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Als ich zum Opfer wurde

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13.05.2001
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Als ich zum Opfer wurde

Als ich zum Opfer wurde

Es war ein noch dunkler Morgen im Herbst. Ich eilte zur Bushaltestelle, wurde von einem hellen „Guten Morgen.“ am Zipfel gezupft. Ein kleines Kind stand in dem finsteren Garten, in den ich meistens hineinlugte, wenn ich von der Uni zurückkehrte. Ich erwiderte den Gruß und zog weiter, meine Laune war sichtlich erhöht. Wie gut, dass Worte nicht bis in die letzten Ecken menschlicher Gefühlskategorien hinreichen konnten. Wie gut, dass sich der Mensch nicht selbst erschaffen konnte. Wie gut, dass Ehrlichkeit Selbstbetrug war.

Als die Schläge niederprasselten, schaute ich weg. Ich schwebte. Mein Körper wurde geschunden. Das brauchte ich nun wirklich nicht, plagten mich schon seit Stunden strahlende Kopfschmerzen. Mein Kopf. Und das jetzt auch noch. War das nicht mein damaliger Musiklehrer? Wenn ich Lehrer oder Professoren radeln sah, erheiterte mich das ungemein. Sehe, was geschehe.

Mit dreizehn Jahren hatten mich Züge fasziniert. Zugekifft waren wir auf den Bahngleisen gelaufen. Ganz nah hatte ich mich herangetastet, wenn ein Zug vorbei fuhr. Sie hielten mich fest, damit ich nicht die Grenze überschritt. In Dänemark war ich alleine. Ich saß auf einer Stange und wartete auf einen Zug. Er kam nie. Es waren nur Ferien. Die Zeit hatte nicht gereicht. Mein Zug war Godot.

Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte. Er stellte mir dafür immer stechendere Schmerzen aus. Ich nahm sie an und schwieg, bis es überkochte. Aber er war jedes Mal stärker. Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf. Ich mutierte unter seinem Schutz.

Sie saßen tuschelnd an zwei zusammengestellten Tischen. Mit Stolz präsentierte mir Alina eine tiefe Schnittwunde. Sie trug sie nicht einmal verdeckt, zeigte sie der Welt wie ein Radfahrer sein gelbes Trikot. Wir befuhren die Pyrenäen. Mich verglich man mit einem angriffslustigen Emporkömmling, ich sah es in ihren Augen. Ich war eine Bedrohung, die man nicht aus den Augen ließ. Sie waren nur begrenzt nett zu mir. Dabei hatte ich sie nie gebraucht. Ich redete mir nachtnächtlich ein, dass ich nur mich und ihn brauchte. Er war auch selten nett, aber auf ihn war Verlass.

„Hallo, Sonnenschein!“ zupfte mich am Zipfel. Ich drehte mich um und sie drückte und küsste mich. Ich hatte das bislang nie erwidern können. Solche Zutraulichkeiten lähmten mich. Man schreckte sogar vor meinen Berührungen zurück, es passte nicht hinein. Daran hatte ich Spaß gefunden. Die überraschende Andersartigkeit der Ghalia B. Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte.

Wir saßen im Auto. Sie weinte. In meiner Gegenwart. Nicht alleine unter der Bettdecke weinen. Kein Teddybär, der einen blind verstand, den man danach vor den Augen der Außenwelt verstecken musste. Sie hätten gemerkt, dass er versteht und ihn mitgenommen. „Meine Mutter tritt seit Jahren gegen Gewalt in Familien auf. Seit Jahren ist sie engagiert und schreibt lange Reden. Dass wir eine Heidenangst vor unserem Vater hatten, das wollte sie nie hören.“ Was hätte ich ihr alles erzählen können. Aber ich konnte nicht diese Grenze überschreiten. Nicht in ihrer Gegenwart.

Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“ Wut stieg in mir auf. Ich schluckte, lächelte und sprach gespielt irritiert: „Sicher tue ich das!“ Ruckartig drehte ich mich um, schloss meine Augen und hoffte, dass er mich in Ruhe ließ. Hätte mich nicht gewundert, wenn er mich wegen des zugekehrten Arsches verprügelt hätte.

Mit dreizehn hatte ich sterben wollen. Irgendwann hatte ich diese Zeit als einen Teil der Pubertät abgeschrieben und mir eines geschworen: Niemals würde ich mich wieder so hängen lassen.
Die Todessehnsucht nahm mich bei der Hand. Verzweifelt hörte ich Liebeslieder, schaute Liebesfilme, las Romeos Schwüre, um an Schönes zu denken. Doch entweder zermürbte mich der traurige Schluss der Geschichten oder ich verging in der Sicherheit, dass mir nie etwas Gutes begegnen würde. Oder er gesellte sich zu mir und schwärmte seiner großen Liebe von der großen Liebe vor. Ließe ich ihn allein, so stürbe er. Ich stellte ihn mir tot vor. Seelisch tot. Ein Teil von mir würde ihm ins Grab folgen.

Es war ein dunkler Morgen im Herbst. Ich versuchte nicht an die Scham zu denken. Nicht an die Konsequenzen, die ich in meiner Vorstellung nicht ertragen konnte. Ich schob die Anderen beiseite und konzentrierte mich auf mich. Die Ahnung tat weh. Die furchtbare Ahnung von der Zerstörung, die ich anrichtete. Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.

 

Ja klar, ich hab auch nichts Besseres zu tun, als mir auf die verblendete Meinung irgendeines Mitglieds etwas einzubilden.

Ich bin nicht über Deine Worte hinweggegangen. Ich habe nur befunden, dass sie mich nicht weiterbringen. Schon mit dem Titel liefere ich den Schlüssel zu dieser Story. Du kannst ja gerne der Meinung sein, dass das an sich zu wenig sei. Damit habe ich kein Problem. Aber dann möchte ich Belege haben, warum Du dieser Meinung bist. Andere haben sich auch die Mühe gemacht, die Story Stück für Stück auseinanderzunehmen. Genau das bringt mich weiter, weil ich dann zu jedem Satz die Gedanken des Lesers habe. Ich bin immer wieder froh, wenn z.B. Vio (ich nenne sie, weil sie das nun schon oft gemacht hat) eine lange Interpretation mit Zitaten schreibt. Das ist wie Weihnachten. Ich weiß dann ganz genau, woran ich noch feilen müsste.

Und Deine allgemeinen Phrasen wie "Hätte Dir mehr zugetraut..." bringen mich einfach nicht weiter. Ich weiß, ist schwer, es jedem Autor recht zu machen. Und ich glaube ja, dass jeder Autor eine andere Kritikform erwartet/bevorzugt. Welche ich mag, habe ich ja nun gesagt.
Ich bin für jede Kritik und jeden Leser dankbar. Aber solch allgemein gehaltene Eindrücke, wie Du sie aufgeschrieben hast, bringen mich meistens nur dann weiter, wenn ich selbst schon genau diese Punkte im Kopf habe. Dann ist es eine Bestätigung und ich weiß sofort, was gemeint ist. Sonst tun sie es eher nicht.

 

Hallo zaza

Nun also der Versuch einer ausführlichen Kritik.
Abs. 1. „... am Zipfel gezupft...“ natürlich klingt das sympathisch... aber an welchem Zipfel...???
Vielleicht am noch sichtbaren und von außen erreichbaren Zipfel einer geschundenen Seele??? Wenn ja, dann sollte es so irgendwie ausgedrückt sein...
Auch im Kontext zu: „Wie gut, dass Worte...etc. bis Absatzende...“ Diese Feststellungen kommen für mich völlig ungeordnet aus dem off, regen zwar zum Nachdenken an, irritieren aber, da der Zusammenhang fehlt, den der Leser der Aussage in direkter Verbindung mit dem Text zuordnen kann... zumindest so früh...

Abs. 2. Besser wäre hier m.E. zu schreiben, dass es sich hier um Erinnerung eines kürzlichen Geschehens handelt, deutlicher würde ich herausarbeiten, in welcher Form sie das "„neben sich stehen“ wahrgenommen hat, und das dies ein Zustand der Latenz zu werden wird... ebenfalls Irritierend auch, dass sich das mit dem Lehrer im selben Absatz befindet, so als gehöre es hier direkt dazu, als sei der ehem. Musiklehrer auch ein er der Täter...

Abs. 3 „... auf den Bahngleisen „ENTLANGgelaufen...“ Klänge hier besser.
„Herangewagt“ wäre besser statt „herangetastet“ beschreibe vielleicht noch, was so faszinierend für die Prot daran war... Dann, ebenfalls wieder irritierend, der Sprung nach Dänemark, wo sie auf einer Stange im Nirgendwo(wohl auch ohne vorhandene Bahnstrecke) auf einen Zug wartet... Der Satz „mein Zug war Godot“ ist zwar toll, aber er geht an jenen völlig vorbei die das gleichnahmige Stück nicht kennen... auch da wäre etwas genauere Schilderung angebracht, weshalb der bezug zu Godot, zum Warten allgemein hergestellt wird, und selbst die Lange Ferienzeit dazu nicht ausreicht.

Abs 4. Hier ist es der beiderseitige Grenzübertritt, der vielleicht noch mehr Vorgeschichte haben dürfte. Auch dieses „Ich drückte sein Herz...“ ist mir da nicht passend. Man muss zuviel rätseln. Es scheint so zu sein, dass sie ihn Psychologisch quält, bis er sie Körperlich misshandelt... nun denn, dann schreib es doch so, deutlich, nicht so Verquast und nebulös...
Unter dem Schutz mutieren, dass er immer noch da ist, weil er sie quält ??? oder was ??? welcher wie bitte empfundene Schutz ist da denn gemeint?

Abs. 5 Da hat es den Anschein, als habe sie sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen... nun befindet sie sich in Konkurrenz zu anderen Mißhandelten... auch hier wäre mehr zu wünschen als dieses bloße Fragmentarische feststellen... Der letzte Satz könnte so verstanden werden, dass sie sich insgeheim nach ihm sehnt, weil die brutale Wirklichkeit wenigstens etwas aus dem plötzlichen Erleben greifbares ist im Gegensatz zur dumpfen und unterschwelligen Ablehnung der Gruppe, die das eigentlich lösen, und nicht verhärten soll... Auch der Satz, (ich bin zwar dabeigewesen) „aber ich habe sie nie gebraucht...“ Könnte als Krankheitsspezifisches Merkmal angesehen werden, z.b. bei Borderlinern die sich immer klüger dünken, als der behandelnde Psychologe... Für den aber, der von sowas keine Ahnung hat, läuft der Satz ins Leere.
Der letzte Satz vertieft wieder den immanenten Konflikt der Prot., dass sie sich nach Schmerz in Konsequenz nicht möglicher Liebesgabe/nahme sehnt, weil die ständige Verletzung die einzige noch spürbare Konstante in ihrem leben darstellt.

Abs.6 Wieder der Zipfel... diesmal wohl eher der Jackenzipfel, da diesmal eine körperliche Begegnung stattfindet.
Auch der Satz „Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte“ sollte nochmals überdacht werden.
Sinngemäß sollte da eher stehen, „Ich liebte mich, wenn ich andere vor den Kopf stoßen konnte, denn dann übte ich Macht aus....“ zumindest scheint mir der Satz in diese Richtung gemünzt zu sein...

Absatz 7. Ist mit „sie“ das kleine Mädchen, der „hallo Sonnenschein“ gemeint? Wenn ja, dann gehört hier beschrieben, warum sie im Auto sitzt und welche Beziehung die beiden begonnen haben zu entwickeln... das mit dem Teddy ist ok, aber ebenfalls verwirrend, da man nicht herauslesen kann, ob sie den Teddy der kleinen meint, oder ihren eigenen, oder gar einen virtuellen teddy...

Abs. 8 Die ersten Sätze sind schlüssig... dann aber vergibst du dir was, wenn du nicht seine Reaktion auf den Satz „Sicher tu ich das...“ beschreibst... denn er muss ja einen Anlass haben, sich von ihr runter zu bewegen, damit sie ihm ruckartig den Rücken zuwenden kann... das zumindest zur Logik des Geschehens... da springst du mir ebenfalls zu schnell von Ebene zu Ebene...

Abs. 9 Hier kommen wir dem Kindesmissbrauch als Erklärung auf die Spur, dessen direkte Folge das Ertragen des Prügelnden Partners zu sein scheint... aber auch das ist sehr nebulös gehalten, zu nebulös nach meiner Meinung, um das ganze vorher damit wirklich in logische Verbindung zu bringen...

Abs. 10 Auch hier wieder nur wenig essentielles. Sie hat einen Entschluss gefasst, will sich befreien, schafft es aber dennoch nicht, da sie sich in exakt dem Moment, in welchem sie Positive Täterin(für sich selber) wird, wieder auf die Sichere Opferrolle zurückzieht... Das als Fazit wäre noch ok... das ganze aber ist nichts als ein Ratespiel für den Leser und löst mehr Ratlosigkeit als Verstehen aus. Dieses wäre aber m.E wichtig für die Bewältigung und letztlich angemessener Wegweisung zum besseren Verständnis einer solch komplexen Thematik.
Und darum bin ich auch der Meinung, daß du das besser können müßtest.
Literatur hat nur dann einen Sinn, wenn sie verstehbar ist...
Dieses ist dir aber noch nicht wirklich gelungen, zumindest nicht in der Form, als dass man sich unendlich damit auseinander setzen müsste... dies tut man aber nur dann, wenn man es immer und immer wieder liest, um herauszufinden, was zum Teufel der Autor mir da sagen wollte...Ich hab das nur so oft gelesen, um dir die eingeforderte, ausführliche Kritik zu liefern, normalerweise hätte ich das sicherlich nicht getan.

Lord

 

ich muss mein urteil entschieden revidieren. diesen text hast du eigentlich alles andere als sorglos geschrieben. ich hatte wohl beim ersten lesen die falschen dinge dominieren lassen und sie auch unpassend ausgelegt, zum beispiel die "als ich 13 war" passagen. ich las sie als unzureichend formulierte aufreichung von eindrücken. dabei scheint, wenn ich es jetzt lese, alles seinen platz zu haben.

es gefällt mir der fragmentarische charakter. du schaffst es mittels einer über weite strecken unaufgeregten, beinahe lakonischen erzählweise eine durchgehende atmosphäre zu kreiieren. was mir ausserdem aufgefallen ist ist eine gewisse abgebrühtheit, eine distanz die ich herauslese. vl liegt das daran dass die prot das erlebte sehr gut analysiert hat, was wiederum auch ein zeichen von stärke ist.

nur: ist diese stärke innerlich authentisch? oder ist sie nur angst vor dem fallen lassen? das bringt mich dann zum schluss des textes. sich dem schicksal hingeben, als opfer.

das kann so viel heissen. heisst es, sie stärke aufgeben, mit der man bisher nichtopfer sondern opfer+täter war? oder heisst es, die energie, die nötig ist, nicht nur opfer zu sein sondern auch täter, nicht mehr aufbringen zu wollen?

 
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Liebe Zaza!

Eine höchst interessante Geschichte, in die Du verdammt gute Beobachtungen hineingearbeitet hast. Das ist selbst dann erkennbar, wenn man nicht alles auflösen kann. Die Stellen, die sich mir öffnen, sind so überzeugend, daß ich mir sicher bin, daß Du Dir auch bei den anderen viel Mühe gegeben hast.
Aber vielleicht kannst Du Dich ja doch durchringen, und die Szenen oder Sätze, die bisher niemand auflösen konnte, ein ganz kleines Bisschen klarer machen. Ich habe hier nicht das Gefühl eines unlösbaren Rätsels, wie es bei manchen Deiner Geschichten schon mal vorkommt, ich habe hier viel eher das Gefühl, ich stehe ein Haar breit vor der Lösung und es bedürfte nur noch einer ganz kleinen Andeutung.

Also, dann geh ich auch einmal alles Stück für Stück durch, vielleicht geht mir ja während des Schreibens noch ein Licht auf…

»Es war ein noch dunkler Morgen im Herbst. Ich eilte zur Bushaltestelle, wurde von einem hellen „Guten Morgen.“ am Zipfel gezupft.«
– Ich denke, das ist als eine Art Aufwecken zu sehen. Die helle Stimme weckt die Protagonistin innerlich, die bisher nur den dunklen Morgen sah. („Guten Morgen“ ohne Punkt, vielleicht aber mit Rufzeichen.)
Was dieser Absatz aber mit dem Rest der Geschichte zu tun hat, bin ich mir noch nicht sicher.
– Es könnte sein, daß das helle »Guten Morgen« die Erinnerung weckt.

»Ein kleines Kind stand in dem finsteren Garten, in den ich meistens hineinlugte, wenn ich von der Uni zurückkehrte. Ich erwiderte den Gruß und zog weiter, meine Laune war sichtlich erhöht.«
– Das könnte jetzt heißen, daß der Garten auch dann finster war, wenn die Protagonistin von der Uni gekommen ist, die Finsternis also direkt mit diesem Garten zu tun hat, oder er ist an diesem Morgen finster, weil es eben noch nicht hell ist.
Wenn Ersteres, dann hat die Protagonistin vermutlich etwas darin gesehen oder erlebt, das ihn finster macht.
Daß die Laune »sichtlich« erhöht ist, sehe ich als Andeutung, daß sie nur nach außen hin besser gelaunt ist.
– Daß die Szene in der Zeit nach der Uni spielt, bringt mich zu folgender Annahme: Die Protagonistin ist von ihrem Mann an diesem Morgen weggelaufen. Das Kind im Garten weckt ihre Erinnerung, der folgende Text ist (großteils) diese Erinnerung.

»Wie gut, dass Worte nicht bis in die letzten Ecken menschlicher Gefühlskategorien hinreichen konnten.«
– Worte, die nur oberflächlich berühren, nicht in die Tiefe dringen. Offenbar ist es für die Protagonistin nicht wirklich ein guter Morgen, es ist nur eine Phrase, die Wahrheit sieht anders aus.

»Wie gut, dass sich der Mensch nicht selbst erschaffen konnte. Wie gut, dass Ehrlichkeit Selbstbetrug war.«
– mehr oder weniger *imFinsterntapp*

»Als die Schläge niederprasselten, schaute ich weg. Ich schwebte. Mein Körper wurde geschunden. Das brauchte ich nun wirklich nicht, plagten mich schon seit Stunden strahlende Kopfschmerzen. Mein Kopf. Und das jetzt auch noch. War das nicht mein damaliger Musiklehrer? Wenn ich Lehrer oder Professoren radeln sah, erheiterte mich das ungemein.«
– Sie wird geschlagen, macht ihr Inneres zu. Vielleicht meinst Du mit »Ich schwebte«, daß sie hier innerlich gestorben ist? So, wie man sich beim Tod vorstellt, daß der Geist schwebt und den Körper sieht.
Mit »Das brauchte ich nun wirklich nicht« verbinde ich die Verdrängung. Was die Kopfschmerzen sagen, ist mir nicht klar.
Über die Rolle des Musiklehrers rätsle ich auch noch.
– Ich versuch es noch einmal: Sie wurde (vom Vater, wemauchimmer) geschlagen und sieht den Musiklehrer vorbeiradeln. Er sieht es, weiß es also, aber hält seinen Mund. Könnte sein, daß der Musiklehrer durch das Gesehene weiß, daß man sie mißbrauchen kann, daß sie gewohnt ist, den Mund zu halten, ihre Schmerzen zu schlucken. Das perfekte Opfer also.
– Was mich irritiert, ist, daß es der »frühere« Musiklehrer ist. Es könnte also auch sein, daß der Schlagende ihr Mann ist. Möglicherweise taucht der Musiklehrer hier als Erinnerung auf. Irgendwie will ich das aber nicht glauben, weil der Absatz rein gefühlsmäßig für mich zur Kindheit bzw. Jugend gehört.

»Sehe, was geschehe.«
– Allein schon aufgrund seiner – bestimmt bewußten – grammatikalischen Falschheit ist dieser Satz ein Rätsel für sich. In Verbindung mit den von mir vermuteten auftauchenden Erinnerungen könnte es allerdings sein, daß er nur ein Bruchstück aus diesem Satz ist: Ich sehe, was geschehen ist. Nur der Mittelteil, ohne Anfang und Ende, weil sie sich vielleicht auch gar nicht erinnern kann, womit es tatsächlich angefangen hat, und auch das Ende noch nicht kennt.

»Mit dreizehn Jahren hatten mich Züge fasziniert.«
– Haben die Züge im Speziellen eine Bedeutung? Ein anderes Wort für Zug ist Eisenbahn; Eisen steht für Härte, das Böse. Aber wahrscheinlich hol ich das gerade viel zu weit her.

»Zugekifft waren wir auf den Bahngleisen gelaufen. Ganz nah hatte ich mich herangetastet, wenn ein Zug vorbei fuhr. Sie hielten mich fest, damit ich nicht die Grenze überschritt.«
– Sie braucht die Gefahr, will so nah wie möglich an die Grenze herankommen. Sie will sie gar nicht überschreiten, sondern tastet sich Stück für Stück heran, damit sie von den anderen zurückgehalten wird, was irgendwie auch körperliche Gewalt ist, aber wahrscheinlich die einzige Art von Zuwendung, die sie kennt.

»In Dänemark war ich alleine. Ich saß auf einer Stange und wartete auf einen Zug. Er kam nie. Es waren nur Ferien. Die Zeit hatte nicht gereicht. Mein Zug war Godot.«
– Es war niemand da, der sich herausfordern ließ, bzw. wo sie es überhaupt versuchen konnte. Somit war auch niemand da, von dem sie Zuwendung bekam.
Interessant könnte auch sein, daß sie hier auf einer Stange sitzt, die ja begrenzter ist, als die scheinbar endlosen Schienen, auf denen sie zuvor gelaufen ist. Es könnten also die Schienen auch für den harten, endlos scheinenden Weg stehen, den sie durch ihre Jugend zu gehen hat.

»Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte. Er stellte mir dafür immer stechendere Schmerzen aus. Ich nahm sie an und schwieg,«
– Gegenseitiges Grenzüberschreiten als geglaubte Liebe. Ich frage mich bloß, um welche Art Beziehung es sich handelt. Dieses »stellte mir stechende Schmerzen aus« hast Du doch sicher nicht umsonst so formuliert. Stechende Schmerzen könnten für sexuellen Mißbrauch stehen, das Ausstellen selbiger klingt nach sowas wie einer Entschuldigung für den Turnunterricht.
Meiner bisherigen Theorie zufolge müßte es der Musiklehrer sein. Die Frage, die dabei aber offen bleibt, ist: Wie drückt sie sein Herz?

»bis es überkochte. Aber er war jedes Mal stärker. Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf.«
– Mal davon ausgehend, es war der Musiklehrer, könnte das Überkochen dafür stehen, daß sie jemandem etwas gesagt hat oder sagen wollte, er aber mehr Macht hatte, ihr vielleicht nicht geglaubt wurde oder er sie gezwungen hat, es zurückzunehmen, wie man das ja auch hin und wieder hört, daß die Schule kein Aufsehen haben will, man dem Lehrer voll vertraut und höchstens sie von der Schule verwiesen würde, sicher alles bloß Phantasie und Wunschdenken, etc.
Was wiederum eine Grenze wäre, die sie überschreiten wollte, aber gewaltsam zurückgehalten wurde.

»Ich mutierte unter seinem Schutz.«
– Hier bin ich mir jetzt doch ziemlich sicher, daß vom Lehrer die Rede ist.

»Sie saßen tuschelnd an zwei zusammengestellten Tischen. Mit Stolz präsentierte mir Alina eine tiefe Schnittwunde. Sie trug sie nicht einmal verdeckt, zeigte sie der Welt wie ein Radfahrer sein gelbes Trikot. Wir befuhren die Pyrenäen. Mich verglich man mit einem angriffslustigen Emporkömmling, ich sah es in ihren Augen. Ich war eine Bedrohung, die man nicht aus den Augen ließ. Sie waren nur begrenzt nett zu mir. Dabei hatte ich sie nie gebraucht. Ich redete mir nachtnächtlich ein, dass ich nur mich und ihn brauchte. Er war auch selten nett, aber auf ihn war Verlass.«
– Die da an den Tischen saßen, sollten wohl die MitschülerInnen sein. Alina schluckt und verdrängt nicht alles, wie die Protagonistin, sondern sie zeigt allen, welche seelischen Schmerzen sie hat.
Das Befahren der Pyrenäen könnte eine Klassenfahrt sein. Als angriffslustigen Emporkömmling könnten sie sie einerseits bezeichnen, weil sie den Lehrer provoziert und reizt, andererseits, weil sie eben anders ist und die mit ihrer Art nicht umgehen können, sich daher bedroht fühlen.
Sie sind »nur begrenzt nett« zu ihr – vielleicht, weil sie nicht körperlich auf sie losgehen, also ihr »Spiel« nicht mitspielen; vielleicht aber auch nur, weil sie eben wirklich nur begrenzt nett sind, sie gerade mal so akzeptieren.
Auf ihn, den Lehrer, ist aber Verlaß, bei ihm bekommt sie ihre Strafe…, die sie provoziert hat, die sie braucht, weil es die Form der »Liebe« ist, die sie kennt.
– Die Pyrenäen können natürlich auch einfach die Problem-Berge sein, die sich einem besonders in der Jugend in den Weg stellen, und über die man drüber muß … aber ich bleibe eher bei meiner ersten Version, vor allem wegen dem »nachtnächtlich«.
– In den Kritiken lese ich »In einer Selbsthilfegruppe wirkt sie als Aussenseiterin, weil sie es ist die das Spiel führt«, was zugegeben ein interessanter Gedanke ist, die Szene (und weitere) in eine Selbsthilfegruppe zu verlegen. Nur frage ich mich, wie sie da hinkommen würde, wenn sie doch selbst meint, sie nicht zu brauchen – da man dort normalerweise ja freiwillig hingeht.

»„Hallo, Sonnenschein!“ zupfte mich am Zipfel. Ich drehte mich um und sie drückte und küsste mich. Ich hatte das bislang nie erwidern können. Solche Zutraulichkeiten lähmten mich.«
– Ich finde keine Antwort auf die Frage: Wer kann »Hallo Sonnenschein!« sein? Die Mutter? Würde die »Hallo Sonnenschein!« sagen, wenn sie ihr doch bisher offenbar auch nicht die Mutterliebe geben konnte, die ein Kind braucht? Eher nicht. Alina? Hm, sie könnte es theoretisch sein, sie könnte die Protagonistin als Sonnenschein empfinden, weil sie sich ihre Wunden ansieht, aber ich glaube, sie ist es doch eher nicht.
Wo wird sie sich so verhalten, daß man sie als Sonnenschein bezeichnet? Ich komm da jetzt nicht drauf. (Hoffentlich hab ich mich noch nicht ganz verirrt…)
Hier ist aber auf jeden Fall eine der besten Beobachtungen: Wie schwer man normale Zärtlichkeiten überhaupt aushält, wenn man sie nicht »kennt«, sie nicht gewöhnt ist. »lähmten mich« ist gut gesagt.
– Aber ich weiß immer noch nicht, wer »Hallo Sonnenschein« sein kann. Vor allem ist da auch wieder das Am-Zipfel-Zupfen, das ich wiederum als Aufwecken des Inneren empfinde. … Die Berührungen wecken ihr Inneres, lähmen sie aber zugleich? (Ich bin wohl am Holzweg…)
– »Bislang« hatte sie es nie erwidern können. Ist da ein »jetzt aber doch« versteckt? Könnte vielleicht von der Schwiegermutter die Rede sein?

»Man schreckte sogar vor meinen Berührungen zurück, es passte nicht hinein. Daran hatte ich Spaß gefunden. Die überraschende Andersartigkeit der Ghalia B. Ich liebte mich, wenn ich andere beeindruckte.«
– Wieder eine Art des Provozierens: Sie verschreckt die anderen so, daß die sich von ihr zurückziehen, und sie mit (dem gewohnten) »Liebesentzug« bestraft wird. Sie macht alles so, daß sie genau das, was sie eigentlich bräuchte, nicht bekommt.

»Wir saßen im Auto. Sie weinte. In meiner Gegenwart. Nicht alleine unter der Bettdecke weinen. Kein Teddybär, der einen blind verstand, den man danach vor den Augen der Außenwelt verstecken musste. Sie hätten gemerkt, dass er versteht und ihn mitgenommen. „Meine Mutter tritt seit Jahren gegen Gewalt in Familien auf. Seit Jahren ist sie engagiert und schreibt lange Reden. Dass wir eine Heidenangst vor unserem Vater hatten, das wollte sie nie hören.“ Was hätte ich ihr alles erzählen können. Aber ich konnte nicht diese Grenze überschreiten. Nicht in ihrer Gegenwart.«
– Ich komme zwar nicht drauf, wer da in dem Auto sitzt, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß der »Vater« derjenige ist, der die Protagonistin mißbraucht oder früher mißbraucht hat. Der Vater könnte der Lehrer sein. Seine Frau, die Mutter mit den langen Reden, merkt nicht, was vor sich geht, vertraut ihm blind, oder sie will es nicht sehen, weil es ihre Welt zerstören würde. Das Mädchen, das hier über ihre Mutter spricht, läßt ihren Schmerz heraus, in Gegenwart der Protagonistin, die das nicht kann.
»Was hätte ich ihr alles erzählen können« – Sie hätte dem Mädchen etwas über ihren Vater erzählen können…
Sie konnte diese Grenze nicht überschreiten – bin im Zweifel, ob sie die Grenze nicht überschritten hat, weil es in dem Fall nicht den gewohnten Erfolg gebracht hätte (die Bestrafung), oder aus Mitgefühl, oder zum Täterschutz?

»Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf …«
– Hier ist »er« wohl ihr Mann, es spielt also später, vermutlich in der Zeit nach der Uni. Sie hat nie gelernt, was Liebe ist und kann sie nicht geben, wie er es erwartet. Die Frage allein irritiert sie schon, sie antwortet pflichterfüllend, aber unsicher (was sie zu überspielen versucht). Irgendwie wirkt es auch so, als hätte sie schlechtes Gewissen weil sie ihn nicht lieben kann.

»und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“ Wut stieg in mir auf. Ich schluckte, lächelte und sprach gespielt irritiert: „Sicher tue ich das!“ Ruckartig drehte ich mich um, schloss meine Augen und hoffte, dass er mich in Ruhe ließ. Hätte mich nicht gewundert, wenn er mich wegen des zugekehrten Arsches verprügelt hätte.«
– Er fördert (wohl ungewollt) das schlechte Gewissen, indem er ihr vorhält, daß sie ihm nicht zeigt, daß sie ihn liebt. Die Wut, die in ihr aufsteigt, ist vermutlich aufgrund des inneren Konfliktes, ihn lieben zu wollen, es aber nicht zu können. Er bleibt aber offenbar ruhig dabei, der »Du zeigst es aber nicht«-Satz hat kein Rufzeichen und er verprügelt sie nicht.

»Mit dreizehn hatte ich sterben wollen. Irgendwann hatte ich diese Zeit als einen Teil der Pubertät abgeschrieben und mir eines geschworen: Niemals würde ich mich wieder so hängen lassen.
Die Todessehnsucht nahm mich bei der Hand. Verzweifelt hörte ich Liebeslieder, schaute Liebesfilme, las Romeos Schwüre, um an Schönes zu denken. Doch entweder zermürbte mich der traurige Schluss der Geschichten oder ich verging in der Sicherheit, dass mir nie etwas Gutes begegnen würde.«
– Die Sicherheit, daß ihr nie etwas Gutes begegnen würde – weil sie gar nicht damit umgehen kann, vielleicht auch glaubt, es nicht verdient zu haben.

»Oder er gesellte sich zu mir und schwärmte seiner großen Liebe von der großen Liebe vor. Ließe ich ihn allein, so stürbe er. Ich stellte ihn mir tot vor. Seelisch tot. Ein Teil von mir würde ihm ins Grab folgen.«
– Hier habe ich noch Probleme. Es scheint, da es sich im selben Absatz befindet, als gehörte das ebenfalls in die Zeit »mit dreizehn«, jedoch will es da nicht so recht passen. Oder doch? Hat der Musiklehrer sie hier seelisch erpreßt?
Der Teil von ihr, der ihm mit ins Grab folgen würde, wäre wohl das Wissen um den Mißbrauch etc.

»Es war ein dunkler Morgen im Herbst.«
– Wie im ersten Absatz – hier schließt sich wohl der Kreis zwischen dem Morgen und den Erinnerungen.

»Ich versuchte nicht an die Scham zu denken. Nicht an die Konsequenzen, die ich in meiner Vorstellung nicht ertragen konnte. Ich schob die Anderen beiseite und konzentrierte mich auf mich. Die Ahnung tat weh. Die furchtbare Ahnung von der Zerstörung, die ich anrichtete. Ich trat vor: „Mein Mann schlägt mich.“ Ich trat auf. Die Lichter fingen mich ein. Wärme. Klebrige Wärme. Es ekelte mich an. Sie zogen an mir; bis ich mich fallen ließ. Ich gab mich meinem Schicksal als Opfer hin.«
:hmm: Wenn ich jetzt nach oben scrolle, finde ich keinen Absatz, in dem ich die Schläge ihrem Mann zugeschrieben habe. Natürlich kann ich mich irren, es sind ja alles nur Vermutungen. Aber es kann genauso gut sein, daß sie sagt, sie würde geschlagen, weil sie es sich wünscht und er es nicht tut. Vielleicht fühlt sie sich deshalb nicht geliebt. Ihr tut nicht geschlagen zu werden vielleicht genauso weh, wie es jemand anderem weh tun würde, geschlagen zu werden.
Als sie geschlagen bzw. mißbraucht wurde, konnte sie es nie sagen.
Jetzt hab ich aber doch noch einen Absatz entdeckt, den ich mit einem Vielleicht dem Mann zugeschrieben habe. Na, ich muß da wohl doch noch weiter nachdenken.

So, eigentlich wollte ich jetzt noch einen Tag warten und die Geschichte zum hundertsten Mal lesen, aber jetzt poste ich Dir das einfach mal und hoffe auf Deine Antwort, mit der ich die Geschichte dann sicher noch einmal lesen werde. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Also mittlerweile bin ich ziemlich sicher, daß der zweite Absatz erst später ist, und daß der Schlagende wahrscheinlich doch ihr Mann ist.
Bin da doch ein bisserl auf den Holzweg geraten, glaub ich.

Ich werd mir wohl am Wochenende noch einmal Zeit nehmen für die Geschichte. ;)

 

Du, ich antworte Dir noch genau drauf, bin jetzt grad zu müde. Vielen Dank schon einmal für ein solch aufmerksames Lesen!

 
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Hallo Zaza,

ich habe nicht alle Kritiken bis hierher gelesen, insofern magst Du mir verzeihen, wenn ich bereits Gesagtes wiederhole.

Ich finde Deine Geschichte gar nicht soooo kryptisch. Es ging um Gewalt zwischen Mann und Frau. So weit, so gut.

Einzig einen Punkt solltest Du vielleicht präziser ausarbeiten: es bleibt ziemlich offen, ob es sich um eine Art freiwilliger Gewalt handelt (etwa im Zuge einer S/M-Beziehung). Natürlich wird beim Outing in der Selbsthilfegruppe klar, daß die Prot sich dieser Gewalt nicht freiwillig aussetzt. Dennoch haben Deine Schilderungen im oberen Teil

"Er nannte mich Hure. Er hatte eine Grenze überschritten, und von diesem Tag an verlor ich jeglichen Respekt. Was sich liebt, das reizt sich bis aufs Blut. Ich genoss es sein Herz so lange zu drücken, bis es fast zu schlagen aufhörte. Er stellte mir dafür immer stechendere Schmerzen aus. Ich nahm sie an und schwieg, bis es überkochte. Aber er war jedes Mal stärker. Ich hatte nicht gewusst, dass man kochendes Wasser herunterdrücken konnte. Zurück in seinen Topf. Er verbrannte sich dabei kein-Wort-könnte-es-beschreiben stark, aber er gab nie auf. Ich mutierte unter seinem Schutz."

oder

"Er lag auf mir und mühte sich ab. „Liebst du mich?“ Ich glaubte nicht recht zu hören. Allzu lange durfte ich nicht zögern. Ich lachte auf und warf ihm vor: „Was für eine Frage!“ „Du zeigst es aber nie, so wie es andere Frauen tun.“ Wut stieg in mir auf. Ich schluckte, lächelte und sprach gespielt irritiert: „Sicher tue ich das!“ "

etwas von freiwilliger Auslieferung. Ähnlichkeit mit einem sexuell und emotional motivierten Machtkampf zwischen den Geschlechtern.
Das verwässert die Auflösung am Ende etwas. Finde ich. Schließlich ist es moralisch gesehen ein himmelweiter Unterschied, ob sich eine Frau freiwillig auf eine so zerstörerische Liebe einläßt oder ob sie mißhandelt und vergewaltigt wird.

Nur ein Gedankengang ... ansonsten gut geschrieben.

Gruß,
M.

 

Der Weg: Nun ja, ich habe es so gesehen: Zur Gewalt in einer Beziehung gehören immer zwei. Der Eine, der es tut, und der Andere, der sich dafür hergibt. Das klingt natürlich sehr vereinfacht, und so einfach ist es auch gar nicht beziehungstechnisch. Aber nüchtern betrachtet kann man es darauf reduzieren. Und dann gibt es noch den Punkt, dass ein Opfer sich vielleicht nach einer gewissen Zeit mit einer Ohnmacht alles bieten lässt. D.h. man schaltet ab, befindet sich ganz woanders, während man missbraucht wird. Ich kann mir sonst nicht vorstellen, wie ein Mensch das sonst immer wieder ertragen könnte. Daher möchte ich eigentlich nicht von einer großen Gegenwehr erzählen. Die gibt es vielleicht anfangs, später jedoch wurde diese Kraft schon unterdrückt, der Mensch sozusagen gebrochen.

Häferl:

– Das könnte jetzt heißen, daß der Garten auch dann finster war, wenn die Protagonistin von der Uni gekommen ist, die Finsternis also direkt mit diesem Garten zu tun hat, oder er ist an diesem Morgen finster, weil es eben noch nicht hell ist.

Der Garten ist immer finster, weil er das Haus und die Familie von der Welt abschließt, so wirkt es jedenfalls, wenn man es sieht.

»Wie gut, dass sich der Mensch nicht selbst erschaffen konnte. Wie gut, dass Ehrlichkeit Selbstbetrug war.«

Nun ja, sie fühlt sich kurzweilig besser, erkennt aber, dass das pure Selbsttäuschung war. Man erlebt etwas Positives und ist ganz optimistisch, doch kurze Zeit später holt einen das Leben wieder ein, und nichts ist so einfach, wie es schien.

– Sie wird geschlagen, macht ihr Inneres zu. Vielleicht meinst Du mit »Ich schwebte«, daß sie hier innerlich gestorben ist? So, wie man sich beim Tod vorstellt, daß der Geist schwebt und den Körper sieht.

Jo, innerlich gestorben oder die obig erwähnte Ohnmacht.

Zum Musiklehrer: Alltägliches vermischt sich mit ihrer täglichen Folter. Sie versucht mit aller Kraft, sich aufheitern zu lassen, um es tragen zu können. Doch ist das zum Scheitern verurteilt, weil es ja nur Verdrängung ist.

– Haben die Züge im Speziellen eine Bedeutung? Ein anderes Wort für Zug ist Eisenbahn; Eisen steht für Härte, das Böse. Aber wahrscheinlich hol ich das gerade viel zu weit her.

Nun ja, es sind vielleicht Züge, weil sie einen weit forttragen? Es ist eine Sehnsucht.

Zur Alina-Passage: Nein, keine Mitschüler. Das war der erste Schritt zur Befreiung.

Zum Sonnenschein: Eigentlich ist es egal, wer sie so nannte.

Sie konnte diese Grenze nicht überschreiten – bin im Zweifel, ob sie die Grenze nicht überschritten hat, weil es in dem Fall nicht den gewohnten Erfolg gebracht hätte (die Bestrafung), oder aus Mitgefühl, oder zum Täterschutz?

Schuldgefühle.

Ja doch, es ist ihr Ehemann. Sicherlich ist der Text an manchen Stellen verschlüsselt. Doch das Leben von jemandem, der offensichtlich gebrochen ist und vieles durchgemacht hat, empfinden wir das nicht etwas als Rätsel? Wenn auch als ein Furchtbares? Aber vielleicht reagiert man auch wegen des Selbstschutzes mit Unverständnis. Naja, ich selbst empfinde den Text ja nicht als zu verschlüsselt. Wäre schön, wenn Du mir Deinen jetzigen Eindruck schildern könntest. Weiß aber nicht, ob ich den Text so bald überarbeiten würde.

 

Hallo Zaza,

das von Dir Gesagte ist zweifellos richtig. Ich würde auch nicht so sehr auf der Gegenwehr herumreiten, sondern einfach den Standpunkt der Gequälten etwas deutlicher machen, denn wie gesagt: für mich las es sich anfangs ein wenig so, als wäre die Demütigung Teil eines erotischen Spiels oder einer etwas ungleichen Beziehung (etwa wie in "Bitter Moon" von Roman Polanski). Und ich denke, die Grenze zwischen freiwilliger Auslieferung und und unfreiwilligem Missbrauch sollte deutlicher gezogen werden.

Gruß,
M.

 

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