den kleinen Löwenzahn der aus einer Mauerspalte gewachsen ist, spielt mit ihm und sieht zu wie er wächst. So ist das Leben.