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Alpträume

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25.01.2002
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Alpträume

„Es funktioniert. Er kommt zu sich!“

Der Mann auf dem Bett schlug die Augen auf. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn.
Er versuchte, sich aufzurichten, doch sein Körper weigerte sich, diese einfache Handlung durchzuführen.
Er versuchte zu sprechen, doch seine Stimme versagte.
Er versuchte, sich zu erinnern, wo er war und warum. Was ihm einfiel, war Feuer und Hitze. Ein brennendes Gebäude. Kochende Luft. Und er auf der verzweifelten Suche nach seiner Frau und seinen zwei Kindern inmitten der Flammen.

„Können sie mich hören?“

Seine Augen taten weh, er konnte nur wenig erkennen. Ein Gesicht erschien vor dem diffusen Hintergrund und fragte ihn:
„Wissen sie, wo sie sich befinden?“
Der Liegende öffnete den Mund und formte mühsam die Worte:
„Geht... Geht es meiner Familie gut?“
Der Kopf, der zweifellos einem Arzt gehörte, verschwand und unterhielt sich leise mit einer anderen Person. Dann sagte er:
„Seien sie beruhigt, es kommt alles wieder in Ordnung. Wissen sie ihren Namen?“
„Miroslaw Januszkiewicz. Sagen sie, wieso kann ich mich nicht bewegen?“
„Keine Angst, das wird vorübergehen. Sie waren ziemlich lange ohne Bewußtsein. Die Lähmung ist eine Folge davon. Aber sie werden wieder vollkommen gesund werden.“
„Aber meine Familie... Haben sie meine Frau und meine Kinder gerettet?“
„Nun, das ist etwas, worüber ich mit ihnen sprechen muß, aber nicht jetzt. Erst müssen sie sich erholen.“
Der Mann fragte hektisch:
„Ist ihnen etwas zugestoßen?“
„Das ganz bestimmt nicht. Aber haben sie Geduld, es wird sich alles aufklären.“

Am nächsten Tag konnte Miroslaw schon das Bett verlassen und mit einem Rollstuhl durch das Krankenhaus fahren. Es beunruhigte ihn aber zutiefst, daß ihm keiner der Ärzte etwas über seine Familie sagen wollte. Zeitweise befürchtete er sogar, sie seien im Feuer ums Leben gekommen. Schließlich aber kam der Doktor zu ihm, den er am Tag zuvor gesehen hatte. Mit seiner Brille und dem lichten Haar sah er genau so aus, wie Miroslaw sich einen erfahrenen Doktor der Medizin vorstellte.

Miroslaw fragte:
„Was ist denn nun, warum kann mir niemand verraten, was mit meiner Frau ist, und mit meinen zwei Kindern?“
„Nun, es ist eine komplizierte Situation. Wie lange waren sie bewußtlos? Vermuten sie!“
„Es müssen wohl einige Wochen gewesen sein, mein Körper hat ziemlich abgebaut.“
„Es waren mehr als nur einige Wochen. Aber hören sie zu. Sie befanden sich nicht in einem Koma, sondern ungewöhnlicherweise in einer Art REM-Schlaf. Das bedeutet...“
„Ich weiß, was das bedeutet. Rapid Eye Movement. Traumschlaf.“
„Genau. Und, nun, ich muß es ihnen sagen. Ihre Frau und ihre Kinder... hat es nie gegeben. Sie waren niemals verheiratet.“
Miroslaw wurde bleich und wich in seinem Rollstuhl zurück. Tonlos sagte er:
„Das kann nicht sein. Ich kann mich ganz genau erinnern... Als wäre es gestern gewesen. Im Haus am See...“
Der Doktor räusperte sich.
„Nun, es war gewissermaßen tatsächlich gestern. Glauben sie mir. Ihre Erinnerungen entstammen ihrem außergewöhnlich langem Traum. Wissen sie, normalerweise träumt ein Mensch nur ungefähr fünfzehn Minuten am Stück. Die längste bisher gemessene REM-Phase betrug etwa acht Stunden. Bei ihnen hingegen, nun, sie haben ununterbrochen geträumt für fast vier Jahre!“
„Ich finde das nicht komisch!“, ächzte Miroslaw. „Jetzt sagen sie mir schon, was mit meiner Familie passiert ist!“
„Sie müssen mir vertrauen. Mehr als ihren eigenen Erinnerungen.“

Miroslaw wollte es nicht fassen. Er konnte sich an jedes Detail besinnen, das seine Frau oder seine Kinder betraf. Vor seinem geistigen Auge sah er sie vor sich, in dem kleinen Paradies am See, wo sie gewohnt hatten. Es war absolut unvorstellbar, daß es sie niemals gegeben haben sollte. Und doch erzählte ihm der Doktor in den nächsten Tagen immer wieder, das er seinen Traum als solchen anerkennen müsse. An das, was vor seinem sonderbaren Zustand geschehen war, konnte sich Miroslaw nicht erinnern.

Etwa eine Woche später fragte der Doktor:
„Wie geht es ihnen denn heute?“
„Besser. Ich konnte aufstehen und einige Schritte gehen. Die Physiotherapie funktioniert.“
„Nun, aber wie ist es mit ihren Erinnerungen? Ist ihnen etwas eingefallen, daß vor ihrer Ohnmacht passiert ist?“
Miroslav schüttelte traurig den Kopf, und sagte:
„Absolut nichts. Dafür sehe ich meine Familie, jede Nacht, im Traum. Aber es ist nicht so wie vorher. Eher wie ein Alptraum.“
„Nun, wie war es denn vorher?“
„Es war Perfektion. Haben sie jemals absolute Perfektion erlebt? Es war das Paradies auf Erden. Und es war genauso real wie sie und ich hier in diesem Raum. Verstehen sie, für mich ist es, als hätte ich all das tatsächlich verloren. Es macht keinen Unterschied, ob es nur ein Traum war.“
Nachdrücklich sagte der Doktor:
„Sie müssen es akzeptieren, wie es ist. Es war nicht real. Außerdem hätte ihnen leicht etwas zustoßen können, wenn sie noch länger in ihrem Zustand geblieben wären. Ihr Körper wollte einfach nicht erwachen, solange es ihm in seinem Traum gut ging, also mußte ich den Traum zerstören. Sonst wären sie nie mehr aufgewacht.“
Miroslaw starrte den Doktor an und stieß hervor:
„Sie waren das? Sie haben meine Welt zerstört? Sie... sie...“
Tränen stiegen in seine Augen, als er leise hinzufügte:
„Sie haben meine Familie ermordet.“
„Sie wissen, das das nicht stimmt. Ich habe mein bestes getan.“
„Verschwinden sie. Ich will sie nie wieder sehen.“
Der Doktor sah ein, das es zu diesem Zeitpunkt sinnlos war, zu diskutieren. Er kehrte dem verbitterten Miroslaw den Rücken zu und ging bedrückt davon.

Einen Tag später entschuldigte sich Miroslaw. Er sagte:
„Es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe. Aber sie müssen meinen Standpunkt verstehen. Für mich ist es, als hätten sie mir tatsächlich meine Familie genommen.“
„Nun, bitte verstehen sie auch meinen Standpunkt. Ich habe alles getan, was mir möglich war, um sie aus ihrem Zustand zu befreien. Wahrscheinlich habe ich ihr Leben gerettet.“
„Was soll das für ein Leben sein? Ich habe nichts, worauf ich aufbauen kann. Und ich bin zu alt... und zu müde, um noch einmal ganz von vorn anzufangen. Außerdem sind da noch diese Alpträume. Sie kommen jede Nacht wieder. Es ist, als wollte meine Familie mich zu sich rufen.“
„Nun, wegen der Alpträume können wir etwas tun. Es gibt da eine Methode von Dr. Tholey, die in ihrem Fall sicher besonders geeignet ist. Man nennt es Klarträumen. Es ist keine schnelle Methode, aber sie wird sie sicher von ihren Alpträumen befreien. Zudem könnte sie dabei helfen, ihre Erinnerung an Ereignisse vor dem Vorfall zurückzuholen.“
„Und wie genau funktioniert das?“
„Nun, sie müssen im Moment eines Alptraums erkennen, das es nur ein Traum ist, und können ihn dann Kraft ihres Willens lenken. Sie können sich von ihrer Familie verabschieden und sie bitten, nicht mehr zu erscheinen. Dann werden sie wegbleiben.“
„Aber wie mache ich das?“
„Sie müssen tagsüber ein paar Übungen durchführen. Im Prinzip geht es nur darum, sich jeden Moment zu fragen: 'Kann es sein, das dies ein Traum ist?'“
Halblaut murmelte Miroslaw den letzten Satz des Doktors vor sich hin:
„Kann es sein, das dies ein Traum ist?“
Dann hellte sich plötzlich sein Gesicht auf. Mit klarer, lauter Stimme sagte er:
„Doktor, ich muß ihnen danken. Jetzt ist alles ganz klar, ganz offensichtlich. Wie konnte ich das nur nicht bemerken! Schauen sie nur!“
Mit diesen Worten hob sich Miroslaw vom Boden, er breitete die Arme aus und schwebte mitten im Raum. Ein Fenster sprang auf, und ungläubig schaute der Doktor hinterher, wie Miroslav hinausflog und in den Wolken verschwand.

- - -

„Miro, komm zu dir! Das Haus brennt, wir müssen nach draußen!“

Miroslaw spürte die Hand in seinem Gesicht und schlug die Augen auf.
„Valerie, du bist in Ordnung!“, sagte er.
Sie entgegnete hastig: „Ja, aber komm, wir müssen das Haus verlassen.“
„Was ist mit den Kleinen?“
„Die sind in Sicherheit, draußen. Komm schnell!“
Durch Qualm und Flammen bahnten sich Miroslaw und Valerie ihren Weg ins Freie. Draußen warteten Jonathan und Eleanor, etwas außer Atem, aber unverletzt.
Valerie drehte sich um und sagte langsam:
„Es verbrennt alles.. Unser Haus, unsere Sachen.“

Miroslaw aber zog Valerie an sich, umarmte sie und sagte:
„Es ist doch nur ein Haus. Was wirklich wichtig ist, haben wir gerettet.“

 

Hallo LeManiac,

ein schönes Spiel mit Traum und Realität, auch wenn sich der Leser schnell die Frage stellt, was hier der Traum ist. Stilistisch finde ich die Geschichte etwas "brav", kann aber leider nicht ausmachen, warum ich das so empfinde. Sonst würde ich es schreiben, ehrlich.
In sofern, eine solide aber nicht umhauende Geschichte.

Details:

Alptraum
Leider ist schon der Titel falsch. Es handelt sich um einen Albtraum
Ist ihnen etwas eingefallen, daß vor ihrer Ohnmacht passiert ist?“
eingefallen, das
Sie wissen, das das nicht stimmt.
Sie wissen, daß das (wenn du es in alter RS willst)

Lieben Gruß, sim

 

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