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Altbauwohnung
Er lehnte am Türrahmen und schaute zu ihr herüber. Durch drei hohe Fenster fiel die Morgensonne auf den Parkettboden des großen Wohnzimmers und reflektierte in goldenen Schatten an den Wänden und den wenigen Möbeln.
An den Rahmen des mittleren Fenster gelehnt stand sie schweigend und abgewandt da. Ob sie dort draußen wirklich etwas sah, wußte er nicht.
Er blickte zu Boden. Als er die einsame Socke auf dem Parkett bemerkte, die wohl unbemerkt aus dem Wäschekorb gefallen war, hob er sie abwesend mit den Zehen des rechten Fuß auf und stopfte sie dann in die Hosentasche, eine Angewohnheit, die ihm seit seiner Kindheit eigen war. Sein Blick streifte ihre Gestalt am Fenster. Dann bewunderte er die Sitzgarnitur, die den gemütlichen Mittelpunkt des Zimmers bildete, und die poppige Designerlampe, die seit gestern die stuckverzierte Decke schmückte. Seit zwei Wochen wohnten sie jetzt hier, und hier und da zeugten noch einige unausgepackte Kartons vom kürzlich erfolgten Umzug. Von einer solchen Wohnung hatte er immer geträumt, und der Gedanke, sie gefunden zu haben und jetzt in ihr wohnen zu dürfen, erfüllte ihn gleichermaßen mit unbändiger Freude und Stolz. Der Parkettboden schimmerte frisch gewachst, und auch die Wände waren neu gestrichen. Die Decken waren so hoch, daß alle Vorhänge und Jalousien extra in Überlänge angefertigt werden mußten, und die Räume erschienen ihm so groß und herrlich luftig, daß er in kürzester Zeit jeden Gedanken an das stickige, enge Apartment verdrängt hatte, das er jahrelang bewohnt hatte. Hier hatten sie jede Menge Raum, um glücklich zu werden, bei weitem genug für sie beide. Hatte er gedacht. Er räusperte sich.
"Süße... bitte."
Sie schwieg hartnäckig. Er ertappte sich beim verlegenen Scharren seiner unbeschuhten Füße auf dem Holzboden. Die Stille lastete schwer wie eine Gewitterwolke über ihnen beiden.
"Klar, ich hätte vorher mit dir darüber reden sollen.. aber... versteh doch, ich dachte, du würdest dich freuen."
Er kam sich allmählich ein bißchen so vor, als würde er versuchen, mit einer Wand vernünftig zu argumentieren.
"Wie lange willst du dieses Spiel eigentlich noch treiben? Was muß ich tun? Okay, ganz offenbar habe ich einen Fehler gemacht, aber das konnte ich schließlich nicht ahnen, oder? Ich wollte doch nur... "
Er brach ab. Seine Hand fand in der Hosentasche die Socke. Unbewußt begann er, ihn in der Tasche zu kneten und um den Finger zu wickeln, während sein Blick wieder über die großen Fenster glitt. Jedes Putzen mußte hier zu einem kleinen Abenteuer werden, denn die obersten Teile der hohen Glasscheiben ließen sich nicht öffnen und konnten nur gereinigt werden, wenn jemand auf die Fensterbank kletterte und unter stark muskelkaterverdächtigen Verrenkungen den Schmutz dort entfernte. Er hatte auch schon darüber nachgedacht, ob er sich um eine Putzfrau kümmern oder vielleicht sogar einen professionellen Fensterputzer engagieren sollte. Leisten konnte er es sich jetzt.
Sie starrte still hinaus. Er ertrug es nicht länger.
"Ich wollte dir doch nur eine Freude bereiten!" Er schrie es fast hinaus, mit all dem Frust und dem Trotz in der Stimme, die sich in den vergangenen zwei Wochen angesammelt hatten.
Was sah sie da nur? Sie ließ ihn nicht mehr teilhaben an ihrer Welt, hatte sich völlig von ihm zurückgezogen. Etwas war nun anders als früher, und ihn schmerzte der Gedanke. Es sollte doch eine Art Neuanfang sein, hier, in einer schönen Wohnung, in einem alten, großen Haus, das so viele Geschichten erzählen konnte... und sein neuer Job hatte endlich die finanzielle Grundlage für die Erfüllung dieses Wunsches geschaffen. Aber sie? Sie war... einfach furchtbar sensibel. Und sie mochte offenbar keine Veränderungen. Wie wenig, war ihm vorher nicht genug bewußt gewesen.
Er ging leise zu ihr herüber und berührte sie vorsichtig, fast streichelnd. Wenigstens zuckte sie nicht zusammen, gab aber auch nicht zu erkennen, ob sie überhaupt eine Berührung wahrgenommen hatte. Er seufzte.
"Bitte, ich möchte nicht, daß das jetzt ewig zwischen uns steht... sag mir, wie ich das wieder gut machen kann. Ich möchte nur, daß du glücklich bist, daß es dir gutgeht."
Da!
Für einen kurzen Moment glaubte er, ein kaum merkliches Zittern in ihren geliebten, schlanken Armen zu spüren, und fühlte sofort die Wärme der alten Vertrautheit wiederkehren. Für ihre Begriffe war das schon eine leidenschaftliche Umarmung.
Er lächelte und rückte näher an sie heran. Sie waren seit so vielen Jahren zusammen, in vielen guten und in vielen schlechten Tagen, aber seit er ihr zur Feier der neuen Wohnung ohne Vorwarnung einen der Umgebung angemessenen Topf verpaßt hatte, mit viel Platz für ihre wunderbar ausgeprägten Wurzeln und einem speziellen Planzgranulat, war sie nicht mehr dieselbe gewesen. Nie wieder, sagte er sich, strich mit seiner Hand über eines ihrer langen Blätter, hob es hoch und küßte liebevoll die glänzend grüne Oberfläche.