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Am Ende bleibt der Wind
Albrecht führte den Rotmarder-Pinsel langsam über das Aquarellpapier und tupfte zartes Gelb auf einen grünen Hügel, während der Klapphocker ein Stück im Boden des Geestrückens versank. Eine große Wolke verdeckte das Sonnenlicht, das eben noch die Gräser glänzen ließ. Der Dackel Paul erhob den Kopf von der blau-rot-karierten Decke neben der Staffelei, biss in den Zweig eines Heidekrauts, den der aufkommende Wind gegen seine Schnauze drückte, und spitzte die Ohren, als er das Tuckern eines alten Traktors hörte. Es dauerte nicht lange, da schob sich der Claas ins Bild, dessen hellgrüne Farbe nur noch an wenigen Stellen leuchtete.
»Moin! Na, wieder am Klecksen?«, rief Walther grinsend durchs Fenster der Fahrerkabine.
»Moin, moin. Ich male für meine erste Vernissage!«, rief Albrecht gegen den Wind, die Hand mit dem Pinsel in der Luft.
»Vernissage? Wo?«
»In der Sparkasse!«
»Wen hast’n da bestochen?!«
»Es gibt eben Leute, die etwas von Kunst verstehen!«
»In der Sparkasse?«
Ein Regentropfen fiel aufs Bild, mitten in den Himmel, und das Ultramarinblau blühte aus.
»Mist!«
»Komm rauf. Ich nehm’ dich mit.«
Albrecht packte die Malutensilien ein. Mit einer Handbewegung scheuchte er Paul von der Decke, um sie zusammenzulegen. Ächzend kniete er sich hin und Paul kläffte, als er auf den Arm sprang. Walther streckte Albrecht seine Pranke entgegen, die Haut rau wie alte Eichenrinde. Der Traktor setzte sich in Bewegung. Böen fegten durchs Gras, peitschten Regentropfen gegen die Windschutzscheibe. Die Pfützen des Watts spiegelten das Grau des Himmels wider und in der Ferne trieben Schaumkronen auf den Wellen. Nach kurzer Fahrt bog der Traktor in die Hofeinfahrt zwischen Kuhstall und Wohnhaus ein. Walther lenkte das Gefährt mit Schwung in die Gerätescheune am anderen Ende des Hofes.
»Na, nimmst noch nen kleinen Küstennebel?«, fragte Walther und hielt Albrecht Ölzeug entgegen.
»Einen, vielleicht.«
Der Regen klatschte gegen das Ölzeug, als sie über den Hof liefen. Paul steckte seine Nase tief in die Decke, in die Albrecht ihn gewickelt hatte.
»Schau mal, was für ein Strandgut ich gefunden habe!«, rief Walther, kaum, dass er die Tür geöffnet hatte.
Annemarie hängte Albrechts Ölzeug auf. »Moin Albrecht! Komm rein, wie geht’s?«
»Moin«, brummte Albrecht, zog die Stiefel aus, wickelte Paul aus der Decke und setzte den Dackel behutsam auf den Boden.
»Albrecht ist sauer,«, sagte Walther, »weil der Regen sein Bild versaut hat. Er hat nämlich eine Vernissage! Hätte ich ja nie geglaubt!«
»Weil du nichts von Malerei verstehst«, sagte Annemarie.
»Für mich ist er immer noch ein Schuldirektor und kein Maler!«, sagte Walther. »Komm, Albrecht! Lass uns einen trinken!« Er legte die Hand auf Albrechts Rücken und schob ihn in Richtung Küche, die mit Zwiebelgeruch erfüllt war. Paul lief schnüffelnd voraus.
»Setz dich«, sagte Annemarie. »Hab dich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Kommt Ihr zwei zurecht?«
»Jaja, sind ja schon groß!« Albrecht tätschelte Paul, der eingerollt auf dem Schoß lag.
»Ach, Albrecht packt das schon«, sagte Walther, der zwei Schnapsgläser hinstellte und sie mit Küstennebel füllte. Anisduft stieg auf.
»Mir wäre das zu einsam«, sagte Annemarie.
Walther leerte sein Glas in einem Zug: »Bist ja auch ein Stadtkind!«
»Und da will ich auch wieder hin«, antwortete Annemarie, drehte sich um und sagte mit steinerner Miene: »Wir werden alles verkaufen!«
Albrecht verschluckte sich und hustete: »Wie?«
»Na, alles. Und dann gehen wir in die Stadt«, sagte Annemarie.
Walther füllte die Gläser, danach starrte er auf seine Hände.
»Du willst das Haus deiner Urgroßeltern verkaufen?«, fragte Albrecht kopfschüttelnd.
»Was hilft’s«, antwortete Walther und knetete seine Finger. »Annemarie wollte schon immer in die Stadt. Aber viel schlimmer ist das mit dem Windpark.«
»Windpark? Was für ein Windpark?«, fragte Albrecht.
»Seit deine Erika weg ist, bekommst du aber auch gar nichts mehr mit«, sagte Annemarie. »Die bauen einen Windpark.«
»Wo?«
»Na hier.«
»Etwa hier?« Albrecht streckte die Hände in Richtung Fenster.
»Ja, hier. Direkt vor unserer Tür. Und damit auch vor deiner Tür.«
Albrecht kippte den Schnaps hinunter. »Spinnt der jetzt völlig, der Günther?!«
Walther schraubte die Küstennebelflasche auf und füllte nach.
»Der Scheißkerl! Erst Erika und jetzt das. Windpark. Wisst Ihr, was das bedeutet?«, sagte Albrecht. Er kniff die Augen zusammen, als der Schnaps die Kehle herunterlief.
»Das macht der Bürgermeister doch nicht, um dich zu ärgern«, sagte Annemarie in sanftem Tonfall.
»Ach, was weißt du schon!«, rief Albrecht. »Bist nicht von hier! Weißt gar nichts!«
»Albrecht, jetzt ist gut«, sagte Walther, während er die Gläser so füllte, dass der Schnaps überschwappte. Er lachte: »Albrecht hat Günthers Tochter durchs Abi rasseln lassen, vor ewigen Zeiten und ...«
»Das lass ich mir nicht gefallen!«, schrie Albrecht. Er kippte den Schnaps mit Schwung runter. Ein Tropfen lief am Kinn entlang.
Albrecht packte Paul, der zusammenzuckte. Der Stuhl knarzte, als er aufstand. Annemarie schraubte die Schnapsflasche zu.
»Ich bring dich«, sagte Walther.
»Danke. Ich lauf.«
Albrecht bog an der Kreuzung in den Feldweg nach Hause. Den alten Bauernhof bewohnte er in der vierten Generation. Der Wind trug den Duft nach Heidekraut, Moos, feuchter Erde und salzigem Meer heran. Er atmete tief ein. Auf dem Weg blieb er an der Parkbank stehen. Sein Großvater hatte sie an der Grenze zum Grundstück aufgestellt. Die braune Farbe war stellenweise abgeblättert und die Zeit hatte tiefe Furchen ins Holz gegraben, in denen graublaue Flechten wuchsen. Er setzte sich. Sein Blick schweifte in die Ferne, wanderte am Horizont entlang. Nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf und pfiff. Pauls Kopf tauchte zwischen Heidekraut und Gräsern auf.
»Windpark. Was soll ich dann malen?«, fragte Albrecht Paul, der jetzt vor ihm saß und an Albrechts Hand leckte. »Komm!«
Vor der Tür blieb Albrecht stehen, um den Briefkasten zu öffnen. Er blätterte durch den Stapel Briefumschläge, während er die Stiefel auszog. Ein gelber Zettel lugte zwischen den Rechnungen hervor. Er begann ihn zu zerknüllen, bis er die Wörter »Windpark« und »Bürgerversammlung« erspähte.
Im Esszimmer stellte er Paul etwas zu Fressen hin. Den gelben Zettel legte er vor sich auf die eichene Tischplatte, zwischen Brotkrümeln und klebrigen Bierresten. Seine Augen wanderten zur Anrichte, auf der früher die Bilder gestanden hatten, von ihm und Erika, und wo jetzt nur noch eine Staubschicht lag. Paul schlabberte Wasser aus dem Napf. Albrecht sah aus dem Fenster, zur alten Scheune, in der noch sein Vater Heu gelagert hatte und dann zurück zur Anrichte, die vom Großvater stammte und die Erika so sehr liebte, dass sie das Möbelstück beim Auszug mitnehmen wollte. Das Geschirr mit dem Friesenmuster stand noch genau so, wie es Erika drapiert hatte. Nur die Goldrandplatte fehlte. Erika hatte ihm erzählt, dass sie zu Günther ziehen wollte, da hat er vor Wut das Porzellan gegen die Wand geworfen. Ausgerechnet das einzige Stück Erinnerung an Erikas Mutter. Am selben Abend hatte sie das Haus verlassen. Albrecht strich über den gelben Zettel. Dann holte er das Telefon und wählte Walthers Nummer.
»Wir gehen zur Bürgerversammlung und verhindern den Windpark!«
»Wie willst du das denn machen?«
»Die meisten sind doch unsere Freunde und Nachbarn. Die wollen auch keinen Windpark.«
»Also deine Freunde kannst du nicht meinen.«
»Aber deine.«
»Die sind alle auf der anderen Seite vom Dorf. Weit weg vom Windpark.«
»Willst du dir etwa das Ding kampflos vor die Nase setzen lassen?«
»Weiß nicht.«
»Walther. Das ist deine Heimat, dein Zuhause. Lass dir das nicht kaputtmachen!«
»Schon.«
»Außerdem ist dein Hof nichts mehr wert, wenn der Windpark kommt. Und dann kannst du das vergessen mit dem Verkauf. Sag das Annemarie. Dann könnt Ihr im Einzimmerappartement hocken, wenn der kommt, der Scheißpark.«
»Albrecht, deine Ausdrucksweise!« Walther lachte.
»Sehr witzig.«
»Aber du hast schon recht. Wenn der Windpark kommt, kauft den Hof kein Mensch. Wer will schon Schlagschatten, Infraschall und den ganzen Mist.«
»Also, gehen wir gemeinsam dahin!«
Der Gemeindesaal war fast voll, als Albrecht durch die Tür schritt. Er hatte einen dunkelblauen Anzug an, der am Bauch spannte. Albrecht atmete tief ein, sog den Duft von Bohnerwachs in die Lungen, streckte die Brust raus und setzte seine Schülerschreck-Miene auf, mit der er früher durch das Schulhaus marschiert war. Er nickte den Leuten zu, während er sich an den Stuhlreihen vorbei zu Walther schob, der mit Annemarie am Rand stand. Sie begrüßte ihn nur mit einem knappen Moin.
»Ah, da ist er ja der Schuldirektor«, sagte Walther. »Wo setzen wir uns hin?«
»Albrecht«, sagte Günther, der Bürgermeister, hinter ihnen, »was willst du denn hier?«
Albrecht streckte den Rücken durch, während er sich herumdrehte. Er machte einen Schritt auf Günther zu, sodass dieser den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm hochzublicken. Walther stellte sich so dicht neben Günther, dass seine Schulter gegen Günthers Ohr stieß.
»Ich bin hier, um deinen Windpark zu verhindern!«, sagte Albrecht.
»Na dann, viel Spaß«, lachte Günther, wandte sich ab und stolzierte nach vorne zu der Tischreihe am Ende des Saals. Dort angekommen setzte er sich in die Mitte, an den Platz, wo ein kleines Schild mit dem Wort »Bürgermeister« stand. Nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte, lächelte er in die Menschenmenge vor ihm.
Günther eröffnete die Versammlung, erzählte etwas vom Planungsstand und auch darüber, wie dringend die Gemeinde das Geld benötigte, welche Vorteile sich er und der neben ihm sitzende Gemeinderat erhofften und dass der Windpark ja weit genug weg vom Dorf sei und daher praktisch niemand dadurch beeinträchtigt werde. Das war das Stichwort und Albrecht stand auf:
»Natürlich werden wir beeinträchtigt. Wir wohnen schließlich direkt daneben.« Albrecht zog an Walther, sodass der auch aufstand.
»Ja, da sind tatsächlich zwei alte Bauernhöfe, die direkt an den Windpark angrenzen«, sagte Günther. »Diese sind nicht mehr bewirtschaftet und die einzigen, die direkt von dem Windpark betroffen sind. Natürlich gibt es eine entsprechende Entschädigung, falls ein Schaden entstehen sollte.«
»Meine Familie wohnt dort seit Generationen. Man kann mir doch nicht einfach so einen Windpark vor die Nase setzen! Ich lasse mich nicht vertreiben! Meine Heimat vernichten! Unsere Landschaft verschandeln!«
Die Menschen im Saal murmelten, einige nickten.
»Wollt ihr das? Überall die Windräder? Schlagschatten? Surren von den Generatoren? Infraschall?« Albrecht ließ seinen Blick über die Menschen wandern.
»Das mit dem Infraschall ist nicht erwiesen«, sagte Günther. »Und den Schlagschatten sieht niemand, das haben wir berechnet.«
»Aber wir wollen doch nicht die Identität unseres schönen Dorfes zerstören; jahrhundertealte Traditionen und die Aussicht. Wie sieht das denn aus? Überall diese Windräder!«
»Hier ist so viel Platz«, sagte Günther, »und gehören die Windräder nicht mittlerweile sogar zu unserer Identität? Zu unserem Landschaftsbild? Aber abgesehen davon. Wir haben sonst keine großen Einnahmen und mit dem Windpark können wir endlich die Straßen reparieren.«
»Ja«, rief einer aus der Menge, »ich hatte letztens einen Achsenbruch wegen der Schlaglöcher!«
»Außerdem braucht der Windpark einen Internetanschluss«, sagte Günther, »und ich habe dem Betreiber das Versprechen abgerungen, dass wir das Glasfaserkabel für den Windpark auch benutzen können! Das heißt schnelles Internet für alle!«
Ein aufgeregtes Raunen füllte den Raum.
Albrecht schüttelte den Kopf. Er stupste Walther in die Seite.
»Es kann doch nicht sein, dass Internet wichtiger ist als die Natur!«, rief Albrecht.
»Wir benutzen nur eine relativ kleine Fläche, um damit die Zukunft unseres Dorfes zu sichern«, sagte Günther und dann rief er: »Die Zukunft für unsere Kinder. Denn ohne Internet sind wir hier abgehängt. Und das ist die einzige Chance, es zu bekommen! Diese Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen!« Beim letzten Satz haute er auf den Tisch, dass die Gläser klirrten.
Die Leute klatschten.
»Also, wer für den Windpark ist«, fuhr Günter fort, »der hebe hier und jetzt die Hand!« Alle im Saal hoben die Hand, bis auf Walther, der auf die Spitzen seiner Gummistiefel starrte, und Albrecht, der sich mit hängenden Schultern auf seinen Stuhl fallen ließ. Annemarie schaute aus dem Fenster und zuckte erschrocken, als Walther gegen ihren Fuß trat.
Nach dem Ende der Versammlung ging Albrecht kopfschüttelnd nach draußen: »Internet für alle!«
»Du musst eben mit der Zeit gehen«, sagte Annemarie.
»Mit der Zeit? Quatsch. Zu einem Anwalt muss ich gehen!«, rief Albrecht, während er seinen weinroten Mercedes öffnete, in dessen Heckscheibe ein ausgeblichener Aufkleber »Atomkraft? Nein danke« prangte, der sich stellenweise gelöst hatte.
Als Albrecht vom Termin in der Kanzlei nach Hause kam, sprang Paul schwanzwedelnd an den Beinen hoch und schnappte sich den Kalbsknochen, den Albrecht auf dem Heimweg beim Metzger besorgt hatte.
»Wir bleiben hier«, sagte Albrecht und setzte sich neben den Dackel. Die Finger glitten zärtlich über seinen Kopf. Nur das Nagen am Knochen unterbrach die Totenstille.
Albrecht und Walther saßen auf der Bank vor Albrechts Haus. Die Sonne schien ins Gesicht und ließ den Küstennebel in den Gläsern glitzern. Vor ihnen, auf dem nassen Kiesboden, lag ein Brief von Herrn Dr. Müller.
»Klage abgewiesen«, sagte Albrecht, nahm einen Schluck und trat auf den Umschlag.
»War doch zu erwarten«, antwortete Walther.
»Was hilft der ganze Rechtsstaat, wenn es keine Gerechtigkeit gibt?«
Paul sprang über den Hof. Eine Möwe flog davon.
»Gerechtigkeit gibt es nur für die Reichen«, sagte Walther. Er leerte das Schnapsglas in einem Zug. »War schon immer so!«
»Und. Ziehst jetzt weg?«, fragte Albrecht.
»Hat doch keinen Sinn.«
»Aber du und in der Stadt leben? Das ist doch nichts für dich.«
Walther drehte das Schnapsglas in den Fingern und ließ einen Tropfen der klaren Flüssigkeit hin- und herrollen.
»Womöglich in einer Wohnanlage, mit lauter Menschen um dich rum. Die gehen dir doch auf den Senkel.«
»Ja. Und wie. Aber der Park wird kommen.«
Walther zeigte nach links. Ein silbergrauer Range Rover näherte sich schnell auf dem Feldweg, bog in die Hofeinfahrt und blieb mit scharfer Bremsung stehen, sodass Kiessteine durch die Luft flogen. Paul sprang auf das Auto zu. Er bellte, als die Fahrertür aufging.
»Hier!«, rief Günther, ein Stück Papier in der Hand, »Jetzt hast du es schriftlich, du sturer Bock! Ich wusste es doch. Du kannst nicht gewinnen. Nicht gegen die Zukunft und schon dreimal nicht gegen mich!«
»Ich bin schon informiert!«, sagte Albrecht. »Die Fahrt hättest dir sparen können!«
»Ich überbringe dir noch eine andere Nachricht!«, rief Günther, der immer noch hinterm Auto stand. »Deine Vernissage findet nicht statt!« Er grinste und stierte zu Albrecht herüber, der reglos auf der Bank saß.
»Hast du gehört?«, fragte Günther nach.
Albrecht drückte plötzlich Walther das Schnapsglas in die Hand, sprang auf und griff nach dem Reisigbesen neben der Bank.
»Siehst du das?«, sagte er in Richtung von Walther und zeigte auf Günther. »Da ist ein riesiger Dreckhaufen! Mitten im Hof! Da muss ich mal kehren!«
Albrecht stampfte los. Günther sprang ins Auto. Er zuckte zusammen, als der Reisigbesen auf das Autodach niedersauste. Der Motor heulte auf. Paul blieb stehen und bellte. Der Reisigbesen landete ein weiteres Mal auf dem Autodach. Der Rover machte einen Satz nach vorne und stoppte abrupt. Paul winselte jämmerlich. Albrecht ließ den Besen fallen, sank auf die Knie, hielt die Hände vors Gesicht und brachte nur ein kehliges, abgeschnürtes Nein heraus. Nach einer kleinen Ewigkeit kam Walther angelaufen und kroch unters Auto. Er zog ein Bündel aus Fell und Blut hervor. Albrecht schluchzte, während das Blut von Walthers Fingern tropfte, und krümmte sich nach vorne, den Kopf zwischen den Händen vergraben.
Nach einem langen, nasskalten Winter mit vielen Stürmen stand Albrecht am Zaun seines Gemüsegartens, neben dem Tor, dort, wo ein kleines Steingrab an Paul erinnerte. Er beobachtete, wie die ersten Bagger zum Grundstück des geplanten Windparks fuhren. Eine Faust ballte sich in der Tasche. Er trat gegen den Zaun, so heftig, dass sich ein Brett löste. Er marschierte los, bog auf den Feldweg zu Walthers Hof, vorbei an den Resten der Parkbank, die eine Woche zuvor ein LKW auf dem Weg zur Baustelle des Windparks umgefahren hatte, wobei er keinen Blick darauf verschwendete, sondern nur auf den braunen Kies vor sich starrte. Nach einer Weile hallten seine Schritte in Walthers Hofeinfahrt.
Annemarie öffnete die Tür: »Moin Albrecht. Na, was gibt’s so früh?«
»Wo ist Walther?«
»Der ist beim Frühstück. Komm rein.«
Albrecht schlüpfte aus den Stiefeln und steuerte in die Küche, wo Walther gerade an einer Tasse Kaffee nippte.
»Albrecht, was willst du um die Zeit hier?«
»Es geht los! Die Bagger kommen. Wir müssen was tun. Jetzt! Sofort!«
»Albrecht ...«
»Du bist mir das schuldig!« Albrecht setzte sich neben Walther und legte seine rechte Hand auf Walthers linken Arm, um ihn am Kaffeetrinken zu hindern.
»Nichts ist er dir schuldig«, sagte Annemarie.
»Was weißt du schon?«, antwortete Albrecht.
»Was soll das heißen?«, fragte Annemarie. Sie setzte sich gegenüber an den Tisch. »Wieder so ein altes Dorfgeheimnis?«
»Quatsch«, sagte Walther.
»Vielleicht will Walther es dir selbst erzählen?«, sagte Albrecht. »Hast du einen Kaffee?«
Annemarie holte eine Tasse, füllte sie mit frischem Kaffee. Beim Hinstellen schwappte Flüssigkeit heraus. Albrecht tippte mit dem Zeigefinger in die Kaffeepfütze und malte kleine Kringel.
»Was soll er erzählen?«, fragte Annemarie, die Walther tief in die Augen sah.
»Albrecht hat mir mal den Arsch gerettet«, sagte Walther.
»Kannst du mal Butter bei die Fische geben?«, sagte Annemarie so laut, dass Albrecht zusammenzuckte.
»Wir waren jung, dumm und betrunken«, fing Walther an.
»Ja, blabla«, antwortete Albrecht. »Lange Rede kurzer Sinn: Walther ist im Winter betrunken in die Scheune vom Bertram gerast. Ich war dabei, habe gesagt, dass es rutschig und neblig war und der Walther nichts dafür konnte. Deswegen hat der Bertram auch nicht die Polizei geholt. Und deswegen schuldet er mir was!«
»Was hast du vor?«, fragte Walther, während er sich mit der Hand am Kopf kratzte.
»Ihr mit euren Geschichten«, sagte Annemarie. »Ich hab es so satt, diese Geschichten.« Sie knüllte das Geschirrhandtuch zusammen, das sie geholt hatte, um den Kaffee aufzuwischen, und schmiss es ans Tischende.
»Wir blockieren die Straße«, sagte Albrecht. »Du mit deinem Traktor und ich mit meinem Auto. Und dann ketten wir uns an die Fahrzeuge. Wir machen einen Streik. Dann kommt die Zeitung und ...«
»Als ob sich die Presse für euch alte Säcke interessiert«, lachte Annemarie.
»Was soll das bringen?«, fragte Walther, die Hände hebend.
»Aufmerksamkeit. Und Zeit. Und Zeit kostet den lieben Günther Geld. Viel Geld.«
»Wie kommst du da drauf?«, fragte Walther.
»Erika hat es mir erzählt, als sie vorbeikam wegen Paul. Weißt schon, um sich für den Drecksack Günther zu entschuldigen.«
»Was hat sie erzählt?«
»Dass der Günther beteiligt ist am Windpark, als Investor, hat einen Haufen Anteilsscheine gekauft und dafür einen Kredit aufgenommen hat. Einen hohen Kredit. Und er muss Zinsen zahlen.«
»Glaubst du wirklich, die paar Zinsen stören ihn?«, fragte Walther.
»Hast du eine bessere Idee? Außerdem, du ...«
»Ja, ich schulde dir was«, vollendete Walther den Satz. Er stand auf und trug seine Tasse zur Spüle. »Na gut, ich ...«
»Das ist nicht dein Ernst!«, rief Annemarie. »Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen?«
Die Kiesstraße war übersät mit Schlaglöchern. Es fing an zu regnen. Der Scheibenwischer erzeugte einen dichten, braunen Schmierfilm. Auf dem Beifahrersitz lag eine rostige Kuhkette mit einem Vorhängeschloss. Sie klimperte im Takt mit den Schlangenlinien, die Albrecht teilweise recht abrupt fuhr, um den Schlaglöchern auszuweichen. Die Bremsen quietschten, als Albrecht eine Vollbremsung machte, um nicht gegen das Mähwerk zu fahren. Die Kette rutschte vom Sitz. Der Traktor scherte nach links aus und gab die Sicht auf den Bauzaun mit dem Zufahrtstor frei. Mit wenigen Zügen hatte Walther den Traktor vor dem Tor platziert. Albrecht stellte seinen Mercedes als weitere Hürde quer auf die Straße.
»Die werden Augen machen«, rief Albrecht, als er aus dem Auto stieg. Er rieb sich die Hände.
»Ganz schön ungemütliches Wetter«, sagte Walther durch die offene Fahrertür.
»Ach, das ist nur ein kurzer Schauer«, sagte Albrecht.
»Sieht nicht so aus!« Walther nickte in Richtung Meer. Eine dunkle Wolkenfront zog heran. »Deswegen fühle ich mich heute so komisch. Das ist ein Sturmtief!«
»Wir müssen uns ans Lenkrad ketten.«
»Ich weiß nicht«, sagte Walther.
»Schnell«, antwortete Albrecht und zeigte auf die Straße, »da kommt schon einer!«
Walther stieg in den Traktor und Albrecht ins Auto. Wenige Sekunden später kam ein Kiestransporter knapp vor dem Mercedes zu stehen. Regen peitschte gegen die Scheibe. Der aufziehende Sturm brachte den Wagen zum Schwanken. Der Fahrer des Kieslasters fing an zu hupen, erst kurz, dann mehrmals hintereinander, dann immer länger. Albrecht lachte. Der Fahrer zeigte ihm einen Vogel und gestikulierte wild in seiner Kabine, aber Albrecht lachte weiter. Schließlich öffnete sich die Tür und der Fahrer kam die wenigen Meter durch den Regen zu ihm gelaufen, klopfte an die Scheibe und brüllte, dass er wegfahren solle. Albrecht schüttelte den Kopf. Der Fahrer rüttelte an der Tür, ließ aber sofort wieder ab, als er merkte, dass sie verschlossen war. Er holte ein Telefon aus seiner Tasche, lief zum LKW zurück und telefonierte.
Der Sturm gewann an Kraft. Er fegte den Regen fast horizontal übers Land. Albrecht stellte das Radio an, legte seine Lieblingskassette ein, Mahlers Fünfte, und klopfte zu strahlenden Bläserklängen im Takt auf das Lederlenkrad. Aus einer Papiertüte holte er ein Pumpernickel. Der LKW-Fahrer versuchte es noch einmal mit einem Hupkonzert, das aber in den Sinfonieklängen unterging. Danach gab es nur noch die Musik und das Tosen des Sturms. Wasserschlieren liefen über die Windschutzscheibe. Der Wind drückte gegen das Auto, als ob er für die Baustellenfahrzeuge Platz machen wollte. Albrecht konnte den Traktor nur schemenhaft erkennen. Er zog die Decke unterm Beifahrersitz hervor, auf der Paul immer gelegen hatte und wickelte sich in ihr ein.
Nach einer Stunde kamen nur noch ein paar Tropfen vom Himmel. Plötzlich sah Albrecht Günther mit dem LKW-Fahrer auf ihn zulaufen. Schon von Weitem schrie er, was das solle und dass er sich das nicht gefallen lassen werde. Albrecht zog die Decke enger um sich herum, als Günther heftig gegen die Fensterscheibe schlug: »Mach auf!«
Albrecht fädelte seine linke Hand aus der Decke und kurbelte das Fenster herunter, sodass ein kleiner Spalt entstand, zu schmal, um eine Hand durchzustecken.
»Was ist?«, fragte Albrecht grinsend.
»Du fährst hier weg! Sofort!«
»Da kannst du lange drauf warten.«
Der LKW-Fahrer schüttelte den Kopf.
»Können Sie den Irren nicht mit dem Laster wegschieben?«, fragte Günther den Fahrer, der nur antwortete: »Ne, damit möcht ich nichts zu tun haben!«
»Na gut! Du willst es nicht anders!«, sagte Günther und marschierte zum Traktor, den der Regen saubergewaschen hatte und dessen Grün leuchtete wie lange nicht mehr.
Günther kletterte die erste Stufe zum Führerhaus hoch und brüllte, dass ihm das noch leidtun werde. Er sprang vom Traktor und landete mit seinen Lackschuhen in einer tiefen Pfütze. Ockerfarbener Schlamm überzog die Schuhe und das erste Drittel der Anzugshose. Er telefonierte.
Nach kurzer Zeit sammelte sich ein Trupp Bauarbeiter, auf die Günther einredete und dann brüllte: »Wer das hier schnell beendet, bekommt Anteilsscheine! Viele Anteilsscheine!« Aus dem Tor kam ein weiterer Arbeiter und stapfte auf die Gruppe zu. Er hielt einen Bolzenschneider hoch, worauf die Gruppe mit Applaus reagierte.
Ein Typ, Oberarme wie ein Baumstamm, schnappte sich den Bolzenschneider und stampfte auf den Traktor zu, die Arme leicht angewinkelt, sodass sich die Muskeln durch den gelben Regenmantel abzeichneten. Albrecht kurbelte das Fenster herunter.
»So!«, schrie der Typ, als er auf die erste Stufe stieg, »Du alter Sack kommst jetzt hier raus!«
Die Gruppe johlte.
»Lass mich in Ruhe!«, schrie Walther.
Der Typ riss an der Fahrertür, die nicht verschlossen war. Albrecht sah, wie Walther dunkelrot im Gesicht wurde vor Anstrengung, die Tür zuzuhalten.
»Halt durch!«, rief Albrecht. »Gib nicht auf!«
Da schrie einer aus der Gruppe »Dich krieg ich!« und lief auf Albrecht zu, der schnell die Fensterkurbel greifen wollte, dabei aber die Hand in der Decke verhedderte. Albrecht schaute auf die Decke, dann auf den Mann, der auf ihn zueilte, riss an der Decke, ruderte mit den Armen, bekam die Kurbel zu greifen, drehte mit beiden Händen, sah, wie sich der Spalt ein wenig verkleinerte, dann Finger, die durch den Spalt kamen, und drehte nochmals ruckartig an der Kurbel.
»Ahh!«, schrie der Mann, trat gegen die Fahrertür, sodass das Auto wackelte, zog die Finger aus dem Spalt, hob einen Stein auf und schleuderte ihn gegen die Windschutzscheibe, auf der sich spinnennetzartig Risse von der Aufschlagstelle ausbreiteten.
»Lass mich!«, rief Walther.
Albrecht sah, wie der Mann mit den dicken Oberarmen einen Fuß gegen das Führerhaus stemmte und am Türgriff zog, das Gesicht schweißnass. Unter ihm stand ein anderer Arbeiter. Er hielt den Bolzenschneider, den er aber fallen ließ, um dann ebenfalls auf die erste Stufe zu klettern. Mit seinen Händen um den Türgriff herum rief er: »Auf Drei!«
»Haut drauf«, rief Günther, »den alten Schrottkarren kann ich locker ersetzen!«
In dem Moment krachte ein Stein auf die Heckscheibe von Albrechts Auto.
Zwei weitere Arbeiter holten Betonsteine vom Bauzaun und schleppten sie zum Mercedes.
Walther schrie: »Du kommst nicht rein!« Seine Faust schlug auf die Nase des Mannes mit den dicken Oberarmen. Blut tropfte auf den gelben Mantel. Der Mann schrie, sodass Albrecht zusammenzuckte, holte aus und traf Walther mit voller Wucht im Gesicht.
In dem Moment krachte einer der Betonsteine durch die Heckscheibe und landete auf der Rücksitzbank. Splitter flogen umher und Albrecht riss die Hände hoch, um die Decke schützend über sich zu halten, wobei seine Hände so sehr zitterten, dass Glassplitter von der Decke rieselten.
Plötzlich tönte aus einem Megaphon »Stopp! Polizei!« Albrecht ließ langsam die Hände sinken. Für einen Moment war nur das entfernte Rauschen des Meeres zu hören.
»Da stimmt was nicht«, rief der Mann mit den dicken Oberarmen. »Holt einen Krankenwagen!«
Albrecht stieg aus dem Taxi, das direkt vorm Haupteingang des Krankenhauses hielt, drückte dem Fahrer zwanzig Euro in die Hand, schlug die Tür hinter sich zu und starrte auf die automatische Eingangstür. Nach einem Seufzer zupfte er an der blauen Schleife, die er um den Hals einer Flasche Küstennebel gebunden hatte. Er atmete tief ein und aus. Dann stieg er die Stufen nach oben zum Eingang.
An der Information fragte er nach der Zimmernummer von Walther. Nachdem er sie bekam, schlich er langsam davon, wie jemand auf dem Weg zum Schafott.
Im Fahrstuhl deutete eine alte Frau auf seine linke Hand: »Alkohol ist hier nicht erlaubt!«
Albrecht umklammerte die Flasche, sodass die Knöchel weiß wurden, und fixierte die Tür, bis sie sich öffnete. Er hastete nach draußen, ohne sich umzudrehen. In einem Bett, das auf dem Gang stand, lag ein Patient. Er stöhnte, während die Infusion in den linken Arm floss. Die Augen waren geschlossen, der Atem flach.
Albrecht schluckte, schlich den Gang entlang bis zum Ende und blieb vor Walthers Tür stehen. Er drehte die Flasche in der Hand, sah sie lange an, zupfte an der Schleife, die aber wieder in ihre schiefe Stellung zurückkehrte. Sein rechter Mittelfinger formte ein Dreieck, doch die Hand stoppte einen Zentimeter vor der Türfläche. Eine Träne rann die linke Wange herunter, die er sofort wegwischte, um dann einmal kräftig zu klopfen. Kein Laut drang zu ihm. Langsam drückte er die Klinke nach unten.
Walther lag im hinteren Bett, das vordere war leer. Annemarie saß auf einem Stuhl und streichelte die freie Stelle auf Walthers Stirn, neben dem Verband. Das linke Auge war zugeschwollen, die linke Wange war dick. Verkrustetes Blut klebte an der Augenbraue, in der Nase und an der Unterlippe. Ein Schlauch steckte im Mund, die Brust hob sich regelmäßig. Monitore zeigten die Vitalfunktionen an. Walther lag nur da, ohne sich zu rühren.
»Wie geht es ihm?«, fragte Albrecht, wobei das ihm in einem kratzig-gurgelndem Geräusch unterging.
»Herzinfarkt«, sagte Annemarie, ohne den Kopf zu heben.
Albrecht hob die Flasche in seiner Hand ein Stück, ließ sie dann aber wieder sinken. »Wird er wieder?«
»Weiß man noch nicht«, sagte Annemarie. Sie hob den Kopf und starrte ihn an, die Augen verengt. Dann sagte sie: »Das ist deine Schuld! Deine!«
Albrecht ließ den Kopf sinken. Er nestelte an der Schleife herum. Sein Räuspern unterbrach das Piepsen des Herzmonitors: »Das sollte nicht passieren. Das war ganz anders ...«
»Aber«, sagte Annemarie gefolgt von einem Schluchzen: »Es ist passiert! Ich wollte doch nur einen schönen Lebensabend mit meinem Walther. Ohne Plackerei. Ohne diesen verdammten Hof, diese verdammte Einsamkeit!«
»Es tut ...«, sagte Albrecht so leise, dass es kaum zu hören war.
Annemarie ließ den Kopf sinken: »Ohne dich säßen wir schon längst in der Wohnung. In der Stadt! So, wie wir es immer wollten!«
»Wie du es immer wolltest!«
»Nein, nein. So wie wir es immer wollten! Walther hat das nur wegen dir gemacht. Nur für dich. Der alten Zeiten wegen.« Annemarie hob den Kopf und schaute Albrecht in die Augen: »Aber jetzt ist Schluss! Schluss, verstehst du?«
Albrecht nahm die Flasche in die rechte Hand: »Hier, kannst ...?«
»Lass! Geh! Bitte geh. Und komm nicht wieder.«
»Sieh doch nur«, sagte Walther, als er auf der Düne stand, von der aus man den Windpark sehen konnte.
Annemarie stellte sich neben ihn, der Wind zerzauste ihre grauen Haare. Walther hielt seine Schirmmütze fest. Wolken jagten über den Himmel. Das Surren der Windräder war überall. Die Schlagschatten der Rotorblätter zogen zusammen mit den Schatten der Wolken über das Heidekraut.
»Dort drüben«, sagte Walther. Sein Finger zeigte auf das Ende des Parks, auf eine Lücke zwischen zwei Windrädern: »Dort stand unser Haus.«
Annemarie lächelte: »Ja, da stand es. Ich fass es immer noch nicht, wie viel die für die alte Hütte bezahlt haben!«
»Schöne Zeiten waren das!«
»Aber auch Schwere!«
»Wie es wohl Albrecht geht?«, fragte Walther. Er nickte in Richtung des alten Bauernhauses, das am Rande des Windparks stand.
»Vermisst du ihn?«, fragte Annemarie und nahm Walthers Hand.
»Schau mal! Da drüben!«
Walther lief die Düne herunter. Er nahm einen Weg zwischen Gräsern und Hagebuttensträuchern, der sich einen kleinen Hügel herauf schlängelte, auf dessen Spitze eine Staffelei stand. Annemarie lief hinterher.
»Das ist Albrechts Staffelei«, sagte Walther zu Annemarie, die schnaufend neben ihm hinterherkam.
»Woher weißt du das?«, fragte Annemarie.
»Ganz einfach. Siehst du, da unten am Fuß, da hat der Paul immer drauf rumgebissen.«
»Komisches Bild«, sagte Annemarie, die auf das eingespannte Papier zeigte.
»Ja, nur ein paar bunte Kleckse«.
»Weißt du, was das ist?«
Walther zuckte mit den Schultern.
»Mach mal einen Schritt zurück!«
Walther stolperte rückwärts und studierte das Aquarellbild.
Annemarie stand neben ihm, ein Lächeln auf den Lippen: »Siehst du die Windräder?«
»Ja, jetzt sehe ich sie! Er hat ihnen keine Farbe gegeben!«
»Sondern nur die Landschaft drum herum gemalt.«
Walther schmunzelte: »Na, viel musste er da nicht malen! Aber, wo ist er?«
Annemarie drehte sich langsam um die eigene Achse: »Da sind Spuren!«
Walther rief nach Albrecht, doch er bekam keine Antwort. Auf der letzten Düne am Meer sah er, dass die Fußabdrücke am Strand entlang führten. Ein Schlagschatten tauchte sie für kurze Zeit ins Dunkel, bevor eine Welle der ankommenden Flut sie fortspülte.