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Als das Blau verschwand

Seniors
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24.04.2003
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Als das Blau verschwand

Als letztes sah die Welt irgendwie blau aus.
Undurchsichtige Verwirrung, die sich in schematische Muster der Reue mischt und den Verstand endgültig vernebelt.
Wäre da nicht dieses Blau gewesen, ich hätte mich gefragt, warum das Ende schmerzhaft sein sollte, wo doch diese Welt bereits grauenvoll genug ist.
So aber durchfuhren mich die wildesten Gedanken an gigantische Paradiese im fahlen Mondscheinlicht und vielleicht sollte auch dieses blau sein, wenn es mich im Jenseits empfing.
Wie falsch ich lag, wusste ich erst, als ich mich auf eben jener Straße wiederfand. Den schmächtigen Leib in zerfetzte Kleider gehüllt und mit einer Mission im Kopf, die dringender nicht hätte sein können.
Ob ich als Engel, oder Dämon zurückgeschickt worden war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Die Kreuzung war leer und die Sonne ging gerade hinter den Bergen auf. Ich durchwühlte die Taschen meiner schmutzigen Hose nach dem Gegenstand, den man mir auf meine Reise mitgegeben hatte.
Die Klinge funkelte selbst in den ersten Strahlen der Sonne so intensiv, das ich wusste, sie konnte nicht von dieser Welt sein. Jemanden zu töten schien mir eine Sache, zudem ich mich noch immer ziemlich gleichgültig gegenüber allem sah; dennoch beunruhigten mich die Gedanken daran, diesen Mord für einen Arbeitgeber begehen zu müssen, von dem ich nicht wusste, auf welcher Seite er stand.

Als ich starb, konnte ich durch das blaue Schimmern hindurch eine Art Thron erkennen und ich war mir sofort sicher, auf ein Spiegelbild meiner Seele zu blicken. So stellte ich mir das Ende nun einmal vor. Hören konnte ich nichts; niemand sprach ein Wort und die seltsamen Geschöpfe, die den großen Saal in langen Reihen wie Soldaten säumten, befanden sich fast außerhalb des blaus und so konnte ich bloß ihre Umrisse schwach erahnen.

Das kleine Dorf lag malerisch am Fuße des Gebirges, dessen Spitzen mit weißem Schnee bedeckt, dem Himmel entgegen gewachsen waren.
Ich schlenderte ohne Eile über die schmalen Straßen und genoss das ländliche Idyll, dem ich mich über die Jahre hinweg entfremdet hatte.
Damals war es meine Entscheidung gewesen, mich den pulsierenden Adern der Großstadt hinzugeben und ich hatte Sarah vor die Wahl gestellt. Alles was danach kam, war bis zum Hals hoch reichende Scheiße, in die ich mich immer tiefer vergrub. Ich konnte ihr Gesicht und das des Kleinen nicht länger sehen; konnte die Leere ihrer Pupillen nicht mehr ertragen.
Schlussendlich fiel es mir sogar schwer, selbst in den Spiegel zu blicken.
Ich habe stets dem Höheren entgegengestrebt, bis ich erkennen musste, längst als Fallobst am Grunde aufgeschlagen zu liegen, um dort weiter zu verfaulen. Ja, ich konnte sie in mir spüren, die Maden und Insekten; wie sie mich auffraßen, während mein Ego nach außen hin einen jeden Tag mehr der Arroganz verfiel.

Als ich tot war, umgab mich das Blau und ich schritt auf den Thron zu, der mächtig vor mir türmte. Obwohl es still war, wusste ich um die Sünden, die man mir vorwarf. Es geschah alles sehr langsam und schließlich...

...stand ich hier und atmete ein weiteres Mal die frische Luft, die ich längst vergessen hatte.
Das Haus war noch genauso schön wie damals. Eine weiße Front, vom Efeu beinahe völlig überwuchert. Die kleine Reifenschaukel, die sich sanft im Wind bewegte. All die herrlichen Dinge.
Ich spürte den kalten Stahl in meiner Hand und plötzlich festigte sich das angedeutete Bild in meinem Kopf.
Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen.
Als ich die Klingel betätigte, öffnete mir ein Mann mit freundlichem Gesicht. Sein Lächeln versprühte Ehrlichkeit und kam von Herzen.
So sehr war mir das eigene Antlitz fremd geworden. Es musste richtig sein.
"Sei mir dafür dankbar", sagte ich unter Tränen und stach zu.

Ich weiss nicht, ob ich seinen überraschten Gesichtsausdruck jemals vergessen werde, als er starb. Aber ich weiss, das Sarah ein besseres Leben verdient hat.

Der blaue Schimmer, der sich um meine Sicht gelegt hatte verschwand; wie auch alles andere.

Dann war ich glücklich.

 

Hallo Cerberus!

Irgendwie geil, deine Geschichte.
In Horror wäre sie mir wohl zu seltsam gewesen und ich hätte um Erklärung gewisser Dinge gebeten (blau, Thron, weshalb das blau am Schluss verschwindet etc.).
Aber hier sind wir ja in Seltsam, nicht wahr?

Deshalb hat sie mir gut gefallen.

Bezüglich des Stils: Man sieht, du hast dich gefestigt, dein Stil war schon immer eigenartig, aber jetzt ist er auch stabil. Schon alleine seinetwegen macht es Spass, deine Geschichten zu lesen, sogar wenn sie einem inhaltlich mal nicht so sehr gefallen. (Diese hat mir gefallen)
Auch wenn sie in einer mir vollkommen fremden Rubrik stehen.

Zitatur war heute faul:

Als ich starb, konnte ich durch das blaue Schimmern hindurch eine Art Thron erkennen und ich war mir sofort sicher, auf ein Spiegelbild meiner Seele zu blicken.
looool! So richtig schön arrogant... ich spiel auch manchmal arrogant, aber der ist mir noch nie eingefallen! Sehr gut.
Vielleicht stärker noch statt 'eine Art' 'einen goldigen' oder so?

Das kleine Dorf lag malerisch am Fuße des Gebirges
Wieso nicht: Das malerische Dorf lag am Fusse des Gebirges ?
Ob etwas 'malerisch liegen' kann weiss ich nicht...

Nette Pointe auch, dass sich der Typ am Schluss selbst tötet, um seine Frau zu schonen. Hab ich schon richtig verstanden, oder?

Viele Grüsse aus der Schweiz,

Van H.

 

Hallo Van!

Vielen Dank fürs lesen und kommentieren.
Wusste gar nicht, das du dich auch in der Rubrik Seltsam rumtreibst.
Der von dir angesprochene Satz mit dem malerischen kann sicher noch geändert werden; mal schauen, welche Alternative mir einfällt.
Ansonsten hast du - Gott sei Dank - die Pointe richtig verstanden. Diesbezüglich hatte ich doch einige Zweifel.

Viele Grüße

Cerberus

 

Hallo Cerberus!

Alles Gute zum Geburtstag! :)

Die Geschichte hast Du mir einmal als eine derer genannt, die Dir besonders am Herzen liegen, also hab ich sie jetzt mal herausgefischt aus Deiner viel zu langen Geschichtenliste (miste doch mal ein bisschen aus…;)), und sie hat mir recht gut gefallen. Hinter dem schönen blauen Titel verbirgt sich eine interessante Sicht auf Tod und Leben und das Dazwischen.
Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, stirbt der Protagonist also, kommt zu Gott, der seine Sünden gegen die guten Taten aufwiegt, und wird von Gott beauftragt, einen Mord zu begehen, an … ähm, ich dachte erst, an dem Mann, der jetzt mit seiner Frau zusammen ist, nachdem er sich schon vor Jahren entschieden hatte, zu gehen, wobei ich nur bei »So sehr war mir das eigene Antlitz fremd geworden« daran zu zweifeln begann. Die Version von Van hatte ich wohl kurz im Kopf, jedoch gleich wieder verworfen, weil das ja hieße, daß er zugleich eine Zeitreise macht. Aber ich muß zugeben, es gibt nicht wirklich einen Grund, das auszuschließen – Du könntest es in der Geschichte allerdings noch irgendwie bestätigen, eine Spur deutlicher machen.

Mit wenigen Worten viel zu erzählen gelingt Dir immer wieder sehr gut. Und die Rubrik ist sehr passend gewählt. ;)

Noch ein bisschen was zum Feilen:

»Als letztes sah die Welt irgendwie blau aus.«
– Als Letztes – oder auch »Zuletzt«

»Undurchsichtige Verwirrung, die sich in schematische Muster der Reue mischt«
– meinst Du wirklich »schematische« oder doch »schemenhafte« Muster?

»So aber durchfuhren mich die wildesten Gedanken an gigantische Paradiese im fahlen Mondscheinlicht und vielleicht«
– Mondscheinlicht, und

»Ob ich als Engel, oder Dämon«
– ohne Beistrich nach der direkten Rede

»Die Klinge funkelte selbst in den ersten Strahlen der Sonne so intensiv, das ich wusste,«
– dass
– bei die »ersten Strahlen der Sonne« hab ich irgendwie das Gefühl, es fehlt noch ein Adjektiv wie z.B. »morgendlichen« oder sowas in der Art, aber vielleicht findest Du auch eine neue, sowieso viel schönere Formulierung?

»Jemanden zu töten schien mir eine Sache, zudem ich mich noch immer ziemlich gleichgültig gegenüber allem sah;«
– der zweite Satzteil hört sich nicht schön an, aber ich mach Dir keinen Vorschlag, weil die Geschichte doch schon länger her ist und Du heutzutage ganz bestimmt selbst viel schönere Worte findest. ;)

»die seltsamen Geschöpfe, die den großen Saal in langen Reihen wie Soldaten säumten, befanden sich fast außerhalb des blaus und so konnte ich bloß ihre Umrisse schwach erahnen.«
– des Blaus, und so
– würde statt »bloß« »nur« verwenden – mir kam es beim ersten Lesen so vor, als sei hier eine Wortwiederholung. Als ich zurücklas, fand ich zwar nur »großen«, aber es wirkt halt ein bisschen so, mit einem »nur« wäre das aus der Welt.
– würde entweder »in langen Reihen« oder »wie Soldaten« schreiben, also eins davon streichen, sagt beides fast dasselbe aus.

»dessen Spitzen mit weißem Schnee bedeckt, dem Himmel entgegen gewachsen waren.«
– entweder nach »Spitzen« ebenfalls einen Beistrich, oder den nach »bedeckt« weg (würde ihn wegnehmen).

»während mein Ego nach außen hin einen jeden Tag mehr der Arroganz verfiel.«
– »einen« kannst Du streichen

»Als ich tot war, umgab mich das Blau und ich schritt auf den Thron zu, der mächtig vor mir türmte.«
– Blau, und
– »der … vor mir türmte« klingt, als wäre er vor ihm geflüchtet, Vorschlag: »der sich mächtig vor mir auftürmte«, oder auch »der mächtig vor mir emporragte«

»Eine weiße Front, vom Efeu beinahe völlig überwuchert.«
– würde »mit« statt »vom« schreiben

»Ich weiss nicht, ob ich seinen überraschten Gesichtsausdruck jemals vergessen werde, als er starb.«
– weiß
– »als er starb« wirkt so hintendrangehängt, würde es hinter »Gesichtsausdruck« geben: ob ich seinen überraschten Gesichtsausdruck, als er starb, jemals vergessen werde.

»Aber ich weiss, das Sarah ein besseres Leben verdient hat.«
– weiß
– dass

»Der blaue Schimmer, der sich um meine Sicht gelegt hatte verschwand;«
– hatte, verschwand

Dann war ich glücklich.
Vermutlich ist er ja jetzt wiedergeboren, sonst hätte er die Geschichte nicht erzählen können, und deshalb sagt er wohl auch »war«… (Er macht es wieder nicht besser.)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

sorry, dass ich erst jetzt antworte, ich wollte es eigentlich früher machen, aber ich bin in den letzten Tagen auf der Seite hier ein wenig "inaktiv" gewesen.

Erstmal Danke für den Glückwunsch, fürs Lesen und Kommentieren.

Es ist tatsächlich so, dass der Prot sich selbst umbringt, allerdings habe ich bei erneutem durchlesen bemerkt, dass ich heute vieles anders schreiben würde.
Die Geschichte ist ja mittlerweile auch doch schon ein bisschen älter :)

Viele Grüße!

 

Hallo Cerberus,

faszinierend, deine Geschichte. Ich habe sie zwei Mal gelesen und erst da alles verstanden. Dein Plot. ist ineressant und außerdem noch gut umgesetzt. Einziger, kleiner Kritikpunkt: Sie hätte für meinen Geschmack ein wenig länger sein können.

Beeindruckt hat mich auch die schöne Sprache, die du hier verwendest.

LG
Bella

 

Hallo ihr beiden.

Es freut mich, das jetzt noch so viele Kommentare kommen.
Dennoch muss ich ehrlich sein und mich wiederholen: Heute würde ich vermutlich vieles anders schreiben.
Das sie euch trotzdem gefällt, tut natürlich gut zu hören.

Viele Grüße

Cerberus

 

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