Was ist neu

Alois und die Liebe

Mitglied
Beitritt
11.11.2005
Beiträge
26
Zuletzt bearbeitet:

Alois und die Liebe

Alois hatte sich verliebt. Nicht in ein Mädchen. Auch nicht einen Jungen, in überhaupt keinen Menschen, nein Alois hatte sich in eine Wand verliebt. Nun haben ja manche Menschen eine starke Zuneigung zu bestimmten Dingen, bei Alois war das anders, er hatte sich wirklich in die Wand verliebt, über beide Ohren, und zwei Wochen brauchte er, dann traute er sich das erste Mal näher an sie heran, tat ganz cool und fragte sie, wie es ihr gehe.
Nun war Alois ja nicht blöd. Natürlich wusste er, dass ihm die Wand nicht antworten würde. Schließlich war es ja eine Wand. Und sprechende Wände sind so selten, dass sie gar nicht vorkommen. Aber Alois war es ganz egal, dass sich die Leute genauso selten in Wände verlieben, er dachte nicht mal darüber nach. Er verließ nachts seine Wohnung und besuchte die Wand, sie war auf seinem Hof und gehörte der Rückseite einer Kaufhalle an.
Sie war eigentlich äußerst hässlich, aber alle sagten ja auch immer, dass es auf innere Werte ankommt. Alois fand das auch. Alois kühlte nachts im Regen sein heißes Gesicht an der Wand und gestand ihr seine Liebe, die Wand ließ das relativ kalt. Aber sie konnte auch wunderbar zuhören, stundenlang, immer, sie war auch immer da wenn er sie brauchte und auf den Hof kam.
Schon bald hatte er die Mülltonnen, die sie teilweise verdeckten, beiseite geräumt, an eine andere Wand. Die andere Wand war sicher mit seiner befreundet, deswegen respektierte er sie und war freundlich zu ihr, trotzdem wollte er die Mülltonnen lieber da stehen haben.
Oft strich er mit seinen Händen über die brüchige Oberfläche und murmelte Worte, sehr private Worte, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Alois überlegte auch, ob er die Wand streichen sollte, vielleicht rosa, aber er wusste nicht so recht, ob sie damit einverstanden war und ihm war gegenseitiges Einverständnis und Vertrauen in einer Beziehung äußerst wichtig.
Schon bald verspürte Alois das Bedürfnis, mit der Wand intim zu werden und versuchte ein offenes Gespräch mit ihr zu führen. Allerdings machte die Wand völlig dicht, wie er es schon geahnt hatte und er beschloss es einfach darauf ankommen zu lassen, wie das ja auch üblich ist, wie er sich dachte.
Alois wurde tatsächlich mit der Wand intim, da das aber nur nachts ging, holte sich Alois schon nach dem ersten mal eine schwere Erkältung und nach dem zweiten mal eine schwierige Lungenentzündung (es war schließlich Herbst) und Alois musste zwei Wochen im Bett bleiben. Das brach ihm fast das Herz, aber er hängte sich Photos von ihr übers Bett.
Natürlich machte Alois der Wand auch Geschenke. Schon zu Beginn stellte er öfter Pfingstrosen an die Wand, aber da die Nachbarn immer dachten, ein Kind sei dort verunglückt oder Ähnliches, ließ er es irgendwann, es schien ihr auch nicht so wichtig zu sein.
Alois hingegen war es wichtig, dass die Beziehung mit seiner Wand völlig normal verlief. Seiner Meinung nach waren anormale Beziehungen ungesund. Er verachtete zum Beispiel den Nachbarn zu dem jede Woche ein neuer junger Mann in sehr enger Kleidung zu Besuch kam. Alois’ Haus war sehr hellhörig. Manchmal gingen die Kandidaten nach vollbrachtem Werk dann gleich weiter in den dritten Stock, wo eine Dame wohnte, die schon über sechzig war. Über manche Leute konnte man nur den Kopf schütteln. Und über die lauten Juchzer der Dame auch.
Aber Alois kümmerte sich um seine Wand. Er pflegte sie, wusch sie und wenn es sehr lange regnete, trocknete er sie mit einem Fön. Den hatte er sich extra gekauft. Als es in der Beziehung, wie in jeder normalen, mal ein bisschen kriselte, verspürte Alois den Wunsch, mal eine andere Seite von ihr kennen zu lernen und er ging in die Kaufhalle und schlich suchend durch die Räume der Flaschenrückgabe. Bald war er sich sicher, seine Wand gefunden zu haben. Wie er es sich gedacht hatte, war sie aus einer anderen Perspektive betrachtet auch ganz anders. Sauber und gleichmäßig. Alois ging nach Hause und dachte darüber nach. Man muss sich schließlich verstehen und da die Gespräche immer nicht so ganz klappten, musste es eben ohne gehen. Alois investierte viel Zeit und Emotionen in seine Beziehung, wie man das ja auch macht.
Alois Beziehung zu der Wand dauerte zwei Jahre. Das Ende war sehr schwer und verletzend, sie wollten im Guten auseinander gehen, aber die Wand dachte nicht daran zu gehen. In einer Beziehung müssen sich schon beide anstrengen und auch bewegen, auch mal ihren Standpunkt überdenken, Alois las das der Wand aus einem Beziehungshandbuch vor. Es nützte nichts. Die Wand hatte ihren Standpunkt. Und der blieb. Kein Entgegenkommen, keine Bewegung überhaupt.
Mit roten Augen zog Alois aus dem Haus aus, er konnte ihre Gegenwart nicht mehr ertragen, es war zu verletzend, wie das eben immer so ist. Der unverschämte Nachbar hatte mal wieder Mehrfachbesuch, die Kerle trugen Alois Schränke in den Kleintransporter und die ältere Dame schenkte ihm Pfannkuchen zum Auszug. Allein die Wand blieb stumm und kalt, sie heulte nur manchmal bei Regen, heute nicht.

Alois hat ein paar Photos von seiner Wand behalten und wohnt nun woanders. Manchmal muss er noch an sie denken und seufzt schwer. Aber so ist das eben.
Auch als Alois ein paar Jahre später noch mal vorbei fuhr und noch mal reden wollte, merkte er, dass es vorbei war, der Zug war abgefahren. Sie sah schlechter aus als er sie in Erinnerung hatte, älter war sie geworden, grauer und die Mülltonnen standen wieder davor. Es hatte keinen Sinn, er merkte, es war endgültig vorbei.
Am Wochenende aber kommt Alois verantwortungsbewusst öfter mal vorbei und gießt den kleinen Löwenzahn der aus einer Mauerspalte gewachsen ist, spielt mit ihm und sieht zu wie er wächst. So ist das Leben.

 

Hey,

etwas krank, aber eigentlich ziemlich cool, solang man es in den Grenzen sieht, das betrifft sowohl den Erzählstil als auch Alois.
Was mich interessieren würde: Wie bist du auf die Idee gekommen. Soll irgendwas dahinterstecken? Bin mir so nicht ganz sicher, ob der Inhalt einfach nur so für sich stehen soll, oder ob es einen Bezug hat;).

Hat mir jedenfalls Spaß gemacht zu lesen.

THomas

 

*lach*

Hatte nach den ersten Sätzen die Befürchtung, die Geschichte würde ins Kitschige oder Lächerliche abdriften, habe aber zum Glück weitergelesen und bin nun sehr positiv überrascht.. angenehm zu lesen, musste fast bei jedem Satz grinsen :)

lg, 1034

 

Hallo Angua, Tommy und 1034!

Danke für Eure Kommentare!
Angua: Zum Glück war grad nicht Vollmond und du hast meine Geschichte nicht mit deinen Fangzähnen zerrissen. Danke für die Hinweise, aber was ist Perscheid?
Ich fand es gerade lustig die Geschichte in diese Rubrik zu stellen, auch wenn sie in andre vielleicht besser passt.

Tommy:
Ich hab leider überhaupt gar keine Ahnung mehr, wie ich auf die Idee gekommen bin, oder was meine Intention war, ich hab das nämlich schon vor längerer Zeit geschrieben und jetzt in den Untiefen meines Computers entdeckt. Natürlich gehtes (denk ich mir mal so) einerseits um diese Standardsentenzen und um diese fürchterlich überspannten Idden Alois' dessen festen Vorstellungen genau entsprochen werden muss, wobei die Wand zuerst ganz hilfreich ist, später klappt das dann nicht mehr so gut. Dann geht es natürlich im Zusammenhang damit denke ich einfach um die Frage nach Normalität, nach Sitte, Anstand, Standard, Norm. Aber SO tiefschürfend ist das Ding wirklich nicht.

1043:
ich finde es interessant, dass alle von einer Gratwanderung oder einem balnceakt sprechen. Das habe ich so überhaupt nicht empfunden, ist mir auch später nicht aufgefallen. Aber wenn das für Euch so ist, ist das natürlich ein Lob. Darüber freue mich.

Also, schön wenns schön war,
vielen Dank fürs Lesen,
schönen Gruß,

Xulius

 

:D Schööööööön.
Doch, stimmt, den kennich.
Danke für den Link.
Gruß,
Xulius

 

Hey Xulius,

schön schön, jaja. Hat mir wirklich gut gefallen, musste auch die ganze Zeit grinsen.
Nehm dir allerdings nicht ganz ab, dass du Alois`Perspektive als vollkommen irrig abtust, so ein Pantheismus...ich meine, wenn man damit glücklich wird, allright. Gehört ja auch einiges an Überzeugung dazu, und wenn Omi und Onkel und eh alle ein wenig neben dem Kanal schiffen, dann darf man sich doch auch in eine Wand verlieben oder nicht? In der Normlosigkeit jedem das seine. Immerhin stört es niemanden, was Alois so macht.
Magst du das mit den Wandintimitäten noch ein wenig weiter ausführen? Entweder hab ich nämlich ne krankhafte Vorstellung oder mir fehlt eben gerade Vorstellungsvermögen...

Grüße, nils

 

Hallo Nils!
Leider habe ich Deine Kritik nicht verstanden. Inwiefern ist Alois' Perspektive pantheistisch? Soweit ich weiß habe ich religiöse Themen ausgespart. Ich weiß auch nicht so genau, aus welchen Textstellen Du auf meine persönliche Haltung Alois' Verhalten gegenüber schließt. Und den nächsten Satz verstehe ich leider auch nicht. Wer schifft neben deN (neben deM Kanal kann man glaube nicht) Kanal? Hä? Niemand bewertet es, oder zumindest die Erzählhaltung bewertet es nicht negativ, wenn sich jemand in eine Wand verliebt. Sagt doch gar keiner was. Und wer spricht denn hier von Normlosigkeit? Sind doch jede Menge Normen da, wird doch dauernd von gesprochen.
Also, ich stelle mich jetzt nicht extra blöd an, ich verstehe 90% deines Eintrags leider wirklich nicht. Tut mir leid.
Schön ist aber, dass Du nicht weißt, ob du kranke oder gar keine Vorstellungen hast (hä?). Also von Wandintimitäten. Ich werde mich dazu jedoch nicht weiter äußern und es auch nicht weiter ausführen.

schönen Gruß,
Xulius

 

Hey Xulius,

nochmal langsam:
Ich habe nicht geschrieben, dass Alois' Perspektive pantheistisch ist. Aber die Geschichte erinnert doch in ihrer übermäßigen Vermenschlichung der Wand sehr an derartiges Gedankengut (ich meine weniger Vergöttlichung als Beseelung).

Schiffen von Schiff und nicht von pinkeln.

Die Bewertung von Alois' Haltung hast du in deinen ersten Kommentaren selbst vorgenommen ("überspannt").

Die Normen bestehen vielleicht in den Köpfen deiner Charaktere, aber offensichtlich hält sich der jeweils andere ja nicht daran.
Ich hatte so herausgelesen, auch wenn das nicht deine Intention war, dass eine derartige Liebe durch ihre Unschuld in der "schmutzigen entnormten" Realität zwar abnormal, aber doch liebenswürdig, liebenswürdiger als der Rest ist. Eine solch positive Stimmung erzeugtst du in meinen Augen damit nunmal.

In Zusammenhang damit stören mich die Wandintimitäten, weil sie meine unschuldige Vorstellungen dahingehend potentiell zerstören. Aber du lässt mich im Ungewissen, naja, naja...

liebe Grüße, nils

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom