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Alptraum
Ein Alptraum
Kleine Fabel
"Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." - "Du musst nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie.
(Franz Kafka)
"Nein!", schrie er. Kerzengerade und in Schweiß gebadet saß er jetzt in seinem Bett. Er sah sich panisch in dem Zimmer um und stellte dabei fest, daß sich die Wände in einem akzeptablen Abstand zueinander befanden und keine Riesenkatze über seinem Bett aufragte.
Ein Seufzer der Erleichterung entwich seiner Kehle, als ihm dämmerte, daß es sich nur um einen Traum gehandelt hatte. "Oh, Gott sei Dank.", flüsterte er in die Dunkelheit, "Gott sein Dank."
Den Schock noch in den Gliedern sank er zurück auf sein Kopfkissen. Er lag jetzt auf dem Rücken und sein linker Arm wanderte automatisch zur leeren Matraze neben ihm. Noch vor kurzem hatte Erika hier geschlafen.
Er starrte nach oben und beobachtete die Lichtstreifen, die jedesmal über die Zimmerdecke zogen, wenn draußen auf der Hauptstraße ein Auto vorbeifuhr, dessen Scheinwerferlicht von den Lamellen der Jalousie jenes Muster aufgezwungen wurde. Heute Nacht war reger Verkehr; es gab viel zu sehen an der Decke.
Die hypnotisch wirkende Wiederholung jener Bewegung des Lichtes brachte ihm wieder den gesamten Traum vor Augen und er begann über seine Bedeutung nachzugrübeln. Doch er brauchte nicht lange nachzudenken, denn ihm war sehr wohl bewußt, woher sein Unterbewußtsein die Wolle genommen hatte, aus der dieses Garn gesponnen gewesen war.
Um nun aber jene alptraumgeplagte Person besser verstehen zu können will ich Sie, werter Leser, nicht länger nur durch meine Augen sehen lassen; denn was könnte aufschlußreicher sein, als die Gedanken des Betroffenen selbst? Versetzen wir uns also in den unglücklichen Schläfer hinein und hören mit!
"Die Geschichte mit Erika nimmt mich wohl doch mehr mit, als ich dachte. Das hier war ja wohl eindeutig, der Traum resultierte aus Schuldgefühlen. Aber die Katze? Nein, es war kein Schuldgefühl, das hier verarbeitet wurde, zumindest nicht allein. Es war mein Verstand, der mir klarzumachen versucht, was mein Herz nicht wahrhaben will. Bettina ist die Katze, Erika die Maus.
Andererseits, nein. Das paßt nicht zusammen. Was könnte sie mit dem sich verengenden Weg und der Falle zu tun haben? Nichts, die Maus bin ich! Dieser ausweglose Pfand ins Verderben war meine Art, diese Beziehung zu sehen; während sie glücklich war und stets naiv annahm, daß ich es auch war.
Am Anfang traf das ja auch zu, so sehr, daß es irgendwie schon beängstigend war. Als dann mal die eine oder andere kleine Schwierigkeit auftauchte war ich regelrecht erleichtert, doch später standen mir die Ärgernisse bis oben hin. Und da sie nichts davon bemerkte war ich es stets allein, der versuchte eine Auseinandersetzung zu vermeiden.
Mit der Zeit die verstrich wurde der große Krach immer unvermeidlicher, wir steuerten auf die Falle zu und konnten ihr immer schlechter ausweichen. Da sie es blind tat während ich sah, und wohl auch, da der Ärger im Streitfall hauptsächlich von mir ausgegangen wäre, wie ich befürchte, könnte man sagen, ich steuerte allein auf diese Falle zu.
Wie auch immer. Ein Ausweichen hätte jedenfalls nichts gebracht, die schräg zusammenführenden Wände hätten mich doch bald wieder auf den alten Kurs zurückgedrängt. Nur habe ich dummerweise an eine Sache nie gedacht: Aussprache, Neuanfang, Umkehr.
Und die Person die mich schließlich darauf stieß war Bettina, doch sie tat es nicht umsonst. Sie hielt mich davon ab die Falle zu erreichen indem sie mich fing. Und jetzt, da die Sache aufgeflogen und Erika weg ist, wird sie mich fressen. Eine reiche Katze, für die Männer nur ein Spielzeug sind. Ich wollte es einfach nur nicht wahrhaben. Wie konnte ich nur..."
Bevor wir uns jetzt die Selbstvorwürfe unseres Studienobjektes anhören müssen verlassen wir lieber unser Observatorium in seinem Geist und begeben uns wieder auf die Ebene der Fakten.
Tatsächlich war Bettina zwei Wochen später mit einem Anderen auf und davon, während das Opfer allein sitzen blieb.
Wir könnten hieraus die Moral lesen uns nicht verführen zu lassen und nicht nur auf eine Richtung beschränkt zu denken, doch das will ich gar nicht verlangen. Vertrauen Sie einfach auf Ihr Gewissen und vermeiden Sie Streß, damit nicht auch Sie die Phänomene eines nächtlichen Schlafzimmers erkunden müssen, nachdem es irgendwann ein Traum zu viel war. Denn wer zu spät kommt wird es bereuen und Verwirrung ist da nur das kleinste aller Übel.