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Am Bordstein.
Am Bordstein
Schwache Nebelwatte umkränzte die Laternen, deren Lichter sich in den Pfützen der Gosse spiegelten. Der Lärm der Hauptstraße drang nur gedämpft herein. Hier wirkte die Nacht dunkler.
Er ließ den Wagen langsam rollen und suchte. Die Frauen standen zu zweit oder einzeln. Enge, kurze Röcke, aufreizend knappe Blusen mit tiefem Dekolletee. Grell geschminkte Gesichter, einige jung und schön, andere älter, müde, hoffnungslos.
Sie lächelten ihn an, winkten, forderten ihn auf, manche mit obszönen Gesten.
Er suchte ein bestimmtes Gesicht, hoffte es zu finden und hatte doch Angst davor.
Aber sie war nicht da.
Am Ende der Straße erkannte er den protzigen Sportwagen. Der Mann mit den breiten Schultern und den langen Haaren schickte sich an, einzusteigen, als er neben ihm hielt.
„Wo ist sie?“ fragte er durch das geöffnete Fenster, und hielt sich beim Aussteigen an der offenen Tür fest, um das Zittern unter Kontrolle zu bekommen.
Die breiten Schultern wandten sich ihm zu. Aus einem narbigen Gesicht musterten ihn dunkle, kalte Augen. Es dauerte eine Weile bis der Mann antwortete. Sein Mund verzog sich dabei zu einem höhnischen Grinsen.
„Vielleicht ist sie morgen wieder im Geschäft. Kann aber auch erst übermorgen sein.“ Das Grinsen wurde breiter und provozierender. „Sie ist ein wenig zickig. Ich musste ihr zeigen, wo es lang geht.“
„Sie haben sie geschlagen!“ ,schrie der andere. Wie ein tosendes Feuer brannte die Ausweglosigkeit in ihm. Wut und grenzenlose Angst trieben Tränen hervor, die ihm für einen Moment die klare Sicht nahmen.
Der Mann kam näher. Mit gespielter Vertrautheit raunte er: „Für dreißigtausend kannst du sie mitnehmen. Obwohl… Sie ist gut, sagen wir also vierzigtausend.“ Dabei lachte er laut.
„Sie werden sie freigeben!“ Die Verzweiflung ließ ihn vorstürmen und den Mann mit aller Kraft packen.
Dann krümmte ihn die Explosion im Magen. Der nächste Schlag warf seinen Kopf zurück, die Beine verloren ihre Kraft und er sackte auf das nasse Pflaster.
„Du kleiner Wichser hältst dich aus meinen Geschäften raus!“
Ein gewaltiger Tritt traf ihn in die Seite. Für den Bruchteil einer Sekunde schlug die Bewusstlosigkeit über ihm zusammen, um gleich darauf eine neue Schmerzwelle durch seinen Körper zu schicken.
Er lag da, unfähig sich zu rühren, hörte den starken Motor aufbrüllen, das Geräusch drehender Räder und fühlte dann die gewaltige Pein, als ein Reifen langsam über seine ausgestreckte Hand rollte.
Es war still. Jedes Ticken der Küchenuhr klang wie ein Hammerschlag durch die bleierne Ruhe. Er saß in sich zusammengesunken am Tisch und hielt mit der unversehrten rechten Hand eine Tasse umschlossen. Sein Atem ging flach und ruhig, hin und wieder unterbrochen, wenn durch eine unachtsame Bewegung der Schmerz brennend aufloderte.
Die Frau ihm gegenüber hielt ein Tuch in ihren Händen, mit dem sie sich immer wieder über die Augen wischte. Ihr Blick ruhte unverwandt auf ihm, als erwartete sie jeden Moment eine Antwort auf die Frage, die sie so schmerzlich beschäftigte.
Leise wurde die Tür aufgeschoben und eine alte Frau schlurfte herein. Schwer auf ihren Stock gestützt, hielt sie einen Moment inne, wankte dann zum Herd, nahm sich vom dampfenden Kaffee und ließ sich auf einem freien Stuhl nieder.
„Es muss etwas geschehen“, sagte sie leise. Ihre faltigen Finger führten die Tasse zum Mund.
„Sie ist doch euer Kind.“
Für einen Moment war da wieder diese Ruhe, die alles noch schlimmer machte. Dann stand der Mann auf. Als der Schmerz kam presste er eine Hand an seine Seite und nickte stumm. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Küche. Im Haus waren seine Schritte zu hören, quietschende Schranktüren und nach wenigen Augenblicken stand er wieder vor dem Tisch in der Küche.
Die beiden Frauen schauten auf und erkannten in seinem Gesicht eine tiefe Resignation gepaart mit kalter Entschlossenheit. „Ich weiß mir keinen anderen Rat mehr.“
Wortlos nahm er wieder Platz und legte den Revolver vor sich auf den Tisch.
Das vergehende Abendrot glomm schwach hinter den Fabikgebäuden und vermochte der Straße sogar einen Hauch von Atmosphäre zu geben.
Unter den Laternen standen zu so früher Stunde erst wenige Frauen. Trotzdem hielten am Bordstein bereits zwei Autos, an denen um Leistungen und Preise gefeilscht wurde.
Von der Kreuzung her bog ein bulliger Sportwagen in die Straße ein, fuhr bis zum Ende durch und hielt dort. Ein breitschultriger Mann stieg aus. Während er den Wagen umrundete, strich er sich eitel übers lange Haar. Seine schwere Goldkette blinkte im Schein der nahen Laterne. Dann öffnete er die Beifahrertür und zerrte eine junge Frau vom Sitz. Grob packte er ihren Arm und zog sie mit sich zu zwei der Frauen, die am Straßenrand standen. Nach wenigen Worten ließ er sie in deren Obhut. Stumm schauten sie ihm nach, wie er zu seinem Wagen zurückkehrte.
Als er gerade wieder einsteigen wollte, hielt er inne. Etwas in der nahen Fabrikeinfahrt weckte seine Aufmerksamkeit. Mit schweren Schritten trat er näher und baute sich provozierend auf. Breitbeinig stand er da. Deutlich war das Muskelspiel unter seinem Hemd zu erkennen. Voller Neugierde versuchten die Frauen zu sehn, was da vor sich ging. Worte wurden gewechselt, die sie nur als entferntes Raunen vernahmen. In der Toreinfahrt schien sich ein Schatten zu bewegen. Dann lachte der Mann brüllend auf, bis ein lauter Knall seine Häme zerriss.
Das Echo von fünf weiteren Schüssen hallte schier endlos zwischen den Häuserwänden wider.
Dann war Stille.
Der Mann stand bewegungslos und aufrecht da. Die Ungläubigkeit in seinen Zügen wurde zu Entsetzen. Seine Beine knickten ein, er stürzte und bald zog ein rotes Rinnsal in die Gosse.
Während die alte Frau sich abwandte und in der engen Durchfahrt verschwand, verstaute sie mit zitternden Händen die Waffe in ihrer Tasche. Das Schlurfen ihrer Schritte und das Stampfen ihres Stockes verklang in lauten Rufen und Schreien von der Straße her.