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Alte Bäume (Arbeitstitel)

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24.02.2005
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Alte Bäume (Arbeitstitel)

Das Fenster ist geöffnet und in das warme Zimmer weht ein leichter Wind hinein, der die Baumkronen vor dem Fenster rauschen lässt. Er steht am Fenster und lässt seine wenigen Haare durchwehen. Sie sitzt in ihrem Lieblingssessel und lächelt ihn an. Ein paar Minuten steht er so da und genießt das Leben, das er noch hat. Man muss es realistisch sehen, hat er neulich zu seinem Nachbarn gesagt. Man muss es realistisch sehen, alte Menschen sterben nun mal irgendwann und ich bin alt.
Der Wind weht immer noch, als sie ihm sagt, er solle sich jetzt umdrehen und seinen Hintern Richtung Supermarkt bewegen. In deinem Tempo brauchst du eine Weile, sagt sie, ihn neckend. Dann komm doch mit, antwortet er, dann brauchen wir doppelt so lange. Beide lachen. Dann geht er auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an.

Auf dem Weg trifft er viele Menschen. Man kennt sich. Man lebt nebeneinander, man kennt die Familiengeschichten, man weiß, wer wann, wo und weshalb gescheitert ist, wer seinen Garten nicht gut genug pflegt, wer gerade krank ist und wer wechselnde Beziehungen hat. Aber man vermisst sich nicht, wenn einer fehlt.
Na, wie geht es heute? Was macht die Thrombose, immer noch so schlimm? Ist es schon wieder Einkaufszeit, ich muss mich aber sputen. Ihre Rosen sehen aber wieder hübsch aus, ich bin ganz neidisch, was ist denn ihr Geheimrezept? Wie geht es denn der Gattin? Letzte Woche habe ich ihre Tochter mit den beiden Kleinsten gesehen, sie sind Ihnen ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihre Frau habe ich länger nicht gesehen, sie ist doch nicht etwa krank? Wussten Sie schon, dass die junge Frau von gegenüber Krebs hat, ich habe das ja schon lange vermutet, sie sah immer so blass aus. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch. Und grüßen Sie mir die Familie recht herzlich.
Ach, dem Alter entsprechend, danke der Nachfrage. Die Beine, wissen Sie. Ich rede mit den Pflanzen, das ist ein bisschen verrückt, aber ich bin dadurch auch ein alter Baum geworden. Ich bin heute etwas früh dran, man mag es kaum glauben, aber mit dem Alter kommt auch die Zeit. Gut, danke. Gut, dass Sie das nur aus Höflichkeit sagen, ich will doch nicht, dass die armen Kinder das Gesicht ihres Opas bekommen, dafür muss schon die Oma herhalten. Die ruht sich heute etwas aus, eine kleine Erkältung wahrscheinlich, kein Grund zur Sorge. Ach nein, wirklich? Das ist ja schrecklich. Ihnen ebenso, danke, die richte ich natürlich aus. Auf Wiederschau‘n.

Der Supermarkt ist um die Ecke, aber seine Glieder schmerzen, als er die Sachen aus der Einkaufstasche herausnimmt. Er hat ein bisschen von allem gekauft und vor allem aber viel Gemüse, weil sie das mag und es gesund sein soll. Die letzten Tomaten sind schon in der Schale verschimmelt, weil er sie nicht aufgegessen hat. Er kann mit rohem Gemüse nichts anfangen.
Ich habe neue Tomaten besorgt, ruft er ins Wohnzimmer hinein, wo sie schon wieder in ihrem Sessel sitzt. Vor ihr liegt eine Zeitung.
Sehr gut, sagt sie. Sehr gut, aber dann musst du sie diesmal auch aufessen.

Nach dem Abendessen setzt er sich in den anderen Sessel und sie schauen zusammen das schlechte Abendprogramm im Fernsehen. Dann geht er ins Bett und wartet darauf, dass sie nachkommt und ihr Nachthemd nach irgendwelchen Blumen riecht, so wie jede Nacht.

Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist sie schon wach und nicht mehr im Schlafzimmer. Der Duft von Blumen ist auch verflogen. Er sieht sie im Wohnzimmer sitzen und gibt ihr einen Gutenmorgen-Kuss. Hast du dich heute schon gewaschen und rasiert?, fragt sie. Ja, sagt er, und du? Wenn nicht, dann tu das mal, sonst fängst du noch langsam an zu stinken. Sie lacht vor sich hin. Er auch.

Er kommt in die Küche und eine Tomate ist schon verschimmelt. Er lässt sie liegen. Dann müssen eben wieder neue gekauft werden.

Seine Tochter ruft an.
Na, wie geht es euch? Sind die Schmerzen erträglich? Komm Maxi, rede kurz mit Opa, ach er ist schon wieder nach draußen spielen. Wollt ihr nicht bald mal wieder zu Besuch kommen? Wie geht es Mama? Kann ich sie kurz sprechen? Achso, ja. Habt ihr auch von dem schrecklichen Gewitter gehört? Übrigens mir ist eingefallen, was wir Klara zur Hochzeit schenken könnten. Maxi, lass das, das sollst du nicht tun. Wo war ich? Achso. Stimmt. Sie wünscht sich doch so sehr etwas Neues für die Küche, da hab ich mir gedacht... Maxi, hör sofort damit auf. Du Papa, ich rufe später nochmal an, ich muss mich jetzt um Maxi kümmern. Küss Mama von mir, bis später.
Ach ja, es ist in Ordnung. Die Schmerzen sind auch erträglich. Ach der Lausebengel. Gib ihm ein Eis von mir aus, ja? Ja gerne, vielleicht in ein paar Wochen, ich muss mich noch darum kümmern, dass die Rose gedeihen. Sie hat eine leichte Erkältung, aber nichts Ernstes. Nein, sie hält gerade ein kleines Schläfchen. Oh ja, das haben wir in den Nachrichten gesehen, sehr schlimm. Du hattest gerade von Klara gesprochen. In Ordnung, grüß die anderen von mir.
Im Wohnzimmer erzählt er ihr, dass die Tochter angerufen hat. Maxi ist genauso frech und ungezogen wie sie es damals alle waren, sagt er und sie lächeln beide und denken an frühere Zeiten, als man selbst noch jung war.

Sie sitzen sich gegenüber.
Du bist so blass geworden, sagt er. Und: Alle Tomaten sind verschimmelt, ich dachte, du kümmerst dich darum.

Das Fenster ist geöffnet und in das Zimmer weht ein kalter Wind hinein, der die Baumkronen vor dem Fenster rauschen lässt. Er steht am Fenster und lässt seine roten Wangen abkühlen.
Sie sitzt in ihrem Lieblingssessel und rührt sich kaum. Er muss jetzt in den Supermarkt gehen. In deinem Tempo brauchst du eine Weile, denkt er im Stillen. Am liebsten hätte er es, wenn sie mitkäme. Er geht auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an. So als könnten sie keinerlei Last mehr tragen.
Die letzten Tomaten sind in der Schale verschimmelt, weil er mit rohem Gemüse nichts anfangen kann. Ich habe neue Tomaten besorgt, ruft er ihr zu. Die Zeitung vor ihr ist schon einige Tage alt. Sehr gut, hört er sie rufen. Sehr gut, aber dann musst du sie auch aufessen. Ich kann nichts damit anfangen, das weißt du doch, antwortet er. Warum hast du sie dann gekauft?, hört er sie berechtigterweise fragen.

Nach dem Abendessen setzt er sich in den Sessel neben sie und sie schauen zusammen das schlechte Abendprogramm im Fernsehen. Dann geht er ins Bett und wartet darauf, dass sie nachkommt und ihr Nachthemd nach irgendwelchen Blumen riecht, so wie jede Nacht, nur nicht die letzten paar.

Als er wieder in die Küche kommt, sind alle Tomaten verschimmelt.
Gewaschen hat sie sich wohl auch nicht.

Im Wohnzimmer erzählt er ihr, dass die Tochter angerufen hat. Maxi ist genauso frech und ungezogen wie sie es damals alle waren, sagt er und lächelt wehmütig, während er an frühere Zeiten denkt, als in ihren Augen noch das Leben zu sehen war.

Das Fenster ist geöffnet und in das ohnehin schon kalte Zimmer weht ein eiskalter Wind hinein, der die Baumkronen vor dem Fenster unfreundlich rauschen lässt. Er steht am Fenster und weint bitterlich, bevor er sich umdreht, ihre Augen schließt, ihr einen Kuss gibt und im Supermarkt Tomaten kaufen geht.

 

Hallo cloudburst,

formal gehst Du an die Grenzen, was bei den monologisierten Dialogen ein interessantes und diesem Text zuträgliches Stilmittel ist, während die eingesparten Anführungszeichen mir zu grenzwertig sind, da es, gerade in eingeschobener WR, zu unschönen Syntaxkonstrukten kommt, wie etwa Komma nach Fragezeichen, zudem verschwimmen dadurch die Sprach- und die Gedankenwelt, was dem Text wiederum nicht zuträglich ist. Zumal der Text auch mit diesem Konsens in Bezug auf die wörtliche Rede nicht an Intensität verlöre.

Dennoch finde ich Deine Geschichte sehr eindringlich, die Symbolkraft der verschiedenen Perspektiven, der Verfall der Menschen wie der Tomaten, die unterschiedlichen Generationen mit ihren verschiedenen Tempi und Prioritäten, all das mischt sich zu einer sehr intensiven Geschichte. Zudem bleibst Du oft unkonkret, so als ob der Fokus nicht scharf genug gestellt ist, was auf der Metaebene schon wieder symbolisch ist für das Alter und was mir daher und in diesem Fall ebenfalls sehr gefällt.

Mir gefällt der leise, ruhige Erzählton sehr, das alltägliche, gelassene, liebevolle in den Bildern. Schön erzählt, ohne Längen, ohne Effekthascherei (von dem bitterlichen abgesehen),eine schöne, traurige, nein, melancholische Geschichte.

Dann geht er auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an.
diesen queren Bezug hast du 2x drin, die Reihenfolge stimmt nicht, denn wenn er bereits einkaufen geht, dann hat er sich vorher aufgerichtet, sonst würde er wohl einkaufen kriechen oder robben
Warum hast du sie dann gekauft?, hört er sie berechtigterweise fragen.
der Bezug ist falsch, er hört sie ja nicht berechtigterweise, sie fragt berechtigterweise
Er geht auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an.
hier ist der zweite Satz mit dem queren Bezug (erst einkaufen, dann aufrichten), doch ich ziehe ihn deswegen nochmal extra raus, weil das "gehen" doppelt ist und vermeidbar
Er steht am Fenster und weint bitterlich,
das bitterlich ist ein zu schwaches, weil zu oft verwendetes Bild, ohne dieses Adjektiv würde der Satz eindringlicher wirken können

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo cloudburst,

deine Geschichte funktioniert bei mir vor allem über die Stimmung, die du aufbaust, und die immer wiederkehrenden Bilder - die Tomaten, der Wind, die Bäume. Deine Art, die Gespräche ablaufen zu lassen, hat etwas für sich - übertreiben darf man es damit sicher nicht, aber in diesem Rahmen passt es. Ich mag deinen alten Protagonisten.

Ein wenig Textkram habe ich gefunden, was du ausbügeln könntest:


Das Fenster ist geöffnet und in das warme Zimmer weht ein leichter Wind hinein, der die Baumkronen vor dem Fenster rauschen lässt.

Die Atmosphäre hier ist schön, die Bezüge finde ich ein wenig schräg (es klingt, als ob der Wind aus dem Zimmer heraus die Baumkronen rauschen lässt, und zweimal Fenster ist auch nicht so schön.) Ich würde evtl. mit dem leichten Wind anfangen. Etwa:

Ein leichter Wind lässt die Baumkronen rauschen und weht durchs geöffnete Fenster in das warme Zimmer hinein.

Er steht am Fenster und lässt seine wenigen Haare durchwehen.

Er? Der Wind? Ich weiß, dass der es nicht sein kann, komme aber ins Stolpern beim Lesen. „Der alte Mann“ könntest du sagen, wobei das natürlich auch nicht so schön ist.
Vielleicht fällt dir auch noch etwas ein, wie du die Wortwiederholung „wehen“ vermeiden kannst. Zumal das Wort kurz darauf schon wieder fällt.

Dann geht er auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an.

Ich würde das „dann“ am Satzanfang wegnehmen. Einfach: „Er geht auf sie zu.“ Außerdem klingt es ein bisschen, als ginge er einkaufen und richte sich erst anschließend wieder auf.
was ist denn ihr Geheimrezept?

Ihr Geheimrezept
Er geht auf sie zu, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und geht einkaufen. Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder aufrichtet und seine Beine fühlen sich schwach an.

Das Gleiche wie vorhin – ich sehe gerade, dass C. Seltsem das auch schon angemerkt hat.

Er steht am Fenster und weint bitterlich

Auch hier würde ich mich C. Seltsem anschließen: Ohne das „bitterlich“ wirkt dieser Satz auf mich stärker.

Insgesamt gerne gelesen - ruhig, stimmungsvoll und traurig.

Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

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