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Am Ende sind wir doch allein
Dunkel und kalt war der Abend um ihn. Die gefrierende Feuchtigkeit in den Büschen am Wegesrand knackte, der Nebel war dicht.
Genauso kalt wie die langsam beginnende Dezembernacht war das Herz unseres nächtlichen Wanderers. Nun kalt mag nicht die richtige Umschreibung sein, denn Gefühle hatte unser Freund schon. Doch von dem Feuer der Liebe, welches noch vor kurzem in seinem Herzen brannte, waren nur noch einige Kohlen, die zwar stärker denn je glühten, übrig, doch vermochten sie keine Wärme mehr zu verbreiten.
Während er sich vor Kälte schüttelte, dachte er bei sich: „Wie schön auch der Frühling ist und egal wie viele Erwartungen auf einen Sommer voll Sonnenschein und Wärme er macht, so folgt doch auf diesen wunderbaren Sommer ein kalter und grauer Winter, selbst wenn ein lieblicher, sonniger Herbst uns noch eine letzte Hoffnung und Freude zu machen versucht, dass der Winter schon nicht so schlimm werden wird.“ Diesen Gedanken folgend erreichte er den Rand des Dorfes und schritt in die von Nebel und Reif überzogenen Felder hinaus. Für ihn, so dachte er, würde dieser einsame, kalte Winter nie enden.
Der Nebel kann einem so manchen Streich spielen, er lässt Äste groß und lebendig erscheinen und einen Geräusche vernehmen, die von Fernem zu kommen scheinen, jedoch unsere eigenen sind. Doch ein Grenzer seiner Majestät kennt keine Furcht. Im letzten Jahr, dem Beginn seiner Dienstzeit, hatte er noch Angst bei dem Gedanken, die Büchse eines jener Spitzbuben, die die Gegend unsicher machen, könnte auf ihn gerichtet sein. Nun bereitete dieser Gedanke ihm keine Furcht mehr, es war ihm gleich. Er kam sich genauso einsam vor, wie die alte Linde am Festplatz, die, ohne Laub und verlassen von allen Feiernden des Sommers, allein und kahl dastand.
So schlug er den Weg Richtung Stadt ein, aber die Erwartung der warmen, fröhlichen Wirtsstube erweckte keine wirkliche Freude bei ihm, der Begriff der Freude war ihm vollkommen fremd geworden. Von dem Rascheln im Wald zu seiner rechten merkte er nichts. Seit er seinen Dienst angetreten hatte, war zwar erst ein Jahr vergangen, aber er fühlte sich geistig um das vielfache gealtert, damals war er dem Wirtshaus voller Erwartung entgegen geschritten, freute er sich doch auf den Tanz und die Kurzweil nach seinem Dienst, der mit dieser Partroullie endete. Er hatte Spaß, verliebte sich, dachte er könne die ganze Welt aus den Angeln heben und alles erreichen. Sein Herz war schwer geworden, bei diesen wehmütigen Erinnerungen, so blieb er stehen, seufzte und ging weiter seines Weges. Der Nebel lichtete sich etwas und vereinzelt versuchten die Sterne sich ihre Bahn durch die Wolken zu brechen.
Da krachte ein Schuss in der Dunkelheit und tödlich getroffen stürzte unser Freund auf den Weg. Er spürte den Schmerz nicht, der von der Wunde in seiner Brust ausging, ein anderer, weitaus schlimmerer Schmerz drang aus dem Grunde seines Herzens. Während ihr Antlitz vor seinem geistigen Auge erschien, flüstere er mit letzter Kraft: „Warum? Warum hast du mich verlassen?“, die Tränen rannen aus seinen Augen.
Als sie ihn am nächsten Morgen fanden, da wussten sie nicht, dass er eigentlich schon tot war, als er sie am Abend in der Wachstube verlassen hatte.
gewidmet Julia, meiner ersten großen Liebe