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Als das Blau verschwand
Als letztes sah die Welt irgendwie blau aus.
Undurchsichtige Verwirrung, die sich in schematische Muster der Reue mischt und den Verstand endgültig vernebelt.
Wäre da nicht dieses Blau gewesen, ich hätte mich gefragt, warum das Ende schmerzhaft sein sollte, wo doch diese Welt bereits grauenvoll genug ist.
So aber durchfuhren mich die wildesten Gedanken an gigantische Paradiese im fahlen Mondscheinlicht und vielleicht sollte auch dieses blau sein, wenn es mich im Jenseits empfing.
Wie falsch ich lag, wusste ich erst, als ich mich auf eben jener Straße wiederfand. Den schmächtigen Leib in zerfetzte Kleider gehüllt und mit einer Mission im Kopf, die dringender nicht hätte sein können.
Ob ich als Engel, oder Dämon zurückgeschickt worden war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Die Kreuzung war leer und die Sonne ging gerade hinter den Bergen auf. Ich durchwühlte die Taschen meiner schmutzigen Hose nach dem Gegenstand, den man mir auf meine Reise mitgegeben hatte.
Die Klinge funkelte selbst in den ersten Strahlen der Sonne so intensiv, das ich wusste, sie konnte nicht von dieser Welt sein. Jemanden zu töten schien mir eine Sache, zudem ich mich noch immer ziemlich gleichgültig gegenüber allem sah; dennoch beunruhigten mich die Gedanken daran, diesen Mord für einen Arbeitgeber begehen zu müssen, von dem ich nicht wusste, auf welcher Seite er stand.
Als ich starb, konnte ich durch das blaue Schimmern hindurch eine Art Thron erkennen und ich war mir sofort sicher, auf ein Spiegelbild meiner Seele zu blicken. So stellte ich mir das Ende nun einmal vor. Hören konnte ich nichts; niemand sprach ein Wort und die seltsamen Geschöpfe, die den großen Saal in langen Reihen wie Soldaten säumten, befanden sich fast außerhalb des blaus und so konnte ich bloß ihre Umrisse schwach erahnen.
Das kleine Dorf lag malerisch am Fuße des Gebirges, dessen Spitzen mit weißem Schnee bedeckt, dem Himmel entgegen gewachsen waren.
Ich schlenderte ohne Eile über die schmalen Straßen und genoss das ländliche Idyll, dem ich mich über die Jahre hinweg entfremdet hatte.
Damals war es meine Entscheidung gewesen, mich den pulsierenden Adern der Großstadt hinzugeben und ich hatte Sarah vor die Wahl gestellt. Alles was danach kam, war bis zum Hals hoch reichende Scheiße, in die ich mich immer tiefer vergrub. Ich konnte ihr Gesicht und das des Kleinen nicht länger sehen; konnte die Leere ihrer Pupillen nicht mehr ertragen.
Schlussendlich fiel es mir sogar schwer, selbst in den Spiegel zu blicken.
Ich habe stets dem Höheren entgegengestrebt, bis ich erkennen musste, längst als Fallobst am Grunde aufgeschlagen zu liegen, um dort weiter zu verfaulen. Ja, ich konnte sie in mir spüren, die Maden und Insekten; wie sie mich auffraßen, während mein Ego nach außen hin einen jeden Tag mehr der Arroganz verfiel.
Als ich tot war, umgab mich das Blau und ich schritt auf den Thron zu, der mächtig vor mir türmte. Obwohl es still war, wusste ich um die Sünden, die man mir vorwarf. Es geschah alles sehr langsam und schließlich...
...stand ich hier und atmete ein weiteres Mal die frische Luft, die ich längst vergessen hatte.
Das Haus war noch genauso schön wie damals. Eine weiße Front, vom Efeu beinahe völlig überwuchert. Die kleine Reifenschaukel, die sich sanft im Wind bewegte. All die herrlichen Dinge.
Ich spürte den kalten Stahl in meiner Hand und plötzlich festigte sich das angedeutete Bild in meinem Kopf.
Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen.
Als ich die Klingel betätigte, öffnete mir ein Mann mit freundlichem Gesicht. Sein Lächeln versprühte Ehrlichkeit und kam von Herzen.
So sehr war mir das eigene Antlitz fremd geworden. Es musste richtig sein.
"Sei mir dafür dankbar", sagte ich unter Tränen und stach zu.
Ich weiss nicht, ob ich seinen überraschten Gesichtsausdruck jemals vergessen werde, als er starb. Aber ich weiss, das Sarah ein besseres Leben verdient hat.
Der blaue Schimmer, der sich um meine Sicht gelegt hatte verschwand; wie auch alles andere.
Dann war ich glücklich.