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Am Ende des Tunnels

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22.02.2005
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Am Ende des Tunnels

Als es geschah, war ich im Zimmer neben an. Ich hörte es knallen, ein schallender, die Stille durchdringender Laut, im Zimmer nebenan, in dem mein Vater sein Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Ich rannte sofort zu ihm, um nach ihm zu sehen und fand ihn auf dem Boden liegend. Ich kann mich nicht mehr an viel davon erinnern, nur dass ich neben ihm zu Boden fiel, mein Gesicht nah an seinen starren, kalten Augen, meine Hände ungläubig auf sein nicht mehr schlagendes Herz gelegt, während die Blutlache neben seinem Kopf meine Kleidung durchdrang. Voller Unglauben starrte ich auf den Revolver in seiner eigenen, starren Hand.

Damals war ich dreizehn gewesen. Das ist lange her, doch der Schmerz ist nie vergangen, egal wie viele Leute mir sagten, die Zeit heilt alle Wunden. Es ist nie passiert. Heute lebe ich in einer kleinen Mietwohnung in einem dreckigen Hochhaus in Ostberlin, doch ich verbringe nur wenig Zeit darin. Tagsüber verbringe ich meine Zeit auf dem Campus, wo ich Philosophie studiere, und abends bin ich bei verschiedenen Freunden und Freundinnen. Ich habe viele, es ist fast jeden Abend jemand anders, doch keinem von ihnen würde ich auch nur meinen Wohnungsschlüssel anvertrauen, und von persönlicheren Dingen ganz zu schweigen. Man kann gut mit ihnen Zeit verbringen, doch ich könnte sie nicht öfters als einmal im Monat sehen.
Ich hatte keine wirklichen Freunde mehr seit Alán. Das war vor vier Jahren. Damals wohnte ich noch in München. Ich erinnere mich nicht gerne daran. Die neblige Nacht. Der alte, klapprige Fiat Punto auf der Landstraße. Der Lastwagen ohne Licht. Es war ein Rot-Kreuz-Transportwagen, mit irgendwelcher Medizin drin. Was für eine Ironie. Natürlich konnten sie nichts mehr tun, so wie Alán zugerichtet war.

Manche haben seitdem gesagt, ich sei vom Pech verfolgt oder so. Zwei unglückliche Zufälle halt. Die meisten Leute glauben nicht an das Schicksal. Denn es kann doch kein Zufall sein, dass jeder, mit dem ich wirklich gut auskam, ums Leben kam. Manche haben auch versucht, mir weis zu machen, Gott hätte sie mit Absicht aus dem Leben geholt. Diese Leute habe ich gleich zur Hölle geschickt, denn welcher Gott könnte so ungütig sein, dass er das einem Menschen antut. Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen, auch wenn ich sie nur flüchtig kannte. Ich habe immer einen Gesprächsstoff. Viele haben mir geraten, Gras darüber wachsen zu lassen und weiter zu leben, als wäre nichts geschehen. Doch wie kann ich das, wenn ich mich andauernd frage, was aus ihnen geworden ist? Warum sie so früh gehen mussten.
Was war mit den tausenden von Tsunami-Opfern? Konnte es denn irgendeinen Grund geben, warum so viele Menschen sterben müssen? Oder die U-Bahnbombe dieses Jahr. Und dabei sind das gerade einmal die Menschen gewesen, die ich nicht kannte. Was war mit meiner Oma, die gerade dann starb, als ich an ihr Krankenbett kam? Was war mit meinem Vater, der den Ruin nicht einmal ertragen konnte, wenn er an seinen Sohn dachte? Was war mit Amélie, dem Mädchen aus der 9. Klasse, mit dem ich mal gegangen war? Wir waren gerade einen Monat zusammen, sie war wirklich süß. Wir waren sozusagen das Pärchen der Klasse. Es war ein Samstagnachmittag, als sie die Abkürzung über das Feld zu mir nahm. Wir fanden nur ihren leblosen, nackten Körper mit den grauenhaften Striemen überall auf ihrer sanften, blassen Haut. Und dann Alán. Und letzten Endes auch noch Andy. Ich kannte ihn nicht einmal persönlich. Es war mein Brief, den er beantwortete, als er zum Briefkasten ging. Auf dem Rückweg hatte er eine Herzattacke. In seinem letzten Brief teilte er mir seine Hochzeit mit.

Heute ist der 7. September, jener verhängnisvolle Tag, an dem die Hochzeit hatte stattfinden sollen. Dank eines bösen Zufalls ist es, was mir noch viel wichtiger ist, auch der Tag an dem Alán und ich das letzte Mal zusammen unterwegs waren. Ich habe mir vorgenommen, heute mit keinem Menschen Kontakt aufzunehmen, oder auch nur anzusehen, aus Angst vor dem bösen Schicksal dieses Tages. Ich habe meine Wohnungstür verriegelt und zum ersten Mal seit langem bin ich nun für länger als ein paar Stunden in der staubigen, dunklen Dachwohnung, in der ich sonst nur schlafe. Ich sitze in der kleinen Küche und denke nach. Ich denke dauernd nach, auch wenn nicht viel dabei herumkommt. Doch heute ist etwas anders. Aus irgendeinem Grund gehen mir nun alle Details durch den Kopf, an die ich mich am liebsten nie mehr erinnern würde. Und ich frage mich wieder einmal, wo sie alle sind. Warum mussten sie nur gehen? Gibt es irgendeine Möglichkeit für uns herauszufinden, was nie für die Lebenden bestimmt war? Irgendeine Möglichkeit zu sehen, zu fühlen wie es ihnen geht? Was mit Amélie passiert ist, und mit meinem Vater. Andy. Und wo ist Alán? Wie konnte er mich nur allein lassen? Er allein wusste, wie es mir ging. Er allein konnte mich verstehen.
Plötzlich erinnere ich mich an all die Geschichten von Nahtoderlebnissen. Ich habe nie besonders viel darauf gegeben, weil ich schon zu viel Kontakt mit dem Tod gehabt hatte, um mich noch freiwillig in diese Richtung zu begeben. Aber ist das nicht die einzige Möglichkeit, ein wenig zu erfahren, was hinter dem liegt, dass wir sehen?

Ich brauche eine Sauerstoffflasche und einen Verschluss, der sich mit irgendeinem elektronischen Gerät aufdrehen lässt. Dann eine Zeitschaltuhr und zwei von diesen Elektroteilen, die sie im Krankenhaus immer haben. Klebeband. Und irgendeinen Aufsatz für die Flasche, der sich problemlos in den Mund stecken lässt.
Ich notiere mir die Punkte auf einem Notizblock. Wie lange dauerten die längsten Nahtoderlebnisse, bevor man die Menschen wieder ins Leben geholt hatte? Das muss ich noch im Internet nachsehen. Und wenn ich die ganzen Geräte heute bestelle, dürften sie nächste Woche da sein. 13. September. Das war der Tag von Aláns Beerdigung.

Es hat sich noch keiner Sorgen gemacht, obwohl ich jetzt schon vier Tage nicht mehr draußen war. Das spricht ja wieder für meine ganzen Freunde und Freundinnen. Aber das spielt sowieso keine Rolle, da ich nächste Woche um eine Erfahrung reicher wieder bei einem von ihnen sein werde. Und dann habe ich wirklich ein Gesprächsthema. Ich habe schon alles da bis auf die Sauerstoffflasche, die müsste morgen kommen. Das erste Mal hat mir eine der vielen Freundschaften tatsächlich genutzt, wie sonst hätte ich alle meine Extrawünsche bekommen können? Die Sauerstoffflasche kommt von einem Alexander, Hobbytaucher. Er ist der Verlobte von einer flüchtigen Bekannten aus der Uni, ich habe ihn ein, zwei Mal gesehen. Ich weiß nicht einmal seinen Nachnamen.
Die Zeitschaltuhr ist eingestellt und angeschlossen, die Sauerstoffflasche liegt neben mir, der Schlauch führt in meinen Mund, wo er mit dem Klebeband befestigt ist. Mein Blick ist auf die Digitaluhr an meinem Armgelenk gerichtet. 17:14:36. Noch vierundzwanzig Sekunden. Meine Hand schließt sich um den Drehverschluss in der Mitte des Schlauches. 17:14:48. Um viertel nach fünf hatten sie den Sarg hinab gelassen. 17:14:54. Alán. Für Alán. Und für Amélie. Für Papa, und für Andy. Und für 20 000 Unbekannte. Doch vor allem für Alán.

Wie im Rausch merke ich wie mein Körper sich verkrampft, wie er alles aus den letzten Poren holt, was er an Luft bekommen kann. Dann wird er plötzlich starr. Doch ich bin noch immer da. Ich sehe, wie der Wind vor dem Fenster die Blätter des hohen Baumes durchweht. Ich höre das leise Klicken der Zeitschaltuhr. Was kümmert mich das? Ich fühle, wie es dunkel wird. Der Raum verschwindet, in dem mein Körper leblos auf dem Boden liegt.
Ich nehme einen Geruch wahr, ein wenig wie Zimt. Warum Zimt? Ich fühle etwas Warmes durch mich sickern, fast wie wenn man im Dezember eine heiße Tasse Kakao trinkt. Wo sind die Bilder, das vorbeiziehende Leben? Müsste das nicht jetzt passieren? Stattdessen schwebe ich in diesem Tunnel, ohne zu wissen, ob ich stehe oder vorwärts rase. Da, was war das? Das war ein Bild. Viel mehr ein Gefühl, eine Erinnerung. Mein erstes Wort. Es war „Hilfe“ gewesen. Ich hatte die Gabel fallen gelassen und brauchte Hilfe. Sie hatten alle furchtbar erschrocken ausgesehen. Und da, schon wieder eins –
Mein Bauch zieht sich zusammen und ich atme kalte Luft ein. Das Bild verschwindet. Nein! Ich bin doch noch lange nicht fertig! Ich will nicht zurück! Doch da kommt der Schlag und noch mehr Luft und ich reiße die Augen auf, Würgreize in meinem zugeklebten Mund. Ich reiße mir das Klebeband vom Gesicht, auch wenn er höllisch schmerzt. Ich lebe wieder.

Entschlossen stehe ich an der Autobahnbrücke. Es ist der Todestag von Amélie. Ich muss das Ende dieses Tunnels sehen, und das danach. Ich muss! Ich muss einfach. Für Alán.

 

Hallo johnny m,

ich hätte mir gewünscht, du hättest die Geschichte erzählt. Sie hätte interessant werden können. Stattdessen hakst du Stationen ab, ohne uns in das Gefühl deines Protagonisten mitzunehmen. Er berichtet über die Toten in seinem Leben, über die Idee, dass er mit diesen Toden zu tun hat, aber es wird nicht greifbar. Die wirklichen Auswirkungen dieser Toten, die wirkliche Konsequenz dieser Idee ist nicht zu spüren. Dazu ist deine Geschichte im Aufbau zu unstrukturiert und im Stil zu berichtend. Spannung steigt auf, wenn er in der Gegenwart um irgendetwas kämpft oder fürchtet oder sich der Glaube an seine tödliche Allmacht erst langsam entwickelt, wenn nicht von vornerein klar ist, sie sind alle tot.
Unvollständige Details:

Als es geschah, war ich im Zimmer neben an.
nebenan
Ich hörte es knallen, ein schallender, die Stille durchdringender Laut, im Zimmer nebenan, in dem mein Vater sein Arbeitszimmer eingerichtet hatte.
um die Doppelung von "im Zimmer nebenan" zu vermeiden: ... die Stille durchdringender Laut aus dem Arbeitszimmer (Büro) meines Vaters.
dass dieses Büro nebenan liegt weiß man aus dem ersten Satz und es geht auch aus dem zweiten hervor.
Damals war ich dreizehn gewesen.
bin ich dreizen gewesen oder war ich dreizehn
Denn es kann doch kein Zufall sein, dass jeder, mit dem ich wirklich gut auskam, ums Leben kam.
Tempusfehler und Wiederholung. Vorschlag: Es konnte doch kein Zufall sein, dass jeder, mit dem ich wirklich gut auskam, starb.

Lieben Gruß, sim

 

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